Würde hat dann ja auch was mit guter Laune zu tun, nö?

Kleines Glück

Ey Leute, es weihnachtet. Und ja, endlich ist frei. Mir geht es schon den ganzen Tag so, dass ich was schreiben will. Selbstverständlich so etwas Bedeutendes, Großes. Präsidentenhaftes, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger und Neubürgerinnen und Neubürger und Cheeseburger/innen. So eine Weihnachtsansprache mit Format und Karacho. Hasta la vista, baby. Die Massen bewegen, die Botschaft rüberbringen.

Au Mann, ich bin aus der Übung. 3x hatte ich vor diesem Beitrag angesetzt und nur so Tiefenrumgeschwafel produziert. Es passiert eben auch mal, dass sich Worte zu Katastrophen reihen. Trief, manchmal weiß ich auch nicht, was in meinem einmalig beschränkten Geiste so vorgeht. Bin ich froh, dass ich meiner geistigen Weihnachtsumnachtung nicht auf „veröffentlichen“ gefolgt bin. Das ist wie NASA bei Zero. Alarmstufe ROT. Rien ne va plus. Naja, so ähnlich.

Was ich sagen will? Es ist Weihnachten, lasst gehen, haut raus. PARTY! Ey, alle haben frei, also fast alle, nun gut einige müssen. Aber der Rest. Tanzen. Lachen. Gehen lassen. Gut, natürlich auch so ein wenig besinnlich sein, aber das muss ja nicht gleich in Dramen und Depressionen enden. Ich meine, hey, Heiligabend ist doch auch nur so ein Tag im Jahr. Und es liegt ja auch schon 2015 Jahre zurück.

Die Überschrift hat übrigens damit zu tun, dass ich über Würde schreiben wollte. Ui, ui. Vielleicht sollten wir gemeinsam ein klein wenig den Weihnachtswinkel verschieben, die Blickrichtung, die Emotionsebene. Zum Beispiel mit Gloria Gaynor. Oder den Bee Gees. Oder Bonnie Tyler.

Jesus hätte gegen ein wenig Lockerheit nichts einzuwenden gehabt. Muss ja auch Spaß machen auf Erden, wegen dem Wohlgefallen, der sich einstellen soll. Man muss ja auch sehen, wo man bleibt. Frau auch.

Deshalb, bitte, macht locker. Was so viel heißen soll wie: Schönlau, mach du dich locker. Letzen Endes meint man ja immer sich, wenn man von Allgemeinheit redet. Lange Rede, kurzer Sinn. Ich wünsche euch ein rauschendes Fest. Eine echte Geburtstagsparty mit Topfschlagen, Schokoladenessen und Schubkarrenrennen um den Weihnachtsbaum. Scherz. Macht was draus. Schön, dass ihr vorbeigeschaut habt. Danke, dass ihr den fiftyfiftyblog lest. Kuschlige Grüße, Küsschen, Umarmungen, Raketen, Konfetti. Und jetzt mach ichs: VERÖFFENTLICHEN. Peng, Autsch’n.

Die kleine Welt geht

Selfie

Wisst ihr, manchmal ist es anders. Es fühlt sich nicht mehr so an.

Winter 2010. Kirschblütenblättersehnsucht. Vor 6 Jahren. Ich glaube, es lag Schnee. Die Zeiten waren für Freie nicht gerade rosig. Manchmal dachte ich, mein Telefon ist kaputt. Spielball der Zeiten. Kein Netz, kein doppelter Boden. Ich hatte keine Kohle, ein Jahr lang, mir neue Joggingschuhe zu kaufen. Hei. Kein wahres Problem, kein Hunger. Nun, schön war es trotzdem nicht.

Cocooning. In solchen Zeiten stürzen sich die Menschen ins Private. Die fallenden Türme, die Lehmann Brothers, haben Arroganz genommen. Hochfliegende sind gelandet. Aus Kaviar wurden Fritten. Menschen neigen im Überfluss zur Dekadenz.

Dieser Blog hat sich verändert. Ich habe mich verändert. Manchmal habe ich über Banalitäten geschrieben, die mir jetzt fremd sind. Jeden Tag ein Beitrag. Aus dem Leben heraus, aus dieser Familie, dieser Schule, diesem Alltag.

