Über diesen
dunklen Vogel
der da hängt im Parlament
sprühe ich
mit rosa Farbe Liebe
dass ihr auch mal daran denkt
jens schönlau, januar 2011

Landleben, Lyrik & Lebensgeschichten von Jens Schönlau
Über diesen
dunklen Vogel
der da hängt im Parlament
sprühe ich
mit rosa Farbe Liebe
dass ihr auch mal daran denkt
jens schönlau, januar 2011
Da ist Samstagmorgen und ich werde in der Dunkelheit wach. 6 Uhr. Die Zeit, zu der ich die ganze Woche über aufgestanden bin. Kinderdienst, ich war dran. Wecken, Brote schmieren, motivieren.
Um 6 Uhr werde ich also wach und will mich wieder umdrehen und im glücklichen Gefühl eines Samstagmorgens weiterschlafen. Da kommt mir ein Gedanke in den Sinn, ein Wort. Liebe. Ich denke an Ela, an das frische Gefühl von Liebe des letzten Tages, des letzten Abends. Warm wird es mir. Lächelnd liege ich in meinem Bett. Wie kitschig schön.
Das Bild läuft weiter. Der Anfang eines Gedichts. Nicht Stuhl, Tisch, Stift, Blatt. Ein hereinwehendes Wort. Der Kopf sagt Hallo, was machst du denn hier? Und das Wort meint lapidar Mal sehen. Ich schreibe Gedichte nicht. Konstruiere nicht. Suche nicht nach Bildern. Bin da eher wie ein Obstbauer. Ist der Apfel reif, pflücke ich ihn. Gerne könnt ihr mich zum Spinner erklären, zum Fantasten, Billigheimer-Lyriker. Egal. So ist es: Gedichte fliegen mich an. Sie sind in der Luft und ich schreibe sie auf. Viel mehr ist es nicht. Gut, manchmal misch ich noch was rein. Den Apfel polieren, verpacken.
So ging es mir heute Morgen. Weiterschlafen. Liebe. Ela. Liebe. Himmel. Himmel? Ein kitschiges Bild: Liebe an den Himmel sprühen. Ina Deter: Ich sprühs an jede Häuserwand, neue Männer braucht das Land. Männer? Himmel? Da waren plötzlich der Reichstag und der Bundesadler. Dann stand es in einem Satz vor mir. Ich brauchte noch einen Titel. Dann bin ich nacktfröstelnd vom Bett in die Küche und hab es auf den Einkaufszettel geschrieben. Neben Seife und Mehl. Oder so ähnlich. Dort steht es nun. Ihr möchtet es lesen? Ich möchte es veröffentlichen. Hier im Blog. Gleich. Auf einer Extraseite, das hat es verdient. Ein kleines, naives Heinegedicht. Deutschland. Eine Wahrheit, eine Anmerkung wie aus einem Kindermund. Naiv. Ganz schön naiv. Das Bild würde ich gerne, sehr gerne sehen. Angela, da geht doch was???
Mann gegen Frau. Autor gegen Autorin. Zuletzt habe ich versucht, Frank Schätzings Buch LIMIT zu lesen. Hätte aktuell eigentlich gepasst. Da geht es um Mondstationen und das Fördern von Helium3 als Ersatz für die fossilen Energieträger der Erde. Quasi ein Hoffnungsschimmer. Schätzing war früher Werbetexter in Köln. Ich kenne jemanden, der kennt ihn aus den alten Tagen. Heute ist er ein Shooting-Star mit eigener Fernsehsendung und einem Bucherfolg nach dem anderen. Mein letzter Schätzing in den Fingern war Der Schwarm. Da ging es um das sich auflösende Methanhydrat in der Tiefe des aufgewärmten Meeres, das Kontinentalhänge abrutschen lässt und Tsunamis auslöst (das Szenario ist so im world ocean review beschrieben). Am Ende des Buches gibt es einen Showdown auf einem amerikanischen Flugzeugträger. Action. Männerwelt.
