Hamburg, August, Rolf und ich

Weiß nicht
was geschieht
muss nach Hamburg
auf Rolfs Spuren

Das raue Haus
St. Pauli
die Jungs

Weite Fahrt auf einem Schiff
voll Holz

Ein Vater, noch ein Vater
noch ein Vater
alle namens August
außer Rolf

Der spielte wunderschön Klavier
bis 76
das Jahr
der Sommer

Ende
Anfang
Abschied

Auf Wiedersehen
Realität

Ich lebe jetzt in Seelenwelten
Himmelsgruften
Stürmen

Halt, Schutz, Wichtigkeit
gebaut auf Liebe
Liebe, Liebe, Liebe
Liebe
Papa, Vater, Rolf

jens schönlau, märz 2010

Fred, das Alien, der Birnbaum und der Weihnachtsmann

Als der kleine Fred – das war im Garten seines Vaters – dieses ästhetisch eingeschränkte Alien sah, fiel ihm nicht mehr ein als ein quietschiges „Ih!“. Dem Alien war es egal, hatte er sein feuerrotes Raumschiff doch nur aus Versehen im Garten von Freds Vater versenkt – den Birnbaum mitgerissen und den Goldfisch-Teich. Der – also Freds Vater – war im Moment des Aufpralls und dann Einschlags nicht zugegen – wegen Arbeit und anderer solcher Sachen, dachte sich Fred. Was tun? Fotos machen zum Angeben, als Gast hereinbitten, die Polizei und Feuerwehr rufen, die Armee, den Papst, das Fernsehen? Zu viel, für einen kleinen Jungen, hier und jetzt und gleich eine so wichtige Entscheidung zu treffen. Also, erst einmal das Naheliegende probieren: „Willst ’nen Kaugummi?“ Warten. Der spricht nicht, zuckt nur, blubbert, knirscht und quarzt. Vielleicht das ureigene interne Alien-Reparatur-Programm (ARP)? O.K., bewerf ich dich mit Dreck. Zack. Wirst schon nix mit Laser und Pistole bei dir haben. Wenn’s im Raumschiff ist, kannste eh ’ne Stunde buddeln, so tief liegt das Ding. Mensch, was für’n Speed. Keine Reaktion. Ob der fliegen kann? „Kannste fliegen, he?“ Und was ist, wenn’s der Weihnachtsmann ist? Das hätt’ mir gerade noch gefehlt, au Backe. Und alle Geschenke hin und unten drin in diesem Wahnsinnsloch. „Du Alien, ich hätt’ da mal ’ne Frage…?“