Es fällt mir gerade schwer. Das kleine Leben ist mir aus den Fingern gerutscht. Ein wenig bin ich unter die Räder gekommen. Die Sehnsüchte des Umfelds sind groß. Es fällt mir schwer, gerecht zu werden.

Transformation, Übergang.

Zoe und Ela sind gerade in Neuseeland. Wenn Ela zurückkommt, werden wir unser Leben trennen und die Schule verkaufen. Es wird eine Annonce geben. Es schmerzt, das zu schreiben. Mein Inneres hatte einen anderen Plan. Heimat, ankommen, bleiben. Ich war das Umziehen satt.

Über dieses kleine Leben kann ich nicht mehr schreiben, weil es schon verflogen ist. Ihr wisst, was es mir wert wahr. Nun, ich bin Buddhist. Gehen lassen, nicht anhaften. Den Geist nehmen und fliegen. Ja.

2016 wird ein Jahr des Abschieds. Schritt für Schritt, ein Abenteuer. Sachen verticken, räumen. Sehen, was wichtig ist. Viveka und ich können noch nicht zusammenziehen. Noch müssen wir uns kümmern. Es fehlen 3 Jahre. Wir haben einen Elternjob. Zwischenzeit.

Ein anderes Haus kaufen? Eine Wohnung mieten? Bei einem Freund einziehen?

Gerne würde ich mal wieder über einen Spaziergang im Maikäfertal schreiben. Über diese Leichtigkeit. Über die Freude an einem Schwarzstorch, einem Reiher, einem Bussard. Es hat sich verändert. Viveka und ich waren am Wochenende wieder in Köln, haben bei einer Freundin geschlafen, Kunst erlebt, Köln bei Nacht, waren am Rhein spazieren, sind in der Nacht in einem Atelier gelandet, es war groß.

Was zählt?

FaceTime mit Zoe. Cappucino am Morgen mit Jim. Telefonieren mit Viveka, mailen mit Viveka, lachen mit Viveka, Paris mit Viveka. An sie denken. Über die Autobahn gleiten, der Mund steht nicht still.

Fiftyfifty war einmal anders. Vielleicht sollte ich mit einem neuen Blog starten. Hier einen Schlussstrich ziehen und etwas ganz Neues anfangen, was meinem neuen Leben entspricht. Essen, Köln, Attendorn. Kunst, Werbung, neues Leben. Es fällt mir schwer, Abschied zu nehmen. Aber, es braucht einen Sinn.

Viveka, zum Beispiel, ist in diesem Blog nie angekommen. Dreieinhalb Jahre. Zu sehr war er von Ela geprägt. Ich würde es mir wünschen, weil sie es verdient hat. Weil sie ein besonderer Mensch ist, weil ich sie sehr liebe. Manchmal ist die Vergangenheit ein Anker, der feststeckt. Ich würde mir wünschen, es wäre leichter.

Morgen noch arbeiten. Dann Männer-Weihnachten mit Jim und Cooper. Dann Paris. Viveka und ich haben eine Wohnung ganz nah an einem Park gemietet. Liebevoll eingerichtet. Airbnb. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sehr. Die Stadt der Liebe, der Freude. Mein Herz hüpft. Ich küsse die Stadt, die Liebe, die Freude. Viveka.

SCHACHTEN & ACKERN im Kölner Maison Belge

Barbara 2

Eine Performance. Eine performative Ausstellung. Heute Abend in Köln im Belgischen Haus. Es geht, das Haus. Belgien gibt auf. Früher waren Belgier in Köln stationiert. Kasernen, Soldaten. Heute. Au revoir. Da braucht es dann auch kein Haus mehr, in dem die Kultur des Landes wohnt. Umnutzung. Es wird ein Restaurant kommen, und anderes. Mitten in Köln, direkt neben dem Neumarkt. Ein Sahnestückchen.

