Muss auch mal ohne dich gehen…

Also so dauernd bei mir, sorry, das geht nicht. Das engt mich ein. Total. Ich fühle mich, als würde ich an der Leine gehen. Ja, wir sind lange zusammen, miteinander verwachsen, haben viel erlebt und vor allem viel miteinander gesprochen. Du flüsterst mir Sachen ins Ohr und bist manchmal meine Verbindung zur Welt. Tatsächlich. Ich kann nur sagen, du bist mir wirklich wichtig.

Nur manchmal eben, da ist es schöner, frei zu sein. Kürzlich war ich in Köln und du kamst nicht mit. Bist Zuhause geblieben. Auf der Autobahn dachte ich: Mist, jetzt bin ich ohne dich gefahren. Du hast mir gefehlt, es war ein kleiner Schock, Stich im Herz. Dann aber wurde mir klar, dass ich frei war, von der Leine gelassen. Und da habe ich mir vorgenommen, dich einfach öfter mal Zuhause zu lassen. Zum Beispiel gestern auf dem Weihnachtsbasar in der Schule. Der ist immer so schön feierlich. Die Frauen singen, Bläser treten auf, es wird Theater gespielt, es werden Märchen gelesen, Kerzen gezogen, Schiffchen gepustet. Es gibt kleine Cafes und Restaurants in den Klassenzimmern. Zeit für Gespräche. Du lagst währenddessen zu Hause, hast aufgetankt, hast dich aufgeladen und ich war ungebunden. Ein schönes Gefühl.

Im Kindertheater saß ich. Sack & Pack. Ein One-Man-Figurentheater. Wunderschön liebevoll. Ganz ruhig, märchenhaft. Da meinte der Theatermacher, dass es an der Zeit wäre, die Handys auszuschalten. Die Eltern neben mir, ein Paar, zückten die rauchenden Kommunikationscolts und bliesen ihnen den Atem aus. Das musste ich nicht tun, denn ich habe dich Zuhause gelassen, bin ohne dich gefahren. Saß dort unerreichbar. FREI! Denn: Wozu? Ständig und immer erreichbar? Nö. Klar, während der Woche für meine Kunden, wenn ich mit den Kindern unterwegs bin oder Termine habe. Aber doch nicht dauernd. Ich habe mit dem Vater im Theater neben mir kurz gesprochen. Er meinte, ohne würde er sich nackt fühlen. Das wäre immer dabei. Ich habe ihm gesagt, ich würde es jetzt öfter einfach einmal nicht mitnehmen. Würde mich offline schalten. Bewusst nicht zur Verfügung stehen, es niemandem erlauben, mich anzurufen bzw. zu erreichen. Es kann ja eine Nachricht hinterlassen werden. Weihnachtsbasar. Besinnlichkeit. Da möchte ich nicht mit einem Telefon am Ohr stehen. Deshalb, mein liebes Handy, habe ich für mich beschlossen: Es muss auch mal ohne dich gehen…

7 Antworten auf „Muss auch mal ohne dich gehen…“

  1. Guten Morgen, Jens,

    ja, Du kannst es. Was? Wie? Deine Leser an die Wort-, nein, Wörter-Kette legen. Du läßt sie nicht los. Nein, sie lassen nicht los. Du verstehst es, Spannung aufzubauen. Damit wir dabei bleiben. Und wir, ich, bleibe gerne dabei.
    Ja, erst mußte ich überlegen. Muß mal auch ohne dich gehen. Ohne wen? Ohne geliebte Mitmenschen? Die sich Zuhause ausruhen? OHNE HANDY. Klar, geht auch. Ich habe ein Handy nur für den Notfall, wenn ich unterwegs bin, wenn das Auto streiken sollte, wenn ich dringend jemanden erreichen muß. Leute, die mich kennen, wissen mich zu erreichen. Ich bin eh ein ziemlich unruhiges Hemd, soll heißen, ich komme schlecht zur Ruhe.
    Fein geschrieben, Jens. Da kommt man doch richtig gut in den Montag.

