“Trotzdem bin ich irgendwie so traurig…”

Reeperbahn. Udo Lindenberg. Jan Delay. Kürzlich im Radio gehört. Ist einfach so schön, die Generationen verschmelzen zu sehen, zu hören.Erinnerungen, neue Eindrücke. “… bei Rock am Ring, seh ich 6.000 Leute spring’n, trotzdem bin ich irgendwie so traurig…” Jan Delay näselt. Udo nuschelt wie er es immer getan hat.

Damals schon. Anfang der Achtziger, Klassenfahrt nach Meran. Der Busfahrer, der Sohn des Busunternehmers, ein Freak, hatte ‘nen Walkman. Ey. Das war… Unbeschreiblich. Musik zum Mitnehmen, überall hören. Jeder durfte mal. Mixed Tape. Nina Hagen und Udo Lindenberg. “Kann mich gar nicht entscheiden, ist alles so schön bunt hier…” oder “Um mir ein Bett im Moos zu bauen…”

Das Leibgedächtnis, das Körpergedächtnis. Ein Geruch, eine Situation, ein Klang und die Leute in der Bibliothek im Oberstübchen fangen an zu laufen, zu raufen, mit Udo zu saufen. Eierlikör. Magic Moments. Radioflashs unterwegs. Ich hatte den Song gehört, als ich auf dem Weg zu meiner Mutter war. Formalitäten erledigen. “Trotzdem bin ich irgendwie so traurig…” Udo. Mein Vater. Jan Delay. Alles eins. “…ich steh cool in Venezia, mit ‘nem Drink in Harrys Bar…” Da gibt es die Fotos auf der Rialtobrücke. Beim Papa an der Hand. Kleiner Blondschopf, Mädchenlocken, nackte Beine, Wollhose, dicker Windelpo. 1967. Blick nach oben. Papa. Es ist schön, wenn die Zeiten verschwimmen, wenn die Traurigkeit in die Erinnerung fährt, wenn das Lächeln färbt. Obsiegt.

Ich hätte euch hier gerne das Originalvideo präsentiert, aber das ist nicht von Jan Delay und Udo Lindenberg in Youtube eingestellt. Ein professioneller Live-Mittschnitt eines Konzerts auf dem Kampnagel in HH. Damit ist nicht klar, wer die Rechte hat und ich mag mir keine Abmahnung von einem dieser geleckten Abmahnungs-Rechtsanwaltshaie einfahren. Deshalb hier nur der Link. Viel Spaß. Udo Lindenberg feat. Jan Delay – Reeperbahn 2011 (What It’s Like)

Alea ACTA est oder alles ad ACTA?

Ich hatte lange keine Lust, mich hier im Blog politisch zu betätigen. Das letzte Jahr war unruhig genug und Christian Wulff hat mich nicht genügend inspiriert, um über ihn zu schreiben. Das überlasse ich gerne Spiegel Online, die das wunderbar machen. Wie ein Terrier hängt das Magazin dem BP an der Wade. Arme Socke, könnte man sagen. Muss man aber nicht und werde ich nicht. Das ist dann doch eher Zauberlehrling: Die Geister, die ich rief oder wie naiv kann ich als Politiker sein. Ich werde später auf Deutschlands bekanntesten Urlauber, Handynutzer, Schnäppchenjäger und Eigenheimbesitzer zurückkommen.

Zunächst aber ein anderes Thema. Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement, kurz ACTA, (dt. Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen). Wo Pirtaterie im Namen vorkommt, dürfen die Piraten natürlich nicht fehlen. Ich hatte mich im Stillen immer gefragt, was diese Partei für eine Daseinsberechtigung hat und weshalb da schon wieder Parteien gesplittet werden. Nun weiß ich es. Weil es einen Demokratiebereich gibt, der sich Internet nennt. Ein Universum, das so groß ist, dass Vasco da Gamas & Co. lossegeln, um Kolonien zu entdecken. Der kampf des 21. Jahrhunderts ist entbrannt, es geht darum, wer die Lufthoheit an sich reißt. Ich werde martialisch, kriegerisch, weil wir in aggressiven Zeiten leben. Irak, Afghanistan, Somalia, Ägypten, Jemen, Libanon, Syrien und WWW.