Barbara Schachtner und Norbert von Ackeren durften einen Abschied inszenieren. Fünf Tage haben sie im Foyer des Hauses in der Cäcilienstraße geackert und geschachtet. Und geschächtet. Viveka und ich kamen ins Foyer, vor der Zeit. Da hingen zwei Bilder. Am Boden lagen verrostete Knäuel aus Eisenschrott, ein Beamer warf Sequenzen an die Wand. Die „Schaufenster“, die Fenster zur Straße, waren verhüllt. In eine Bühne verwandelt, in eine Baustelle. Holzstützen, Farbe auf der Folie, Requisiten, eine Leber, zwei Nieren. Blutig auf saugendem Papier.

Irgendwann stand Barbara im Fenster, in einem Mantel. Man musste sich entscheiden, von außen aus stürmischem Wetter durch die klaren Scheiben zuzuschauen oder aus dem warmen Inneren des Maison Belge durch trübe Folie mit weißen Farbflecken, Wandfarbe. Der Mantel fiel. Klarsichtfolie als Kleid über Wäsche. Ein Schuh, ein einziger schwarzer, glänzender Pumps, der sie hinken ließ. Ein Auge mit künstlichen Wimpern, tiefschwarz, ein Zopf senkrecht nach oben gebunden, gegelt. Eine Leber wird an eine Stütze genagelt. Das reinigende Organ, das schützende Organ. Das Blut siebend. Genagelt an einen Pfosten. Zu Beginn.

Töne, Musik, Stimme. Tod, Liebe, Kunst. Der Text, ich habe ihn kaum wahrgenommen, die Bilder, allein, waren zu stark. Man kann sich in Intensität wunderbar verlieren, dann braucht man nichts mehr, was formal führt und leitet.

Barbara

Zurück auf Anfang. Viveka und ich betraten das Foyer des belgischen Hauses und trafen auf Frank. Frank ist ein alter Freund Vivekas aus Essen, den sie seit zwei Jahren nicht mehr gesehen hat. Er arbeitet mit Norbert zusammen und so schloss sich ein Kreis. Ich habe ihn vorher nicht gekannt. Es gab viel zu bereden inmitten dieser Bühne. Es ging um das Innere, das Fühlen, das Empfinden. Es ging um Metamorphose, Veränderung, Vergehen.

Es war sehr intensiv. Man trifft manchmal auf Menschen, die machen PENG! Man sagt Dinge, spricht über Dinge, über die man so meist nicht spricht. Oder erst nach langer Zeit. Und dann ist da plötzlich eine Vertrautheit, die fast irritiert.

Im Hintergrund, Norberts Bilder. Zwei. Ganz anders als die, die ich kenne. „Das sind Petrischalen“. Norbert benutzt Farben, Mineralien, Chemikalien, die reagieren. Sie sind nicht fertig, sie arbeiten weiter. Zersetzen sich, fügen zusammen, fressen, verbinden. „Ein Prozess.“

Schachten & Ackern

Diesen Prozess des Vergehens hat Barbara in den Raum getragen, in die Schaufenster. Man braucht, bis man in so eine Performance reinkommt. Von der Autobahn auf den Parkplatz über den Weihnachtsmarkt in die Vergänglichkeit. Der Geist ist ein behäbiges Wesen. Meinen Geist hat sie gepackt. Was genau geschehen ist? Keine Ahnung. Vergänglichkeit, Sterben, Prozess. Ich war gefangen von den Bildern, von Frank und Viveka, von Vergänglichkeit, Veränderung, Abschied. Zwischendurch habe ich mit Zoe telefoniert, die am Mittwoch nach Neuseeland fliegt. Für vier Wochen. Das erste Weihnachten, seit es sie gibt, ohne sie. Die Welt verändert sich. Wir leben in einer Petrischale und sind nur die Kandidaten.

Auf dem Nachhauseweg sind Viveka und ich durch Leverkusen gekommen. „Science for a better life“. Die Petrischale des Lebens. It’s all plastic. Eine Stadt, wie vom Himmel gefallen. Sturm, Regen. Dawson City. Wie kommen Menschen auf die Idee, eine solche Stadt zu bauen und dort Menschen leben zu lassen? Unterm Bayer-Kreuz. Was für eine Atmosphäre. Die Schlote schicken den Nebel in die Nacht, das Kreuz leuchtet und es scheint jede Sekunde, als wären die Straßen für Zombies gemacht. Was für ein Abend. Belgien, SCHACHTEN & ACKERN, Petrischalen, Frank, Zersetzung und am Ende, vor dem Flug über die verwehte Autobahn: Leverkusen.

