Frieden 11

Mutters Picasso im Schlafzimmer neben dem Spiegel
Mädchen mit Taube, weiß
auf Spanplatte
Musterplatte meines Vaters
Rand gestrichen, weiß
– so sanft

Neben dem Foto
des Vaters meines Vaters
noch lächelnd
nach der Entnazifizierung
gestorben am Darmkrebs

Mein Sohn heute
in Köln
Ausflug der Klasse
ins Gestapogefängnis
Gedenkstätte
Entnazifizierung des Volkes Teil X
Lege meine Hand über deine Seele
sende dir Blumenduft und Rosenhauch
und eine starke Hand

Bilderstreit
Messehallen Köln
Ästhetik des Widerstands
danke Peter, Peter
Schmidt und Weiss
Guernica
Les Bombardements never ends

Danke Joseph
bist mir eine Stütze
Dürer, ich
führe per=
sönlich Baader+
+Meinhof
durch die
documenta
V

jens schönlau, februar 2011

Projekt Elaine 13

Wie sollte sie reagieren? Cat fühlte sich verraten, vor den Kopf gestoßen. In Momenten der Krise öffnet die Seele die Schotten, lässt alles passieren, die Vorurteile, gefärbten Erinnerungen, unschönen Konstruktionen. Die zu Anklagen formulierten Hypothesen, die sich wie junge Staatsanwälte auf ihre Gegenüber werfen, um ihnen die Klauen des Rechts, der Moral in die ungeschützten Flanken zu rammen. Die Farben ändern sich, aus Annahmen werden Gewissheiten. Cat legte sich ins Bett, sagte ihrer Mutter, sie sei krank, habe Fieber, eine Erkältung, Kopfschmerzen, ihre Tage und überhaupt. Ihre Mutter ließ sie. Brachte frischen Orangensaft, mundgerecht geschnittenes Obst, kümmerte sich, genoss es. Drei sorgfältig auf einen kleinen Teller dekorierte Zwiebacke dokumentierten den Status anerkannte Krankheit.

„Mama, kannst du mir aus dem Atelier Papier und einen Kohlestift mitbringen? Einen breiten für dicke Striche.“ Ihre Mutter stutzte. Damit hatte sie nicht gerechnet. Wie oft hatte sie versucht, Cat zum Malen zu bringen, sie in die Kunst einzuführen, in ihr Atelier einzuladen. Sie hatte es bereits aufgegeben, hatte sich mit der Enttäuschung abgefunden. Cat wollte die im Gegenlicht der tief stehenden Wintersonne schwarz gefärbten Zweige vor ihrem Fenster malen. Dieses dunkle Labyrinth, das ineinander lief, sich verhedderte, grelles Licht durch Öffnungen fielen ließ, das Schwarz an Überschneidungen in ein weit finstereres Schwarz verwandelte, das Himmel und Erde verband. Sie suchte eine Metapher, einen Ausweg. Ihren Gedanken glaubte sie nicht. Sie wollte Sue nicht verurteilen, ihr nichts Böses an den Hals wünschen, auch wenn die innere Stimme ihr das einzureden versuchte. Ihre Mutter freute sich still, brachte ihr eine große Unterlage, eine Auswahl an Papier und einen kompletten Kasten voller Kohlestifte und ließ Cat allein. Mit sich, ihren Fragen, ihrem Unmut, ihrer Enttäuschung, den Zeichenutensilien. Breite Striche zogen sich langsam über das Papier, die keinerlei Ähnlichkeit mit den Zweigen draußen hatten. Cat war keine Zeichnerin, hatte Zeichnen nicht wirklich gelernt. Es half ihr. Als würden diese dunklen, breiten Linien direkt aus ihr heraus laufen, als hätte sie einen Graben nach draußen geschaffen. Aus den dunklen Straßen, den Zweigen, wurde ein Gesicht. Hilflos verfremdet, fern jeder Realität und doch intensiv. Sie zeichnete Sue, dachte an Sue, vermisste Sue. Schon jetzt, nach nur einem Tag. Vielleicht würde es besser. Sie wusste es nicht, konnte ihre Verworrenheit nicht einschätzen. Vielleicht würde sie die Sehnsucht verlassen, mit dem Kohlestaub auf dem Papier aus ihr heraus fließen. Sie sah Sue auf dem Sofa sitzen, ihr gegenüber. Sie kannte Sues Gesten, ihre Bewegungen, als hätte sie sie studiert, in sich aufgezeichnet. Sie musste lächeln und weinen, versuchte es neu und anders.

