Darling und Bjørnstad

Guten Morgen. Die Uhr am Rechner zeigt 8:00 Uhr. Komme gerade vom Meditieren und gleich geht es mit Cooper raus. Heute Morgen bin ich in einer wahrlich melancholisch weichen Stimmung. Diese Woche ist Ela, meine Liebste, dran, mit den Kindern aufzustehen. Wir wechseln im Wochenrhythmus. 6:00 Uhr ist einfach sehr früh. Ich lag noch in meinem Bett und hörte diese ganzen Geräusche. Die Stimmen. Zoe, Jim, Ela. Coopers Krallen auf dem Holzboden. Tipp, tipp, Tipp. Das Frühstück, das Lachen, das Aufsetzen der Tassen auf dem Holztisch. Das Rauschen der elektrischen Zahnbürsten nebenan und das irgendwann immer kommende “Wir müssen los”. Der Bus wartet nicht.

Bevor es losging, öffnete sich die Schlafzimmertür. Ela kam rein und brachte mir einen Cappuccino in französischer Boule. Aufsetzen im Bett, Kissen in den Rücken schieben, die warme Schale in den Händen, Augenschließen, der erste Schluck, Wärme im Körper. Schön. Dabei ist mir dann Musik von David Darling und Ketil Bjørnstad in den Sinn gekommen. Unsere Musik für die dunkle Jahreszeit. Klavier und Darlings Eight-String-Cello. Ich habe euch zwei Stücke rausgesucht: Darling und Bjørnstad mit The River IV und Ketil Bjørnstad mit Prelude 13. Ruhig fließende Musik, die so schön zu einem Ofenfeuer und einer heißen Tasse Tee passt. Schließlich geht es auf Weihnachten zu. ebay zählt in der Kopfleiste die Tage. Bitte bekommt jetzt keine Panik, sondern seht die schöne Seite. Gemütlichkeit. Zurückziehen und einkuscheln wie die Eichhörnchen im Winterschlaf.

Mir ist kürzlich die etwas zynische Idee gekommen, Weihnacht in Whynacht? zu verwandeln. Dazu dachte ich an einen voll bepackten Weihnachtsmann, der wie der Soldat auf dem berühmten Cappa-Foto zusammensackt, weil er getroffen ist. Zusammensackt, weil er all die Päckchen tragen muss. Über die Frage Whynacht? bin ich dann darauf gekommen, dass es doch ziemlich doof ist, sich das Fest nehmen zu lassen. Hat ja jeder, auch ich, die Möglichkeit, es sich schön zu machen. Niemand muss sich über Dominosteine im Spätsommer aufregen. Kann man einfach essen, wenn man Lust drauf hat, oder liegen lassen. Und das Weihnachtsfest kann man auch zu dem machen, wozu man gerade Lust hat. Wer nicht an Gott oder die Geburt Jesu glaubt oder für wen das keine Bedeutung hat, der kann trotzdem sein eigenes Lichterfest veranstalten. Leckeres Essen. Nette Menschen. Kerzen und vielleicht Darling und Bjørnstad im Hintergrund.

Dann wünsche ich euch heute einen schönen Tag. Vielleicht schon mit ein paar Spekulatius und Dominosteinen auf der Couch. Nach der Arbeit, sofern ihr nicht frei habt. Dazu passt sehr gut Darlings CD Cello. Leider habe ich von der CD nichts auf Youtube gefunden. Vielleicht hört ihr mal im Plattenladen nach. Gibt’s sowas noch? Plattenläden. Herrje. Ciao.

Schmetterling, Cooper, Fischrettung

Seid ihr schon einmal von einem Schmetterling geweckt worden? Gestern Morgen flatterte einer bei mir am Schlafzimmerfenster und wollte raus in die warme Novemberluft. Zuvor hatte er wochenlang in einer Zimmerecke gehangen und uns war nicht ganz klar, ob er schläft oder gar nicht mehr lebt. Er lebt. Ich habe ihn dann ganz vorsichtig genommen, ohne mit den Fingern an seine Flügel zu kommen, und habe ihn dann draußen fliegen lassen. In einen schönen blauen Novemberhimmel mit weißen Wolken.

Jim, Cooper und ich sind dann raus in die Natur. Runter zu den vom Hochwasser des Bachs überschwemmten Wiesen. Cooper ist rumgejagt wie ein Irrer – immer wieder rein in die Suppe, Stöcke holen. Jim und ich haben uns dann Stück für Stück das Tal runtergearbeitet. Ich hatte keine Gummistiefel an und musste alle möglichen Feuchtgebiete umgehen. Die gibt es nicht nur in Büchern, sondern auch in der Natur. Als ich gerade über eine Riesenpfütze springen wollte, sah ich einen Fisch. Der lag im flachen Wasser auf der Seite. Ich dachte, er wäre tot. Dann habe ich Gras beiseite geschoben, das seinen Kopf bedeckt hatte, und sah sein lebendiges Auge und sein sich bewegendes Maul. Er atmete. Jim hat ihn dann genommen und in den Bach gebracht, wo er sich gleich berappelte und los schwamm. Hat der ein Glück gehabt. An der Stelle, hinter so vielen Zäunen, ist normalerweise nie ein Mensch. Und heute Morgen war da schon kein Wasser mehr. Manchmal muss man einfach Glück haben.

