Die Kuh von Norbert van Ackeren zur Weihnacht

Nun. Es geht auf das Ende zu. 2017 haucht den Atem aus. Ich muss zugeben, ich werde ein wenig sentimental. Das hat auch damit zu tun, dass ich heute meinen letzten Job abgeliefert habe. Eine Präsentation vor Nonnen. Monate Arbeit. Kopfzerbrechen, Seelenqualen. Einer sozialen Sache gerecht zu werden, ist etwas anderes.

Sie haben sich bedankt. Sie waren in der Sache kritisch, letztlich glücklich und mir gegenüber sehr nett. Ihren Segen für das nächste Jahr habe ich. Das war ein schönes und besonderes Gefühl. Von Herzen. Es war ein außerordentlicher Nachmittag, für den ich nicht unbedingt ein Gehalt gebraucht hätte.

Morgen noch. Eine Stunde Arbeit und dann wars das. Noch ein Brunch in der Agentur, am Nachmittag kommt Viveka, wir werden einen Baum besorgen, einkaufen, die Liebe feiern. Mindestens.

Doch zuvor fliegt mich dieses Jahr an. Ich bin immer noch auf der Suche. Eben habe ich eine weitere Speicherkarte gefunden und die unverarbeiteten Bilder. Duisburg. Norberts Atelierauflösung. Kein Wort drüber verloren, obwohl ich das Atelier zuvor so lange hab sehen wollen. Es war überwältigend. Riesige Arbeiten. Starke Kunst. Gewaltige Bilder.

Ich habe es nicht geschafft, darüber zu schreiben. Wie so oft in diesem Jahr. Die Bilder eingefangen. Liegen gelassen. Der Kopf war woanders.

Ein wenig bin ich irritiert.

Klar, die Dinge haben sich verändert. Ich mag nicht mehr über jede Kleinigkeit schreiben. Die Zeiten sind vorbei, als ein Grashalm im Wind eine Story war. Es interessiert mich nicht mehr. Ganz einfach. Aber dennoch ist da der Wunsch, zu schreiben. Die Buchstaben fliegen zu lassen. Nur ist die Kunst, das Alphabet durcheinander zu wirbeln, etwas anderes, als der Wunsch, tatsächlich zu schreiben.

Es ist eine mir fremde Ernsthaftigkeit eingezogen. Woher auch immer sie kommt. Wer weiß. Zeiten der Veränderung, des Umbruchs, des Aufbrechens und Ankommens.

So klicke ich mich durch die Bilder der Speicherkarten. Norbert van Ackeren. Die Kuh. Ich liebe sie. Einfach nur eine Kuh, wie ich sie hier den ganzen Sommer über sehe. Ein Portrait. Wunderbar. Ein fester Blick, eine Offenheit, ein Charakter, eine Seele. Egal, ob Tier oder Mensch. Für etwas stehen. Das sein, was man ist. Damit zufrieden sein. Es ist ein schönes Bild, gut gemalt, voller Ausdruck.

In meinem Kopf gibt es kleine Galerie, die ich besuchen kann. Darin gibt es einige Bilder, die ich mal gesehen habe. In Galerien, Museen. Eines ist eine Skulptur aus Pompeji, ein kleiner, zarter Faun. Ich mag es, wenn die Dinge zart sind. Wenn sie etwas Feines ausstrahlen, eine Kraft ohne Aufwand. Ich könnte mir vorstellen, dass die Kuh Einzug halten wird. Genaueres weiß ich erst später. Ich entscheide das nicht. Wir werden sehen.

So weit. Gute Nacht. Morgen noch und dann Ferien. Zwei Wochen. Ich möchte nichts mehr sehen und werde mich mit Viveka einschließen und nur noch zum Feiern rauskommen.

Tanzen, lieben, sterben mit Romeo & Julia in Köln

Es war schön, in Köln viel zu früh anzukommen, um Viveka zu treffen, die dann doch noch einmal weg musste. Also habe ich mir die Nikon geschnappt und habe mich auf den Weg gemacht. Über das Gelände des Carlswerks, auf dem früher einmal Kabel fabriziert wurden. Heute residiert hier übergangsweise das Schauspiel Köln. Im Depot. Wahrscheinlich werden dort sonst die Bühnenbilder und die Ausstattung aufbewahrt, nun ist es der Ort des Geschehens. Bis das neue Schauspielhaus aus Ruinen auferstanden ist.