Sie ließ The Cure laufen, Sue hatte ihren Stick vergessen. War nach Cats Aufforderung aufgestanden und wortlos gegangen. Die Musik mischte sich mit den Sonnenstrahlen, die der helle Wintertag mit blauem Himmel in das Zimmer fallen ließ. An der Wand tanzten die Schatten der Zweige im leichten Winterwind. Cat musste lachen, um wie viel besser die Natur sich selbst zeichnen, lebendig inszenieren konnte. Sie legte ihre Suezeichnungen zur Seite, nahm einen breiten Kohlestift und bannte die Schatten auf die Wand um die Tür herum. Ein dickes Geflecht schwarzer Adern entstand. Immer wieder ging sie einige Schritte zurück und schaute, welche Zweige sie wollte und welche nicht. Sie stieg auf ihren Stuhl, führte die Linien in Bögen, fügte kleine Zweige ein. Mit Bedacht wählte sie kleine und große Äste, suchte nach einer Form, die mit wenigen Bögen und Linien eine Harmonie entstehen ließ, zugleich filigran und authentisch kraftvoll. Eine Krähe landete draußen im Baum, im Bild, schickte ein Krächzen hinein, der Flügelschlag des Davonfliegens zog sich als Schwarz-Weiß-Filmsequenz quer über die Wand. Zwischendurch schoben sich Wolken ins Bild, die den Schatten wegräumten, die Vorlage tilgten. Sie nahm sich einen großen Bogen, warf das bereits Entstandene als Skizze aufs Papier und probierte. Konzentrierte sich, versuchte in Kopfbildern, nahm das Konstrukt des Schattengeflechts in ihren Schädel. Die Gedanken an Sue verschwanden für einen Moment, Cat fühlte eine produktive Harmonie, fühlte sich ausgelastet, gut. Als würde sie mit jedem Kohlestrich auf Papier und Wand ein Stück weit Frieden schließen. Mit Sue und mit vielem mehr. Sie begann, ihre Welt zu gestalten, sich auszudrücken, eine Form zu finden, die ihr entsprach, die ihr Klarheit gab. Sie räumte den Schrank zur Seite, um Platz an der Wand zu schaffen. Sie lief ins Atelier, holte sich Pinsel und schwarze Ölfarbe. Ihre Mutter blieb im Hintergrund, beschäftigte sich in der Küche, obwohl sie darauf brannte zu sehen, was Cat in ihrem Zimmer veranstaltete. Sie sagte nichts, rührte sich nicht. Spürte den Moment, wollte nichts im Keim ersticken, es nicht vermasseln. Cat wusste nicht, wie sie mit Ölfarbe malen, umgehen sollte. Sie probierte aus. Langsam, drückte die Farbe auf ein Tellerchen, das ihre Mutter zum Mischen benutzte. Mit kleinen Pinseln zeichnete sie Kohlelinien nach. Schaute, wie die Farbe dicker wurde und Aststrukturen auf der Wand entstanden. Zur Decke und zu den Seitenwänden hielt sie Abstand. Ihr schwebte ein Ausschnitt vor, den sie in ihrer Vorstellung Zweig für Zweig komplettierte. Mittlerweile hatte sie die Grundzeichnung auf einen großen Papierbogen übertragen, auf dem sie Größenverhältnisse und Astpositionen zunächst mit Bleistiftlinien, die sie wegradieren konnte, und dann mit Kohlestrichen ausprobierte. Hatte sie einen Zweig gefunden, übertrug sie ihn mit Ölfarbe auf die Wand. Sie nahm sich Zeit, genoss die innere Ruhe, die Freiheit, tun und lassen zu können, was sie wollte. Einen kurzen Augenblick war sie versucht, dem Impuls, mit Farben zu arbeiten, nachzugeben, um Kontraste zu setzen, Blicke zu führen. Sie blieb beim Schwarz, der Nichtfarbe. Als die Sonne am Nachmittag unterging, lieh sie sich von ihrer Mutter einen Scheinwerfer aus dem Atelier. Sie verpasste das Abendbrot, hörte Sues Stick komplett durch, fühlte sich in ihr Bild an der Wand gezogen, in die Schatten und Zweige. Tief in der Nacht war ihr Bild, ihr Wandgemälde fertig. Gerne hätte sie Sue angerufen, hätte es ihr gezeigt. Sie legte sich in ihr Bett, schaute auf die vom Scheinwerfer angestrahlte Wand und war fast wieder gesund.

