Mit Mama über die Weltlage gesprochen

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Heute war ich im homeoffice. Irgendwann rief mein geschätzter Kollege an, ob ich schon von Belgien gehört hätte? Nee, hatte ich nicht. Ein Kunde von uns ist seit Montag in Brüssel und heute hätte eine Messe begonnen. Hätte. Später habe ich mit unserem Kunden telefoniert, nachdem er irgendwann das Messegelände verlassen konnte. Nah dran. Das fühlt sich anders an.

Bomben mitten in Europa, nicht am Rande in der Ukraine, im Zentrum, in Brüssel.

Am frühen Abend hat meine Mama angerufen. Ihr Freund ist im Krankenhaus. Wir haben gesprochen, Mutter, Sohn. In meinem Leben habe ich viel mit ihr geredet. Mein Vater war durch seinen Schlaganfall und die linksseitige Lähmung auch als Vater gehandicaped, da hat meine Mutter übernommen. Das hat bei mir ein paar Dinge durcheinander gebracht. Männlich, weiblich. Ich weiß dieses Durcheinander zu schätzen, es ist eine etwas andere Perspektive, so ein paar Grad verschoben. Es war nicht einfach, zu lernen damit umzugehen und das als eine gute Eigenschaft zu sehen. Hat gedauert. Nun.

Durch den engen Kontakt zu meiner Mutter war mir das Weibliche immer nah. Kürzlich hat jemand einen Text von mir gelesen, ohne zu wissen, von wem er war. Als raus kam, dass ich ihn geschrieben habe, meinte er: Ah, ich hatte gedacht, den hätte eine Frau geschrieben.

Nun, was immer das bedeutet. Aber Fakt ist: Dieser Blog wird überwiegend von Frauen gelesen. Ist auf jeden Fall kein Männerding. Ich denke, das ist letztlich meiner Mama geschuldet, mit der ich heute am Telefon über die Welt geredet habe. Ihre Meinung gefällt mir. Sie meinte: Das ist alles, weil das Internet die Welt so klein gemacht hat.

Das Internet hat die Welt verändert, keine Frage. Gibt es da tatsächlich Parallelen? Der neue Markt Ende der Neunziger, die Web-Start ups, der Boom, die Türme. Seither passieren Dinge, die nicht schön sind. Schneeballeffekt. Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen. London, Madrid, Paris, Ankara, Brüssel. Anschläge hier, Anschläge dort. Ganz zu schweigen von Bagdad.

Parallel findet allerorten Radikalisierung statt. Die Türkei grenzt systematisch Demokratie ein. Ungarn, Polen. Im Amerika schickt sich Trump an, für die Republikaner und gegen den Willen der Republikaner um das Präsidentenamt zu kandidieren. Mit radikalen Ansichten. Und in Deutschland gewinnt eine rechte, in Teilen offen rassistische Partei bei Landtagswahlen 24, 15 und 12 % der Stimmen.

Es ist ein großes Geschrei dort draußen. Meine Mutter ist entsetzt wegen all des Gebarens. Ich denke, für sie ist das alles eine Sache schlechter Erziehung. So geht man mit Menschen nicht um. Wenn früher ein Hausierer an unserer Tür schellte, hat meine Mutter ihm kein Geld gegeben. Sie hat gefragt, ob er Hunger habe und hat ihm ein Brot geschmiert und etwas zu essen eingepackt. Mein Vater hat Menschen in Not mit nach Hause gebracht und bei uns übernachten lassen. Eine Kollegin von ihm war Zuhause verprügelt worden, da hat sie eine Woche im Zimmer meines Bruders gewohnt. Er war zu mir und meinem kleinen Bruder ins Zimmer gezogen. Es gibt viele Begebenheiten.

Ich schreibe das, weil ich meine Eltern für Ihre Humanität schätze. Humanität. Menschlichkeit.

Islamischer Staat, Donald Trump, diese neue Partei in Deutschland, die Werte der Menschlichkeit negiert und einfach, ein genialer Trick, als Lüge bezeichnet. Und viele folgen der feinen Flötenmelodie, weil sie Auflehnung dagegen verkündet. Das Prinzip ist so: Wir leben angeblich gar nicht in einer freien, demokratischen Gesellschaft, sondern sind fremdbestimmt durch verborgene, fremde Kräfte, die uns unterwandern. Das hat niemand gemerkt und viele sind in diese Unterwanderung eingebunden, weshalb alle lügen. Wenn man sich nun nicht dagegen stellt und das verlogen Etablierte nicht angreift, wegwischt, dann übernehmen Ausländer, der Islam oder links verspinnerte Gutmenschen das Land und sorgen für den Ausverkauf und Untergang. WÖHRETT DEN ANNFÄNGGGEN.