Dan Brown und Konsorten. Ab und an lese ich die Dinger wirklich gerne. Ich glaube ist äquivalent zu den leicht kitschigen Liebesschmökern, die Ela manchmal vertilgt. Ab und an. Wie Sahnetorte essen, einfach reinsetzen und nicht nachdenken. Da ich kürzlich erst Das verlorene Symbol von Brown gelesen hatte, ein Weihnachtsgeschenk meiner Schwiegermutter, war ich scheinbar gesättigt. Zu viel Abstruses, Science Fiction, narratives Spiel mit Wissenschaftlichkeit in LIMIT. Und das auf gefühlten 100 Millionen Seiten. So klein geschrieben. Ich habe 150 Seiten geschafft, dann wurde mir das Abheben per Fahrstuhl zur Raumstation und die Gespräche unter den geladenen Milliardären und Berühmtheiten zu viel. Gestern habe ich es in der Bücherei wieder abgegeben. Und ich dachte noch: Was lieste denn jetzt? Manchmal ist ja gerade einfach nichts am Buchhimmel. Also da ist natürlich immer was, es gibt ja unendlich viele Bücher, aber an meinem Horizont war nix.
Bis heute Morgen. Ein Lichtblick. Bei uns sind nun gerade beide Kinder krank, da konnte ich ein wenig länger schlafen, um mich dann gemütlich mit zwei Cappuccinos zu Ela zu kuscheln. Sie erzählte mir von einem Traum, ich ihr von dem Film Friendship!, den ich mir gestern auf DVD angesehen habe und sie mir wiederum von Anna Gavalda, die sie gestern verschlungen hat („Du wirst es lieben!“). Die gute Gavalda. Weshalb wird es mir da so warm ums Herz und bei Brown und Schätzing so gar nicht? Zusammen ist man weniger alleine und Alles Glück kommt nie. Beide verschlungen, beide geliebt. So menschlich, so französisch, so feinfühlig, so lebendig, so mitten aus dem Leben. Hach.
Nun ist es ein wenig gemein und unpassend, hier Schätzing gegen Gavalda antreten zu lassen. Zwei Welten. Es geht auch weniger um Schätzing (der fantastisch erzählen kann) und Gavalda (die noch fantastischerer erzählen kann), als vielmehr um das Mann-Frau-Bücherlesen-Klischee. Die einen lesen das, die anderen das. Ist ja eigentlich Unsinn und muss mich ja auch nicht stören. Mich hat Elas Botschaft eben, dass es da einen wunderbaren neuen Gavalda Roman gibt, einfach sehr, sehr gefreut. Wie kann es sein, dass Gavalda im Jahr 2010 Ein geschenkter Tag veröffentlicht, und ich weiß nichts davon? Leben hinter dem Mond. Ich muss da irgendwo in einen Mailverteiler, der mich auf dem Laufenden hält.
Nun haben wir das Buch hier liegen und ich freue mich auf intensive Leseabende am Wochenende. Ich habe das Gefühl, ich werde langsam lesen, damit das Buch lange hält. Ich mag es einfach sehr, wenn die Figuren so authentisch und gleichsam so liebevoll beschrieben sind. Charakterfiguren. Eigensinnig, verschroben, sehr menschlich. Äußerst menschlich. Die haben bei Gavalda nicht nur Blut in den Adern, sondern auch eine Seele, die aus den Buchdeckeln springt. Ich bin gespannt.
Euch allen wünsche ich ein schönes Wochenende.
Kein Spiel mehr
fürs Ich
die Wanten verwaist
der Kurs in Marmor geprügelt
Voran
Füße
in kalten Stiefeln
Nord, Nord-Ost
ins Reich der Götter
Wind pfeift
der Bug knarzt
bäumt sich
im Meer
Kalte, salzige Wellen
durchs
faltige Gesicht
Kein Umdrehen mehr
kein Süden
kein Fluchen
kein Huren
die letzte Frau ist
von Bord
Die Hand hält
das Seil zieht Linien
in die Fläche
am Schwielengrad
entlang
Geschichte
geschrieben
geschrien
lotsenlos
jens schönlau, januar 2011
Wir leben in einem Kulturkreis, der es gerne ordentlich hat. Das ist meistens eine sehr angenehme Sache, weil vieles gut geregelt ist und vergleichsweise hervorragend funktioniert. Mal mehr, mal weniger. Es gibt Regelungen und Mechanismen, die greifen. Fällt Schnee, kommt morgens der von der Gemeinde geschickte Traktor und räumt den Schulhof vor unserer Haustür. Brennt es, fährt die Feuerwehr raus. Habe ich auf der Autobahn eine Panne, ist irgendwann der ADAC da. Regelungen. Fast alles ist geregelt, geordnet. Teils auch genormt und zertifiziert. Was auch nicht schlecht ist – zum Beispiel wenn es um Qualitätsmechanismen oder Umweltschutz in Unternehmen geht. Da haben sich Menschen zusammengesetzt und überlegt, formuliert, entschieden, was gut ist.
