Was macht die WG?

Läuft hier mal wieder gerade alles anders. Ich hatte schön geplant, um 7:30 Uhr am Schreibtisch zu sitzen, zu bloggen und dann zu arbeiten. Dann haben Ela und ich uns zu ‘nem Tee zusammengesetzt. Gibt’s überhaupt was zu bequatschen? Klar, Termine checken, kurzes Orga-Meeting. Ela meinte schon, sie hätte gar nix zu sagen. Ich auch nicht. Und dann ra-ra-ra. Es gibt doch einfach so viel zu bereden. Was da alles raussprudelt, was raus muss, will.

Ich denke, das ist ein guter Weg, sich abzunabeln. Wir waren jetzt einfach 20 Jahre ein Paar. Haben immer zusammengewohnt, haben zusammen gearbeitet, die Kinder groß gezogen. Alles. Da kann man nicht einfach gehen und Tschüss sagen. Deshalb ist es schön, dass wir die Gelegenheit haben, nun all das Nichtgesagte auszusprechen und Wunden heilen zu lassen. Kleine Kräuterpflaster.

Nach dem Reden bin ich raus auf den Berg und habe mit Cooper die Sonne genossen. Die Morgentemperatur war unter Null. Also habe ich mich dick in die Daunenjacke eingemummelt und dann mit dem Gesicht in die Sonne gestellt. Ist das schön. Eigentlich wollte ich über den Morgenspaziergang schreiben und den Rest außen vor lassen. Aber dann hat Julia im Kommentar gefragt, was die WG macht. Und ich habe gespürt: Das interessiert mich viel mehr, das Thema. Ich hoffe, es nervt euch nicht total.

Was macht die WG? Sie lebt. Sie ist gut. Es wird viel gelacht. Die Kinder schauen nach uns, beginnen, uns zu veräppeln, Späße zu machen. Nehmen mich auf die Schippe, weil ich jetzt eine neue Frau finden soll. Ich glaube, sie fühlen sich wohl. Gestern war Jims Freund da und weil der mittlerweile ein assoziiertes Mitglied dieser Experimental-Familie ist und im Sommer mit nach Italien fährt (in welcher Zusammensetzung auch immer wir dann fahren werden – es kommen jetzt an allen Ecken und Enden immer Fragen und Wenns und Abers) , ist das alles unerwartet locker. Da Ela sowieso auf Wolke Sieben schwebt und einen scheinbar wirklich tollen neuen Freund hat, hängt es an mir, diese Lockerheit zu halten und mitzutragen.

Das ist möglich, weil etwas sehr Unangenehmes weggefallen ist, was Ela und mich seit Jahren blockiert hat. Also bin ich traurig und glücklich zugleich, dass es ist, wie es ist. Das hätte ich mir vor zwei Wochen nicht vorstellen können.

Und wie sieht es konkret mit dem neuen Leben aus? Es geht weiter. Wir haben Termine in den verschiedensten Konstellationen. Heute Abend fährt Ela zu Jens nach Köln, morgen gehen Ela und ich wahrscheinlich gemeinsam zum Sport, am Freitagabend ist Ela bei Jens in Köln, um am Samstagabend hierher zu kommen, um mit mir auf Jims Abschlussball des Tanzkurses zu gehen. Wir werden zusammen tanzen. Am Sonntag dann kommt Jens, um die Familie kennenzulernen.

Wir haben uns schon ausgemalt, wie das ablaufen wird: Erst einmal Stuhlkreis, um die Runde aufzulockern. Alle tragen Namensschilder und stellen sich der Reihe nach vor. Titel des Ganzen ist: Die Familie inklusive Papa lernt Mamas neuen Freund kennen. Jeder sagt dann was, wie er sich fühlt und welche Erwartungen vorhanden sind. Ich werde dann aufstehen und als Zeichen der Zuneigung meinen Teddy aus Kindheitstagen an den neuen Freund übergeben. AAAHHH! Fremdschämen. Nein. Wir werden einfach einen gemeinsamen Tag verbringen. Und soll ich euch was sagen: Ich freue mich drauf. Hört sich jetzt komisch an? Klingt unglaubwürdig? Mag sein. Ist aber so.

