Bazooka, Knall, Schepper, Bumm, Bumm!

Nein, kein Krisenherd. Wieder nicht. Momentan sitze ich hier morgens und überlege: Weite Welt oder kleines Leben. Eben bin ich kurz durch die Nachrichtenchannel gezapped, um zu sehen, wo die Welt gerade steht. Dabei kam mir heute der Begriff Chaostheorie in den Sinn. Das war die Sache mit dem Flügelschlag eines Schmetterlings in China, der tausende Kilometer entfernt eine Naturkatastrophe auslöst. Weil gerade dieser kleine Flügelschlag als letztes kleines Etwas gefehlt hat. Gerade paar viele Schmetterlinge unterwegs. Wenn wir auf dieser Welt so feinfühlig miteinander verbunden sind, dann…

Ich bleibe lieber beim kleinen Leben. Schließlich ist Frühling. Vor einem Jahr schrieb ich im Brigitte Woman Blog über das Grand-Treppen-Opening. Dieser Moment, dieses bewusst das erste Mal im Jahr draußen auf der Treppe in der Sonne sitzen und Cappuccino schlürfen, ist in diesem Jahr durchgerutscht. Alles ist so anders in diesem Jahr. Der Frühling kam überraschend und vieles andere auch.

Gestern Nachmittag saß ich hier am Rechner und beschäftigte mich mit verschiedenen Texten. Da ging es um Ingenieursleistungen und das Einvibrieren von Löchern in sandige Böden – die es zum Beispiel in Berlin gibt -, um Fundamente auf bis zu 30 m tiefe Betonstützen zu stellen. In meinem Kopf vibrierte und betonierte es. Da kam Jim rein. „Papa, ich brauch‘ den Kompressor.“ Ein Kundengeschenk, das bei mir im Büro steht. Klar. Nimm. Abmarsch. Da rumorte es draußen. Vor meinem Bürofenster hatten sich die kleinen Strolche des Dorfes eingefunden. Eine ganze Bande. Heerscharen von Kindern. In der Mitte Jim und ein Nachbarsjunge. Aus meinem Vibratortext lösten sich erste Gedanken. Mein Vater sagte früher immer: „Holzauge, sei wachsam.“ (In meinem Kopf kursieren etwa 150 Millionen Papasprüche, die nur zu ca. 10 % politisch korrekt oder öffentlich aussprechbar sind. „Wenn’s vorne juckt und hinten beißt, nimm Klosterfrau Melissengeist.“ Und so weiter. Welch ein Erbe!)

Aufgeregtes Geschnatter draußen, das Röhren des vibrierenden Kompressors. Wir haben doch ein Fundament! Quatsch, das ist das andere Thema. Was machen die nur? Kompressor, Druck aufbauen. Moment mal. Nix gut. Jim hatte sich, das scheint bei Jungen in seinem Alter normal zu sein, kürzlich erst in Flammen aufgehen lassen. Haarspray versprüht und angezündet. Weil das Feuerzeug erst nicht klappte, war er näher dran gegangen. Zu nah, weil das Feuerzeug dann doch klappte. Augenbrauen weg, Lippen verbrannt, eine Gesichtshälfte rot, die Fleecejacke teils geschmolzen. 100 % Glück gehabt. Ohne die Augenbrauen sah der aus wie ein Alien. Die angekokelten Wimpern haben sich immer wie ein Klettverschluss ineinandergehakt. Er musste die Augen dann mit den Fingern öffnen. Ihr könnt euch vorstellen, was in Ela und mir vorging. Aaaaaaaahhhh!!!

