Romantic Days!

Ewa hatte gestern im Brigitte Woman Blog auf meinen Darling und Bjørnstad Artikel reagiert und in einem Kommentar wunderbar beschrieben, wie sie die letzten sechs Wochen des Jahres entspannt, genussvoll und frei angeht. Hundertprozentig genau so, wie sie sich das vorstellt. Ganz ihrer Stimmung entsprechend. Alles kann, nichts muss. Aber: Kein Stress. Hat mich schwer beeindruckt dieser Kommentar.

Als ich dann am Nachmittag am Rechner saß und mir über einen komplizierten Text das Hirn zermarterte, ging mein Telefon. Im Display die 13. Interner Anruf aus dem privaten Sektor unseres Lebensprojektes Alte Schule. Zoe. Klar, wer sonst. Zwischendurch mal anklingeln und wichtige Fragen stellen. Die typische Eröffnung, ein langgezogenes Paapaa. Ja, Kind. Also… Was sie wollte, war: Kuchen. Nö, Zoe, keine Zeit. Komplizierter Text, Arbeit, Geld verdienen, selbst verwirklichen. Brumm, brumm. “Ja, aber Papa, ich hol den doch. Die Mama fährt mich runter zum Bäcker. Die muss zur Druckabnahme und anschließend nach Köln. Ich komme dann mit Cooper zu Fuß wieder hoch.” O.K., Kuchen-Lieferservice. Silberstreif am Horizont. Kleine Unterbrechung später. Zoe legt auf, ich höre Getrappel im Haus, ein Tschüss von Ela bis später auch und Jim kommt rein, um sich in den Wald zu verabschieden, er will da was bauen. Alle und alles in Bewegung, ich muss mich nur um mein Hirn kümmern, selbst Cooper ist unterwegs, um Kuchen zu holen.

Später kommt Zoe rein. Rote Wangen, großes, stolzes Lächeln. Ich mach uns Kakao sagt sie und rufe dann an. Drei Minuten später die 13 im Display. Kuchen-Alarm bei Cobra 11. Wie kriegt man kalte Milch aus dem Kühlschrank so schnell in warmen Kakao verwandelt? Egal, ich werde bewirtet, verwöhnt, da darf man nicht meckern. Ich komme in die Küche, der Tisch für Zoe und mich gedeckt. Ela in Lindlar, Jim im Wald, Cooper pennt auf seinem Kissen – hat sich auf dem Rückweg, Zoe ist über den Mühlenberg gegangen, verausgabt. Ich stelle drei Kerzen auf den Tisch, um es noch gemütlicher zu machen. Augenleuchten im Kerzenschein.

Paapaa. Als ich über den Mühlenberg gekommen bin, habe ich den Cooper frei laufen lassen. Der hat auf mich gehört und ist nicht weggelaufen. Ja, Zoe, du warst seine Rudelführerin. Er hat dir vertraut, dass du ihn führst und nach Hause bringst. Echt? Klar, der kennt dich doch. Och Papa. Ne, ehrlich. Und als ich dann da oben auf dem Mühlenberg war, konnte ich auf unser Dorf runtergucken und die alte Schule sehen. Ich liebe diesen Blick. Ja, Zoe, ich liebe diesen Blick auch. Da wird einem warm ums Herz, ne! Ja, Papa. Richtig warm.

Für mich hatte sie ein fettes Stück Bienenstich mitgebracht. Mit viel cremigem Pudding. Lecker. Gemütlich. Ländlich romantisch verklärt. November. Vorweihnachtszeit. Einfach mal mitmachen. Kann so schön sein.

Euch einen schönen Tag und angenehme Gefühle und Erlebnisse. Vielleicht mit netten Menschen, vielleicht allein. Was auf jeden Fall hilft, sind Kerzen. Ciao.

Projekt Elaine (Teil 9)

„Wie hast du es ausgehalten, nur dort zu sitzen und nie etwas zu sagen?“, fragte Susanne. Es war ein Spätsommertag und Cat und Sue waren nach der Schule in die Villa gegangen, um sich gemeinsam zurückzuziehen und zu lernen. Die Sonne stand auf der anderen Seite des Hauses, so dass es einigermaßen kühl und angenehm im Zimmer war. Für Sue war das alles immer noch neu. Sie war jetzt seit einem Monat in dieser Stadt und fast genauso lange kannte sie nun Cat, aus der sie nicht schlau wurde. Wie konnte man so sein? In der Öffentlichkeit sprechen, keinen Kontakt aufnehmen, der Welt den Rücken zukehren. Sue zog das an. Nach dem Kennenlernen im ersten Blick vorne in der Schulbank, diesem viel zu lange dauernden Moment, hatte sie Freundschaft geschlossen. Ihrer Mutter hatte sie erzählt, dass es in der Klasse ein Mädchen gebe, das ein wenig Großstadt sei, ein wenig Berlin, Geheimnis, verrückt, anders. Das hatte Sue von Anfang an gefallen, auch wenn sie vieles nicht verstehen konnte. Ab und an versuchte sie mit Fragen etwas zu erfahren, meistens liefen die Fragen ins Leere. Als wüsste Cat nicht zu antworten, als würde sie es selbst nicht wissen. Oder als wolle sie einfach nichts sagen.