Die Gegenwehr ist bislang leider schwach. Sehr schwach. Was ich auf Facebook lese, ist der Versuch, den politischen Feind mit althergebrachten Mitteln zu bekämpfen. Auseinandernehmen, intelektuell sezieren und das Verwerfliche aufbereiten und dann mit Häme überschütten. Ich habe den Eindruck, dass das ziemlich schlecht funktioniert. Weil das die Menschen, die zum Beispiel oft bislang Nichtwähler waren und endlich eine vermeintlich gute politische Heimat gefunden haben, nicht interessiert. Im Gegenteil, die mittlerweile konventionell gewordenen Mittel des einst revolutionären linken Kampfes werden als Beweismittel für die Unterwanderung durch Lug und Trug gesehen.

Lug und Trug stehen dabei für falsch verstandene Werte. Für eine Atmosphäre der moralischen Integrität, in der man nichts mehr sagen darf. Vor allem nicht die Wahrheit. Und diese Wahrheit ist? Diese vermeintliche Wahrheit ist das, was diese neue Partei verkörpert. Und was verkörpert sie? Im Grunde das, was früher als der Stammtisch bezeichnet wurde. Was früher jedoch bierselig als stramm provokant rechts hinter verschlossenen Kneipentüren ausposaunt wurde: “Die müsste man alle…”, wird nun auf Marktplätzen, über soziale Medien und durchs Fernsehen multipliziert und multipliziert und multipliziert. Der Aufstieg hat sich mit rasender Geschwindigkeit vollzogen. Aus dem Stand die 5 % Hürden reihenweise übersprungen. Und alle haben diese Kampagne getragen. Die Talkshows, die sozialen Medien, die Presse – alle haben sich in ihrem Kampf gegen die neue Partei zu Multiplikatoren, zu Bühnen, zu Reichweitenverbreitern gemacht. Wie oft habe ich das Logo gesehen. Natürlich mit einem verunglimpfenden Spruch versehen. Letztlich hat das die Partei bekannt und bekannter und zu einer Marke gemacht. Zu einer attraktiven Marke, mit der sich zu viele identifizieren.

Und ja, da hat meine Mutter Recht, denke ich. Das Internet beschleunigt das alles. Hier treffen sich alle. Auch die, die sich politisch schon verloren gegeben hatten und nun plötzlich Aufwind spüren. Die Skepsis, das Dagegen hat HEIMAT. Das funktioniert nicht nur in Deutschland. Unzufriedene weltweit finden zusammen. Unter schwarzem Banner mit weißer Schrift, unter weißen Halbmonden und auch unter Sternenbannern.

Woher kommt all diese globale Unzufriedenheit? All diese Bereitschaft zu Tod und Krieg und Schande? Weil die Welt ungerecht ist? Geht es um Geld, Öl, Macht?

Paris, Belgien. Auf Facebook hatte jemand geposted: Je suis sick of this.

Meine Mutter meinte, es müsste einem was einfallen, was man der Welt geben kann, dass sie sich besinnt. Würde ich jetzt sagen, dieser Einfall wäre das Wort Liebe, dann würde ich mich der Lüge und des Gutmenschentums verdächtig machen. Egal. LIEBE. Nur weil das Wort so schön ist.

Nun, dann sagen wir zumindest: Respekt. Ein höfliches, zuvorkommendes Miteinander, wie man es an einer guten Nachbarschaft schätzt. Nur: jemand müsste anfangen. Mir würde es gefallen, wenn Europa den ersten Schritt täte. Das gute, alte, heute erneut verwundete Europa.

Der IS weiß, was er tut. Er sät Hass und freut sich über all die Pflänzchen, die aufgehen. Er züchtet sich Feinde im Glashaus Europa, in dem die Wachstumsbedingungen immer besser werden. Brüssel war frischer Dünger für den Hass. Schließlich können jetzt all diese Parteien da draußen rechts sagen: Siehste! Und sie können die Finger erheben und zeigen, wohin die Lüge geführt hat. Weich sein, ist in ihren Augen die Lüge, hart sein die Wahrheit. Die einzige Sprache. Man muss zurückschlagen, denken sie, man muss harte Maßnahmen ergreifen, sagen sie. Und sie bekommen Applaus.

Wenn auf zwei Seiten Hass wächst, wird am Ende des Tages nichts Gutes dabei rauskommen. Minus und Minus wird nur in der Mathematik zu Plus. Im wahren Leben endet das in Tränen.

6 Antworten auf „Mit Mama über die Weltlage gesprochen“

  1. “Ihre Meinung gefällt mir. Sie meinte: Das ist alles, weil das Internet die Welt so klein gemacht hat.”
    Liebe Gruesse an Deine Mutter, die es auf den Punkt gebracht hat.

  2. Ja, schlimm was gerade ab geht. Wurde die Messe denn auch abgesagt und abgeriegelt? So aus der Ferne kann ich mir sowas garnicht vorstellen.