Gestern nun also der Kompressor. Ich bin dann mal lieber vor die Tür gegangen, um einen Blick auf das Geschehen zu werfen. „Papa, guck mal. Wir haben eine Bazooka gebaut.“ Super. Waldorfschule, Anti-Atomkraft-Demonstration, engagiertes Schultheater und in der Freizeit Bazookas bauen. Passt. Jungen. 14 Jahre. Im Spiegel Online Pubertäts Special stand was von umfassenden Gehirnveränderungen in der Zeit und einer gewissen Unzurechnungsfähigkeit. Ein Trost. Leben in Extremen. Das wird schon – sofern er seine Experimente unbeschadet übersteht. Nun gut. Eltern müssen ja auch einfach Vertrauen haben. Und sanft kontrollieren.

Was haben die Jungs gemacht? Eine Flasche mit Wasser gefüllt, einen Korken rein gesteckt, durch den Korken die Spitze zum Ballaufpumpen geschoben und dann mit dem Kompressor Druck auf die Flasche gegeben. Klassischer Raketenantrieb. Jim hat den Kompressor bedient, der Nachbarjunge hatte ein altes Lüftungsrohr auf der Schulter – die Bazooka – in dem sich die Flasche befand. Kompressor an, Druckaufbau, Korken fliegt aus der Flasche, die fliegt einige Meter weit aus dem Rohr nach vorne und versprüht Wasser. Kerosin. Genial. Mit Einschränkungen. Die Jungs hätten meines Erachtens auch eine friedliche Nutzung der Anwendung ins Spiel einbeziehen können. Auf jeden Fall war der Jubel groß. Friede, Freude, Eierkuchen. Alle waren nass und hatten ein breites Frühlingsgrinsen im Gesicht. Mittendrin Cooper als Petey the Pit (der Hund der kleinen Strolche, der mit dem schwarzen Auge).

So bleibt das Leben im kleinen und großen Zusammenhang spannender, als mir lieb ist. Meinetwegen könnte ich gerne mal eine Woche lang unbeschwerte Langeweile haben. Euch wünsche ich, dass ihr unbeschadet durch den Tag kommt. Das ist momentan ja auch schon mal was. Quatsch. Sehen wir das mal nicht so pessimistisch. Ist ja bislang immer noch gut gegangen. Wie der Kölner/ die Kölnerin sagt. Und der/ die hat auch schon einiges mitgemacht…

Die Einschläge kommen näher:)

Nicht was ihr jetzt im Kontext des momentanen Weltgeschehens glaubt. Nein. Viel banaler. Aber nicht unbedingt weniger dramatisch. Ich bin auf dem Land. Genauer gesagt beim Dorffußball. Wer es noch nicht weiß, ich spiele hier im Nachbardorf in der offiziellen Mannschaft der Alten Herren. Mittlerweile seit zehn Jahren. Die Jungs sind mir ans Herz gewachsen. Wie das so ist, wenn Männer nach dem Spiel beisammen sitzen, es tauchen Ideen auf. Pläne. Möglichkeiten.

Vor zwei Jahren saßen wir nach einem Training im Sommer draußen vor der Tür. Verschwitzt, dreckig, glücklich. Hormonausschüttung durch das Laufen und Rennen und Stürmen und Flanken und Grätschen. Für den Körper ist das Fluchtverhalten, das mit eigenen Antidepressiva unterstützt werden muss. Gedanken ausschalten, lächeln. So saßen wir da auf unserem Hormontrip und der Sorge um das Abflauen des Gefühls, dem Hormonturkey. In der Mitte eine Kiste Bier, alle setzten sich hin, wo gerade Platz war. Auf Treppenstufen, Autokotflügel. Ein guter Abend.

Wir hatten schon lange recht halbherzig eine Mannschaftstour geplant, als sich an diesem Abend ein Mitspieler mit Begeisterungsüberdosis auserwählt fand, die Dinge in die Hand zu nehmen. Er startete die Aktion Mannschaftsmotivation und hatte auch schnell einen Claim für die interne Kommunikation gefunden: „Jungs, die Einschläge kommen immer näher!“ Bedeutet: Seht euch um, was mit Menschen in unserem Alter passiert. Fallen um, liegen flach, es haut ihnen die Beine weg, nimmt ihnen den Atem. „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ Er hat es in die Hand genommen. Kurzerhand ein Reiseziel festgelegt und am nächsten Tag Flüge und Hotel gebucht. Malle. Ich gebe es zu. Fünf Tage Ballermann. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich selten so gelacht habe. Unvorstellbar.

