Schlussverkauf

In Fingerspitzen das Gefühl Zerreißen
wenn schon Gewalt Gewalten
weshalb nicht jetzt?

Auf Zehenspitzen leicht verkrampft
hoffend tanzen
Sehnsucht bunt

Die Reihen schließen
Schafe treiben
pferchen

Die Mauern
Jericho

Der Turm
Babylon

Bildungsbürger
Arschlochscheiß

Das Muster
Bourgois Paisley
hakenkreuzliniert

Kreuze nageln
unter Flügel

Brüllen, scheißen, lügen

Bewerben
für die Marsmission

februar 2016

Fucking awesome

The Tree 1

Es ist spät. Fast mitten in der Nacht, so kurz davor. Zeit, zu schlafen. In dieser grauen Soße da draußen kommt gerade alles durcheinander. Es macht keinen Spaß, aus dem Fenster zu sehen. Es macht keinen Spaß, die ersten fünf Posts auf Spiegel online zu lesen. Es ist Februar, es liegt Schneematsch, der morgens gefroren ist und sich mittags mit Matsche paart. Ekelhaft.

So what? Seid ihr Blogger? Seid ihr Kreative? Kennt ihr dieses Gefühl, zu wollen, zu müssen, diesen inneren Druck zu spüren und dann, doch nicht. Ah. So ungefähr. Ach. Egal.

Die Kraniche kommen zurück. Sie ziehen dicht übers Dorf. Erweisen uns die Ehre. Kürzlich hatten sie eine Diskussion über der Schule, die Führung, der Kopf war verloren gegangen. Was für ein Schauspiel, was für ein Geschnatter und im Kreis umherfliegen. Mal der Kranich vorne, mal der. Und im Kreis und im Kreis und im Kreis.

Nun. Weshalb sollte es Kranichen besser gehen. Die sehen von oben ja nix anderes. Wenn die mal anfangen, zu kommentieren. Holla die Waldfee, wie soll man das alles erklären? Männer, die kleine Jungen anbrüllen. Breitschultrige Polizisten vor Stacheldrahtzäunen. Männer mit Köpfen in den Händen. Tote Kinder an Stränden. Gebrüll allerorten. Mauer an der mexikanischen Grenze. Schlachtschiffe für Australien. Gift im Bier. Bomber aller Nationen über Syrien, die sich begleiten, aus dem Weg gehen, Korridore suchen, angreifen, zurückfliegen und über der Türkei abgeschossen werden. Atomtests in Nordkorea und ganz zu schweigen von despotisch afrikanischen Ländern.

Ich möchte kein Kranich sein. Analphabet hat ja auch seine guten Seiten. Sorry. Zynische Zeiten.

The Tree

Vorgestern war ich nach langer Zeit mal wieder mit Herrn Cooper draußen. Nebel fotografieren. Bäume, Wald, den Busch, der versucht, an die Stelle meines kleinen Baumes zu treten. Nun, wie soll ich sagen, wir nähern uns an.

Frühjahr, bitte. Ende März entführe ich Viveka. Sie hat am selben Tag Geburtstag wie mein Vater. Wir werden unsere sechs, sieben Sachen packen und über Ostern entfliehen. Der Mensch braucht Horizont. Ich habe gebucht, eine Wohnung in einer Stadt. Viveka freut sich auf Budapest. Leider zu weit. Sie würde gerne mit mir in dieses alte Badehaus gehen, wenn es das noch gibt. So gerne würde ich mit ihr ihre Orte abklappern. Jamaika, die Hills. Indonesien, Thailand, Burma. Sie trägt Geheimnisse in sich.

Das Schöne, das Gute. Die Nebel werden sich lichten, die Kälte wird gehen und die brutal Eiskalten werden in der Sonne vergehen. Wie immer im Leben, man muss Geduld haben. Auch, wenn man Widder ist und gerne das Schwert zücken würde. Peace. Die Kerzen brennen, es ist warm im Bett, auch die Pseudo-Revolution frisst ihre Kinder. Bastarde, elende.

The Tree 2

Anmut

Rosen

Nun, was sind das für Zeiten.

Ein Leben im emotionalem Schleudergang. Dieses Land, diese Leute. Ein wenig diese Bert Brecht Tonality, Was sind das für Zeiten, in denen…“ So einiges abhanden kommt. Die Liebe, wie ein Stock oder Schirm. Meine Liebe nicht, sie ist das Feuer, das mein Herz warm hält und meine Seele rein. Die Wärme, die in feinen Linien alles durchzieht, gibt dieses schöne Gefühl von Geborgenheit. In Wert, Wichtigkeit, Normalität, Menschlichkeit, Sinn, Ausrichtung, Ziel und letztlich auch Verstand. Den Verstand einschalten, den schönen, wahren, tiefen Menschenverstand. Dieses Gefühl, die Liebste, das Kind, einen Bruder, einen Freund, einen guten Bekannten von Herzen zu umarmen. Und ein wenig die ganze schöne Welt.