Projekt Elaine 12

In der Schule wurde es für Susanne und Cat schwieriger. Während Cat früher, vor Susannes Auftauchen, einfach mehr oder weniger unbehelligt in ihrer Bank saß und ihr Außenseitertum stoisch pflegte, wurde die Bank der beiden nun zu einer Provokation. Cat schwieg weiterhin, hielt ihren Status, Susanne positionierte sich als kritische Stimme. Sie ging keinen Millimeter auf irgendwen zu. Im Gegenteil. Sie ging allen aus dem Weg, hielt sich an Cat. Wirkte fast arrogant. Im Unterricht war sie nicht bereit, irgendetwas hinzunehmen und ging keiner Diskussion aus dem Weg. Ihr Mantra war das Hinterfragen von Aussagen. Wo sie ein Klischee witterte, eine allgemein, akzeptierte Meinung, ein dahin gesagtes Argument, intervenierte sie. Vor allem bei Beiträgen ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler. „Woher weißt du das? Das ist doch jetzt einfach nur so gesagt, weil alle das so sagen. Hast du vorher mal nachgedacht?“

Oft wurde sie gemaßregelt, sie möchte ihren Ton mäßigen und in der Diskussion konstruktiv bleiben. Das fiel ihr schwer. Gleichwohl hob sie den Unterricht auf ein neues Niveau. Wer etwas sagen wollte, antizipierte automatisch Susannes Kritik. Es kam zu Meinungsschlachten, die ihr gleichzeitig Respekt und Feindschaften einbrachten. Nach wenigen Wochen hatte sie es geschafft, sich ebenfalls als Außenseiterin zu etablieren. Selbst diejenigen in der Klasse, die inhaltlich auf ihrer Seite standen, die ihre Argumente und Meinungen unterschrieben hätten, selbst denen stieß sie vor den Kopf. Es wäre ihr wie ein Verrat an ihrem bisherigen Leben vorgekommen, sich hier zu etablieren. Weitere Freundschaften zu knüpfen, die über die zu Cat hinausgingen. Sie wollte auf keine Partys eingeladen werden, sich nicht nachmittags verabreden oder sich abends in Kneipen treffen. Sie lehnte jegliche Kontaktaufnahme strikt ab. Susanne sehnte sich nach ihrem Berlin, nach der Schnodderigkeit, nach den Ideen, nach dem Ungewöhnlichen, dass hinter jeder Ecke wartete. Sie wollte hier nicht ankommen. Ihr fiel die Decke auf den Kopf, fühlte sich, als wäre sie in die Falle gegangen, hatte nur Cat und ihre Mutter. Die anderen aus der Klasse begannen, von der Hexenbank zu sprechen. Von den beiden verrückten Lesben, die es in der Villa am Stadtrand miteinander trieben. Einmal stand in dicken schwarzen Edding-Lettern LESBEN quer über die Bank geschrieben. Sue hatte die Lehrerin gerufen und hatte laut gesagt „Hier steht Lesben. Scheinbar gibt es in dieser Klasse feige Menschen, die ein Problem mit Homosexualität haben. Wenn mir jemand was zu sagen hat, dann kann er das jetzt und hier tun oder er soll einfach die Fresse halten.“ Es war eine Sozialkundestunde bei Frau Saalbach, die Sue eindringlich ermahnte. „Susanne, ich kann deinen Ärger verstehen, auch ich heiße es nicht gut, was hier geschehen ist. Dennoch möchte ich dich bitten, deinen Ton zu zügeln und deine Ausdrucksweise zu korrigieren. Bitte setz dich.“ Die weitere Stunde wurde aus dem aktuellen Anlass heraus genutzt, gleichgeschlechtliche Liebe zu thematisieren. Doch niemand traute sich, eine der Homosexualität gegenüber ablehnende Position einzunehmen. Letztlich wurde es eine Geschichtsstunde, in der geschichtliche Fakten von der Verfolgung im dritten Reich über die Abschaffung der Strafverfolgung bis zur rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften zusammengetragen wurden. Cat und Sue ließen die schwarzen Lettern stehen. Für sie war es kein Affront, es war ein Symbol ihrer Freundschaft. Manchmal nun begrüßte Sue Cat am Morgen mit einem fröhlichen „Hi Lesbe.“ Susanne wusste, wer die sechs Buchstaben auf ihre Bank geschrieben hatte, aber es war ihr schlicht egal. Während sie gesagt hatte, „der soll einfach die Fresse halten.“, hatte sie ihm direkt ins Gesicht gesehen, so dass jeder in der Klasse Bescheid wusste. Die folgende Stunde war für denjenigen ein einziges Spießrutenlaufen gewesen. Zu weiteren öffentlichen Affronts kam es in der Folge nicht. Ab und an wurden Susanne auf dem Gang kleinere Beleidigungen zugezischt oder es gab den einen oder anderen Rempler ganz aus Versehen, aber letztlich waren die Karten verteilt. Susanne war es recht, Cat auch.