Cat antwortete nicht auf Sues Frage. Sie lag auf ihrem Bett und hörte der Musik zu. Musik, die sie bislang nicht kannte oder zu der sie bislang keinen Zugang hatte. Sue hatte ihren USB-Stick mit ihren Favorites mitgebracht und in die Anlage gesteckt. Per Random-Play wühlte sich die Anlage durch Sues Musikgeschmack. Nichts Aktuelles, nur Songs der Vergangenheit. Siebziger, achtziger Jahre. Eurythmics, Iggy Pop, Prince und Verqueres wie Ton Steine Scherben. Cat genoss dieses neue Leben, das mit Sue Einzug gehalten hatte. Sie wollte langsam vorgehen, um nicht überrollt zu werden. Vieles ging ihr zu schnell, war zu radikal, hatte den Speed der Großstadt. Sue wollte alles auf einmal, wollte Cat begreifen. Cat wollte das nicht zulassen, weil es zu viel war. Sie hatte sich entschlossen, ihre Betonmauer nicht aufzugeben. Sie wollte Sue gerne herein lassen, aber nur in kleinen Dosen, in Schritten, die sie vertrug. Kamen Sues Fragen, antwortete knapp, ausweichend oder gar nicht. So war das Zusammensein aufregend, herausfordernd und teils auch merkwürdig. Dennoch oder gerade deshalb genossen es beide. Sie fühlten sich im Gleichgewicht, ausgewogen in dem, was sie waren und wofür sie standen. Keine war stärker oder überlegen, beide hatten ihr Geheimnis, ihren Bereich, in den sie die andere nur langsam herein ließen. Auch Cat hatte viele Fragen im Kopf, die sie nur sporadisch stellte. Sie genoss es, Sue Stück für Stück kennenzulernen. Sie wollte dieses neue Leben zelebrieren, weil es ihr so wertvoll war. Sie wollte die Kontrolle behalten, um nichts zu zerbrechen. Irgendwann war in ihr der Impuls, den nächsten Schritt zu gehen und wieder eine kleine Frage der Annäherung zu stellen.

„Sue, wo hast du diese ganze Musik her?“ Cat, die auf dem Rücken und mit dem Kopf am Fußende ihres breiten Bettes lag, setzte sich auf, sah Sue an, die es sich auf dem Jugendstilsofa, ihrem Lieblingsplatz der letzten Wochen, bequem gemacht hatte. „Gekauft, von Freunden, aus dem Netz gesaugt, von meinem Vater. Der hat ’ne riesige CD-Sammlung mit lauter Seventies- und Eighties-Kram in seinem Studio. Die totale Musik-Bibliothek.“ antwortete Sue. „Weißt du, ich kann mir dein Leben in Berlin so gar nicht vorstellen. Wie hält man es aus in einer Stadt, in der so viel passiert. Wie schafft man es, den Kopf frei zu halten und diese ganzen Menschen und Eindrücke zu wegzupacken.“ Es war weniger eine Frage, als eine Feststellung. Sue lächelte, schloss die Augen, ließ ihr Berlin, ihre Erinnerungen vorbeiziehen. „Weißt du, da war jeder Tag anders. Plötzlich warst du aus irgendeinem Grund in einem anderen, total anderen Teil der Stadt. Bewegung. Immer was los. Ideen. Und meistens lief mir irgendwo Zao über den Weg. Das war manchmal komisch, als hätten wir uns angezogen. Weißt du, Zao ist ein wenig wie du. Da hab ich auch nie hintergeblickt. Aber wenn er plötzlich da war, in der U-Bahn, in ’nen Club rein kam, dann hat sich was verändert. Die Welt wurde besser. Für mich. Heller, weicher. Kann ich gar nich beschreiben.“

Darling und Bjørnstad

Guten Morgen. Die Uhr am Rechner zeigt 8:00 Uhr. Komme gerade vom Meditieren und gleich geht es mit Cooper raus. Heute Morgen bin ich in einer wahrlich melancholisch weichen Stimmung. Diese Woche ist Ela, meine Liebste, dran, mit den Kindern aufzustehen. Wir wechseln im Wochenrhythmus. 6:00 Uhr ist einfach sehr früh. Ich lag noch in meinem Bett und hörte diese ganzen Geräusche. Die Stimmen. Zoe, Jim, Ela. Coopers Krallen auf dem Holzboden. Tipp, tipp, Tipp. Das Frühstück, das Lachen, das Aufsetzen der Tassen auf dem Holztisch. Das Rauschen der elektrischen Zahnbürsten nebenan und das irgendwann immer kommende “Wir müssen los”. Der Bus wartet nicht.