Nun stelle ich häufig fest, dass es in unserem Land den Wunsch gibt, auch Sprache möglichst fest in ein Regelungsschema zu pressen. Wir alle wurden in der Schule nach Duden ausgebildet. Der ist für das Schuldeutsch und das Deutsch der öffentlichen Hand die vorgebende Institution. Im Berufsalltag nun geschieht es immer wieder, dass Kunden zu mir kommen „Mein Deutschlehrer aber hat früher gesagt…“ Da spüre ich dann den Wunsch nach richtig und falsch, nach oben und unten.
Dabei wird oft vergessen, dass die Sprache ein lebendiges Tier ist. Ein Feuerdrachen, ein sanftes Einhorn, eine Raubkatze, ein schnoddriger Pinguin. Sprache ist ein lebendiger Organismus, der sich den Prinzipien der Evolution unterwirft. Es gibt ökologische Nischen, es gibt Entwicklungstendenzen und es gibt „strike for the fittest“. Der Stärkere überlebt. Der stärkere Begriff, die stärkere Redewendung. Die Sprachwissenschaftler der Duden-Redaktion schauen dem Volk ständig aufs Maul und schreiben mit. Was gestern noch falsch war, steht morgen im Duden. Was hätte da der Herr Gymnasiallehrer von 1978 gesagt? Der würde sich gar nicht mehr auskennen, was da plötzlich alles so geht, was Alter? Korrekt.
Eine große Sprachmacht haben die Anglizismen. Ein Horror für mich. Weil ich sie nicht mag? Nein, bewahre. Ich liebe Anglizismen, weil sie vielfach Dinge viel inhaltlicher und emotionaler ausdrücken können, als es die entsprechenden deutschen Wörter vermögen. Ich suche noch nach einem Adäquat für Marketing, das ähnlich kurz, prägnant, klingend und umfassend ist. Mountainbike. Cool. Weshalb dann ein Horror? Ich verwandle gerade zum Beispiel eine neuseeländische Kampagne in eine deutsche Kampagne. Das ist die Übertragung von ziemlich sexy in geduldig. Der Klang, das Pointierte, die Leichtigkeit – haben wir so nicht (unsere Sprache hat andere Qualitäten, cool ist sie nicht). Und da gibt es doch tatsächlich Menschen hier im Land, die die deutsche Sprache retten wollen, als könnte man das verordnen. Als würde Sprache nicht in der Luft liegen.
Und vor allem: Als wäre Sprache nicht eines der größten Zeichen für die Freiheit des Menschen! Der Duden ist im allgemeinen Leben nicht verpflichtend. Wir dürfen sprechen und schreiben, wie und was wir wollen. Wie uns der Schnabel gewachsen ist. Weshalb ich das hier schreibe? Weil ich es schade finde, wenn Menschen sich durch äußere Zwänge wie Orthografie und Ausdruck (das A! aus Aufsätzen) von ihrer eigenen Sprache entfernen und entfremden. Selbstverständlich ist es wichtig, so kommunizieren zu können, dass tatsächlich Kommunikation entsteht. Aber. Aber. Die Regulation der Sprache soll nicht den Mut nehmen, zu schreiben. Schreibängste entstehen lassen. Schreibblockaden. Es ist so schade, wenn die eigene Sprache nicht fließt. Wenn sie wie ein trocken gelegter Brunnen versiegt. Freude am schreiben!
Mit diesem Artikel möchte ich auffordern, vielleicht wachrütteln. Schreibt. Spielt mit Sprache. Probiert aus. Wenn ihr Lust dazu habt. Schreibt vielleicht mal ein Gedicht, bloggt, twittert, artikuliert euch, öffnet euch für neue Wörter, kombiniert sie, trickst, bastelt. Und: Entdeckt eure Sprache, baut sie vielleicht aus, wenn ihr sie schon gefunden habt. Werft Barrieren und Blockaden über Bord, sofern sie bestehen und lasst euch von niemandem sagen, wie eure Sprache auszusehen hat. Kickt das A! weg, seid frei, frei, frei. Nutzt Anglizismen, wenn ihr wollt oder verdammt sie, wenn ihr sie nicht mögt.
Die Sprache ist ein wertvolles Gut. Sprechen ist denken. Viele Dinge können wir nur denken, wenn wir die passenden Wörter haben. Wer sich Wörter nehmen lässt, lässt sich das Denken einschränken. Wer will das schon. Sprache ist wichtiger, als viele vielleicht glauben.
Vielleicht entdeckt ihr heute ja neue Wörter. Oder schöne alte. Hört mal hin.