An diesem Abend wohnen dort Romeo und Julia. Wir befinden uns in der tiefen Vergangenheit Italiens, in Verona und stehen als Zuschauer zwischen den Fronten. Für die Montagues auf der einen Seite? Oder doch für die Capulets?

Wie geht man mit solch altem Stoff um? Was macht man mit dem Klassiker der Klassiker auf der Bühne? Ich war gespannt. Das Programmheft und meine ersten Blicke ins Netz hatten schon ein wenig vom Bühnenbild und den Kostümen gezeigt. Modern, wie es dann so heißt. Was ja nun zunächst nichts heißt. Wer möchte schon Shakespeare im Pumphosen.

Das Saallicht ist noch an, der Vorhang geschlossen, Musik dahinter. Der Vorhang öffnet sich und gibt den Blick frei auf einen Maskenball, wie er im Amnesia auf Ibiza stattfinden könnte. Die Bühne besteht aus Glasboxen, die sich über Türen und Drehtüren öffnen und verändern lassen. Das Glas zeigt das ganze Geschehen. Anfangs hat jeder seine Box. Mal sind die Türen geschlossen und die Stimmen dringen nur über Mikros nach draußen, mal geben sie den Weg frei, um vorne an der Rampe zu spielen.

Wir haben im Stück einiges übersprungen und stürzen uns in das Aufeinandertreffen Romeos und Julias auf dem Kostümball der Capulets. Es wird getanzt. Wild, zeitgemäß, stilvoll. Julias Mutter heizt ein, ist die anfeuernde Gastgeberin. Ein fantastisches Tableau, das lange steht und dem man gerne zuschaut. Eher eine Performance als ein Schauspiel. Schönes Licht, gute Musik, ein spannendes Bild zum Auftakt. Das Ensemble tanzt ziemlich gut. Ich hätte noch lange zusehen können und hätte es einfach als Ballett genommen. Aber wird sind ja erst im zweiten Akt.

Die Geschichte nimmt ihren Lauf. Romeo und Julia. Liebe auf den ersten Blick. Der Zwist der Familien, ein rasender Tybalt, ein erschlagener Mercutio und bald darauf ein erschlagener Tybalt. Was für ein Drama. Rasant gespielt, fesselnde Kampfszenen. Theater, Theater.

Und immer wieder schöne Bilder und Szenen. Die wunderbar gespielte Amme (Sabine Waibel) im Gespräch mit Bruder Lorenzo (Benjamin Höppner). Erst sprechen sie, dann unterhalten sie sich in Zitaten und dann in Songs. Purple Rain. Depeche Mode. Lust am Spiel. Es waren sicherlich muntere Proben. Viel durfte, viel ist geblieben. Es ist schön, wenn Schauspieler dürfen.

Der zarte Moment. Die Balkonszene. So schön gespielt, fein gesprochen. Die Nachtigall. Die Lerche. Zwischen den Zeiten, zwischen den Stühlen. Wollen, dürfen, können. Gehen, bleiben, fliehen. Im Hintergrund nur ein säuselndes Liebespaarknäuel. In einer der Glaskabinen ineinander versunken. Wenn doch nur die Liebe immer die Oberhand behielte. Wenn sie doch die Kraft hätte, all das andere hinweg zu wischen. Wie könnten die beiden in den Sonnenaufgang gehen und die Welt mit Anmut bezaubern.

Wäre da nicht diese Welt. Wären da nicht diese Vorstellungen. Ein Montague? EIN MONTAGUE? Mitnichten. Die Mutter, Julias Mutter, einen Vater gibt es in der schön reduzierten Fassung nicht, hat andere Pläne. Paris soll es sein. Julias Gatte werden. Wo sie doch schon heimlich geheiratet. Romeo, der aus Verona verbannt ist. Hätte er Tybalt in seiner Raserei doch nicht erschlagen…

Ying und Yang. Die Liebe und die Rache vereint sind keine gute Rezeptur. Aber wem sagt man das 2017. Menschen. Es ist ein hin und her. Viel los auf der Bühne. Irgendwo ein Monolog, ein Dialog. Darüber, dahinter, daneben die anderen. Ein wildes Treiben. In einer Szene erheben sich die zerschlagenen Körper von Mercutio und Tybald. Zu Geistern werden sie, die im Raum sind. Zu Boten des Unheils, die im Spiel ihre Bahnen ziehen. Blut ist geflossen, die weiße Weste ist gefärbt. Es macht viel Spaß, dem allen zuzusehen. Romeo und Julia ist gute Unterhaltung. Bei Shakespeare im Buch und an diesem Abend auf der Bühne des Schauspiels Köln.