Bevor es losging, öffnete sich die Schlafzimmertür. Ela kam rein und brachte mir einen Cappuccino in französischer Boule. Aufsetzen im Bett, Kissen in den Rücken schieben, die warme Schale in den Händen, Augenschließen, der erste Schluck, Wärme im Körper. Schön. Dabei ist mir dann Musik von David Darling und Ketil Bjørnstad in den Sinn gekommen. Unsere Musik für die dunkle Jahreszeit. Klavier und Darlings Eight-String-Cello. Ich habe euch zwei Stücke rausgesucht: Darling und Bjørnstad mit The River IV und Ketil Bjørnstad mit Prelude 13. Ruhig fließende Musik, die so schön zu einem Ofenfeuer und einer heißen Tasse Tee passt. Schließlich geht es auf Weihnachten zu. ebay zählt in der Kopfleiste die Tage. Bitte bekommt jetzt keine Panik, sondern seht die schöne Seite. Gemütlichkeit. Zurückziehen und einkuscheln wie die Eichhörnchen im Winterschlaf.

Mir ist kürzlich die etwas zynische Idee gekommen, Weihnacht in Whynacht? zu verwandeln. Dazu dachte ich an einen voll bepackten Weihnachtsmann, der wie der Soldat auf dem berühmten Cappa-Foto zusammensackt, weil er getroffen ist. Zusammensackt, weil er all die Päckchen tragen muss. Über die Frage Whynacht? bin ich dann darauf gekommen, dass es doch ziemlich doof ist, sich das Fest nehmen zu lassen. Hat ja jeder, auch ich, die Möglichkeit, es sich schön zu machen. Niemand muss sich über Dominosteine im Spätsommer aufregen. Kann man einfach essen, wenn man Lust drauf hat, oder liegen lassen. Und das Weihnachtsfest kann man auch zu dem machen, wozu man gerade Lust hat. Wer nicht an Gott oder die Geburt Jesu glaubt oder für wen das keine Bedeutung hat, der kann trotzdem sein eigenes Lichterfest veranstalten. Leckeres Essen. Nette Menschen. Kerzen und vielleicht Darling und Bjørnstad im Hintergrund.

Dann wünsche ich euch heute einen schönen Tag. Vielleicht schon mit ein paar Spekulatius und Dominosteinen auf der Couch. Nach der Arbeit, sofern ihr nicht frei habt. Dazu passt sehr gut Darlings CD Cello. Leider habe ich von der CD nichts auf Youtube gefunden. Vielleicht hört ihr mal im Plattenladen nach. Gibt’s sowas noch? Plattenläden. Herrje. Ciao.

Schmetterling, Cooper, Fischrettung

Seid ihr schon einmal von einem Schmetterling geweckt worden? Gestern Morgen flatterte einer bei mir am Schlafzimmerfenster und wollte raus in die warme Novemberluft. Zuvor hatte er wochenlang in einer Zimmerecke gehangen und uns war nicht ganz klar, ob er schläft oder gar nicht mehr lebt. Er lebt. Ich habe ihn dann ganz vorsichtig genommen, ohne mit den Fingern an seine Flügel zu kommen, und habe ihn dann draußen fliegen lassen. In einen schönen blauen Novemberhimmel mit weißen Wolken.

Jim, Cooper und ich sind dann raus in die Natur. Runter zu den vom Hochwasser des Bachs überschwemmten Wiesen. Cooper ist rumgejagt wie ein Irrer – immer wieder rein in die Suppe, Stöcke holen. Jim und ich haben uns dann Stück für Stück das Tal runtergearbeitet. Ich hatte keine Gummistiefel an und musste alle möglichen Feuchtgebiete umgehen. Die gibt es nicht nur in Büchern, sondern auch in der Natur. Als ich gerade über eine Riesenpfütze springen wollte, sah ich einen Fisch. Der lag im flachen Wasser auf der Seite. Ich dachte, er wäre tot. Dann habe ich Gras beiseite geschoben, das seinen Kopf bedeckt hatte, und sah sein lebendiges Auge und sein sich bewegendes Maul. Er atmete. Jim hat ihn dann genommen und in den Bach gebracht, wo er sich gleich berappelte und los schwamm. Hat der ein Glück gehabt. An der Stelle, hinter so vielen Zäunen, ist normalerweise nie ein Mensch. Und heute Morgen war da schon kein Wasser mehr. Manchmal muss man einfach Glück haben.