Smoke on the water

Wir waren Kinder, Brüder und verbrachten die großen Ferien gemeinsam mit unseren Eltern am Thuner See in der Schweiz. Für den Abend – es war der Nationalfeiertag des Landes, hatte die Hotelbesitzerin, eine wohlgenährte Französin mittleren Alters mit entsprechendem Akzent, ein Feuerwerk für die Gäste des Hauses angekündigt – „Isch abe die Ehre, Ihnen ’eute Abend, eine gewaltige Feuerwerk über die See’immel anzukündigen!“ Der gedämpfte Applaus ging in der pürierten Spinatsuppe „Potage du Jackson“ unter. Wir tauschten Blicke unter verschworenen Brüdern, ließen das Menü unbeachtet passieren und verzichteten in gespannter Erwartung und Vorfreude auf die Ereignisse des Abends auf das Dessert – Crepes mit pürierten Himbeeren und zartbitteren Schokoladenflocken. Wir eilten raus auf die Liegewiese unten am See, auf der Urs – Gärtner, Portier, Hausmeister, Chauffeur und Barkeeper in einer Person – die Vorbereitungen traf. Mit gekrümmtem Rücken und monotoner Langsamkeit trug der mindestens Siebzigjährige Kisten und Werkzeug aus der Orangerie am Rande des Hotelgartens. Wie gerne hätten wir geholfen, die Raketen, Böller, Sonnenräder, bengalischen Lichter auszupacken. Sein Blick traf uns ins Mark und wir wussten, er wollte uns bei seinen Vorbereitungen nicht dabei haben. Kleine Jungen und Feuerwerk, eine zu gefährliche Mischung. Also nahmen wir das Boot, ruderten auf den See und erzählten uns, was wir an den Himmel werfen würden. Allein unsere Ouvertüre hätte das Land der Banken und schweigenden Konten in eine finanzielle Staatskrise gebracht – unser Finale, von einem lyrischen Entree langsam einschwenkend in ein Lichter-Stakkato bis zu einem bombastischen Höhepunkt geführt, wäre noch in Sydney zu sehen gewesen.
Urs hatte scheinbar ein anderes Konzept und wir waren gespannt, was er sich hatte einfallen lassen. Aus heutiger Sicht kann ich das kurz auf den Punkt bringen: Nichts. Rein gar nichts. Kein Gedanke an ein Konzept. Nach dem Abendessen hatten wir uns auf die Wiese geschlichen und nicht mehr als einige behelfsmäßig zusammen gezimmerte Dachlatten sowie eine ganze Batterie geleerter Baron Rothschild Flaschen als Raketenabschussbasen entdecken können. Ein Skandal! Dann kam es, wie es kommen musste. Wir hatten keinerlei Vertrauen in Urs. War er ansonsten vielleicht ein handwerkliches Universaltalent, ein Feuerwerker war er mitnichten. Wir hatten uns auf dem Balkon des Salons in der zweiten Etage wie Stadler und Waldorf aus der Muppet Show verbarrikadiert, während alle anderen Hotelgäste Champagner schlürfend von der Terrasse aus zusahen. Zum Auftakt fuhr Urs die Hotelbesitzerin im offenen Bentley, ein herunter gekommenes Modell aus dem Jahr 1913, auf die Wiese und übergab ihr im Schein des Mondes die brennende Fackel. Dann ging alles sehr schnell. Die erste Rakete zündete und warf im Davonzischen die zweite und dritte Rakete samt Baron Rothschild Flaschen zu Boden. Uns war sofort klar, was jetzt geschehen würde. Am Anfang des Super GAUs stand die Auslösung einer Kettenreaktion. In den nächsten 60 Sekunden entzündete sich der gesamte pyrotechnische Vorrat für ein zwanzigminütiges Feuerwerk. Urs hatte definitiv versagt. Als erstes musste der Bentley mehrere Raketentreffer einstecken, was ihn im Handumdrehen in Flammen aufgehen ließ. Während Madame und Urs verfolgt von bengalischem Feuer in letzter Sekunde den rettenden Sprung in den Thuner See wagten, um von dort das Einschlagen der Raketen im Bootshaus mitzuerleben, was das Ende des geparkten Mahagonibootes eines befreundeten Industriellen aus Interlaken bedeutete, erlebten wir die schönsten und wohl aufregendsten Sekunden unseres Lebens. Alles war in ein Lichtermeer lyrischer Schönheit getaucht. Dann war alles vorbei – der Rest ist Schall und Rauch. Niemand wurde verletzt, ein Wunder, und auch das Hotel blieb gänzlich verschont, obwohl uns im Schutze des Balkongeländers die Raketen nur so um die Ohren flogen. Ein Volltreffer zauberte hunderte Sterne an die Hotelfassade, blieb ansonsten aber ohne Folgen. Es dauerte Stunden, bis die Einsatzkräfte den Ort des Geschehens verlassen hatten. Mein Bruder und ich waren einer Meinung: Besser hätten wir es auch nicht inszenieren können. Seither denke ich bei jedem Feuerwerk, und sie können mir glauben, ich lasse keines aus, an diesen Abend und – wer hätte das gedacht – einen wahren Feuerwerkgott namens Urs.

Erinnerungen ans Meer

Der Wald duftet
im leichten Rauschen
des Windes
am Morgen

Die Promenade
Nizza
eine weiße Bank
Mittagessen
im Hafen
Wein
Segelboote

Ela weckt mich
der Regenbogen
über dem Fenster
hochgetrieben
aufgespannt
von der Sonne
im Osten
aufgepustet
vom Westwind

Ihr Rücken
sie fotografiert
ein Cappuccino
im Bett
verwöhnt

Ein Kaffee in Chania
eine Moschee
aus alter Zeit
Sarazenen – Sarrazin
Sara
meine Katze
damals
angeschossen
Wer tut so etwas?

In großen Lettern
das Boot ist voll
dann brannten Menschen
Klu-Klux-Klan
mitten in Deutschland
im Westen
nebenan
Worte sind
Waffen
Schwerter
Pistolen
Fackeln

Die Wellen stoßen mich
schubsen
drängeln
necken, lachen
Salzwasser
dringt ein

Bin ich der Kaleu?
Kapitänleutnant zur See
auf der
Andrea Gail

Mach die Schoten
dicht
hör nicht hin

Rockmusik
die feste Frauenstimme
im Klang des Gewitters
Regen läuft über
meine nackte Haut
Ela
bei mir
an mir
in mir
Amsterdam
Himbeertorte
Wein
Kaffee

Kommen jetzt wieder
Fahnen?
Die Halterung
des dritten Reiches
am Fenster des Speichers
demontiert

Sehne mich
nach weichen Wellen
Sanftmut

In Leichtigkeit
taumeln
den Blick
ins Zarte

Türkisfarbenes
Wasser
Licht
Freundlichkeit
endlich

Ela
gib mir
die Hand
Bitte

jens schönlau, september 2010

 

Blume im Wind

Ein Flugzeug, eine Schnecke
ein Stromkabel über Land
Löwenzahn in voller Blüte
du meine Güte
wie lang?

Schweben, gehen
streicheln, straucheln
aufrecht
im freien Fall

Durch Löcher und Gräben
mit Sonne und Mond
St. Martin und Ostern
Mc Donalds und Autobahnen
hinter dem Meer
und vor dem Gebirge
im flachen Land

Küssen

Anschmiegsam leise
Hände
wie Worte

Lächeln und Lachen
mit Augen und Lippen

Blick nach rechts
Blick nach links

Nach vorne, nach oben
Pusteblume im Wind

mai 2006