Anmut. In diesen Text heute reihe ich einfach wohlige Worte nach Herzenslage. Das ist wie das Aufladen eines Akkus. Hinsetzen und wirken lassen: Die wunderbare Liebe. Die Sonne, die durch die Augenlider scheint. Ein etwas zu lange dauernder Kuss. Der Moment, in dem man etwas weiß. Der erste Tag nach einer Erkältung. Krokusse. Von einem verliebten Blick eingefangen werden. Hungrig den Duft einer Mahlzeit einsaugen. Die Ruhe haben, auf eine Wand zu sehen und gute Bilder der Vergangenheit zu sehen. Einen weinenden Menschen umarmen, der sich trösten lässt. Kind sein, im Telefonat mit Mama.

Kitsch, könnte man sagen. Werbung. Ja. Weil es die Emotionen sind, die berühren, die Menschen Menschen sein lassen. In den Buchten vor Levanto abtauchen. So weit es geht, so weit der Atem trägt. Im warmen Wasser frei bewegen. Sich drehen im Blau, im Grün. Auf Paris bei Nacht herabblicken. Kettenkarussell im Sonnenschein, fliegen, abheben, weg sein. Die Hand neben sich greifen, den Sitz heranziehen, versuchen, einander zu küssen. Ein Moment Unendlichkeit, entflogen, entschwebt, entkommen. Vor Korsika auf dem Surfbrett stehen, im Trapez hängen, schräg die in die Bucht einlaufenden Wellen anfahren, an der Fußschlaufe ziehen, ein Hüpfer ins Wellental, Segel dicht nehmen, Wasserspritzer im Gesicht, Geschwindigkeit, noch ein wenig mehr, Lust, Leben, Grinsen.

Ein Gedicht schreiben. Für was auch immer. Diesem Gefühl des Moments Ausdruck verleihen, in sich spüren, wie Tore aufgehen, wie sich Worte suchen, finden, ordnen. Als wäre alles immer schon da gewesen, als gäbe es einen inneren, unbekannten Plan, als würde eine geheime Hand den Stift und das Leben führen.

Mein Highlight? Top of all? Küssen. In allen Varianten. Die Königin, das Berühren der Lippen. Ganz zart. Wenn alles sich verbindet, wenn die Gefühle zu einem werden, wenn man den Moment für immer halten möchte. Die Augen sind geschlossen, der Verstand steht lächelnd am Rand. Es ist Strom, der fließt. Kontakt, Impuls. Für wie viele Küsse hat ein Leben Platz? Für wie viele von denen, die nicht nur hingehaucht sind, sondern das ganze Programm abspielen?

Draußen regnet es im Februar. Es ist kalt und ich sitze allein in der Küche. Der Kaffee ist kalt geworden, Viveka werde ich erst am Abend sehen. Eben habe ich mit Norbert van Ackeren telefoniert, er hat heute Geburtstag. Nächste Woche treffen wir ihn und Barbara in Duisburg. Ein Kunstprojekt. Anmut. Nie war die schöne Seite des Lebens wichtiger, lange hatte Kunst nicht mehr eine solche Bedeutung. Ich liebe. Ich liebe es. Der einzige Reichtum des Menschen ist die Kunst, lieben zu können und Liebe zu spüren. Alles andere ist Martyrium.

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Parole Deutschland

Schafskopf

Ey.

Ist das noch wahr? Heute stand in Detmold ein 94 Jahre alter SS-Wachmann vor dem Richter. Einer der Letzten. Ich glaube, es geht um Mord in 170.000 Fällen. Irgendwo, das habe ich gestern gelesen, stehen 3 Deutsche vor Gericht, die einen Molotow-Cocktail in einem Asylbewerberheim in ein Kinderzimmer geworfen haben. Horst Seehofer spricht von der „Herrschaft des Unrechts“. Ich habe ihn hier jetzt mal bewusst eingereiht, weil man irgendwann seine demokratischen Rechte im Nebel des Hasses abgibt. Biedermann und die Brandstifter ist gerade ein sehr beliebtes Gesellschaftsspiel. Nach Seehofer kommt die Frau vom AFD, die sich wünscht, dass an der Grenze auf Menschen geschossen wird. Das ist der DDR-Schießbefehl in andere Richtung. Ziemlich wirr, diese Frau. Erst wollte sie, dass auf Männer, Frauen und Kinder gezielt und geschossen wird, dann nur auf Frauen und Männer und nun tut es ihr Leid. Kann mir einer sagen, weshalb die Meinungen von solchen Menschen gedruckt, kolportiert, weitergegeben werden?