Es ist bekannt, am Ende ist das Liebespaar gestorben. Auch den Paris rafft es dahin. Die Mutter bleibt, die stark aufspielende Yvon Jansen, die kalt und warm und herrisch und besessen und mütterlich kann. Am Ende gab es viel Applaus für das Ensemble, für Romeo & Julia, für Thomas Brandt und Kristin Steffen, die auch im Verneigen nicht voneinander lassen konnten. So hat die Liebe doch gewonnen, denn der letzte Vorhang ist auch nur eine Vorstellung.

Saturday Night in Köln

Samstagnacht in Köln. Wir wollten uns mit Barbara und Norbert treffen. Eigentlich hier in Mühlhausen, aber die Wochenenden bei Künstlerfreunden sind rar. Auftritte, Jobs. So haben wir uns im Belgischen Viertel verabredet. In der Malschule Reinkarnation. Ein Auftritt von Barbara und Doris mit ihrem Programm Interstellar. Gerne. Immer wieder gerne.

Wir konnten in Barbaras Wohnung schlafen. Von dort haben wir uns am frühen Abend aufgemacht. Von Deutz an den Rhein auf die gegenüberliegende Seite des Doms. Die Sonne ging unter, die Betonstufen am Ufer waren voller Menschen. Es war warm im Oktober, ein Wettergeschenk, eine Sommerverlängerung.

Dort saßen wir und schauten wie alle. Dann machten wir uns auf den Weg. Über die Kaiser-Wilhelm-Brücke quer durch die Stadt ins belgische Viertel. Der Auftritt. Wir kamen zu spät. Ich hatte die Einladung falsch gelesen. 19.30 statt 19.00. Ohne Brille. Egal. Wir sahen, hörten das Ende und tauchten ein, halfen beim Abbau, verstauten die Bühne im Kombi und ergatterten einen Tisch draußen in einer Pizzeria. Aßen, tranken, lachten, lebten Köln. So schön. Mit Doris und Martin, Norbert kam später aus Düsseldorf und irgendwann fanden wir uns tanzend in der Wohngemeinschaft wieder. In der Bar zum Hotel, in dem Viveka und ich früher einmal im Fotografenzimmer übernachtet hatten. Wir tanzten und irgendwann war es 5 Uhr morgens. Wie die Zeit vergeht. Und wir machten uns auf den Weg nach Deutz. Mit niemandem bin ich so gerne unterwegs wie mit Viveka. Schlendern, schauen, staunen, lachen. Um 05:40 Uhr im Bett. Glücklich. Kölner Nächte.

DAVIDs DISPOSITION im Kulturhaus Zanders

David Grasekamp stellt aus. In Bergisch Gladbach im Kulturhaus Zanders. Sie haben ihm die Villa gegeben und er durfte. Wie er wollte. Hat er getan.

Was er getan hat, ist wild. Es wirkt. Anders, als man vermutet. Unter DIS-POSITIONEN verspricht er im Ausstellungsflyer Meditationen / Installationen / Objekte zur Malerei. Neben der Beschreibung steht ein Zitat von Ludger Schwarte aus seiner Veröffentlichung Notate für eine künftige Kunst. Unter anderem heißt es da: Eigenschaften der Dinge, Formen, Farben, Gerüche, Tönungen und Töne sind nicht die Grenzen, in denen Dinge eingeschlossen sind, die Differenz zu anderen Dingen, sondern die Weise, wie ein Ding in einem Raum wirkt, die Anwesenheit, die von einem Ding ausgeht.

So.

Wir nähern uns. DAVID hat das auch gemacht. Er hat sich zunächst in seinem bisherigen Kunstleben dieser Ausstellung genähert. Dann hat er für uns Zuschauer und Gäste in einer eindringlichen, sehr ruhigen, besonnenen Einführung Brücken gebaut. Danke. Es braucht den Kontext. Nicht, weil die Werke nicht für sich sprechen. Nein. Weil es um etwas Größeres geht. Das Zitat lässt es schon erahnen, in dieser Ausstellung ist etwas Theoretisches im Konkreten hinterlegt. Es ist eine tiefe Auseinandersetzung mit Kunst und insbesondere mit der Malerei.