Im folgenden Winter gab es kaum einen Nachmittag, den sie nicht in Cats Zimmer verbrachten. Ein Antlantiktief nach dem anderen ließ Regen und Wind durch die Stadt und um das Haus peitschen. Die kahlen dunklen Äste der Bäume vor dem Fenster ließen das Draußen unfreundlich, fast gruselig erscheinen. Drinnen sorgte ein großer Stahlheizkörper für wohlige Wärme, es gab keinen Grund, das Haus öfter als nötig zu verlassen. Cats Mutter genoss es, die beiden im Haus zu haben, auch wenn sie im Zimmer nicht geduldet war. Brachte sie Tee mit Keksen oder Kakao mit Kuchen hinauf, kam meist nie mehr als ein knappes Gespräch zustande, weil Cat die Konversation mit einem „Mama, wir müssen jetzt lernen!“ abbrach. So, als wolle sie ihre Freundin nicht teilen. Cats Mutter war froh, dass ihre Tochter Sue hatte. Denn Cat veränderte sich. Wurde normaler, altersgerechter. Sue schleifte sie regelmäßig ins Kino, um sich mit ihr Hollywood-Blockbuster anzusehen. Anfangs fand Cat die Storys platt und das Ende immer so vorhersehbar. Aber von Film zu Film war sie mehr bereit, sich einfach fangen zu lassen. Sue hatte ihr den Trick verraten. „Du darfst das nicht ernst nehmen und du darfst nicht, niemals nach dem Sinn oder der Botschaft fragen. Die ist genauso genommen fast immer Kacke. Schön ist einfach nur das Gefühl und das, was die Clooneys, Jolies, Depps, Pitts, Bridges & Co. auf die Leinwand zaubern. Das ist schön. Einfach gucken, keine Gedanken machen. Unterhaltung.“ Das fiel Cat zunächst schwer. Mit ihren Eltern hatte sie viele Avantgarde-Klassiker gesehen. Europäisches Arthouse-Kino, die amerikanischen Wilden.