Spielen wir gerade das Spiel, die am lautesten schreienden Vollpfosten geben den Ton an? Es lässt sich gerade gut Karriere machen am kalten Ende der Politik. Da treten sehr bizarre Persönlichkeiten in das Scheinwerferlicht unserer altehrwürdigen Demokratie.

Köln.

Silvester.

Dammbruch. Seither wird man doch wohl mal sagen dürfen. Boah ey, was ist denn da für eine Eiterblase geplatzt? Rassismus in Deutschland ist in. 2006, Sommermärchen. Betonung auf Märchen. Friede, Freude, Eierkuchen. Alles gut, alles schön, alles nett, pure Harmonie. Wo waren die alle? Saßen die Zuhause im Wandschrank? Haben die ihre Hakenkreuze im Keller poliert?

Dresden.

Montags.

Als ich in Dresden war, habe ich Klaus getroffen. Er hat mir von den Amis erzählt, die alles voll pissen. Dann habe ich ihm gesagt, dass ich aus New York komme und habe ihm meine amerikanische Frau vorgestellt. Und schon sang er das Loblied des Friedens. Der Völkerverständigung. All together. Ich dachte, naiv, das verwächst sich. Irgendwann wird es keine Klause mehr geben. Die haben in ihren dunklen DDR-Wohnungen mit tiefbraunen Duscharmaturen gehaust. Klaus aus der Kiste. Da bin ich.

Dortmund.

Heute.

Razzia in 5 Neo-Nazi-Wohnungen. Die haben an Silvester Polizisten schwer verletzt.

Düsseldorf.

Kürzlich.

Razzia. Maghreb-Viertel, die dealen, klauen, belästigen sexuell. Die, die da nerven.

Wen nun, schiebt man ab? Den Klaus, die Nazis, die Maghrebs? Die Pegidas? Die AFD? Den Seehofer?

In Aleppo wird bombardiert. Menschen flüchten, werden an Grenzen aufgehalten, haben Assad im Rücken. Auf Spiegel Online ist das Foto des Mannes, der im Mittelmeer vorne am Bug seines abgesoffenen Bootes ausharrt und auf Hilfe wartet. Manchmal kommt die, manchmal nicht, es ist Roulette. Rien ne va plus. Der Einsatz ist hoch. Wer gewinnt, kommt nach Deutschland.

Heinrich Heine.


Es sind die grauen Mäntel noch
Mit dem hohen, roten Kragen –
(Das Rot bedeutet Franzosenblut,
Sang Körner in früheren Tagen.)

Noch immer das hölzern pedantische Volk,
Noch immer ein rechter Winkel
In jeder Bewegung, und im Gesicht
Der eingefrorene Dünkel.

Sie stelzen noch immer so steif herum,
So kerzengrade geschniegelt,
Als hätten sie verschluckt den Stock,
Womit man sie einst geprügelt.

Wintermärchen. Haut schon eher hin, ihr armen einst geprügelten Pegidas, die ihr nun um euch beißt wie getretene Hunde. Feige Bande.

Heute kam mir der Gedanke, dass es in Aleppo keine Bunker gibt. Wer wäre auf die Idee gekommen, welche zu bauen? Ist man nun Mensch in Aleppo, Vater, Mutter oder ein Kind, wohin geht man, wenn die Bomber kommen? Wohin verkriecht man sich? Um wie viel größer und angebrachter ist die Angst gegenüber der Angst der zutiefst verängstigten Deutschen, die sich nicht auf die Straße trauen wegen all der Gefahr.

Die Grabscher, die Eingeschleusten, die Schläfer in Übermacht. Empathie scheint ein chemisches Element zu sein, das unter der Zugabe von Realität und Belastung im Millibereich in Flammen aufgeht. Die Haut ist dünn, die Gemüter sind erregt. Es herrscht Panik wegen all der Vorkommen. Köln. Genau genommen: Köln. Also, wenn man nach Köln sieht.

Dann wird die Karte auf Spiegel online, die all die brennenden Flüchtlingsunterkünfte zeigt, relativiert. Dieses Land ist in seiner kompletten Hysterie irritierend. Was ist denn hier los, wenn es richtig hart kommt? Selbstschutz? Saalschutz? Schutzstaffel? Ab in die Stiefel, ran an die Gewehre, die Grenzen schützen.