Nun kam letzte Woche Jim nach Hause. Er erzählte vom Geschichtsunterricht seiner neunten Klasse. 30. Januar 1933. Die Wahl, der Erfolg, der Brand des Reichstages, die Notstandsgesetze, das Ermächtigungsgesetz und fertig war die Diktatur. Deutschland hatte seine junge Demokratie aus den Händen gegeben. Demokratie gegen Diktatur eingetauscht. Der dämlichste Deal aller Zeiten. Heute fragt man sich mit der “Gnade der späten Geburt”: Wie konnte man nur so ausgesprochen dumm sein? (Gibt ja noch genügend Glatzen, die das immernoch für ein gutes Modell halten).

Wir unterhielten uns über Demokratie und wie so etwas passieren kann und aus meinem Kopf sprudelten die Erklärungsversuche des Standardprogramms. Mein Kopf will sich mit dem alten Scheißscheiß nicht mehr wirklich auseinandersetzen. Die Bilder der Entnazifizierungsfilme, die ich mit 13 in der Schule gesehen habe (“Ein Tag im KZ” vor der Frühstückspause – Danke auch!), reichen mir bis in die nächsten zehn Leben. Das Politikermantra “Das darf nie wieder geschehen” ist eintätowiert. Ich habe verstanden.

Am nächsten Tag kam Jim dann: “Papa, kennst du ACTA? Die wollen das Internet zensieren und ein Großteil der europäischen Länder hat schon zugestimmt.” Ich musste passen. Erzählte was von amerikanischen Gesetzen, die gerade gekippt würden und ich könne mir nicht vorstellen… Ich ging ins Büro, um zu arbeiten, da lag schon eine Mail von Jim im Postfach. Über eine Etage runtergeschickt. ACTA. Das Abkommen. Tatsächlich ein Thriller. Mit allem, was dazugehört. Geheimverhandlungen mit Lobbyisten.

Ich habe mich eingearbeitet, habe Spiegel Online zum Thema gelsen, Wikipedia. Las von Polen, wo die Hölle los ist wegen des Abkommens. Ich erinnerte mich an meine Geschichtslehrerin, die immer sagte, es gäbe in Europa kein freiheitsliebenderes Volk als die Polen. Auch wenn die sich in den letzten Jahren manchmal arg verwählt haben. Nun: Die Polen wissen aus ihrer Geschichte heraus, was es bedeutet, wenn Freiheit bedroht wird. Wenn man zwischen Großmächten eingekesselt ist, die einem ans Leder wollen. Einmarsch. Hand drauf. Fahne hissen. Claim abstecken. Aufteilen. Also zeigen sie bei ACTA eine allergische Reaktion. Sie sind das Indikatorpapier zur Aufdeckung schleichender Übernahmeprozesse.

Am Wochenende gingen also deutschlandweit junge Menschen gegen ACTA auf die Straße. Die Piraten organisierten, machten, taten, während die großen demokratischen Parteien versuchten zu verstehen, was das Internet überhaupt ist. Mich beschleicht das Gefühl: Da gibt es viele gewählte Volksvertreter/innen, die können das gar nicht denken. Die sind nicht eingestiegen und begreifen nicht, was los ist. Zudem sind sie arg beeinflusst von Lobbygruppen wie der Musikindustrie, die am liebsten Zäune aufstellen würden und Mauern errichten und Online-Gefängnisse – www.guantanamo.com.

Auf Netzpolitik.org erschien gestern ein interessanter Bericht, wie die Lobbygruppen arbeiten. Den Demonstrierenden wird vorgeworfen, sie würden “demokratische Institutionen” angreifen. Super Versuch, das Mittel der Demonstration als apolitisch und konterrevolutionär zu geißeln. Hallo, wo leben wir?