Das wünsche ich euch für heute und die ganze Woche. Vielleicht mal Lotto spielen oder doch lieber auf die eigenen Talente und Fähigkeiten besinnen? Oder beides. Wie ihr wollt. Ciao.

Projekt Elaine (Teil 8)

Cats Zimmer war zu ihrer Zuflucht geworden, nachdem sich Cats Vermutung, dass sie und Susanne Freundinnen werden würden, auf den ersten Blick bestätigt hatte. Susanne verbrachte seither einen Großteil ihrer Zeit in der Villa am Stadtrand. Manchmal schlief sie auf dem großen, alten Jugendstilsofa in Cats Zimmer. Als Susanne das erste Mal in die Klasse kam, eine Viertelstunde nach Unterrichtsbeginn, war sie von allen beäugt worden. Die Neue. Sie hasste das Gestarre in dem Augenblick, die oberflächlich bewertenden Blicke, den ersten zählenden Eindruck. Was wussten all diese Augen schon von ihr. Die Lehrerin begrüßte sie, winkte sie nach vorne, um sie der Klasse vorzustellen. „Du bist Susanne Schuhmacher. Darf ich vorstellen, eure neue Mitschülerin. Setz dich vorne zu Catherine und dann komm erst einmal an. Herzlich willkommen.“

Cat hatte nicht gestarrt, hatte nach dem Klopfen an der Tür, dem Öffnen der Tür nur gehört und empfunden. Sie wollte Susanne spüren, sie mit ihrem stärksten Sinn empfangen. Sie brauchte zunächst kein Bild, ihr war es egal, wie Susanne aussah. Sie spürte, dass ihr Susanne nah sein würde. Als sie dann vorne stand, war Cat dennoch von ihrem Äußeren verblüfft. Sie hatte eine andere erwartet, schob den ersten Blick aber beiseite. Ihr war Susannes Äußeres egal. Wirres, abstehendes blondes Haar, intensive blaue, geschminkte Augen, T-Shirt mit einem Bandnamen, eine wilde Kette, Armreifen, schwere Stiefel, kurzer Rock, Umhängetasche. Berlin. Susanne setzte sich neben Cat, sagte „Hi, ich bin Sue.“, gab ihr die Hand und sah sie intensiv an. Cat konnte sich nicht entscheiden, etwas zu sagen oder die Hand zu greifen, ihr Schweigen in der Klasse zu durchbrechen. Sie nahm sich eine halbe Ewigkeit, tauchte in ihr Gegenüber ein, spürte nach, sagte nichts. Susanne schaute zurück, hielt dem Blick stand, wusste den merkwürdigen Blick dieses merkwürdigen Mädchens nicht zu deuten. Der Blick war zu intensiv für ein erstes Aufeinandertreffen, für eine Höflichkeitsphase, in der man sich gegenseitig mit Namen vorstellt. Für sie war es komisch, mit diesem Blick gescannt zu werden und sich nicht unwohl zu fühlen. Sie war auf diesen Blick nicht vorbereitet, sie hatte nicht gewusst, dass dort ein Mädchen sitzen würde, das auf sie gewartet hat. Sie war vollkommen neutral in diese Klasse gekommen. Vielleicht mit einem Hauch Skepsis, mit der Unlust, der von ihr unterstellten unliebsamen Bürgerlichkeit dieser Kleinstadt, dieses netten verschlafenen Nestes, in Berührung zu treten. Sie hatte Berlin nicht verlassen wollen, wäre lieber zu Bob, ihrem Vater, gezogen. Sie hatte Zao suchen wollen, der verschwunden war, den sie nirgends hatte finden können, bevor sie ging. Nicht einmal verabschieden hatte sie sich können. Ihre Mutter hatte darauf bestanden, dass sie mitkommt, dass sie mit ihr Berlin verlässt, um Berlin zu entkommen. In Cats Gesicht zeigte sich keine Regung. Sie starrte nicht, obwohl ihr Blick wie ein Starren aussah. Susanne empfand eine überraschende Intensität, mit der sie an diesem Ort nicht gerechnet hätte. Der Unterricht ging weiter, als sich die beiden immer noch ansahen. Susanne ließ es zu. Zog ihre Hand zurück, hielt dem Blick stand. Deutschunterricht, die Wiedervereinigung, Texte der Bewegung rund um die Leipziger Nicolaikirche.

Sweet Dreams are made of this!