Camus. Der Fremde. Erst schießen, dann überlegen.

Dieses Deutschland in diesem Winter macht keinen Spaß. Und stolz kann man gerade nur auf die sein, die in keine Richtung hassen, kratzen, beissen. Gibt es nicht mehr so viele von. Die Kakophonie wird immer schriller, mancherorts hat das Hinterfragen aufgehört und der Stammtisch hat das Ruder übernommen und Panzer und U-Boote in Karnevalsumzüge geschickt. Das Auftürmen von Boshaftigkeit und schlechtem Geschmack hat Hochkonjunktur. Deutschland hat in einigen Teilen Mundgeruch bekommen, einen durchaus schlechten Atem. Und fiese Schweißflecken unter gereckten Armen.

Mir ist dieses Land, das ich schätze und liebe, gerade ein wenig unangenehm. Es riecht nicht gut, es ist uncharmant, plump und beige-grau. Total unwitzig. Gut, es wird sich einrenken, die Schwachmaten werden ihre Stimme verlieren und ihre gemein-dümmlichen Transparente einrollen. Irgendwann kriegen diese so überaus mutigen Spießer Angst und Gegenwind. Momentan fühlen sie sich wie King Louis. Endlich am Drücker. Und die verdammte Lügenpresse spielt das Spiel so schön mit. Wenn eine sagt, auf Kinder schießen, dann druck ich das und freu mich über die Story und die abverkaufsstarke Aufregung. Was für ein erbärmlicher Hühnerhaufen ist dieses Land im Augenblick. Silvester in Paris ist schön. Italien im Sommer. Die Bretagne im Spätsommer. Und Deutschland im Februar 2016 so ganz überhaupt gar nicht. Heinrich, nie war ich dir näher.

Die Lyrik starb in der Mayerschen, Woody schenkte uns Marvin

Wiehltalsperre_Wald

Diese Welt würde mich taumeln lassen, ständen die mir gewachsenen Füße nicht auf einem Boden, der die Sterne zu Griffen macht, die Bäume zu Halt, die Sonne zur Mutter Theresa des Gewissens, das Tagwerk zum Steigbügel mutigen Weitergehens. Atmen nicht vergessen.

Das Wochenende liegt hinter mir. Es begann mit einem Tumult. Es hätte von Anfang an so schön sein können, war es aber nicht. Menschen sind ein fürchterlich unberechenbarer Faktor. Irgendetwas fällt ihnen immer ein.

Durch den Tag gehen, Dinge tun, die getan werden müssen. Durch die Wohnung putzen, das Essen bereiten. Vergan, unvegan. Dinkel-Spaghetti mit frittierten Tomaten und Spaghetti-Frutti di mare mit angeschwitzter Paprika und kleinen, in Olivenöl ausgebackenen Zucchini-Würfeln. Essen hält Leib und Seele zusammen, heißt es.

Das Leben in den eigenen vier Wänden gestalten.

Ela ist wieder weg, Viveka war da und ist auch wieder weg. Ich sitze in meinem indischen Bett aus Mangoholz, höre Bowie in Dauerschleife und denke. Nach. Über diesen konzentrierten Wust. Gerade brauche ich die große Schaufel, um das alles zu bearbeiten. Die Dinge gehen. Tendenziell. Bowies Lazarus. Look up, I’m in heaven. I’ve got drama, can’t be stolen. Die Abschiedsplatte. Look up here man, I’m in danger. Nichts mehr zu verlieren, keinen Dollar mehr verdient, den er hätte ausgeben können. Sauber gehen.

Dieses Wochenende stand im Zeichen von Lyrik. Mit Jim habe ich über die Expressionisten gesprochen. Er mag Alfred Liechtenstein. Mit Zoe über die Lyrik des Barock. Sie lernt, zu interpretieren. Methodisch. Am Donnerstag war Elternabend. Ihr Deutschlehrer ist ein beeindruckender Mann. Aktuell teilen sie Deutsch. In Politik und Deutsch. Und in Poetik, die eine andere Lehrerin gibt. Das ist schön intensiv. In Poetik hatten sie letzte Woche Haikus. 5 – 7 – 5. 15 Minuten Selbsterfahrung. Silben zählen, Worte reihen, Zeilen. Zoe hat mich nach meinem Haiku gefragt.