Die Jungen, die, denen wir immer vorgeworfen haben, sie seien so apolitisch, die gehen auf die Straße. Sehen die Gefahr der Einschränkung des Internets durch Interessenpolitik, weil sie das Internet kennen. Mit ACTA hätte es wohl kein Wikileaks gegeben, weil das Copyright der veröffentlichten Unterlagen sicherlich nicht by Assange lag. Und was hätten wir dann alles nicht erfahren? ACTA ist der Einstieg, die schwammige Formulierung, der unbeholfene Erstling, der als Handelsabkommen getarnt ist und doch letztlich dazu taugt, Macht im Internet auszuüben. Big brother is watching you und der große Bruder bestimmt darüber hinaus. Chinesische Verhältnisse? Was wäre aus dem tunesischen und ägyptischen Fühling ohne ein freies Internet geworden? Bekommen da Leute kalte Füße? Lieber mal eine Hand drauf haben…

Ich persönlich freue mich sehr, dass es in Deutschland die Piraten gibt, die sich dem Thema annehmen und dass junge Menschen letztlich für Demokratie auf die Straße gehen. Internetfreiheit als die neue Pressefreiheit. Die Freiheit des Internets ist unantastbar. Solch einen Artikel gibt es noch nicht. Die Politik hat da ein paar Dinge noch nicht verstanden. Aus Unwissenheit? Weil die Akteure zu alt sind? Nicht auf dem Stand der Zeit? Hey. Hier wird gerade Geschichte geschrieben. Hier werden Weichen für etwas Größeres als den illegalen Musikdownload gestellt. Da kann man nicht mal eben ahnungslos das Händchen für etwas heben.

Schade, dass wir gerade keinen Bundespräsidenten haben, der da einschreitet und die Stimme erhebt. Denn: Wer würde ihm glauben? Wo ich mir schon einmal erlaube, politisch zu werden, möchte ich zum Abschluss gerne noch dafür plädieren, das Amt des Bundespräsidenten geeigneter zu besetzen. Muss ja kein Kind von Traurigkeit sein, aber ein Bundespräsident, eine Bundespräsidentin, der/die aus Überzeugung agiert. Nicht aus persönlichem, bereichernden Kalkül. Nicht raffen, geben.

Lana Del Rey – Born To Die

Wer ist diese Lana Del Rey? Seit dem Hype um Video Games, über 22 Millionen mal geklickt auf Youtube, höre ich sie immer wieder. Im Radio. Plötzlich die Stimme. Das ist anders als bei anderen Interpreten, Songs, Stars. Da ist eine Aura von Heiligkeit. Irgendetwas hat sie oder irgendetwas trifft bei mir einen Nerv. Vielleicht, weil sie als Jugendliche einen Kirchenchor in ihrer Heimatstadt Lake Placid geleitet hat?

Lana Del Rey ist Tochter eines Unternehmers und Wissenschaftlers. Sie kommt aus behüteten Verhältnissen, zog mit 14 in ein Internat und ging mit 18 nach New York. Sie sang. Nahm eine Platte auf, bekam dafür 10.000 $, die sie unter anderem in eine Lippen-OP investierte. Sie zog in einen Trailer-Park vor den Toren Manhattans, lebte dort über ein Jahr, ging zurück nach New York, lebte mit ihrem Freund drei Jahre in der Bronx, begann zu studieren.

Ja, Lana Del Rey hat studiert. Vier Jahre lang. Philosophie mit Schwerpunkt Metaphysik. Sie liebt Gedichte von William Blake und die Autoren der Beat-Generation: “Allen Ginsberg hat mein Leben verändert.” schreibt die FAZ.

Nun wird ihr vorgeworfen, sie sei eine künstlich geschaffene Pop-Ikone mit durchgestyltem Image. Angeblich wehrt sie sich dagegen. “Ich bin nicht in erster Linie ein Künstler. Zuerst bin ich ganz andere Dinge… Wenn das noch größer wird als jetzt, muss ich mich hinsetzen und nachdenken, was ich tun soll.” (FAZ) Im Radio hieß es schon, ihre erste Platte Born To Die sei ihre letzte gewesen.