So läuft’s also in der WG. Wie es über den Sonntag hinaus weitergeht, kann ich natürlich noch nicht sagen. In den Ferien werden Ela und Jens nach Schottland fliegen und dort Urlaub machen, Zoe ist mit einer Freundin in Holland, Jim an der Küste segeln und ich werde hier sein, arbeiten, meditieren, mein Zimmer streichen und einrichten und ausgehen und mich treffen und sehen was passiert. Ein wenig Schiss, dass mir dann die Decke auf den Kopf fällt und ich mich als zurückgelassenes hässliches Entlein fühle, habe ich natürlich schon. Ich meine, insgesamt habe ich einen Höllen-Respekt vor all dem, was noch kommt. Als könnte ich nicht wirklich akzeptieren, dass es gut läuft. Irgendwie ist dieses Konzept von “das dicke Ende kommt noch” in mir drin. Dabei weiß ich, dass “kein dickes Ende” kommt. Auch das nur eine Vorstellung, ein Denkmuster. Ein Abziehbild. Diese Mistdinger lauern überall.

Update Beziehung 2.0!

Ihr Lieben, gerade ist es zwei Wochen her, dass mich Ela hier unten im Büro anrief und mich vom Bloggen zum Gespräch rief. Seither ist viel passiert und ich weiß aus vielen Rückmeldungen und persönlichen Gesprächen, dass viele Menschen ein wenig schockiert, ratlos und interessiert waren und sind. Viele fühlen mit und unterstützen uns und sind für uns da. Obwohl wir uns das alles selbst eingebrockt haben.

Wie ist nun der Stand der Dinge? Wir arbeiten. Ela muss gerade die Teilung ihres Lebens in zwei Lebensschwerpunkte hinkriegen und wird dabei von einer Welle des Glücks und des Verliebtseins getragen. Es ist schön, sie jetzt endlich glücklich und sehr oft lachend zu sehen. Sie fährt mit ihrem neuen Jens jetzt eine Woche nach Schottland und ich freue mich für die beiden. Tatsächlich.

Wie geht es mir? Gut. Nicht sehr sehr, aber gut. Derzeit stehe ich unter strenger Beobachtung. Unter meiner eigenen strengen Beobachtung. In den ersten beiden Wochen habe ich ein ziemliches Tempo der Veränderung vorgelegt. Was für eine Veränderung? Eine innere. Wie ihr wisst, war ich ziemlich überrascht und musste von einem Moment auf den anderen reagieren und zurechtkommen. Ich habe mich entschieden, konsequent den buddhistischen Weg zu gehen. Also das, was ich in den letzten sechs Jahren gelernt und erfahren habe, konsequent anzuwenden.

Wichtigstes Element ist das Wissen um “Ursache und Wirkung”. Die Entscheidungen, die ich jetzt treffe, bestimmen mein weiteres Leben. Logisch. Mein Verhalten jetzt bestimmt, wie der Weg weitergeht. Ob wir weiter zusammen mit den Kindern leben können, oder ob wir alles komplett trennen müssen. Also habe ich mich hingesetzt und bin meine Optionen durchgegangen. Klassisch reagieren oder buddhistisch? Wütend werden, zornig, deprimiert, in ein Loch fallen, alles aufgeben? Es gab Menschen, die haben mir zum Zorn geraten. Ich solle es raus lassen, nicht in mich hineinfressen, mir nicht alles gefallen lassen. Tatsächlich war da bei mir eine Restsorge, es könne mich auffressen, wenn ich nicht stark emotional reagiere. Letztlich habe ich mich entschieden, in den Keller zu gehen und zu schreien. Ich hatte zwei Tage Halsweh, aber das Schreien war gut. Tatsächlich ist da was gegangen. Sehr profan. Aber hilfreich.

Der andere Weg ist der Weg, den ich jetzt gehe. Allmählich kristallisiert sich heraus, dass er trägt. Ich war unsicher, traute mir selbst nicht. Klappt das? Hält das Seil? Machst du dir was vor? Frisst sich da was in dich hinein? Am Wochenende war ich bei einem sehr guten Freund in Stuttgart. Ein Buddhist seit Jahrzehnten. Ein Freund auf dem Weg. Wir haben uns viel und lange unterhalten und er ist einer, der kein Blatt vor den Mund nimmt und nachfragt. Tiefer geht. Ich wusste also, er würde mir sagen, wenn er das Gefühl hat, dass etwas nicht stimmt, dass ich mich selbst belüge und irgendein Konstrukt aufbaue, das dann irgendwann wie ein Kartenhaus zusammenbricht. Trennungszeiten sind Zeiten der Unsicherheit. Ihr wisst das.