  3. Ich sehe es wie deine Mama. Das Internet hat die Welt so klein gemacht. Vor allem hat es sie schnell gemacht. Die Schnelligkeit hindert die Menschen am Denken. Schnell schnell einen Tweet absetzen, schnell einen Kommentar tippen, schnell ein Post schreiben … nur schnell, bevor es andere tun. Schnell liken, schnell teilen, nur nicht erst Zeit nehmen zum Nachdenken, Lesen, Überprüfen, Abwägen … mir macht diese neue Geschwindigkeit oft Angst. Manchmal möchte ich mich aus allem ausklinken. FB habe ich schon lange gelöscht, trotzdem bin ich noch bei Twitter, nutze das Netz für meinen Blog, meine Kontakte … nur meine Bücher schreibe ich ganz altmodisch per Hand. Was können wir tun? Respekt. Ja. Liebe. Ja. Langsamkeit? Für mich wäre das ganz wichtig. Neue Entdeckung der Langsamkeit. Ruhe rein bringen in diesen tosenden wirbelnden immer mehr außer Kontrolle geratenden Planeten.
    Wie gesagt, manchmal möchte ich einfach abhauen. Irgendwo raus aufs Land. Weit weg von Internet und Nachrichten aus aller Welt. Kopf in den Sand. Gemüse anbauen. Schön am Meer sitzen und Sonnenuntergänge betrachten, während auf der anderen Seite Kriege toben. Aber eine Lösung wäre das nicht. Nur eine sehr persönliche Flucht. Ich weiß es nicht. Ich weiß ehrlich nicht, was ich tun, wie ich tun soll. Ich habe fünf Kinder. Was soll ich ihnen mit auf den Weg geben?

    fragt
    Jutta

    1. Liebe Jutta,

      es bleibt kaum Zeit im Alltag, sich den Dingen zu verschreiben. Mein Sohn macht Abi, meine Tochter den Führerschein und geht schulisch auch auf die Schlussgerade. Ich habe arbeitstechnisch viel zu tun und der Hausverkauf hier ist auch fordernd. Menschen sehen und fühlen, die hier vielleicht bald einziehen werden. Und dann das Draußen.

      Eines ist klar, fliehen und abkapseln geht nicht. Wir müssen in dieser Demokratie zusammenstehen. Mit allen. Das bedeutet auch, Position zu beziehen. Wir alle zahlen mit unseren Gedanken ein in das Ganze. Dieser Effekt, Feindschaften aufzubauen, Mauern zu errichten, Schuld zuzuweisen, macht es in der Zukunft schwierig, gut miteinander auszukommen. Man muss reden. International. Gräben überwinden, weiter an Frieden glauben und Frieden fordern.

      Frieden auch im eigenen Lande. Aufpassen mit Verunglipfungen im Affekt. Schauen, was dahinter steckt? Was hat die Menschen an die Urnen zum Rechtsaußenwählen gebracht? Das ist doch eine Botschaft. Da gibt es Zweifel. Das Aufstehen gegen Rechts ist eine Gratwanderung. Scheinbar wurden viele Bürger/innen von der Demokratie nicht mehr richtig mitgenommen. Manche haben scheinbar den Glauben verloren. Das Wort Lüge steht nun auch für Vertrauensverlust. Wo ist das Vertrauen versickert? ADAC, VW, Steuerhinterziehungen, Unaufrichtigkeiten.

      Wir sollten einfach dran bleiben, ohne zu verzweifeln. Der Frühling kommt, Ostern. Ich fahre nach Hamburg und werde die Zeit im Guten mitnehmen. Auch Fröhlichbleiben ist ein Beitrag. Wir wollen ja nicht grau und mutlos werden.

      Lächeln. Küssen. Lächeln.

      Liebe Grüße, frohe Ostern

      Jens

      P.S. – ich liebe nach wie vor Facebook und all die Geschichten, verstehe aber, was du meinst. Ein Facebook-Freund hat uns eine wunderbare Hamburg-Tour zusammengestellt. Freude:)

  4. Der Inhalt ist sehr wahr, ich wünschte es gebe ein Superlativ von “wahr”, doch allein dieser Wunsch zeigt, dass es einfach zu viele Meinungen gibt, die als die “wahre” angesehen wird, kein Pluraismus mehr, sondern Dogmatismus.
    Bitte schreibe weiterhin so wahre Texte, die die Sachen auf den Punkt bringen.
    Außerdem ist der Beitrag sehr schön geschrieben, manche Sätze habe ich mehrmals gelesen, weil die Ästhetik der Sätze meine Ansprüche an einen politischen Text übertroffen haben.

    Liebe Grüße,

    Leoxless

    P.S. beim ersten Text, den ich von dir gelesen hatte, wusste ich du seist männlich. höhö.

    1. Liebe Leoxless,

      herzlichen Dank für diesen und jenen Kommentar. Sie sind in diesem Blog selten geworden. Mir ist die Muße für das schriftliche Gespräch abhanden gekommen. Nur noch ab und an.

      Es ist tatsächlich ein nicht ganz einfaches Ding, ein wahres Gefühl für all das zu entwickeln. Nun, die geradlinig konsequenten Positionen mit Couleur lassen sich lauthals vertreten. Geht man in den inneren Diskurs, wird der Untergrund schnell schwammig, weil alles nicht so einfach ist, wie es die vorweg getragene Fahne verkünden mag.

      Ich freue mich, dass dir der Text und die Sprache gefallen haben. Natürlich höre ich das durchaus gerne.

      Herzliche Grüße

      Jens

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