Mit den Coen-Brüdern und Thomas Schütte in Essen

Museum

Großes Kino!

Eigentlich. Genau, da weiß man schon. Das Gegenteil von dem, was am Anfang steht: In diesem Fall von ich wollte ein ganz ruhiges, entspanntes Wochenende in Essen verbringen. So mit lange schlafen, gemütlich frühstücken und chillen all day long, wie meine Kinder sagen würden. Aber erstens kommt es immer anders und zweitens als man denkt. Mir war vor der Abfahrt die CHOICE in die Hände gefallen – so ein Stadt-Kultur-Magazin aus Köln. Vorne drauf eine Szene aus dem neuen Jim Jarmusch-Film. Jim Jarmusch. Night on earth. Lange her. Wynona Rider, Armin Mueller-Stahl, Roberto Benigni und die Leute von Aki Kaurismäki.

Das hat wohl mein persönliches Kulturzentrum ins Schwingen gebracht. Plötzlich war der Wunsch da, Kinoluft zu schnuppern und das Wochenende doch ein wenig anders zu nutzen. Ich hab Viveka gefragt, sie ist eingestiegen in den Plan B. Allerdings wurde es nicht Jim Jarmusch, sondern Inside Lllewyn Davies von den Coen-Brüdern im Essener Kunstfilm-Kino Astra. Schön alt, der alte Saal. Richtige Kinositze von früher, ein sechsziger Jahre Kronleuchter, eine Bühne mit Vorhang – und das alles in einem runden Raum (war er wirklich rund, oder denk’ ich das jetzt nur?) mit tragenden Säulen. Und entsprechendem linksliberalem Publikum mit Klamotten, die nur an solchen Orten getragen werden. Also genau die richtige Kulisse für einen Coen-Film mit schrägen Typen, die dieses Mal nicht ganz so schräg waren.

Aber auch hier kann es sein, dass ich einer persönlichen Fatamorgana aufgesessen bin. Vielleicht ist es ja nur eine Vorstellung, dass die früheren Coen-Charaktere deutlich schräger waren. Vielleicht bilde ich mir das nur ein. Oder lag es am Genre? Musikfilm. Der Hauptdarsteller Oscar Isaac als singender Bob Dylan-Vorreiter. Folksongs im Amerika des Winters 1960/61. Der Versuch, den Durchbruch zu schaffen. Klappt nicht, weil es eben ein Coen-Film ist. Und die sehen den amerikanischen Traum bekanntlich aus anderer Perspektive. Weniger frohlockend. Dieses Mal hat es mich ein wenig an Kaurismäki erinnert. Was der Typ, dieser Davies, auch in die Hand nimmt, es wird zu Dreck. Nichts klappt. Als hätte sich die Welt gegen Llewyn Davies verschworen. Man kann jetzt nicht sagen, dass der Film Spaß gemacht hat. Also rundweg gut gemacht, aber so richtig ist der Funke nicht übergesprungen. Wahrscheinlich einfach, weil es keine Freude bereitet, dem Verlieren tatenlos zuzuschauen.

Am nächsten Tag dann Thomas Schütte. So gar kein Verlierer, ganz im Gegenteil. Zumindest, was seinen künstlerischen Erfolg angeht. Ich hatte schon länger vor, ins Essener Folkwang Museum einzukehren. Dieses Wochenende nun sollte es sein. Ich bemühte die amerikanische Firma G mit zwei OO und gle um informative Aufklärung. Was geht? Also eigentlich wollte ich nur nach den Öffnungszeiten schauen, um den Tag planen zu können. Aber was sahen meine Augen? Erstens: Kostenfreier Eintritt an den Adventswochenenden – den übernimmt die Essener Nationalbank, die scheinbar genügend Kohle hat. Bankerstadt Essen, ist ja fast wie in London, wo die Deutsche Bank gerne die großen Museen sponsert. Also Eintritt ohne money. Auf jeden Fall einen herzlichen Dank an die Nationalbanker an dieser Stelle.

Zweitens, als Extra obendrauf: Eine aktuelle Thomas Schütte-Ausstellung. Jetzt könnte ich schreiben: Thomas Schütte, der Thomas Schütte, den ich schon immer sehen wollte… Nee. Ganz ehrlich? Kannte ich nicht. Who the fuck is Thomas Schütte? Hab ich mich gefragt, um vor Ort eines Besseren belehrt zu werden. Im Ausstellungsflyer stand was von einem der berühmtesten Bildhauer der Welt. Puh. Das ist ja mal Superlative. Mehr als Champions-League. Das ist Weltmeisterschaft! Und lässt mich als Ahungslosen mal ziemlich klein erscheinen. Egal. Mut zur Lücke, schließlich habe ich nicht vor, ein Kunstlexikon zu werden.

Auf jeden Fall, nach der Flyer-Ankündigung, da konnte man dann natürlich ein wenig was erwarten. Ich meine, da muss man dem Anspruch schon gerecht werden. Und so war es dann auch. Ich habe Bauklötze gestaunt. FRAUEN. 18 an der Zahl. Aus Aluminium, Stahl, Bronze – auf fette Stahltische drapiert. Körper – mal mehr, mal weniger. Thomas Schütte hat sie in der Zeit zwischen 1999 und 2006 geschaffen. Angeblich, so habe ich irgendwo im Web aufgeschnappt, um sich selbst welche zu fertigen, weil es mit den echten nicht so klappt. Glück im Spiel, Pech in der Liebe. Dann baue ich mir eben eine selbst. Beziehungsweise 18. Da konnte er sich wohl nicht entscheiden. Da er nur bis 2006 formte, nehme ich an, dass er nun eine gefunden hat, die nicht aus Metall ist.