Etwas war Cat an Sue aufgefallen. Es gab ein Tabuthema. Sues Mutter. Manchmal hatte Cat gefragt, ob sie am Nachmittag nicht auch einmal zu Sue nach Hause gehen sollten. Sue hatte immer gleich geantwortet: „Nein.“ Dieses „Nein“ hatte Cat akzeptiert. Sie hatte einfach angenommen, dass Sue ihre Gründe hätte. Doch mit der zeit bekam sie Sues Mutter gegenüber ein schlechtes Gewissen. Auch, weil Sue nun öfter bei ihr schlief und dann auch abends nicht Zuhause war. Sie wollte nicht, dass da ein komisches Verhältnis entsteht, dass Sues Mutter das Gefühl entwickelte, ihre Tochter würde ihr weggenommen, vorenthalten. Cat hatte angefangen, nach Sues Mutter zu fragen. „Ich würde sie gerne kennen lernen.“, sagte sie an einem dieser Nachmittage, an denen sie in Cats Zimmer lernten, Sues Musik hörten und über den vergangenen Tag in der Schule redeten. Es war wie ein zweiter Unterricht, in den sich Cat am Nachmittag einschaltete. Oft hatte sie am Morgen in der Schule die Diskussion verfolgt und sich eine eigene Meinung gebildet. Hier, in ihrem Zimmer, Sue gegenüber, vertrat sie die Meinung dann. Fasste sie in Worte. Sue hatte gegenüber Cat nicht das Verlangen, sie in Grund und Boden zu argumentieren und an die Wand zu drücken. In Sues Augen hatte Cat schräge Ansichten. Überhaupt kein Mainstream, eine ganz eigene Sicht der Dinge. Für sie waren es oft Meinungen wie aus einem Paralleluniversum. Mit einem komplett anderen Fundament. Auf diese Gespräche ließ sie sich gern ein, auch weil sie sie an Zaos Andersartigkeit erinnerten. Auf ein Gespräch über ihre Mutter dagegen, ließ sie sich nicht ein. Anfangs hatte Cat das akzeptiert, nun wollte sie wissen, was los ist. Es kam ihr merkwürdig vor. Sie wollte nicht, dass sich Sue wegen ihrer Mutter oder wegen einer kleineren Wohnung oder wegen was auch immer schämte. Sie spürte hier eine ungewöhnliche Distanz. Einen Graben, ein Tabu, das sie nicht verstand, dass sie aber zunehmend störte. An einem Nachmittag fasste sie sich ein Herz. „Sue, ich weiß, du willst darüber nicht sprechen. Aber ich will. Weshalb darf ich deine Mutter nicht kennen lernen? Weshalb versteckst du sie?“ Sue lag auf dem Jugendstilsofa, schloss die Augen. Sie spürte, dass es Cat ernst war, sie nicht ausweichen konnte. „Weshalb kannst du nicht einfach alles so lassen, wie es ist?“ „Weil du auch nie irgendetwas so lässt, wie es ist? Wer ist denn hier die, die immer nachfragt? Die keinen Stein auf dem anderen lässt? Die jedem predigt, er solle mal genauer hinsehen und nachdenken?“ Vor ein paar Monaten noch, da war das Mädchen, das dort auf ihrem Bett lag, eine Betonwand gewesen, dachte Sue. Anfangs war ihr selbst ein Gespräch über das Wetter zu intim. Und nun versuchte Cat, in sie einzudringen. Sue wollte ihr nicht länger ausweichen, auch wenn sie Angst hatte vor dem, was sie Cat sagen würde. Trotzdm entschied sie sich, es zu tun. „O.K., Cat. Hör zu, ich kann es dir nicht genau sagen. Wahrscheinlich ist es so, dass dich meine Mutter sofort mögen würde. Und dann würde sie sich hier vielleicht noch wohler fühlen. Das will ich nicht. Ich will zurück. Unbedingt. Ich will hier nichts vermischen, was sich dann nicht mehr auflösen lässt.“ Cat schluckte, sah auf ihren Warhol, in das Gesicht von Josph Beuys und sagte: „Kannst du jetzt bitte gehen. Ich möchte allein sein.“

Die weiteren Elaine Teile:

