homo homini lupus
Man kann in dieser Welt ein sehr beschwerdenfreies Leben führen, wenn man die Vorzüge westlicher Demokratien nutzt und sich aus dem da draußen raushält. Das ist meist besser, weil man ansonsten in Ohnmacht erstarrt und die über die Bildschirme flimmernde Summe an geballtem Leid ständig wegpacken muss. Da hilft auch kein Spenden, kein Beten, kein Hoffen, kein Diskutieren und Demonstrieren. Zumindest nicht, wenn man glaubt, mit einer Demo die Welt aus den Angeln heben zu können.
Am Wochenende war ich im Aachener Dom. Es war eine Rückkehr an einen heiligen Ort. Nun mag ich Kirchen, habe aber dem christlichen Glauben schon lange abgeschworen, was nicht heißt, dass meine Seele unberührt ist von all dem, was ich dort in all den Jahren des Christseins abgespeichert habe.
Es war an einem Januarabend 1991. Der Irak hatte Kuwait überfallen und die USA stand mit Verbündeten vor dem Einmarsch. Es war noch die Zeit, in der wir die großen Friedensdemos der Achtziger im Kopf hatten, weshalb Krieg für uns keine Option war. Also gingen wir auf die Straße und skandierten „Kein Blut für Öl“. Zugegeben, das war eine einfache Formel. Aber wir hatten keine Lust, das Krieg wieder zum probaten Mittel wird. Am Abend, bevor die US-Truppen losschlugen, versammelten wir uns im Aachener Dom unter der Kuppel. Es wurden Petitionen verlesen, es wurde gesungen und es wurde gebetet.
Hat nichts gebracht. Der Krieg kam und es kamen weitere Kriege und Terror und Türme fielen und Invasionen starteten und es wurde gefoltert und viele Zivilisten kamen um und der Hass wuchs. Eine Kettenreaktion. Im Buddhismus heißt es: Man schafft seine Wirklichkeit in jedem Augenblick selbst. Das ist das Prinzip von Ursache und Wirkung.
Nun also ist das Monster IS geschaffen, tobt wütend umher und lechzt nach Mord und Totschlag. Höchst aktuell in Kobane. IS ist heute in die Stadt eingedrungen und es gibt Straßenkämpfe und Mord und Totschlag. Niemand war bereit, den kämpfenden Kurden zu helfen. Unterstützt von der PKK gelten sie als Terroristen und werden von der Türkei nicht gerade geliebt. In der Vergangenheit wurden sie in türkischen Militärgefängnissen gefoltert. In Politischer Wissenschaft durfte ich eine Arbeit darüber schreiben, habe viel gelesen und mit Türken und Kurden gesprochen. Es ist schon klar, weshalb die Türkei ihre Panzer zuschauen lässt. Sie stehen dort auf türkischer Seite und verfolgen das Geschehen. Sie wissen, was passiert. Die Türkei hat am Donnerstag im Parlament beschlossen, gegen IS vorzugehen. Aber sie tun es nicht in Kobane. Nicht für Kurden. Dem schließen sich die Nato-Verbündeten an, wahrscheinlich, weil sie auf die Türkei als Stützpunkt angewiesen sind. Ein Deal, nehme ich an. Die USA haben einige wenige Angriffe vor Ort auf den IS geflogen und sind dann abgedreht und nicht mehr wiedergekommen. Sie hätten gekonnt…
Jetzt demonstrieren die Menschen weltweit für die Rettung Kobanes und die USA und die Türkei hoffen, dass es schnell vorbei ist mit dem Schlachten in Kobane, weil es schlechte PR ist, was dort passiert. Sie hätten helfen können. Sie hätten IS eine empfindliche Schlappe zufügen können. Sie haben darauf verzichtet und sich fürs Zurücklehnen entschieden. So geht Politik.
Die Kurden werden der Türkei nicht vergessen, was in Kobane gelaufen ist. Sie wissen jetzt, woran sie sind. Das einzige Eingreifen der Türkei war der Einsatz von Wasserwerfern gegen Kurden, die auf der türkischen Seite im Norden Kobanes demonstriert haben. Selbst Reporter wurden mit Tränengas traktiert, damit sie nicht berichten.
Heute also sind die IS-Killer in Kobane eingedrungen und vollenden ihr Werk. Sie werden ihr Handeln dokumentieren und der Welt Bilder zeigen. Die Türkei und die USA werden sich anhören dürfen, dass sie dafür die Verantwortung tragen. Und ja, sie tun es. Wegschauen ist eine Tat.
We shall overcome. Blumen im Haar. Kein Blut für Öl. 1999 war ich in New York, als erstmals deutsche Truppen nach dem WW II in einen Krieg verwickelt wurden. Unter Joschka Fischer. Bomben auf Serbien. Nachts lag ich im Hotel und sah CNN. Treffer. Rauchschwaden.
Es ist zum Heulen. Es hört nicht auf. Als sich 1983 in Bonn über 500.000 versammelten, um für Frieden und Abrüstung zu demonstrieren, da war ich 18 Jahre alt und hatte am 6. März des Jahres nicht wählen dürfen, weil ich noch 17 war (die 16 Jahre danach lohnte das Wählen nicht wirklich). Zu der Zeit dachte ich, es wäre geschafft. Ich glaubte tatsächlich, die Welt hätte verstanden und wäre vernünftig geworden. Als dann noch der Ost-West-Konflikt zu Ende ging und Deutschland wiedervereint wurde, herrje. Wie naiv.
Über die Friedens- und Ökobewegung begann man dann irgendwann, sich lustig zu machen. Zu den Demos gingen nur noch ein paar wenige Altfreaks. Tja. Falsch gedacht. Wir hätten weiter demonstrieren müssen. Den Geist des Pazifismus aufrecht erhalten. Vielleicht hätte es… So haben die Hardliner Stück für Stück das Terrain zurückerobert und den Boden für neue Kriege bereitet. Ost-West-Konflikt haben wir auch wieder und jetzt noch IS am Hintern. Ziemlich verkackt, kann man sagen. Wie dämlich das alles. Nun hätten Türkei, USA und Kurden gemeinsam tatsächlich eine starke Koalition bilden können, aber nun gibt es eine neue Front, die durch die Türkei verläuft. In Istanbul wurde gerade ein Bus angezündet. Ursache und Wirkung. Die Flammen schlagen höher, die Feindschaften nehmen zu.
Und am Ende bleibt die alte, unbeantwortete Frage: WHY?