Gestern nun hatten wir Ü32-Kreismeisterschaftsspiel. Direkt in der ersten Runde gegen den Favoriten. Die Spieler von denen sind alle noch aktiv und im Schnitt mehr als zehn Jahre jünger. Normalerweise können wir das durch Erfahrung ein wenig kompensieren und durch schlaues Auswechseln auch den Konditionsnachteil ausgleichen. Gestern dann: Verletzte, Kranke, Lahme, Couch-Potatoes. Die Einschläge kommen näher. Wahrlich. Am Sonntag hatte ich in der zweiten Mannschaft gegen junge Männer knapp über 20 gespielt. Gestern Früh taten mir alle Knochen weh. Am Abend dann das Entscheidungsspiel – Top oder Flop. K.O.-System. Nach drei Minuten verletzte sich einer unserer Spieler im defensiven Mittelfeld. Der Sechser. Khedira. Also so in etwa:) Ich war an der Reihe, wurde vom Trainer eingewechselt und durfte wieder ran.

Wir haben verloren. Ecke, Kopfball, drin. 1 : 0. Ausgeschieden. In der Kabine sind wir dann durchgegangen, wer uns alles gefehlt hat. Wer nicht da war, aber hätte da sein sollen. Das Ergebnis: Wir werden weniger. Rückenprobleme, Knieprobleme, Arbeit, Familie. Überhaupt. Nächsten Monat werde ich 46. Herrje. Egal. ich denke lieber an den Oktober. Da sind wir als Mannschaft wieder unterwegs. Auf Norderney. Vier Tage. Was ich jetzt schon weiß: Das wird wieder ziemlich lustig. Alte Geschichten, Gerede, Geklüngel, Gedöns. Macht einfach Spaß, an nichts zu denken und einfach mal nur dummes Zeug zu reden. Denn letztlich ist es ja so, man muss die Zeit nutzen, denn…

Carpe Diem.

P.S. Gestern Abend habe ich eine ganze Reihe Geschichten und Gedichte online gestellt, die ich auf meiner Festplatte gefunden habe. Dort setzen sie nur Staub an. Vielleicht habt ihr Lust, ein wenig zu stöbern. Einfach mal unter Lyrik und Kurzgeschichten nachschauen…

Kundera

Was nur

wenn alle Leichtigkeit Sein ist

Trauer schwebt

Wut verraucht

Blumen sind Wahrheit

Apfelbäume

und ihre Blüten

Du

ach

im leichten Blick

neu gesehen

Alle Liebe vergisst

schwer zu werden

tänzelt weiter

durch

Gassen und Straßen

Heliumgefüllt

kaum spürbare

Gravitation

Küsse

wie Flaum

Küsse, Küsse

juni 2010

höllenfahrt in den himmel

du liebst deinen gegner
das macht die waffen schwer
dein schild wiegt nur
schützt nicht

läufst gegen fatamorganen

regen, sonne, sturm

aufgelöst, zusammengesetzt
alt, neu
um die ecke
direkt getroffen
gefallen
aufgestanden
gelaufen

schlag ins gesicht
berappelt
kasteit

die neunschwänzige katze
im kopf

striemen

heilende wunden
aufgerissene wunden

gestern, heute
morgen irgendwann

dann wieder gefühl
gut und schlecht
schön und böse

höllenfahrt, himmelsreise

august 2006

Schönen guten Abend, Herr Massenmord.