Projekt Elaine 1

Projekt Elaine 2

Projekt Elaine 3

Projekt Elaine 4

Projekt Elaine 5

Projekt Elaine 6

Projekt Elaine 7

Projekt Elaine 8

Projekt Elaine 9

Projekt Elaine 10

Projekt Elaine 11

Projekt Elaine 11

Bald wurden Susanne und Cat von ihren Mitschülern spöttisch die Twins genannt. Cat hatte Susanne vom ersten Tag an für sich vereinnahmt und Susanne hatte sich gerne vereinnahmen lassen, um nicht das Gefühl zu haben, an diesem ungeliebten Ort anzukommen. Cat war für sie ein nicht definierter, freier Raum. Irgendetwas zwischen ihrem bisherigen Leben in Berlin und der neuen Wirklichkeit in dieser Kleinstadt mit Fluss. Ein Luftschutzbunker, in dem sie die Zeit überdauern konnte, eine Rettungsinsel. Mit Cat fühlte sie sich wohl, umgekehrt war es genauso. Für Cat war es ein komplett neues Leben, das sich in allem anders anfühlte – vom Aufwachen am Morgen bis zum Einschlafen. Sie hatte tatsächlich zum ersten Mal in ihrem Leben eine Freundin. Einen echten Menschen an ihrer Seite, eine Gleichaltrige. Eine, die sie nahm, wie sie war. Vorsichtig näherten sie sich.