Das wäre schade. Ich würde es vermissen, im Auto von ihr überrascht zu werden. Berührt, fasziniert, verwirrt. Nun werde ich mir die Platte kaufen. Was man hat, hat man. Dann werde ich sehen, wie es mit Lana und mir weitergeht. Ich meine mit Lana und ihrer Karriere und der Authentizität und der Heiligkeit. Ihr Name ist übrigens – natürlich selbstverständlich – ein Kunstprodukt ihres Managements. Lana stammt von der sieben Mal verheirateten Hollywood-Legende Lana Turner. Del Rey war der Name eines Autos – des Fords Del Rey. Das soll ihre amerikanischen Wurzeln unterstreichen, den Glamour mit dem amerikanischen Traum verbinden. Alte Zeiten heraufbeschwören in einer Zeit, in dem dieser amerikanische Traum so viele Flecken bekommen hat. Fast hätte ich geschrieben Blutflecken, aber nur fast. Hier noch eine Video Game Version als Youtube-Video:

Kuschelig kuschelnde Kuschelstunden

Nun habe ich euch hier die letzten Tage ordentlich frösteln lassen mit kalten Landschaften, Gerede über Hochs aus Sibirien und einem Video, bei dem es einem eiskalt wird. Um euch wieder ein wenig aufzuwärmen und die schönen Seiten des Winters und dieser Frostperiode in Erinnerung zu rufen, hier nun ein Sonntagsnachmittagsvideo. Bitte entschuldigt die nicht optimale Tonqualität. Ich habe hier mit dem internen Mikro der Kamera gearbeitet – ich spare noch auf das externe Mikro:)

Am Samstag telefonierte ich lange mit einer Freundin, die mir ein wenig von Winterblues erzählte. Richtig, dachte ich, habe ich manchmal auch. Nur gerade diesen Winter nicht, weil ich ihn schlichtweg vergessen habe. Es war zu viel los bisher und jetzt habe ich auch keine Lust mehr, in das Thema einzusteigen. Ist doch wesentlich schöner, es sich gemütlich zu machen. Feuer im Ofen, ordentlich einheizen, schöne Musik hören (live eingespielt), Kaffee, Kuchen – weil wir Besuch hatten gab es einen Marmorkuchen und Käsekuchen. Da lag Verwöhnaroma in der Luft.

Die Frage ist doch immer: Hast du’s schön? Lautet die Antwort “Nein”, bleibt nur die Aufforderung: Dann mach es dir schön. Winterblues raus, kuschelige Gemütlichkeit rein. Warum nicht? Es dauert nicht mehr so waaaahnsinnig lange, dann ist da der Frühling und so ganz allmählich klingen die Winterkuscheltage aus. Können wir jetzt noch mitnehmen – gerade jetzt. Wann gibt es da eine bessere Gelegenheit als bei dieser Kälte? Ich wünsch euch schöne Winterstunden und Spaß mit dem Video. Dass es so kurz ist, hängt mit dem familieninternen Timing zusammen. Gerade, als ich die Aufnahme gestartet hatte, kam der Besuch. Jim hat dann übernommen und so blieben nur 40 Sekunden, bevor es in der Wohnung laut wurde. Aber es wären auch eh zu viele Daten gewesen, das Hochladen auf Youtube dauert dann ewig. Wenn es euch gefällt, könnt ihr es euch ja zweimal ansehen.

Road to heaven…

Sonntangsmorgenspaziergang mit Ela und Cooper. Mal wieder sch…kalt. Aber so schöne Sonne. Und Farben. Alles pastellig wie in einem fünfzigerjahre Roadmovie.

Der Frost hat alle Wiesen in ein Trundrabeige gehüllt. Komme mir hier vor, als würde ich über die kargen Steppen Asiens laufen. Als verklärter, romantisierender Buddhist habe ich selbstverständlich die schöne Vorstellung, es wären die Bergwiesen Tibets und gleich würde ein Stupa mit Gebetsfahnen am Horizont auftauchen. Im Mai werden diese Wiesen wieder leuchten – grün vom satten Gras, gelb vom fetten Löwenzahn.