Es wurde dunkel und es war kein Traum, was in jenem Augenblick das Ungeschickteste war, was ihm passieren konnte. Denn schweißgebadet aufwachen war nicht drin, weil er ja gar nicht schlief. Sein Name war John-Heiko, weil sein Vater Ami und die Mama eine Deutsche war. So nach dem Krieg, Besatzung, Kennenlernen, Tanzen, Rummachen, Kind, ab nach Amiland.

Was ihn, John-Heiko, in jener Nacht bewog, den falschen Weg nach Hause einzuschlagen, lässt sich nun, einige Jahre später, nicht mehr sagen. Ob wir ihn noch fragen können, weil er ja gleich den Massenmörder trifft in dieser wahren Story, soll jetzt noch nicht verraten werden. Ist noch geheim.

Er kam von einem schönen Fest voll Lichtertaumel, Kerzenschein. Nicht voll betrunken aber doch mit diesem oder jenem Bier beladen. Getanzt, gelacht, geneckt und auch den einen oder andren Blick geworfen zur schönen Sibylle hin, die ihn seit jeher doch nicht will (weil er den unbekannten Papa hat mit dieser schwarzen Haut, die auch ihn in zartes, schönes Braun nun hüllt). Nun hatte er die Wahl, den längeren Weg der Straße lang oder husch, husch durch den nicht ganz dunklen, mondbeschienenen Wald. Gab ihm das Bier den Mut, den Weg des Waldes einzuschlagen? Schritt für Schritt, Sibylle noch im Sinn, Schritt er beherzt voran. Im vom gestrigen Regen leicht aufgeweichten Boden ließ jeder Schritt die Spur vom Fest Richtung Zuhause zurück. Bis irgendwann die Spur beendet war, zumindest auf dem Weg. Weshalb, was war geschehen?

Monsterdunkel, Mondennacht. Zu hell, um unerkannt zu schreiten, zu dunkel, um den Überblick zu wahren. Der Zufall wollt es so, John-Heiko traf den Massenmörder dort im Wald. Unerwartet plötzlich, so ist die Plötzlichkeit nun mal, trat jener große, schwere Mann als Albtraum auf den Weg. In riesigen Pranken hielt er ein riesiges Meuchelmörder-Messer und eine dunkel glänzende Pistole, Marke ganz schnell und dann für immer tot. Man kann sich vorstellen, was in John-Heikos Kopf in diesem finstren Augenblick geschah. Sibylle raus, Massenmörder rein. Puh, was für Wendungen dies allzu unbeschwerte Leben manchmal nimmt. So standen sie auf diesem Weg und die Pistole ganz allein hielt John-Heiko davon ab, den Weg zurück zu laufen, weil Massenmörder auch in Rücken schießen. Nix da Ehre und so weiter, alte Cowboy-Western Moral, tut ein wahrer Mann nicht und so weiter. Erschossen wird nun einmal nur von vorne. Was ist mit unten, oben, von der Seite? Sorry, ich schweife ab. Wir sind noch auf dem Weg, im Wald. John-Heiko sieht den Massenmörder, der Massenmörder sieht John-Heiko. High-Noon kurz nach Mitternacht. „Ich hab dir nichts getan, nun lass mich einfach gehen, ich hab noch nicht einmal mehr Geld, der teure Sekt für die Si…, Si… – ich kriegs nicht raus –, das musst du doch verstehn. Bist doch auch ein Mann.“ Kaum gesagt, da kam der Zweifel schon. Sich mit dem Massenmörder einfach nur durchs Mannsein auf eine Stufe stellen, ob das der richtige Weg ist? Da muss man doch eher Psychologisieren, weil Massenmörder doch als Kind zu wenig Liebe abbekommen haben und sich letztlich doch nach nichts mehr sehnen als nach ein paar guten Worten. So schlimm bist du doch gar nicht und irgendwie ja auch nicht schuld, weil der Papa dich immer gehauen hat und du jetzt einfach gar nicht anders kannst. Was soll man machen? Ist halt so.

