Das ist doch mal eine gute Weihnachtseinstimmung, oder? Ich saß gestern am Schreibtisch, hatte noch einiges zu machen und zu tun, als ich meinen Kopf nach rechts führte. Da war etwas, das mich lockte. Anzog. Restinstinkt einer Biene, die vom Duft der Blüten angezogen wird. Wir Männer reagieren da ja auch manchmal ziemlich simpel nach einem einfachen Reiz-Reaktions-Schema. Aktion, Reaktion. Was sah ich da über meiner Schulter rechts durchs Fenster? Licht. Sonne. Weiße Wolkenformationen. Die Wolkendecke war aufgerissen, um die Schneelandschaft zu illuminieren.
Kein Gedanke mehr an Autobahnen, stillstehende Flughäfen, gestrandete Reisende, LKW-Fahrverbote, Versorgungsengpässe, nicht ankommende Weihnachtsgeschenke. Egaaaal. Raus. Alles stehen und liegenlassen. Raus. Ich wollte mir die Kinder schnappen und Ela und Cooper. Ela war zur Post runter gefahren, Jim arbeitete an seiner Madame Curie-Biographiearbeit, Zoe hatte Lust mitzukommen und Cooper sowieso. Ich bin vorgestapft. Erst einmal über die zugeschneite Landstraße. Ungeräumt. Schönes Bild. Dann über den Bauernhof hoch auf die Wiesen in Richtung Mühlenberg. Denn dort stand die Sonne am Horizont. Im Begriff, in der näheren Zukunft unterzugehen. Wie am Meer. Italien. Levanto. Sommer. Wenn wir abends in der Piperbar sitzen, unseren Apero knabbern und schlürfen und darauf warten, dass sie im Meer versinkt. Schneelandschaften haben etwas von Meer. Weite.
Wir stapften durch den tiefen Schnee der Wiesen. Cooper als Vorwitznase voraus, ich als Eisbrecher und Wegbereiter hinterher und dann Zoe. “Boah Papa, kannst du mal nicht so tief einsinken? Das ist total schwer zu laufen.” Äh, wie jetzt? Schweben, oder was? Ich habe mein Gewicht leicht nach vorne verlagert, wodurch ich dann nicht mehr ganz so tief eingesunken bin. “Danke, Papa. Besser.” Tiefes Grinsen im rotwangigen Gesicht, das aus der Kälteschutzausrüstung rauslugte. Ich kam mir vor, als wäre ich auf dem Weg zur Südpolentdeckung. Der Schnee reichte mir bis weit übers Knie. Wahnsinn. Als wir oben ankamen, waren wir ganz allein. Kein Fußstapfen weit und breit. Tatsächlich, wir waren die ersten und einzigen. Die Sonne begann, die Welt zu verfärben. Cooper tobte herum, Zoe mit ihm. Cooper tauchte in den Schnee, schnüffelte, grub. Zoe ließ sich vorwärts, rückwärts, seitwärts reinfallen. Juchzte, lachte, schlug einen Purzelbaum und zeichnete einen Engel ins Weiß. Doppelter Engel. Bei dem Purzelbaum war sie mit dem Gesicht einmal durch den Schnee gerollt. Alles weiß. Lachen.
Dann ging die Sonne unter. Im Süden. 16:15 Uhr zeigte die Uhr. Wintersonnenwende. Kürzeste Tage des Jahres. Wenn sie so schön sind, ist mir das egal. Das Licht eines solchen Sonnenunterganges reicht für mehrere Tage. Da hüpft die Seele. Freude, Wonne, zeitloses Erleben. Große Momente innerhalb unseres kleinen Lebens. Momentediebstahl. Du gehörst mir. In diesem Fall war es Timing. Der Blick über die Schulter, der Impuls, die Umsetzung in die Tat. Schon standen wir vor der Tür, waren unterwegs. Einer der Vorzüge des Landlebens. Vom Schreibtisch direkt in den Winterurlaub.
Euch wünsche ich heute auch ein Stück weit Winterurlaub. Raus aus der Katastrophenstimmung, rein in die schönen Seiten dieses fulminanten Winters. Ciao.