Gestern Abend bin ich zurückgekommen. Mit einem sehr guten Gefühl. Wieder war da jemand, der mir seine Zeit geschenkt hat, der mir zugehört hat, der mir Energie gegeben hat. Die Unterstützung, die ich seit zwei Wochen von Freunden und auch hier im Blog bekomme, ist gigantisch. Das spornt mich an, dranzubleiben. Mittlerweile habe ich sechs Kilo abgenommen. Bewusst. Nicht, weil ich leide. Das gibt mir gerade eine große Kraft. Ich brauche tatsächlich weniger Schlaf und bin fitter. Ich stehe jetzt morgens früher auf, um mehr Zeit zum Meditieren zu haben. Das gibt Klarheit, um mit den aufkommenden Gefühlen umzugehen.

Und: Das alles funktioniert. Mein Vertrauen wächst, die Zweifel werden weniger. Ihr könnt euch vielleicht nicht vorstellen, wie sich das anfühlt. Es ist, ich kann es nicht anders sagen: Ein Geschenk.

Bislang war ich nicht in der Situation, so intensiv auf die Mittel und Lehren angewiesen zu sein. Desto glücklicher bin ich nun zu erfahren, dass sie tatsächlich anwendbar sind. Ich weiß nicht, ob ihr das alles nachvollziehen könnt oder ob sich das nun total abgedreht anhört. Auf jeden Fall: Es läuft gut, der Zustand wird normaler, ich freue mich jeden Tag, dass es ist, wie es ist und realisiere bei aller Trauer um das Verlorene, dass es so gut, besser ist. Und ich glaube, es wird Gutes geschehen. Die Angst der ersten Tage lässt nach. Ich freue mich auf mein neues, freieres Leben. Ich freue mich, mit den Kindern und Ela, so lange sie das kann, hier weiter zu leben. Wir werden sehen. Ein spannendes Experiment. Ich bin gerne mittendrin dabei und lerne…

Ey, voll krass abgelacht, Alter!

Klar, Berlinale war das nicht. Manni Manta oder Ballermann 7 auch nicht. Gestern Abend, Köln, Cinedom mit kompletter Mannschaft und vollem Programm. Vier Erwachsene, fünf Kinder. Die halbe Reihe 14 für uns (naja, nicht ganz – war der große Saal und die Reihe 14 reicht von Lissabon bis Moskau, mindestens).

Ja, was war das dann? Der Literaturwissenschaftler in mir geht da erst mal analytisch vor. Genre? Ach, quatsch. Das muss man nach dem Film sagen. Wirf’ doch deine duseligen Kategorien über Bord. “Hey Alter, die Frage ist doch, hast du gelacht?” (meine innere Cem-Stimme aus dem Off). Jens: “Äh, klar. Und wie. Also. Von ganzem Herzen Ja.”

Türkich für Anfänger ist schräg. Spielt mit allen Klischees, ist in der Hauptfigur Cem über die Grenzen hinaus politisch unkorrekt. Der pöbelt im Flieger Schwarze an, lästert über Reisfresser und macht seine kopftuchtragende Schwester als Muslima zur Dienstbotin. Um dann doch mal kurz aufs Analytische zurückzukommen. Ein wenig Clint Eastwood in Gran Turino. Sagt immer das Falsche, macht immer, fast immer das Richtige. Wehrt sich gegen pseudoliberales Geplauder. Geht ins Wasser, killt den Hai (der allerdings sehr klein ist), will die verklemmte Lena schützen und bekommt als Dank einen Artenschutz-Vortrag aus der Greenpeace-Ecke.

Die gesamte Esoterik-, Tantra-, Buddha-, Greenpeace-Fraktion bekommt ganz schön ihr Fett weg. Da ich ein wenig auch zu dieser Fraktion gehöre, musste ich oft über mich selbst lachen.