Die Gedanken zuckten, der Impuls zu Laufen hatte sich als Betonklotz um die Füße gewunden, John-Heiko hatte eine Heidenangst. Was für ein Wort, die Angst der Heiden. Vor dem Schwert des Ritters mit dem Kreuz? Oje, wo all die Worte immer herkommen und dann verschütt in unsren Köpfen wie tief eingenistet weich gebettet liegen bis zum Augenblick, wenn Wahrheit dran kommt wie Luft, die Feuer zündet, explodieren lässt. (Manchmal übertreib ich und außerdem schweif ich schon wieder ab, eine Unart). Da stand er nun, John-Heiko, nicht der Kreuzritter, um jegliche Verwechslung auszuschließen, mit dem Massenmörder in der Nacht. Kurz überlegte er, ob ihn die Angst jetzt pinkeln lassen würde, weil das Gemisch aus größter Angst und frisch getrunknem Bier durchaus in diesem Augenblick zu einem Rinnsal längs des Beins herunter hätte führen können. Nichts, nur ein leichtes Zittern, tatsächlich schlotterten die Knie und er wusste nun, dass sie das wirklich tun können. Der Massenmörder trat einen Schritt auf ihn zu und grinste überheblich schadenfroh, so wie es Massenmörder wohl gern tun. Das hatte er schon oft getan, kurz bevor er tat, was Massenmörder letztlich dann nicht lassen können. Er war, sofern man das in diesem Falle sagen kann, ein Meister seines Handwerks und hatte seinen Namen Massenmörder durch viele Taten sich wohl wirklich redlich schon verdient. Er soll, allein in einer Nacht, ein Dorf und noch ein halbes dann dazu gemeuchelt haben ohne Rücksicht auf Verluste, denn zu verlieren hatte er gar nichts.

Die Situation war also klar. Ein John-Heiko und ein Massenmörder, dass da am Ende nicht der Massenmörder tot am Boden liegt, liegt auf der Hand. (Ich hab jetzt das getan, was der Lehrer hat verboten, hab zweimal liegt verwendet. Ein rotes A am Rand für schlechten Ausdruck. Leck mich. Da red ich hier von Massenmörder und der schreibt Ausdruck an den Rand. Sonst noch Probleme? Weiter.) Nimmt man zumindest an. Man kann jetzt auch nicht sagen, die Situation wäre ein Patt – Knarre, Messer, alles klar. Tja, und der Papa zwar ein Ami, aber leider ganz weit weg. Die kommen nur im Film mit Hubschrauber und Kavallerie.

Der Massenmörder grinst und sagt. „Pech, jetzt bist du tot.“ Da flucht John-Heiko und sagt „Scheiße“. (Rotes A). „Ja, Scheiße sagt der Massenmörder, alles Scheiße. Den ganzen Tag, die ganze Nacht. Immer kalt und nix zu fressen. Kaninchen fangen, schlachten, häuten, grillen. Ganz selten nur ein Reh. Am liebsten ess’ ich Beeren.“ John-Heiko verstand Bären und dachte Scheiße (A!), hier gibt’s Bären und ich Idiot laufe durch den dunklen Wald. Und gleich fragte er dann auch den Massenmörder: „Hier gibt’s Bären?“. Vielleicht war es der Mond oder das Fest in der Nähe, was den Massenmörder nicht gleich explodieren ließ. Da traf er auf ein Wesen menschlicher Gestalt und das war scheins so dumm wie Brot. Beeren mit doppel e und nicht mit ä wie Äquator. Das hat er dann auch gesagt, mit erhobenem Messer und der Pistole auf die Stirn des Gegenübers gerichtet. Kapiert? Ein schnelles Ja, klar, hab verstanden. Red’ nicht so viel, oder ich puste dich weg, ganz langsam selbstverständlich. Erst ins Ärmchen, dann ins Beinchen, dann das ganze schlotter-schlotter-Schweinchen.