Bayer

Die Ausstellung läuft noch bis zum 09. Dezember 2015. Belgisches Haus, Cäcilienstraße 46, Köln. Infos unter SCHACHTEN & ACKERN.

Im Rausch der Kunst

Fanta

Für Viveka!
(Die meint, ich würde zu wenig bloggen.)

Manchmal finden Dinge zusammen. Kulminieren. Manchmal ist es fast zu viel. Für einen Moment, eine Stunde, einen Tag. In diesem Fall eine Nacht.

Es ist einige Zeit her. Tatsächlich mag ich nicht nachdenken, wann. Vor einer Woche? Vor zwei Wochen? Egal. Köln. Viveka, Zoe und ich waren auf dem Weg zu meinem Bruder und meiner Mutter in die Eifel. Wir waren für samstags verabredet. Freitags waren Viveka und ich in Köln eingeladen. Ich habe Jens gefragt, ob wir seine Wohnung haben können. Bin ich am Wochenende nicht in Nosbach, ist er dort und seine Wohung in Köln ist frei. Praktisch. Und er ist einfach sehr nett und unkompliziert. So konnten wir dort schlafen und Barbaras Einladung zu ihrer Geburtstagsfeier annehmen.

Südstadt. Eine Bar, ein Club, ein Musikkeller. Was auch immer. Barbara Schachtner. Ich erwähne das, weil in diesem Text einige Namen erscheinen werden. In etwa so wie in einem russischen Roman. Ihr könnt schon einmal die Ohren anlegen und mitzählen.

Am gleichen Abend lief eine Vernissage in der wunderbaren Galerie des Sebastian Linnerz. Könnt ihr euch erinnern? Dort war ich auf Graham Foster gestoßen. Zeichnungen, Installationen, Arrangements. Dieses Mal wurden Fotos von Martin Classen ausgestellt. Der Rheinauhafen davor. Als die Kaufpreise für einen Quadratmeter noch nicht 8.000 € betrugen. Als die Podolskis dieser Welt den Menschen noch nicht von ihren Balkonen auf den Kopf spucken konnten. Gut. Das war anders. Lassen wir das mit dem Werten. Es gibt andere Probleme von größerer Bedeutung. Es ist einfach eine Geschmacksfrage.

Die Ausstellung läuft, die Fotografien sind schön, der Besuch lohnt sich. Wegen der Kunst, wegen der Nettigkeit des Gastgebers, wegen des Themas. Infos, Öffnungszeiten: Sebastian Linnerz – plus Raum für Bilder.

Tja, und kaum standen wir dort, trafen wir Helga Mols und David Grasekamp. Am Wochenende zuvor hatten wir einen intensiven Nachmittag in ihrem Atelierhaus. Helga hatte zur Ausstellung „Baumstücke“ geladen. Was dort alles geschehen ist an einem kurzen Nachmittag, was es zu sehen gab, weshalb sie mir eine Zeichnung geschenkt hat, später. In einem anderen Beitrag.

Füße

Helga und Davids Kunstweg begleite ich, mit ein wenig Distanz, nun seit einigen Jahren. Es ist schön, Entwicklungen mitzuerleben. Zu sehen, wie sich die Dinge fügen, wie Themen entstehen, in sich gewinnen, Fahrt aufnehmen, lebendig werden. Dieses Atelierhaus hat nach vielen, vielen Jahren des künstlerischen Schaffens eine Magie. Das rote Holzhaus an der Agger atmet. Farbe. Gesichter, Waffen, Blumen, Zweige, Tupfer, Sprenkel auf Leinwand. Öl.

Ich ging in der Galerie umher. Kam in das Arbeitszimmer von Sebastian, der dort mit einem Mann stand. „Jens, darf ich dir Boris Becker vorstellen.“ Mein Hirn arbeitete. Herrje. Namen. Etwas war da. Boris Becker. JA! Overath. Die Ausstellung im Kulturbahnhof, in der Helga und David ihre gemeinsame Arbeit ausgestellt hatten. Eine Aktion – „wir schenken der Stadt ein Museum“.