Der Film, das Fazit habe ich heute Morgen gezogen, ich kann da nicht aus meiner Haut und einfach nur lachen, ist Satire. Keine dumpfe deutsche Comedy, kein Kabarett, nein, Satire. Eher Monty Python auf Neudeutsch. Cem schließt in seinem Zimmer (er wohnt in einer Villa im vornehmen Berliner Stadtteil Zehlendorf, ist also ein Pseudo-Proll-Deutsch-Türke mit voll verinnerlichter Gangster-Rapper-Attitüde) die Tür, dahinter kommt das Konterfei von Thilo Sarazin zum Vorschein, in dessen Mitte ein Dartpfeil prangt. Lena, Tochter einer Psychologin, die mit Ihrer Frauengruppe im Wohnzimmer Orgasmuskurse abhält (mit Vagina-Spiegel wie in Green Fried Tomatos – ihr erinnert euch?), träumt irgendwann, sie sei Gudrun Enslin und würde im Gefängnis Cem als Andreas Baader in die Arme fallen. Der Film ist voller Zitate.

Und drastischer Sprüche. Wer Probleme mit dem Wort Ficken hat, hm, der sollte lieber draußen bleiben. Der Plot ist kurz erzählt. Flugzeugabsturz, einsame Insel, zwei junge Männer, zwei junge Frauen. Was wird da wohl passieren? Klar. Tarzan und Jane. Rollen ausfechten, hinter die Kulissen von Ghetto-Proll und Greenpeace-Tusse schauen. Anziehung, Abstoßung. Will ich? Will ich nicht? Kann ich? Was sind meine Möglichkeiten? Was passt ins Bild? Das “Unmögliche” geschieht. Ein Wunder. Lena verliebt sich in Cem und umgekehrt und der stotternde Grieche Costa in die türkische Muslima Yagmur. Das geht natürlich alles eigentlich überhaupt nicht. Dann ist da noch die durchgenallte Doris, Lenas Mutter, die beim ersten Sex ihrer Tochter (auf der Flugzeug-Toilette während des Rückfluges, zumindest fast..) mit einem Kondom aushilft und kurz vor dem Schließen der Klotür noch sowas brabbelt wie “Ich bin so stolz auf dich…” oder so. Aaaaahhhhh. Fremdschämen auf höchstem Niveau. Doris verliebt sich dann auch noch in Metin, Cems Vater, der Berliner Kriminalkommissar ist. Multi-Kulti hoch X. Ach ja, und Katja Rieman als kiffende Hippiebraut und Günther Kaufmann als Stammeshäuptling Tongo sind auch dabei. Gegessen wird Affenhirn direkt aus dem Schädel wie im Tempel des Todes. Noch ein Filmzitat für die Freunde des Intelektuellen.

Hat es Spaß gemacht? Und wie. Wer, wie die Figuren im Film, bereit ist, seinen Deckmantel des hohen Anspruchs in Frage zu stellen, wird sich köstlich amüsieren. Über den eigenen Schatten jumpen. Eine schöne Aufgabe. Müsst ihr mal schauen, ob ihr euch traut, zu springen…

P.S. – Fast vergessen. Allerliebste Grüße an alle Freunde, die gestern dabei waren. War wirklich schön mit euch. Und: Ihr müsst keine Sorge haben, hier mitzulesen. Ihr seid herzlich eingeladen – dafür schreibe ich das ja.

Türkisch für Anfänger. Der Film.

Da müsst ihr jetzt durch. Ich meine, da muss ich jetzt durch. In unserem, äh meinem, äh ich weiß jetzt nicht, egal, Freundeskreis gibt es da so eine Kultentwicklung, die vollkommen an mir vorbeigegenagen ist. Türkisch für Anfänger ist in aller Munde. Da wir hier keinen Fernseher haben, bin ich ziemlich draußen. Und das ist ein Problem. Denn: Heute Abend kommt der Film zur Serie in die Kinos. Und wer ist dabei? Herr Schönlau. Normalerweise hätte ich mich schön mit einem Freund getroffen, aber das Treffen ist ins Wasser gefallen wegen Kunst und einer Ausstellung und einer Vorbesprechung und Eventualitäten und Menschen, die anwesend sein müssten, aber nicht wissen, ob sie anwesend sein werden. Ein wenig kompliziert. Deshalb haben wir uns entschieden, dieses Terminvereinbarungschaos wie den Gordischen Knoten einfach zu zerschlagen. Nächste Woche.