Und so kommt es letztlich tatsächlich weniger auf die Objekte an, sondern auf die Botschaft. DISPOSITION. Etwas steht zur DISPOSITION. Es kann gegebenenfalls wegfallen.Ersetzt werden oder einfach auch aufgelöst. DAVID hat die Malerei in dieser Ausstellung dem Betrachter konsequent entzogen. Es gibt keine Malerei von DAVID im Kulturhaus Zanders.

Was macht er da? Er verweigert. Er malt nicht. Da sind weiße Leinwände. Da hängt eine bespannte Leinwand an der Wand und das Tuch ist an drei Seiten herausgeschnitten. Nach vorne gefallen liegt es auf dem Boden. Fast könnte man meinen, das Bild würde einem die Zunge herausstrecken.

In einer Ecke steht ein Bild in schwarze Folie verpackt. Kein Einblick. Auf einer Fensterbank liegen bespannte Rahmen übereinander. Vielleicht 10 Stück. Man ahnt, dass sie schwarz bemalt sind. Das obere zeigt den Rücken. Einblick verweigert. Kein Zugang. Auf einem Paletten-Hubwagen liegen in schwarze Folie verpackte Bilder. Kein Einblick. In einem Raum stehen verschlossene Transportkisten einer Kunstspedition. Verschlossen. An einer Wand steht eine monströse Leinwand. Weiß. Nichts. Nichts?

DAVID fordert die Betrachter. Aber nicht nur das. Er fordert die gesamte Kunstwelt. Was ist diese Kunst heute? Was sind die Kunstmessen in Basel und Köln? Was sind diese bespannten, bemalten Rahmen? Weshalb hat die Deutsche Bank in London dieses museale Foyer mit diesen riesigen Schinken zeitgenössischer Malerei? Ein wenig ist es wie im Fußball. Neymar für 220 Millionen zu St. Germain. Der Baselitz für. Der Beuys. Koons. Richter. Johns. Ein Lehmklumpen für Jonathan Meese. Hände rein, mansch-mansch, verkauft. Das Original.

Was sehen wir eigentlich, wenn wir Kunst sehen? Was sind die Kriterien? Und weshalb wird immer verglichen? Der mit dem. Jenes mit solchem.

DISPOSITION wirkt wie ein Weißabgleich. Alles auf NULL. Das habe ich gespürt, als ich in dem Raum saß. Ein kleiner Raum, zwei Fenster, eine Tür, ein Stuhl, eine weiße Wand und der Betrachter. In diesem Fall ich. DAVIDs Worte im Ohr, die Nicht-Malerei im Blick, die Projektionsfläche von einem Malermeister geweißt. Was weiß ich über Malerei? Was weiß ich über Kunst? In dieser Ausstellung verschwinden die Formen, die gemalten Inhalte, die Pinselstriche, all die Dinge, die zu sehen sind. Keine Farben. Weißabgleich im Kopf, im Hirn. Schaut doch mal hin! Seht doch mal hin! Spürt doch mal nach! Haut euch doch all die Kunst nicht wie Fastfood rein. Schlange stehen am Louvre und dann zur Mona Lisa, 35 Sekunden. Wie war die Mona Lisa? Gut. Echt gut. Schon richtig gut gemalt. Sollte man mal gesehen haben. Wie war die Ausstellung? Was hast du empfunden? Welche Gedanken hast du? Was macht das mit dir? Respekt erweisen. Möglichkeiten nutzen. Denkende, wahrnehmende, mitarbeitende Gesellschaft sein.