Fotografien. Zwei Stück. Exponiert ausgestellt. Inszeniert. Präsentiert. Jim und ich hatten lange davor gestanden. Der Boris Becker. Ich hatte seinerzeit über die beiden Arbeiten bloggen wollen, traute mich aber nicht, meine Fotos der Fotografien zu veröffentlichen. Urheberrecht. Man darf Fotos der Arbeiten nur so lange zeigen, wie die Ausstellung läuft. Ich habe keinen Bock auf diesen Mist und Anwälte und Abmahnungen und weiß der Teufel. Schweren Herzens hatte ich verzichtet, obwohl ich viel schreiben wollte. Die haben mich echt getroffen. Bang! Bautz! Tja. Und dann: Boris Becker himself.

„Fotografierst du?“ „Ja“ „Hast du zwei Arbeiten im Overather Kulturbahnhof ausgestellt?“ „Nein, äh,doch!“ Tja. Der Spiegel schreibt etwas von einem der bedeutendsten Fotokünstler Deutschlands. Einer der Besten, ist da zu lesen. Hat wie Gursky bei den Bechers in Düsseldorf studiert. Und seither Geschichte geschrieben. Verkürzt gesagt. Im nächsten Jahr stellt er im Landesmuseum Bonn aus. Ich bin dabei. Also schaue zu. Hin. Fahre hin, schaue sie mir an, die Bilder, die Ausstellung. Was für ein Gestammel wegen des großen Namens, Schönlau. Lande mal, wie Frau Beckmann sagen würde. Gut, gut.

Seine Arbeiten, über die ich nicht geschrieben habe, stammen aus der Serie Total Desaster. Sehr realistisch. Eine Küche, eine Hausrückwand. Jeweils voller Gegenstände, Details, Geschichten, Vermutungen, Anmutungen. Er hat erzählt, dass die Laboranten bei der Arbeit an „Grünwald, 2012“, an dem Küchenbild, Profiling betrieben haben. „Das muss ein älterer Mann sein, der da wohnt, wegen der Medikamente, und er hat ein Kind und ist Künstler. Und…“ Ja, meinte Becker, stimmt. Geschichten, die das Leben erzählt. Wir unterhielten uns, Helga und David kamen hinzu, Viveka auch. Beim Abschied hat er sich mit Viveka zum Rollmops-Essen verabredet. „Der Mann ist Fotokünstler, nett, charmant, isst Fisch, geht mit Freunden in Brauhäuser. So einer zum Anfassen.“ Geschichten, die das Leben schreibt.

Wir haben uns dann noch mit Martin Classen unterhalten, über Fotoarbeiten von ihm in der Eifel. Ein Zumthor-Projekt, die Bruder-Klaus-Kapelle in Mechernich. Zumthor, Kolumba, Köln. Es ist jetzt kurz nach 21 Uhr an diesem Freitagabend in Köln. Das Kolumba wird später noch Thema sein.

Wir verabschieden uns. Von allen. Helga Mols, David Grasekamp, Sebastian Linnerz, Martin Classen. Boris Becker ist schon weg. Umarmungen. Abschied. Die Nacht ist jung. Vorbei am Ebertplatz, ein Blick ins Labor, in die Tiefen der U-Bahn. Südstadt.

Labor

Ebertplatz

Als wir ankommen, ist niemand da. Niemand, den wir kennen. Wir gehen in den Keller, wo ein österreichischer Sänger mit mazedonischen Wurzeln singt. Von seinem Großvater, der den Nazis nicht verraten hat, wo die Söhne, die Partisanen sind, der am letzten Tag des Krieges von den Hakenkreuzlern ermordet wird. Ein sympathischer junger Mann, eine schöne Stimme. Er singt auf mazedonisch, die Geschichte hatte er zuvor erzählt. Das nimmt den Schrecken. Applaus. Zugabe. Wieder hoch: Barbara und Norbert treffen. Barbara Schachten und Norbert van Ackeren. Ich glaube zwei Wochen zuvor, drei Wochen zuvor hatten wir einen gemeinsamen Abend in Duisburg Ruhrort verbringen wollen. In Norberts Atelier. Norbert war krank geworden und hatte sich auskurieren müssen, um am nächsten Tag nach Paris zu können. (Das schreibe ich jetzt, weil Künstler und Paris schön romantisch klingt und die Stadt das jetzt gebrauchen kann.)