Die Liebe ist mein
gestohlen am ersten Tag
gestreichelt, geküsst

Es ist ein gutes Gefühl, von Gedichten, Poemen umgeben zu sein. Zoe hat ihren Conrady in die Küche gebracht. Ein Schulbuch voller Gedichte. Ein Abriss. Alle Zeiten, alle Stile, alles. Wie hat mich dieses Buch gefreut, dass sie so geherzt hat. Jim meinte, mit der Romantik hätte er Probleme. Eichendorff.

Ich konnte ihn verstehen. Aber dann habe ich nachgedacht, und meine Bücher vom Speicher geholt. Novalis.

An-

Was paßt, das muss sich ründen,
Was sich versteht, sich finden,
Was gut ist, sich verbinden,
Was lebt, zusammen sein.
Was hindert, muss entweichen,
Was krumm ist, muß sich gleichen
Was fern ist, sich erreichen,
Was keimt, das muß gedeihn.

Gib treulich mir die Hände,
sei Bruder mir, und wende
Den Blick vor deinem Ende
Nicht wieder weg von mir.
Ein Tempel, wo wir knieen,
Ein Ort, wohin wir ziehen,
Ein Glück, für das wir glühen,
Ein Himmel mir und dir!

Ich habe es Viveka vorgelesen. Mehrfach. Wir haben dann noch Heine gelesen und Schlegel und Brentano und Hölderlin. Romantik zum Frühstück. Und anschließend mit Herrn Cooper in den Wald. Dieses Mal weiter weg ans Ende der Wiehltalsperre. Allein im Wald. Der Schnee der letzten Wochen geschmolzen, Nebel. Moos, grünes Gras zwischen den Bäumen, Eisschollen auf dem Weg. Ein Glück, für das wir glühen.

Nun liegen sie hier. Lasker-Schüler, Fried, Neruda. Die Menschheitsdämmerung. Trakl.

Jetzt höre ich Trouble Man von Marvin Gaye. 1972. Letztes Wochenende saß ich bei Viveka in Essen auf dem Sofa. Sie kam gerade von Stevie, ihrem besten Freund, dem Vater ihrer Kinder, der zwei Stockwerke höher wohnt. Er hatte die Platte gerade aufgelegt. Geerbt von Woody, einem Jamaikaner, der im letzten Winter gestorben ist. Er war ein Freund von Viveka. Über 70. Kurz vor seinem Tod hatten wir ihn auf der Straße getroffen. Er kam vom Yoga, hatte eine Erkältung, lehnte eine Einladung zum Kaffee ab. Eine Woche später war er tot. Die Einschläge kommen näher, meint ein Fußballkollege, daran muss ich mich noch gewöhnen, werde es aber sicherlich nicht tun. Viveka hatte die Platte geerbt und Stevie geschenkt. Er hatte sie letztes Wochenende gehört und Viveka hatte sie dann über Spotify „aufgelegt“. Und ich saß da auf dem Sofa und hatte ein unendlich schönes Gefühl der Ruhe, so, wie man es manchmal hat, wenn sich die Dinge aus dem Schicksal heraus fügen.

Musik, Lyrik. Bowie, Novalis, Gaye.

Kürzlich war ich in der Mayerschen, um für Ela ein Buch zu kaufen. Weihnachtsgeschenk. Als ich all die Bücher sah, wollte ich mir Lyrik kaufen. Stöbern, nachsehen, was es gibt. Es gibt sie nicht mehr zu kaufen. In diesem riesigen Laden 30 cm Gedichte. Grünbein ist wohl der letzte Mohikaner. Reste. Dazwischengeklemmt. Sentimentalitäten. Lyrik verkauft sich nicht, wird nicht gelesen. Ich habe die Verkäuferin gefragt, sie zuckte mit den Achseln.

2016. Keine Gedichte mehr zu kaufen. Bin ich froh, dass ich noch welche habe. Notfalls leihe ich mir Zoes Conrady.

Das Foto übrigens entstand, als Viveka meinte: Stopp. Schau! Ja. Es war eine besondere Stimmung. Wald- und Wassergeister. Mindestens. Wir haben den Weg verlassen und uns durch den nebligen Wald geschlagen, in dem das Moos von den Bäumen hing. Ich sang in tiefer Stimme und besonders laut ein Lied vom Versinken im tiefen Grund. Herr Cooper sah mich irritiert an, Frau Beckmann lachte und das Wild machte sich vom Acker. Romantik ist, wenn alle guten Geister sich verlassen und das Chaos in der Tiefe des Waldes sich in Unwichtigkeit ordnet. So einfach ist das. Grins.

Dieser Marvin Gaye ist der Hammer. Danke Woody, wüsste ich nicht, dass deine Asche an einem weit entfernten Ort verstreut wurde, ich würde denken, dir heute begegnet zu sein. Dort.