Was tun? Der Massenmörder hatte scheinbar keine große Lust in dieser Nacht zu morden, obwohl es für ihn nur ein Fingerzug gewesen wäre. Nicht mehr als eine Synkope auf dem Weg durch diese mondbeschienene Nacht. John-Heiko spürte Aufwind, dachte, wenn er es bis jetzt noch nicht getan hat, vielleicht gibt’s dann noch eine Chance. Er nahm sich, ein durch das nicht mehr an Sibylle Denken frei gewordne Herz und gab dem Massenmörder zu verstehen, dass er gern’ verhandeln würde. Dass war dem Massenmörder niemals nie zuvor passiert. „Verhandeln? Hast du den Arsch auf oder was. Ich hab hier die Knarre und schmier gleich dein Gehirn nach hinten aus dem Schädel in den Matsch, du Pisser.“ Ja, da hatte er recht. Die Sache mit dem Gehirn hatte die Sachlage deutlich verändert und ließ John-Heiko nun dann doch ad hoc am Bein entlang den Strahl laufen. Pisser, wie wahr. John-Heiko nahm die Hände vors Gesicht um für einen kurzen Augenblick ganz allein für sich zu sein. Der Massenmörder schoss ihm knapp am Ohr vorbei, rechts und links. Beeindruckend knapp. „Dann verhandel’ mal und mach ein Angebot. Was haste denn zu geben, he?“ John-Heiko überlegte nicht und sagte einfach nur „Sibylle“. Das traf den Massenmörder wie ein Schlag links und rechts am Ohr vorbei. „Sag das nicht noch mal.“ John- Heiko sah den letzten Augenblick gekommen, schon wieder falsch, verdammte Scheiße mit Opfer-Täter-Psychologie und abgeklärte Kommunikation zur Wahrung letzter Chancen in von Risiko geprägten Situationen. Dann brannte bei ihm die Sicherung durch, peng, peng. „Was willst du Arschloch eigentlich. Lauerst mir auf, willst mich umbringen und tust es nicht. Was kann ich dafür, dass irgendein versoffen verlauster Penner dich niemals in den Arm genommen hat. Klebt an meinen Händen all das Blut, das du vergossen hast? Muss ich in der Hölle Kohlen schaufeln bis zum allerletzten Tag, wann der auch immer sein mag? Du arme Sau stehst hier und hast versemmelt, was man nur versemmeln kann (A!). Knall mich doch ab, ist mir jetzt auch egal. Sibylle liebt mich eh nicht, der Papa ist in Amiland und ich geh immer ganz genau den falschen Weg. Bin ich halt weg, wen stört’s?“ Da schien der Mond die Erde anzuhalten, der Wald wurd’ still, kein Blatt traute sich in diesem Augenblick ein kleinstes Rascheln. Was würde der Massenmörder tun? „Du liebst Sibylle?“ Der Tonfall war nicht der, den irgendwer in diesem Augenblick erwartet hätte. „Ja, das tue ich.“

Was dann geschah, ist nicht ganz klar. Weil weder John-Heiko noch der Massenmörder noch sonst wer davon berichten kann. Nicht, weil irgendwer in jener Nacht sein Hirn im Matsch verloren hat. Nein. Sondern weil die Welt ganz plötzlich in diffuses Licht getaucht war. Ein Wind kam auf, Wolken, die Blätter raschelten, tuschelten, der Wald wurd’ laut. Die Spur hat sich verloren, mehr weiß man nicht. Am nächsten Tag lag er mit matsch’gen Schuhen im Bett. Ohne komplette Erinnerung an die vorangegangene lausige Nacht. Dass das, was er noch ahnte, ein wahrer Albtraum und kein Traum wahr, verriet die nasse Hose mit deutlichem Geruch.

John-Heiko jedenfalls hat überlebt. Von Sibylle bekam er dann das Ja und beide schritten noch im gleichen Jahr vor den Altar. Die Mütter weinten. Die Väter beider Kinder aber waren gar nicht da.