Ich mag die Ausstellung DISPOSITION sehr. Sie ist intelligent, sie ist rational auf den Punkt durchdacht und darüber hinaus ist sie hoch emotional, weil sie ermutigt, nachzudenken und nachzuempfinden. Es ist emotional ästhetisch, nicht hinter die Folien schauen zu können. Es ist der Gedanke, dass Kunst nicht liefern muss. Das sie nicht verpflichtet ist, sich uns in Schönheit, Krassheit, Anmut oder Botschaft zu präsentieren. Einen Scheiß muss sie. Nichts muss sie. Sie gehört sich allein und darf sich verschließen und tun und lassen, was sie will. Das ist die Freiheit der Kunst, die gerade beschnitten wird. Auf unterschiedliche Art. Der Streit um die politische Korrektheit und das Verschwinden von Werken, die nicht passen, weil sie anstößig sein könnten in ihren Positionen. Das hat Bedeutung für die Malerei. Das ist eine starke Vorgabe, was auf die Leinwand darf. Und was nicht.

DISPOSITION ist eine kraftvolle Neuausrichtung. DISPOSITION hat mit der Eröffnung am 3. September 2017 etwas sehr Neues erschaffen. Eine Stunde Null. Fangt noch einmal neu an. Die Welt der Leinwände ist weiß und frei und grenzenlos. In der Verweigerung der Farben ist DISPOSITION eine Auslöschung, die mit den wunderbaren Mitteln der Kunst Kunst und seine Konsumenten hinterfragt und inspiriert. DAVID sprach von Dystopie und Utopie. Es gibt eine Verzweiflung und eine Hoffnung. David Grasekamp hat sich dem Thema mit einer immensen Kraft und Klarheit gestellt. Die Ausstellung sollte über die Tate ins Guggenheim ziehen. Aber letztlich ist es egal, wo sie stattfindet. Der Gedanke ist ausgesprochen und in der Welt. Und da gehört er hin. Als Leuchtschrift oben an den Himmel über alles.

Wenn ich wie du Leser dieser Zeilen wäre, würde ich die Gelegenheit nutzen und mir die Ausstellung ansehen. Die Ausstellung läuft bis zum 24. September, hat außer montags und freitags täglich von 11 bis 19 Uhr geöffnet. Und das Beste: DAVID ist da. Immer. Ansprechbar. Macht mal, geht mal hin. Lohnt sich wie selten.

Weitere Infos hier.

INTERSTELLAR 2 2 7 und die SUPERNOVA in Köln

“Eine Supernova (Plural Supernovæ, eingedeutscht Supernovae oder Supernovä) ist das kurzzeitige, helle Aufleuchten eines massereichen Sterns am Ende seiner Lebenszeit durch eine Explosion, bei der der ursprüngliche Stern selbst vernichtet wird. Die Leuchtkraft des Sterns nimmt dabei millionen- bis milliardenfach zu, er wird für kurze Zeit so hell wie eine ganze Galaxie.”

Muss man dann auch nochmal nachlesen im Wiki. Und INTERSTELLAR ist die Sache mit irgendwo zwischen den Sternen. Flieger, grüß mir die Sonne, grüß mir die Sterne und grüß mir den Mond. Nehmen wir die Ingredienzen und packen sie in den Mixer und drücken PUSH. ZACK. Aus der kleinen Schublade unten ziehen wir die Summe unserer Sehnsüchte des Moments.

Können wir Kunst ohne das betrachten, das um uns herum geschieht? NRW-Landtagswahl, old Mc Donald Trump, Syrien. Zwischen den Sternen, im Raum. Leben und Wirken in 3D. Der Himmel über uns, die Sterne so weit. “Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.” Die Träume kehren zurück und landen hart auf dem Boden der Tatsache. Wenn die Zeiten verwaltet werden, wenn die Hoffnung darin liegt, dass es irgendwann einmal wieder andere Schlagzeilen gibt. Leben im Postideologischen. Vakuum im Denken. Fokussierung des Materiellen. Make irgendeinen Scheiß great again.

Theater der Keller in Köln. Es geht einige Stufen hinunter an der Bar vorbei, an der wir die vorbestellten Karten abholen. Wenn ich nach all den Jahren Theater betrete, kehrt dieses alte Raum-Zeit-Gefühl zurück, die tiefer gelegten Erinnerungen. Das Luftflimmern der Premierenabende. Alle sind da. Die Freunde, die Kunstliebenden, die sich auf das Abheben in andere Welten freuen. Den Countdown in sich tragen, die Bereitschaft, die Atmosphäre zu verlassen und gegebenenfalls beim Wiedereintritt zu verglühen.