Susanne ertappte Cat ab und an dabei, wie sie sie anstarrte. Als wollte sie mit einem mikroskopischen Blick in sie eintauchen. Sie sagte dann „Cat, du starrst wieder.“ Cat entschuldigte sich dann, Susanne lächelte, schüttelte den Kopf oder sagte „Du spinnst.“ oder Ähnliches. Cat musste Freundschaft geradezu lernen. Manchmal machte sie sich tagelang Gedanken über Szenen, die zwischen ihr und Susanne passiert waren. Alltagsszenen, in die sie Bedeutung legte. Susanne nannte sie manchmal Kaspar Hauser der Neuzeit. „Sag mal, wo warst du die letzten Jahre? Auf dem Mond? Cat! Wenn ich sage Leck mich, dann ist das ein Spruch. Verstehst du? Das haut man raus. Ohne Nachdenken, ohne Hintergedanken. Das heißt nicht Verpiss dich, ich will nie wieder mit dir sprechen. Klar? Das bedeutet nichts. Oder einfach was anderes. Weiß nicht. “ Nach solchen unvorhersehbaren Zwischenfällen kam es dazu, dass sich Cat zurückzog. Dass sie Zuhause blieb, nicht in die Schule ging, an der Freundschaft zweifelte und sich nach ihrer alten Isolation zurücksehnte. Sie hatte dann das Gefühl, dass es ein Fehler war, den eigenen Schutzpanzer aufzugeben, sich anzuvertrauen. Für Susanne war es das Problem, mit Cat nicht streiten zu können. Ihren Freundinnen in Berlin hatte sie einfach Dinge an den Kopf knallen können. Schimpfwörter gehörten zur Alltagssprache, waren Teil der normalen Kommunikation. Cat dagegen reagierte sensibel, teils extrem empfindlich. Manchmal ging sie plötzlich weg, ohne dass Susanne gewusst hätte, weshalb. Cat grübelte nach solchen Eklats in ihrem Zimmer. Als wolle sie als Menschenforscherin einen fremden Stamm in einem fernen Land erkunden, näherte sie sich dem, was für alle anderen scheinbar so normal war. Sie hatte jahrelang in einer Raumkapsel gelebt. Fernab in unbewohnten, unbelebten Sphären. Manchmal war es Susanne ganz recht, ein wenig Abstand zwischen sich und Cat zu fühlen, weil ihr die Nähe unheimlich wurde. Sie wollte keine Abhängigkeit, keinen Anker in das Hier und Jetzt werfen, der sich am Grund dieser Stadt festkrallte. Sie hoffte, die Stadt bald wieder zu verlassen. Ihre Mutter hatte das Thema Rückkehr auf die No-Go-Liste gesetzt. Sie weigerte sich, mit Susanne darüber zu diskutieren und Susanne wusste, dass sie nur mit ihrer Mutter zurück nach Berlin konnte. Zao suchen, finden. Wenn er wenigstens ein Handy gehabt hätte, aber dann wäre er eben nicht Zao gewesen. Bei ihrem Vater zu wohnen, war keine Alternative. Sie wusste, wo das enden würde. Morgens nicht aufstehen, keine Schule, keine Gewohnheiten, kein regelmäßiges Essen, Zähneputzen, Erinnern an Termine, Klassenarbeiten, Arztbesuche. Sie brauchte ihre Mutter. Noch.
Nach ein, zwei Tagen meist rief Cat an. Es entstanden merkwürdige Gespräche, in denen sie die Situation, in der das jeweilige Missverständnis oder was auch immer entstanden war, detailliert reflektierte. Gedanken aus Stunden, Theorien, Annahmen drangen aus dem Hörer. Susanne hörte zu. Konnte es nicht fassen, wie kompliziert die Dinge sein können. Anfangs versuchte sie die Missverständnisse aufzuklären. Einfach zu sagen „Hey, Cat. Das hatte nichts zu bedeuten. Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Verstehst du? Sorry.“ Aber das verkomplizierte nur noch mehr. „Du wolltest nicht? Aber warum machst du das dann? Ich verstehe das nicht. Du sagst es und meinst es nicht so? Woher soll ich dann wissen, wann du etwas so meinst, wie du es sagst und wann nicht?“ Susanne ging dazu über, sich auf Cats Theorien einzulassen, ihr zuzuhören. Meist ging es dann zu wie in einem linguistischen Seminar. Susanne erklärte Wortbedeutungen, Konnotationen. „Wenn ich das so sage, dann bedeutet das nicht, dass ich das so meine. Leck mich ist weder eine Aufforderung zu tatsächlicher körperlicher Berührung noch ist es der Versuch, dir vor den Kopf zu stoßen oder dich zu beleidigen. Du musst auf den Tonfall hören. Wenn mich ein Typ anbaggert, ich ihm einen Korb gebe und der dann blöd kommt, dann hau ich ein gelangweiltes Leck mich raus. Wenn ich das zu dir sage, ich weiß, das hört sich jetzt komisch an, dann ist das eine Freundschaftsbekundung. Ich sage dir: Ich mag dich, wir gehören zusammen. Und weißt du was? Das meine ich auch so.“ In solchen Augenblicken herrschte meist Schweigen am Telefon. Für Cat war es das Umschwenken vom einen Extrem ins andere. „Ja. Ich glaube, ich verstehe. Wahrscheinlich lässt sich das dann so nicht sagen. Sehen wir uns morgen?“ „Ja, Cat, wir sehen uns morgen. In alter Frische, Darling.“ „Ja, in alter frische Darling.“ Lachen am Telefon, lächeln. Annäherung zweier Kulturen. Neuland für beide, ein aufeinander Zugehen. Stück für Stück füllten sie einen Teil ihrer Sehnsucht aus, lernten, wurden einander ähnlicher, schufen sich eine gemeinsame Sprache, ein Verstehen, eine Susanne-Cat-Kommunikation. Cats Panzer riss tiefer ein. Ging ihr das zu schnell, zog sie sich zurück, als scheue sie das Feuer, als warte da irgendetwas, das nicht an sie heran dürfe. Tatsächlich hatte sie Angst davor, enttäuscht zu werden. Was wäre, wenn Susanne plötzlich wieder weg wäre? Zurück nach Berlin gehen würde, weil ihre Mutter es sich anders überlegt hätte? Oder Susanne hätte plötzlich keine Lust mehr, sie zu treffen oder ihr Selbstverständlichkeiten aus dieser anderen Welt zu erklären. Wurde die Angst zu groß, bleib sie für sich in ihrem Zimmer. Sagte Susanne ab, vertröstete sie, wand sich, spielte Klavier, blätterte in ihren Bildbänden oder ging zu Jérôme.

Die weiteren Elaine Teile:

Projekt Elaine 1

Projekt Elaine 2

Projekt Elaine 3

Projekt Elaine 4

Projekt Elaine 5

Projekt Elaine 6

Projekt Elaine 7

Projekt Elaine 8

Projekt Elaine 9

Projekt Elaine 10

Ein Jahr fiftyfiftyblog. Und nun?

Am 18. Februar ging der fiftyfiftyblog On Air. Der erste Artikel damals im Brigitte Woman Blog hieß My first Blog. Es folgten eine ganze Reihe weiterer, wie die mittlerweile treue Stammleserschaft weiß, die auf die insgesamt 268 Beiträge mit 2.681 Kommentaren reagiert hat (davon etwas weniger als die Hälfte Antworten von mir).