Nun aber genug Respektlosigkeit, schließlich ist der Mann tatsächlich gut. Die Frauen sind ziemlich stark. Mal aus silber glänzendem Aluminium, mal aus grün angelaufener Bronze, mal aus rostigem Stahl, mal mit Metallic-Oberfläche. Mal unkenntlich flach auf den Tisch gezwängt, mal mit Gesicht, mal ohne. Ganz unterschiedlich, ohne Muster. Überraschend. Neu, jede Frau, jeder Tisch ein Leben. Ein wenig wie in der Pathologie. 18 Geschichten, 18 Schicksale, 18 Möglichkeiten. Man schaut sie sehr gerne an, diese Frauen, kommt ihnen nah, versucht, sie zu ergründen, ihre Wesen, ihr Leben nachzuvollziehen. Wer sind sie? Aspekte? Komplette Wesen? Zitate? Sie haben Anziehungskraft, sie sind einem nicht egal, man möchte sie sehen, verstehen, ergründen.

Thomas Schütte ist verspielt. Das verraten seine flankierenden Zeichnungen an den Wänden. Auf Papier. Manche, die nebeneinander hängen, an einem Tag entstanden. Wusch, weggezeichnet, hingehangen. Oft mit Wörtern, Sätzen, Wortspielen drauf. Da sitzt schon irgendwo ein Schalk. Den braucht man wahrscheinlich, um im Hype nicht unterzugehen. Thomas Schütte ist der Ausstellungsstar der Saison. Schütte überall. Ein Schüler Richters, er kommt also aus gutem Hause und hat seine Kunst gelernt. Sie ist schön, figürlich, vom bekannten ins Ungewisse auslaufend – also mit dem schönen Restgeheimnis, das die Kopfkinos des Publikums einschaltet.

Ich war auf seiner Seite, um mehr zu erfahren. Habe weitere Figuren gesehen. Und ein Objekt, das mir auch sehr gut gefallen hat. Ein Ferienhaus. Ein echtes Haus in Österreich, dem eine seiner vielen Frauen gut stehen würde. Aber vielleicht ist da ja mittlerweile gar kein Platz mehr. Hat Thomas Schütte eine Frau? Eine profane Frage, die mich irgendwie am Ende der Betrachtung nicht losgelassen hat. Schließlich ist auch einer der bekanntesten Bildhauer der Welt ein Mensch. Und Mann. Ist er dank seines Erfolges glücklicher als Llewyn Davies? Wer ist oben? Wer ist unten?

P.S. Gerne hätte ich euch hier einige Fotos der Frauen des Thomas Schütte gezeigt, aber wie das Gesetz es will, ist das zu aufwendig. Im Rahmen der aktuellen Berichterstattung dürfte ich meine schönen Fotos der Schütte-Frauen zeigen, müsste sie nach Ende der Ausstellung aber löschen. Sonst würde mich die VG Bild-Kunst anschreiben, um einige hundert Euro zu fordern. Ihr müsst euch also selbst aufmachen, sie zu sehen. Live ist eh besser. Und: Im Advent zahlt die Nationalbank – Friede, Freude, Eierkuchen:) Was können Banken doch nett sein.

Schütte

4 Antworten auf „Mit den Coen-Brüdern und Thomas Schütte in Essen“

    1. Hi David,

      danke für den Link. Da habe ich etwas für meinen nächsten Köln-Besuch – No 19 lebt!

      Liebe Grüße

      Jens

      P.S. Sorry, dass ich mich noch nicht gemeldet habe, bei mir ist gerade Land unter. Bin bis Ende Januar zu – aber sicherlich geht da was in Q1.

  1. Hi Jens, habe mich leider lange nicht mehr gemeldet. War am Sonntag auch im Kino, um mir den neuen Film
    der Coehen Brüder anzusehen und bin auch nicht berührt worden, obwohl ich wirklich bereit dazu war.
    Zu Thomas Schütte: ich war zwei Jahre mit der Schwester seiner damaligen Frau zusammen und daher kenne ich ihn ein wenig. Seine Arbeiten sind schon sehr stark und seine Vielseitigkeit ist wirklich beeindruckend. Leidet aber seit Jahrzehnten unter zT. schweren Depressionen. Tja nichts ist so einfach wie es scheint. du hast ja auch noch was gut. Mit dem Aufbau der Galerie hat alles Länger gedauert als geplant, aber da wir nicht so unter Zeitdruck stehen, war es okay. Wünsche dir eine schöne Wheinnachtszeit.
    Liebe Grüsse Ralf

    1. Hi Ralf,

      ja, ich mich auch nicht. Bin gerade mit Leben und Arbeit sehr beschäftigt. Ich habe euer Bonner Projekt über Facebook mitbekommen. Hut ab! Sieht super aus und ich hoffe, es kommt gut an.

      Nichts ist so einfach, wie es scheint und Ruhm und Geld alleine machen auch nicht glücklich (5€ ins Phrasenschwein). Manchmal scheint Kunst und ein gewisses Leiden fest miteinander verwoben sein. Auf jeden Fall hat mich seine Kunst sehr gefreut und ich habe nun wieder einen, den ich mir gerne anschaue.

      Ich wünsche dir und euch auch eine schöne Weihnachtszeit – und ich hoffe, wir schaffen das dann im neuen Jahr mal, uns zu sehen.

      Liebe Grüße

      Jens

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