Ein DJ. Musik. Tanz. Ausgelassen. Unterhaltungen. Ich setze mich zu Marc Steinmann. Einer der Kolumba Kuratoren. Weil Barbara dort kürzlich mit ihrem Ensemble unterwegs aufgetreten war, hatten Viveka und ich erstmals den Weg dorthin gefunden. Schande. Mann! Was für ein Museum. Was für Räume! Dieses Land ist so unermesslich reich. Da kann ein ganzes Stadtarchiv unwiederbringlich weg brechen und in der Erde verschwinden, an anderer Stelle wächst etwas anderes aus dem Boden (das jetzt bitte nicht wörtlich nehmen wegen Jahreszahlen und Abfolgen und was, wann war und so… herrje). Oder: Wie vom Himmel gefallen. Trifft bei einem Diözesan-Museum wohl eher den Nagel auf den Kopf.

Wir haben uns über die Ausstellung unterhalten. Über das Konzept. Über die geschulten Sicherheitsleute, die vor Ausstellungseröffnung an die Exponate herangeführt werden. Jedes Detail stimmt. Das ist, was man im Kolumba spürt. Die Liebe zur Kunst. Natürlich habe ich mich noch mit Norbert unterhalten. Über Kunst, wo wir schon beim Thema waren. Mein persönlicher Arte-Themenabend. All diese Menschen, all diese Kunst in einer Nacht.

Am Ende sind wir im Tsunami gelandet. 90er Mucke. Zu The Cure getanzt. 1985. Hatte ich noch in den Füßen. Zeitsprung. Um 6 Uhr waren Viveka und ich im Bett. Die U-Bahnen fuhren wieder und die letzten Meter zur Wohnung musste Viveka barfuß gehen. Die Schuhe, die Nacht, das Tanzen. Ach, die Welt. Überbordend ergreifend. Fast zu viel für einen Landmenschen wie mich. Aber. Erfüllend. Und jetzt bin ich froh, die Nacht aufgeschrieben zu haben. Ehrlich? Ich hatte Respekt vor diesem Text. Wegen der Namen und der Größe. Den Dingen gerecht werden, ihnen Respekt erweisen, sich nicht verraten. Leicht schreiben, aus der Nacht heraus tanzen. Danke, Barbara, danke Sebastian, für die Einladungen. Es war mir, ich denke uns, also Viveka und mir (das schreibe ich jetzt einfach, weil ichs weiß), ein ausgesprochenes Vergnügen:)

Tsunami

Privacy!

Sideboard

Paris!

Nun. Die Welt fliegt umher wie ein Hühnerhaufen. ALARM! Durchsuchen, kontrollieren, jagen, reagieren. Das Primat der schnellen Reaktion. Stärke zeigen, handeln, antworten. Vergeltung.

Ich habe die Nachrichten ignoriert. Fast. Der Sog war groß. Hinschauen. Wie viele Tote? Wie? Wo?

Nicht weit von dort, wo Viveka und ich für Silvester eine Wohnung gemietet haben. In Paris. Wir werden fahren.

Wie all dem Schrecken und Chaos noch gerecht werden? Die Fronten verhärten sich. Als Kind dachte ich: Wann wird dieser Wahnsinn in Nord-Irland aufhören? Es hat gedauert. Frage ich mich jetzt, wann dieser Westen-Islamismus-Wahnsinn aufhört, dann weiß ich: Es wird sehr lange dauern. 20 Jahre? 30 Jahre? Eine Generation, zwei Generationen? Und noch sind wir in der Phase der Eskalation. Viele Menschen tragen mit Wonne dazu bei, den Kessel am Kochen zu halten. Öl ins Feuer zu gießen. Es ist Hochzeit für Hassende.

Gestern Abend sind wir durchs Dorf gelaufen. St. Martin. Von Haus zu Haus. „So helft mir doch in meiner Not, sonst ist der bittre Frost mein Tod. St. Martin mit dem Schwerte teilt, den warmen Mantel unverweilt.“ Ah. Es gab dann Süßigkeiten und Geld für die Kinder, Drinks für die Erwachsenen. Am Ende haben sich alle im Dorfhaus versammelt. Kakao und Kuchen für die Kinder, Drinks für die Erwachsenen. Hui.