Das wünsche ich euch für heute und die ganze Woche. Vielleicht mal Lotto spielen oder doch lieber auf die eigenen Talente und Fähigkeiten besinnen? Oder beides. Wie ihr wollt. Ciao.

Projekt Elaine (Teil 8)

Cats Zimmer war zu ihrer Zuflucht geworden, nachdem sich Cats Vermutung, dass sie und Susanne Freundinnen werden würden, auf den ersten Blick bestätigt hatte. Susanne verbrachte seither einen Großteil ihrer Zeit in der Villa am Stadtrand. Manchmal schlief sie auf dem großen, alten Jugendstilsofa in Cats Zimmer. Als Susanne das erste Mal in die Klasse kam, eine Viertelstunde nach Unterrichtsbeginn, war sie von allen beäugt worden. Die Neue. Sie hasste das Gestarre in dem Augenblick, die oberflächlich bewertenden Blicke, den ersten zählenden Eindruck. Was wussten all diese Augen schon von ihr. Die Lehrerin begrüßte sie, winkte sie nach vorne, um sie der Klasse vorzustellen. „Du bist Susanne Schuhmacher. Darf ich vorstellen, eure neue Mitschülerin. Setz dich vorne zu Catherine und dann komm erst einmal an. Herzlich willkommen.“

Cat hatte nicht gestarrt, hatte nach dem Klopfen an der Tür, dem Öffnen der Tür nur gehört und empfunden. Sie wollte Susanne spüren, sie mit ihrem stärksten Sinn empfangen. Sie brauchte zunächst kein Bild, ihr war es egal, wie Susanne aussah. Sie spürte, dass ihr Susanne nah sein würde. Als sie dann vorne stand, war Cat dennoch von ihrem Äußeren verblüfft. Sie hatte eine andere erwartet, schob den ersten Blick aber beiseite. Ihr war Susannes Äußeres egal. Wirres, abstehendes blondes Haar, intensive blaue, geschminkte Augen, T-Shirt mit einem Bandnamen, eine wilde Kette, Armreifen, schwere Stiefel, kurzer Rock, Umhängetasche. Berlin. Susanne setzte sich neben Cat, sagte „Hi, ich bin Sue.“, gab ihr die Hand und sah sie intensiv an. Cat konnte sich nicht entscheiden, etwas zu sagen oder die Hand zu greifen, ihr Schweigen in der Klasse zu durchbrechen. Sie nahm sich eine halbe Ewigkeit, tauchte in ihr Gegenüber ein, spürte nach, sagte nichts. Susanne schaute zurück, hielt dem Blick stand, wusste den merkwürdigen Blick dieses merkwürdigen Mädchens nicht zu deuten. Der Blick war zu intensiv für ein erstes Aufeinandertreffen, für eine Höflichkeitsphase, in der man sich gegenseitig mit Namen vorstellt. Für sie war es komisch, mit diesem Blick gescannt zu werden und sich nicht unwohl zu fühlen. Sie war auf diesen Blick nicht vorbereitet, sie hatte nicht gewusst, dass dort ein Mädchen sitzen würde, das auf sie gewartet hat. Sie war vollkommen neutral in diese Klasse gekommen. Vielleicht mit einem Hauch Skepsis, mit der Unlust, der von ihr unterstellten unliebsamen Bürgerlichkeit dieser Kleinstadt, dieses netten verschlafenen Nestes, in Berührung zu treten. Sie hatte Berlin nicht verlassen wollen, wäre lieber zu Bob, ihrem Vater, gezogen. Sie hatte Zao suchen wollen, der verschwunden war, den sie nirgends hatte finden können, bevor sie ging. Nicht einmal verabschieden hatte sie sich können. Ihre Mutter hatte darauf bestanden, dass sie mitkommt, dass sie mit ihr Berlin verlässt, um Berlin zu entkommen. In Cats Gesicht zeigte sich keine Regung. Sie starrte nicht, obwohl ihr Blick wie ein Starren aussah. Susanne empfand eine überraschende Intensität, mit der sie an diesem Ort nicht gerechnet hätte. Der Unterricht ging weiter, als sich die beiden immer noch ansahen. Susanne ließ es zu. Zog ihre Hand zurück, hielt dem Blick stand. Deutschunterricht, die Wiedervereinigung, Texte der Bewegung rund um die Leipziger Nicolaikirche.