Die erste Reihe ist bedenklich frei, als ob es um die Platzverteilung am ersten Tag nach den Sommerferien geht. Nun. Weshalb nicht. Direkt rein, mittendrin, eintauchen. Die Lichter gehen aus, es wird dunkel. Die vielverheißenden Bühnenrequisiten verschwinden im Nachthimmel. INTERSTELLAR, oben die langsam aufleuchtenden Sterne des Theaterhimmels. Barbara Schachtner betritt den Raum. Im Sternengewand. Weite weiße Bluse, später eine Videoleinwand, silberne Hose, rote Augenbrauen, ein Notenblatt auf den Rücken geheftet, auf dem die kleinen bekannten runden Kreise fehlen. Irgendwie sind es andere Zeichen. Neue Musik. Wir sind in einem anderen Universum. Dorrit Bauerecker betritt den Raum. Kastagnetten klacken, Absätze. Pfeiftöne, Mundlaute. Minimalismus, jeder Ton zählt.

Die beiden sind das, was man Vollblutmusikerinnen nennen könnte. Dazu sind sie Schauspielerinnen, Freundinnen, Video- und Performancekünstlerinnen, die sich im Raum bewegen, tanzen, und Frauen, die künstlerisch Neuland betreten. Zu den Sternen fliegen. Sich nicht auf das Bestehende verlassen, das Bestehende nutzen, um Gas zu geben.

Und so geschieht an diesem Abend alles auf der Bühne. Die Sinne sämtlich bekommen ihre Goodies und dürfen sich im Raum fallen lassen. In immer neuen Konstellationen und starken Bildern entfaltet sich das Geschehen. Die SUPERNOVA in Bild und Klang. Konzert, Performance, Rauminstallation. Vieles könnte man in Skulpturen einfrieren. Loops sind zu hören, Stimmen. Barbara dreht sich mit Dorrits kleinem Klavier in den Armen und Dorrit spielt darauf. Planeten kreisen umeinander. Ein riesiger Lampenreflektor wird zum grün erleuchteten Singrohr, in dem Barbaras Gesicht und Stimme erscheinen. Die Sonne im Raum, die SUPERNOVA, eine der SUPERNOVAS des Abends. Alles ist sehr dicht, kompakt inszeniert. Zum Klang kommt noch ein Bild, noch ein Licht, noch eine Bewegung, noch ein Miteinander.

Es ist ein tolles Licht, es sind faszinierende Bilder, es sind neue Kompositionen und Lieder. Die Reise durchs All dauert die Minuten über eine Stunde hinaus lang. Dichte Minuten in immer neuen interstellaren Klanginstallationen. Die Melodika wird zum Klavier. Barbara sorgt mit einer großen Luftpumpe für den nötigen Atem, Dorrit spielt. Sie spielen, die beiden. Mit dem Klavier, dem Keyboard, dem Mini-Klavier, mit den Stimmen, mit allem. Mit dem rauschenden Radio auf der Steele. Die Zackbox mit den leuchtenden Lampen. Im Zusammenspiel und Zusammenklang sind es die Kompositionen der Zeit, die Geräusche unseres Lebens, eine Reflexion des Gegebenen.

Zwischendurch sehe ich Dorrit ein Notenblatt zur Seite legen. Ich weiß nicht, wen oder was die beiden spielen. Es ist nicht wichtig, es sind nicht die Namen. Haydn & Co. KG. Es ist der Mut, der Zeit vorauszueilen, das ganz Eigene zu machen. Das nie zuvor Dagewesene. Im interstellaren Raum sind es nicht die Interpretationen, es sind die neuen Begegnungen. Das ist das Inspirierende.

Am Ende das Lied, in dem es darum geht, das zu tun, was man liebt. Ein Universum, in dem mehr Supernovas aufleuchten bis zum Verglühen.

Wir konnten dann noch den Abend gemeinsam verbringen. Die Bühne aufräumen, INTERSTELLAR 2 2 7 für die folgende Tournee in Autos räumen, Premierenfeier im Foyer, weiter in ein Restaurant… Ein beseelter Abend. Ein weiteres Stück Interstellar auch in mir. Das ist gut.

Barbara Schachtner: Stimme, Gesang, Looper, Video
Dorrit Bauerecker: Klavier, Akkordeon, Toypiano, Melodika
Sandra Reitmayer (Regie), Sabine Seume (Coaching in Choreographie), Norbert van Ackeren (Bühnenausstattung)