Das Leben ist schön. Das Leben geht weiter.

Das Leben ist schön in Frieden und Gemeinschaft. Wo kein Frieden, da kein schönes Leben. Ach nee.

Heute haben Viveka und ich uns Herrn Cooper geschnappt und sind raus auf die Höhen. Südwind-Sturm. 5,6 Windstärken in Böen, tanzende Starenschwärme am Himmel. Schauspiel. Ich hatte seit langem mal wieder meine alte Matrosenjacke angezogen. Dunkelblau, acht goldene Knöpfe mit Anker, Wolle mit Pferdehaarfutter. Sehr warm. Baujahr 1973, ein Schätzchen.

In der linken Tasche waren zwei Zettel, denen ich keine Beachtung schenkte. Zunächst. Unterwegs erzählte ich Viveka die Geschichte, als ich mit der Jacke in einem chinesischen Laden eine Dose Bier gekauft hatte. New York 1999. Es war spät an jenem Abend damals, ich kam von einer Theaterpremiere. Irgendwie war ich einer der wenigen Männer unter vielen Frauen an diesem Abend. Ich war in der New Yorker Lesben-Szene gelandet. Das Stück war gut, intensiv gespielt, es war zufälligerweise die ausverkaufte Premiere. Zu Beginn meiner New York-Woche hatte ich Theatergutscheine in einem Büro am Times Square gekauft und gleich Vorstellungen gebucht, für die Vouchers galten. Off-off-Broadway. Und noch ein Off zusätzlich.

Nach der Premierenfeier, das Stück wurde in einem öffentlichen Gebäude unweit von Greenich-Village gezeigt, schlurfte ich die Straße entlang und ging in besagten chinesischen Laden. Ich nahm eine Dose Budweiser aus dem Kühlschrank und ging zur Kasse. Zwei Männer, ein junger und ein älterer Chinese auf einer Art Podest. Beim Jüngeren kam ich schnell an die Reihe. Zuvor traf mein Blick den Blick des älteren Chinesen. Wir sahen uns kurz an. Er sah mir in die Augen. Keine Ahnung weshalb. Ich hatte diese Matrosenjacke an und einen Hut auf, den ich mir am Times Square gekauft hatte. Als ich bezahlen wollte, sagte der ältere Chinese: „Give him two for one.“ So ging ich mit zwei Dosen Budweiser aus dem Laden raus. Die Geschichte habe ich schon öfter erzählt und bis heute frage ich mich: Weshalb hat er das gesagt? Weshalb hat er mir ein Bier ausgegeben?

Als wir vom Spaziergang nach Hause kamen, habe ich die Zettel aus der rechten Tasche genommen. Einer war ein U-Bahn-Ticket aus Köln. August 1998. Seit dem 1. September 1998 wohne ich hier auf dem Land in der Alten Schule in Nosbach. Der zweite Zettel ein Busticket. 26. März 1999. Ich konnte mich an den Tag erinnern. Mein Vater ist am 26. März geboren. Übrigens: Viveka ist auch am 26. März geboren. Am 26. März 1999 habe ich ihn aus New York angerufen. Aus einer U-Bahnstation. Von einem Fernsprecher. Ich hatte mir eine entsprechende Telefonkarte besorgt. Im Hintergrund spielten Straßenmusiker. Und so habe ich ihm gesagt: „Papa, hier, ein Ständchen für dich aus New York. Herzlichen Glückwunsch, alles, alles Liebe.“ Der Moment war wieder da, als ich das Ticket und das Datum sah.

Auf dem Bild oben seht ihr meine Mutter und sehr klein Jim, Zoe und eine schlafende Viveka auf einem Boot in Indonesien im Jahr 1996. Da erwartete sie ihr erstes Kind, während ich im Begriff war, das erste Mal Vater zu werden.

Vom Kleinen auf das Große schließen. Von der Ontogenese zur Phylogenese. Vom Individuellen zum Gesellschaftlichen, zum Globalen. Was bedeutet es, Mensch zu sein? Ein fühlendes Wesen?

Ticket 99