Nord, Nord-Ost

Kein Spiel mehr
fürs Ich
die Wanten verwaist
der Kurs in Marmor geprügelt

Voran

Füße
in kalten Stiefeln
Nord, Nord-Ost
ins Reich der Götter

Wind pfeift
der Bug knarzt
bäumt sich
im Meer

Kalte, salzige Wellen
durchs
faltige Gesicht

Kein Umdrehen mehr
kein Süden
kein Fluchen
kein Huren
die letzte Frau ist
von Bord

Die Hand hält
das Seil zieht Linien
in die Fläche
am Schwielengrad
entlang

Geschichte
geschrieben
geschrien
lotsenlos

jens schönlau, januar 2011

Erinnerungsflash, Midlife

1976, im Sommer
Randalierend im Knast von Renesse
Gegen Laternen getreten, Handschellen
Blaulicht
Am Nachmittag, Sport blau gemacht
Geschlafen mit der Tochter der Sportlehrerin
Immatrikuliert, demonstriert gegen die Schließung
Ästhetik des Widerstands gelesen, zwei Jahre
Frauen, jung
Am Theater Wolokolamsker Chaussee
Heiner Müller in Leipzig, gesehen
Seinen weggeworfenen Zigarrenstummel in der Hand
In Goethes Theater Bad Lauchstädt wegen Paul geweint
VERKOMMENES UFER MEDEAMATERIAL LANDSCHAFT MIT ARGONAUTEN
Champagner im Garten, Erdbeeren
Blut und Sperma auf dem Bild aus Öl
Auf der Bühne, Berlin, Jerofejew – ich Kolja
Franz, oh Franz, inszeniert im Untergang
Heinrich, Erna, Aenne, Sabine, Büse, Beatrix, Gunnar gestorben
Gelacht
Geschrieben Gedichte, vier Stücke
Verzweifelt
Old School, nicht geheiratet
Familie, Anfang, Geburt
Nerven
Immer wieder Italien
Italienische Reise
Das Meer
Neu
2011

jens schönlau, januar 2011

Am Morgen, Meerjungfrau

Sonnenaufgang am Winterhorizont
Rechts von Osten
Stapfe, stapfe durch den Schnee, Sand
Den Hügel, die Düne hinauf
von den Gezeiten hergespült
im Rhythmus, gleichen Takt
sechs, zwölf, achtzehn, vierundzwanzig

Der Ozean wartet wie jeden Morgen
der Wind hat in der Nacht
die Wellen allesamt per Hand gemalt
gezeichnet, filigran geschwungen

Wie Muscheln liegen die Blätter des Herbstes
verteilt
so ruhig, bescheiden, demütig
im weiten, weißen Bett

Der Baum mein Baum der Baum des Meeres
mit Füßen streif ich eine Linie
um dich rum
und locke dich Meerjungfrau
deinen Gesang dein alles
dich
auf meine, unsre Insel
Island in the Sun

Tätowiert
den Rücken hinauf über die Schulter
die Ranke japanische Schriftzeichen
eine ganze Geschichte
am Hals vorbei bis zur
runden, runden Brust

Komm
wir werden miteinander schlafen
im Meeresrauschen
unterm Baum
entschlüsseln deine Zeichen
wundersame Meerjungfrau
am Morgen

jens schönlau, dezember 2010

Bär, tanzt in mir

für filo

Im Nebelmantel
der kratztanzende Bär
mit plumpstoßenden Tatzen
im Wirbel der Blicke

Stoße dich weg
mit der Faust
auf die Brust
die Striemen
der Krallen
egal

Du glaubst
du bist stark
Tanzbär

Mit Kraft aller Welten
schnapp ich deine Kehle
und halt dich umschlossen
im friedlichen Kuss

Wir werden uns drehen
kratzpfotiges Wesen
und Streifen am Boden
gemeinsamer Zeit
hinterlassen

Du trottest
gehst weg
ich weine
um dich
deine Augen
dein Blick
dein felliger Körper
die Schwere
der Taten

jens schönlau, november 2010

Er, Südwind

In einem weiten grünen Bett
liegt sie
mit nacktem Körper
und träumt
von andren Dingen

Von Süden
weht er
lächelnd ran

Augen schließend sanft
und voller Kraft
sinkt er
zu ihr herab

Im leichten Flug
berührt er kurz
ihr Haar
ein Hauch

Erfasst die
Gänsehaut
der Brüste

Berührt mit einem
Flügelschlag
des Schmetterlings
die aufgestellten
Spitzen

Streicht über ihren
Bauch
durchweht ihr Haar
ganz kurz

Und hört noch
diesen kurzen Laut

Ein Augenblick
wie eine ganze Nacht

Flieg jetzt zum Meer
und bald
komm ich
vielleicht
zurück

jens schönlau, november 2010