Während ein Sturmtief über Deutschland fegte, um unsere Köpfe frei und unsere Verklemmungen wegzublasen, während in Köln der Bär am Alter Markt tobte (endlich, endlich…), zog in unserem Dorf eine kleine Schar Unerschrockener los, eine alte Tradition zu begehen. “Sankt Martin, Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind…” Von Haus zu Haus. Die Kinder mit Laternen und Fackeln vorne, die Paps und Mams als grooviger Backround-Chor dahinter. Dieses Mal bei einem Wetter, das einem die Schuhe ausgezogen hat. Wind, Sturm, peitschender Regen. Der Mann am Boden hat nur Lumpen an, Brrrr. Herrje.

Wie ihr oben seht, waren die Menschen in unserem Dorf nur all zu bereit zum Teilen. Es waren diesmal nur 14 Kinder, die Taschen voll Sweets nach Hause getragen haben. Und Geld. Das gibt’s auch immer. Fast 20 Euro pro Kind. Respekt. Die Süßigkeiten sind für die gerechte Aufteilung erst einmal bei uns im Schulzimmer gelandet. Da, wo früher die Kinder des Dorfes von der ersten bis zur achten Klasse von vorne nach hinten geordnet gesessen haben. Eine Nachbarin gab mir ein Foto, das ich nicht veröffentlichen kann, weil ich damit Persönlichkeitsrechte verletzen würde. Wenn unsere Schule 2014 150 Jahre alt wird, werden wir es in einer kleinen Ausstellung zeigen.

Nun liegt da dieser Haufen Sweets. Weil einige Familien das Wetter gescheut haben, war die Zahl der Kinder kleiner als der Berg der Gaben. Das reicht für zwei Jahre bei normalem Konsum. Pst, Geheimscheiß: Wir werden bei unseren Kids Sachen verschwinden lassen… Das freut sonst nur den Zahnarzt mit seinem “Fucking Gitarrenladen”. Der Gute.

Während wir uns durch das Wetter quälten, was zu Mitleidsbekundungen an allen Türen führte, wurden wir Erwachsenen mit Alkohol getröstet. Zum Ende hin gingen die Frauen vor, um die Kinder ins Warme zu bringen. In die warme Blockhütte in der Dorfmitte gleich neben dem Buchenwald mit den 350 Jahre alten Bäumen. Dort gab es Kakao und Waffeln. Große Augen, glänzende Gesichter, großer Hunger. Derweil waren wir Männer beschäftigt, uns mit den Alten zu unterhalten. Die trifft man nicht so oft. Und die wollten gerne die Gelegenheit nutzen, einen gepflegten Schnaps zu trinken. Korn. Pah! Puh! Gestandene alte Kerle. Straßenbauer mit Unterarmen wie… Anstoßen mit einem “Männer” und einem Lächeln. Rituale des Dorfes. Wie haben die sich gefreut, uns zu sehen. Die jungen Männer. Im Vergleich. Nicht nur wegen des Schnapses. Es war schon ein wenig wie im Western. Whiskeygläser im Saloon. “Männer”. Wir haben die Kurve gekriegt, das Feuerwasser überstanden und sind aufrecht im Blockhaus gelandet. Absprung im rechten Moment. Das nennt man Timing, die Haaresbreite zwischen alles bleibt gut und ihr wisst schon. Alka Seltzer. Raues Dorfleben, alte Zeiten.

Auf jeden Fall ist es immer wieder schön, mal fast alle Dorfbewohner an einem Abend gesehen zu haben. Kurze Gespräche zwischendurch. Die Lieder, die Kinder, der Feuer- und Kerzenschein. Teilen. Zeit teilen. Sankt Martin. Gut. Bis zum nächsten Heiligen. Am St. Nikolaus sehen wir dann viele wieder. Euch wünsche ich einen sturmfreien Tag, an dem ihr vielleicht schöne Zeit mit netten Menschen teilt. Vielleicht nicht gerade bei Schnaps. Ciao.

Übrigens war ich kurz auf Youtube, um die von den Eurythmics geklaute Überschrift, sagen wir mal zitierte Überschrift, live zu erleben. Dort bin ich auf eine Rough-Version des Songs getroffen. Überraschend. seht und hört selbst: Sweet Dreams.

Bär, tanzt in mir

für filo

Im Nebelmantel
der kratztanzende Bär
mit plumpstoßenden Tatzen
im Wirbel der Blicke

Stoße dich weg
mit der Faust
auf die Brust
die Striemen
der Krallen
egal

Du glaubst
du bist stark
Tanzbär

Mit Kraft aller Welten
schnapp ich deine Kehle
und halt dich umschlossen
im friedlichen Kuss

Wir werden uns drehen
kratzpfotiges Wesen
und Streifen am Boden
gemeinsamer Zeit
hinterlassen

Du trottest
gehst weg
ich weine
um dich
deine Augen
dein Blick
dein felliger Körper
die Schwere
der Taten

jens schönlau, november 2010