Also sitz ich im Boot. Bin dabei. Sehe die Premiere von Türkisch für Anfänger. Mit Freunden und den Kindern. Die sind schon total aufgeregt. Kinder vom Lande ohne Fernseher in der großen Stadt im ganz großen Kino. Cinedom. Da wird heute so eine Kolonne auf den Weg machen. Eine Pilgerreise. Santiago de Cindeom. Dom klingt ja auch kirchlich. Damit ihr wisst, wovon ich spreche (falls ihr auch keinen Fernseher habt und genauso hinter den Bergen wohnt wie ich), hier der offizielle Trailer der Produktionsgesellschaft RatPack. Ts. Ist da der Name Programm? Ich werde sehen.

Das ist jetzt hier natürlich voll die Handbremsendrehung nach der TATEmodern gestern. Aber genauso ist Familienleben. Da gibt’s kein “aber ich würde gerne…”. Da bist du mittendrin. Nun gut. Ich denke, ich werde einfach mitlachen und mich gut amüsieren. Hi, hi. Vielleicht wird der Film ja meinen Horizont erweitern. Oder ich werde einfach nur lachen? Ja, ja, ich weiß, ich geh da ein wenig verkrampft ran. Locker, locker. Ist ja nur ein Film. Würdet ihr Türkisch für Anfänger gucken? Werdet ihr?

One day in TATEmodern

Jetzt ist meine London-Reise untergegangen. Titanic. Natürlich nicht ganz. Ich hab die Bilder auf der Festplatte und natürlich im Kopf, wobei ich manchmal nicht weiß, ob die geschossenen Fotos nicht irgendwann die gespeicherten Fotos überlagern. Viele Kindheitserinnerungen entspringen der Familienfoto-Sammlung meiner Ursprungsfamilie. Und auch die Erinnerungen meiner nun eigenen Familie kommen oft direkt aus einem der vielen Fotoalben. Der Speicher ist voller Fotos.

Ich war in London, um mein Englisch zu verbessern. Dazu habe ich den Kurs LLLE – Love London Learn English gebucht. Fünf Tage, von Montag bis Freitag. Weil ich noch nie nicht in London oder England war, bin ich früher angereist. Samstags. Bin in Gattwick gelandet, habe mir einen Zug einer der vielen Gesellschaften geschnappt und bin bis zur Station London Bridge. Vom Zug aus schon konnte ich die Tower Bridge sehen. In der Sonne. Von der Tower Bridge bin ich zur Old Street und von dort zu Fuß in meine WG. Mit einem großen Blumenstrauß, den ich von meinen ersten Pfund gekauft habe. Weiße Lilien und gelbe Rosen. Ein frisches Bild. In der WG bekam ich das Sofa im Living Room. Kein eigenes Zimmer für über eine Woche. Spannendes Experiment. Musste ich mich dran gewöhnen. Kann ich jetzt brauchen:)

Ich habe mit drei Ungarn, einer Polin, einem Amerikaner, einem Deutsch-Amerikaner und einem Briten zusammengewohnt. Oshi, Peter und Ilango (ein kleines, sechs Monate altes Baby) haben mich in Empfang genommen (ich hatte ein Baby auf dem Arm, habe mit einem Baby auf der babydecke gespielt und habe Ilango erfolgreich gefüttert – hach. Erinnerungen.). Eine junge Familie. Sehr, sehr nett. Es gab Kaffee und Fragen und ich war gleich drin in der Sprache – noch holprig, was am Ende der Zeit anders aussah. Tatsächlich habe ich in der Woche darauf einmal in englischer Sprache gedacht.

Von der WG aus habe ich mich direkt auf den Weg gemacht. Zu Fuß. Quer durch die City of London, das Bankenviertel. Kein Mensch auf der Straße. Als ich abends zurückkam, war ich ganz allein in den Straßen. Keine Seele. Ab und an ein Auto. Saturdaynight im Bankenviertel. Das Geld schläft. Es war, als wäre ich über die Dorfstraße von Nosbach gegangen.Nur sah alles ganz anders aus. Dann leuchtete das EI zweischen Glasfassaden hervor, dann stand da plötzlich eine alte Kirche zwischen Glaspalästen und überall waren Baustellen. Kein Arbeitstag – es fehlten schlicht 750.000 Menschen, die hier nur zum Arbeiten hinkommen. Strange. Mir war es recht, so konnte ich mich an die Massen gewöhnen.