Als ich das Projekt startete, wusste ich nicht, wo mich die Reise hin führt. Ich wollte es ausprobieren. Anfang 2009 steckte meine Branche noch tief in der Krise. Viele Unternehmen hatten Kurzarbeit angesetzt, die Marketingetats waren eingefroren, ich musste regelmäßig testen, ob mein Telefon nicht vielleicht doch kaputt ist. Mir fiel die Decke auf den Kopf, ich war unausgelastet, musste und wollte mich bewegen. Eine Sache, die ich unternahm, war dieser Blog. Brigitte Woman hatte mir ihn angeboten, ich fand schnell ein Thema und los gings.

Zunächst war es für mich ein Experiment. Ein tieferer Einstieg in Web 2.0. Als klassischer Werbetexter wollte ich einfach reinriechen. Deshalb ist dann auch rasch Twitter hinzugekommen, wo der fiftyfiftyblog seit dem Spätsommer letzten Jahres vertreten ist und mittlerweile über 3.000 Follower hat. Für mich ein gutes Kommunikationsinstrument, mit dem ich den fiftyfiftyblog bewerben kann. Denn: Bloggen macht nur Spaß und Sinn, wenn sich im Blog etwas tut. Dazu braucht ein Blog Bekanntheit. Da ich ein Nischenthema bediene und deshalb auch schon Mal Blümchenblog genannt werde, ziehe ich nicht die Internetmassen an. Das könnte ich, wenn ich verstärkt die provokanten Themen aus dem Hut zaubere, aber das ist nur bedingt mein Weg. Nur dann, wenn mir was auf der Seele liegt, was gesagt werden möchte. Das allerdings zieht Gestalten an, mit denen ich lieber nicht zu tun haben möchte. Damit ist klar: Ein Stefan Niggemeier oder Sascha Lobo werde ich nicht.

Wie geht es nun weiter? Das dürfte vielleicht auch die Brigitte Woman Redaktion interessieren. Denn: Bislang habe ich gesagt, dass ich das ein Jahr lang probiere. Nun ist dieses eine Jahr um. Pause. Was nun? Es geht weiter. Der Blog hat sich so gut entwickelt und die Zahlen steigen langsam aber kontinuierlich. Hier könnte ich Unterstützung brauchen. Tatsächlich. Bislang arbeite ich hier als One-Man-Act auf allen Ebenen. Ich schreibe, kommentiere, bewerbe den Blog über Twitter, suche Themen, recherchiere, fotografiere, bearbeite die Fotos, poste in zwei Blogsystemen. Das Ganze kostenfrei. Für euch, für Brigitte Woman. Ihr könnt euch vielleicht vorstellen, wie viel Arbeit hinter 268 Beiträgen und der entsprechenden Kommentarzahl steht. Auf Dauer werde ich das ohne eine finanzielle Basis nicht durchhalten. Und auch hier in der Familie nicht vertreten können. Das ist ein Job neben meinen anderen Jobs.

Über kurz oder lang werde ich Sponsoren brauchen. Werbekunden. Einfach auch, um den Spaß nicht zu verlieren. Und auch, ganz ehrlich, um zu sehen, dass meine Arbeit auch finanziell honoriert wird. Denn für ein reines Hobby ist der Arbeitsaufwand mittlerweile zu groß. Was ihr also für mich tun könnt, ist: Empfehlt den Blog bitte aktiv weiter. Dann habe ich vielleicht irgendwann die Möglichkeit, nach Sponsoren zu suchen. Wir werden sehen.

Damit dieser Geburtstag jetzt nicht zu traurig wird, möchte ich euch sagen, wie wichtig mir dieses Jahr mit euch war. Und wie sehr ich die vielen Menschen, die täglich hier her kommen schätze. Ihr seid mir tatsächlich ans Herz gewachsen und ich möchte die fiftyfiftyblog-Community auf keinen Fall missen. Ab Montag wird es dann also weitergehen und wir werden gemeinsam sehen und erleben, was passiert. Bin gespannt, was das erste Thema des zweiten Jahres wird…