    Dir wünsche ich einen guten Wochenstart.

    Annegret

    1. Hi Annegret,

      ich habe mir frecherweise erlaubt, ein wenig mit Spannung zu spielen. Ich hoffe, Ela liest das heute Morgen nicht und denkt zunächst, sie wäre gemeint. Muss sie wohl vorwanren:) Hab ich grad gemacht. Sie hat gelacht. Sie meinte “Schocken? Ach was, Baby, ich bin doch ‘ne coole Socke.” Grins* Da hat sie wohl recht. Und zum Handy: Wie Fernsehen und Rechner – einfach ausschalten.

      Liebe Grüße

      Jens

  2. Guten Morgen Jens,

    ja, es geht auch ohne. Spannende Gefühlslage, wenn es vergessen wird oder ausgeschaltet.

    Gestern sprach ich mit der Generation 20+… Aus tiefster Überzeugung hieß es “ohne Smartphone geht gar nichts mehr”…

    Ich wünsche Dir einen sonnigen Wochenstart.

    LG
    Tine

    1. Hi Tine,

      ich gehöre schon mit Mitte Vierzig zur generation aus dem letzten Jahrtausend. Meinen Kindern versuche ich zumindest zu vermitteln, was es sonst noch so im Leben gigt – jenseits von Facebook, Youtube & Co. Die stöhnen zwar, sehen aber immer öfter, dass ich da ein wenig recht habe. Zum Beispiel wenn sie die Computerzockerkinder sehen, die nicht mehr ruhig auf einem Stuhl sitzen können und in der schule immer weiter abfallen. Falsche Prioritäten. Jim und sein bester Freund weigern sich, facebook zu nutzen. Finden sie mittlerweile einfach uncool. Ein Handy will mein Sohn nicht. Das stört ihn nur. Gi8bt auch noch solche. Und er hat trotzdem Freunde, viel Spaß mit Gitarre, E-Gitarre und Klavier und guten Noten in der Schule. Was ihn reizt sind amerikanische Serien, die er sich auf dem Notebook ansieht. Wir haben keinen Fernseher. O.K. – soll er. Scrubs, die Anfänger. Ganz lustig. Setze mich manchmal dazu – Familienerleben.

      Wünsche dir auch einen sonnigen Wochenstart.

      Liebe Grüße

      Jens

    1. Hi Raoul,

      gerne darfst du den Link setzen. Immer:) Handyverweigerer ist ein gutes Wort. Oft mischt sich das Handyklingeln einfach in Gespräche. dann wird abgehoben und mit jemand anderem gesprochen. “Bin gleich wieder da!” Und dann kann man warten. Oder gehen. Das bringt Unruhe. Viele Jugendlich greifen alle paar Minuten in die Hosentasche, holen das Handy raus und checken die Lage. der Kopf ist angebunden an die unsichtbare Leine. selbstgewählte Unfreiheit. Ich denke, es sollte zumindest eine eigenen Auseinandersetzung mit dem Thema stattfinden: Wie sehr darf mein Handy mein leben mitbestimmen?

      Liebe Grüße

      Jens

      1. Hallo Jens!

        Ist eine Ausnahme mit dem Link, danke dafür! Ich kann nur sagen, es geht ohne Handy. Beruflich nicht immer zugegebenermaßen, aber ich möchte mich von dem Telefon privat nicht gängeln lassen. Ich bin erreichbar, wenn ich erreichbar bin und die Zeiten bestimme ich. Soviel Ego getseh ich mir da zu. Immer erreichbar sein ist für mich kein erstrebenswertes Ziel. Wie ich als Jugendlicher agieren würde weiß ich nicht – mutmaßlich könnte ich mich dem nicht entziehen.

        Liebe Grüße, Raoul

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