Mein Weg führte mich direkt zur Tower Bridge. Am Ufer der Themse entlang. Die Sonne schien, die Menschen saßen auf den Bänken. Meine Kamera war sehr hungrig, gierte nach Input. All diese Sehenswürdigkeiten. Was mich jedoch am meisten angezogen hatte, war die TATEmodern. Ich habe das Museum über die Milleniums Bridge erreicht. Dort lag es. Was für ein Ort. Voller Menschen. Kunstfreunde. Freunde der modernen Kunst. Die Welt ist voll davon, was sich hier auf dem Land nur schwer glauben und nachvollziehen lässt. Alle interessiert an Contemporary Art. Ich wollte nur kurz rein, mal reinschnuppern, um mir später mehr Zeit zu nehmen. Da war schon die erste Videoinstallation zu sehen. Tacita Dean. Eine Engländerin, mein Jahrgang, 1965. Der Umgang mit Geschichte. Das Thema meiner Generation. Wir hängen und stehen jetzt in den großen Museen. Wir:) Es ist so weit. Projekt 65. Einer der letzten Massenjahrgänge vor dem Pillenknick.

Eine riesige alte Turbinenhalle. Dunkel. 25 Meter hoch, 30 Meter breit, 100 m lang. Ein Theaterraum, eine Bühne, eine Kulisse. Ich erinnere mich an eine Theaterszene. Macbeth. Die Bühne leer. Schwarz. Stille nach der Schlacht. Der Kämpfer kehrt heim, schleudert einen Vorschlaghammer über die Bühne. Das dumpfe Aufschlagen. Raum. Hier: Die Videowand. 10 Meter hoch, 4 Meter breit. Bilder wie aus einem Traum. Standbilder, bewegte Bilder. Ohne Ende. Der Film des Lebens. Gedankenband. Unaufhörlich. Ich saß da. Starrte, schaute. Wie schön, dass Menschen solche Dinge schaffen und sich einander damit beschenken. Kinder liefen ins Bild, Schatten entstanden. Ich bin am Ende der Woche zurückgekehrt, um mir die Installation noch einmal anzusehen.

Und dann ging ich verloren in diesem wahnsinnigen Museum. Habe mir fast alles angesehen, außer die aktuelle Ausstellung der Japanerin Yayoi Kusama. Das war zu viel. Am Ende war ich sechs Stunden unterwegs. Meine favorites: Tacita Dean, Joseph Beuys und Do Ho Suh aus New York, der die Treppe aus Gaze an den Himmel eines Ausstellungsraumes gehängt hat. Einige meiner Fotos aus London und aus der TATEmodern findet ihr auf meiner Pinterest-Seite. Verloren zugehen in dieser weiten Welt, die so wenig Sicherheiten bietet. Könnte ich nur eines Tages diese bescheuerte Angst ablegen… Oder sie einfach akzeptieren. Oder.

Abends, als dann die Sonne untergegangen war, stand ich auf dem Balkon der TATEmodern und sah die beleuchtete St.Pauls Kathedrale, die Skyline und die Lichter der Stadt in der Themse gespiegelt. Ich habe mich sehr, sehr wohl gefühlt. Sehr glücklich. Ein schöner Moment. Am Ende der Woche war ich hierher zurückgekehrt, um mit einer Kursteilnehmerin den Blick zu teilen. Wir saßen im Restaurant, haben auf die Stadt geschaut und haben uns danach TRAVELLING Lightning im National Theatre angesehen. Wie durch ein Wunder bekamen wir Karten in der zweiten Reihe. Großes Theater. Fast jedes Wort verstanden. Ich habe gespürt: Da ist eine große Sehnsucht. Ein Hunger. Nach Kunst, Bühne. Nach Menschheitsgeschenken. Die WG hat mich eingeladen, wiederzukommen. Im Herbst findet der nächste Kurs statt. Mal sehen. Ich würde schon gerne… Aber da sind so viele Pläne und wie immer habe ich Angst, mich zu verzetteln.