Tranströmer II, 2011

Der Gedanken wegen
der leichteren Fahrt
der gepäcklosen Reise
Fury in the Slaughterhouse

In Leverkusen
an der Fabrik vorbei
in der Kurve zum Rhein

Der Blick durch zwei Strommasten
Giganten auf stählernen Füßen
Roboterversorger
Aliens
Hollywood 3D

Das Bild voll
hier

Gursky
Rhein II
ein Kuraufenthalt

Er sagte
Die Joggingstrecke
Das Kraftwerk wegretuschiert

Bliebe doch Zeit
später
in Düsseldorf
die Stelle zu suchen
bei Ostwind

Die News schalten sich ein
automatisch
stoppen die Wingenfelders
Der eine wohnt
Dörfer weiter
hinter Alice Schwarzer

Durban am Ende
der Müdigkeit wegen
ein Kompromiss
Bourban in Durban
Der Kongress tanzt nicht mehr
die Lichter erloschen
wie manches mehr
Ein langes Warten
bis ein steter Tropfen
verdampft

Düsseldorf
Tranströmer heute
Habe zwei Karten
brauche nur eine
Ela bei Zoe
des Lampenfiebers wegen
der Tanz am Nachmittag
muss mich sputen
und Ela kühlt
das Fieber
mit den Fingern der Anwesenheit

Der Weihnachtsmarkt
vor der Bühne
steht still
in Erwartung

Das Parkhaus
am frühen Morgen
dritter Advent
so leer
wie das kleine Haus

Entschuldigung
so ist das mit Lyrik
der Generalintendant
die Botschaftsrätin
die Schauspielerin

„Tranströmer wollte Präludium hören. Das Erwachen
ist ein Fallschirmsprung aus dem Traum. Sie las es
in Anwesenheit des Musikers und es war
als sei Gott im Raum gewesen.“

Ich schließe die Augen
höre Gedicht für Gedicht
die Bilder springen wie junge Katzen
auf der Leinwand hinter den Lidern
Manchmal fluten mich
die Worte
ein Erbe
meines Vaters

„In meinem Schatten werde ich getragen
wie eine Geige
in ihrem schwarzen Kasten.“

Tage könnte ich sitzen
Nächte dazu
in diesem dunklen Raum
schwarz gestrichen
nur Worte dürfen leuchten
im Leuchtturmdrehen

Weihnachtsmusik
vor dem kleinen Haus
Schauspiel
aus den Boxen
der Eisbahn

Voll

Die verlassene Tiefgarage
schenkt den Bildern Raum
projeziert an die
Wandflächen aus Beton

Mit dem Auto aus der Stadt
quer durch Weihnachtsmärkte
Coffee to go

Ein anderer Meister
für die Rückfahrt
Gabriel, Peter

Für Gursky
bleibt keine Zeit
die Ufer zu suchen
es wartet der Tanz
der Kinder

Allemal besser
als das ungelenke Geschiebe
in Durban

Am Abend
falle ich ins Bett
Neben mir
Bücher getürmt
Bölls Irisches Tagebuch
darüber
Tranströmer komplett

Mein Kopf sinkt auf den Stapel
die Wörter kichern
huschen aus den Deckeln in mein Ohr
klingen nach
gesprochen von Frauenstimmen
toben durch mich hindurch
mein Kopf
eine Tiefgarage
Hall und Schall
Diaprojektionswände
Das Meer, der Wald, die Seen
ohne Spiegelbilder

Schlafe
wache auf
Tranströmer

dezember 2011

j. schönlau, gedichte, 1989 – 2011

Er ist fertig! Zumindest gestaltet. Der Gedichtband. Große Aufregung. Gestern Abend meinte Ela im Vorbeigehen: „Das Buch ist fast fertig. Willst du mal sehen?“ Und ob ich wollte. Die Titelseite auf ihrem Rechner. Sehr schön. Seite für Seite sind wir durchgeblättert. Da stehen sie. Aufgereiht nacheinander.

Und jetzt? Was mach‘ ich mit den Geistern, die ich rief? Gerade suche ich nach jemandem, der bereit ist, ein Nachwort zu schreiben. Momentan habe ich eine Frau ins Auge gefasst, die Romanautorin mit Bekanntheitsgrad ist und mit der ich in der Vergangenheit manchmal Mailkontakt hatte. Gerade läuft die Mail mit dem PDF raus. So ein Nachwort würde den Band zu einer schönen runden Sache machen.

Und was mache ich nun mit dem Gedichtband? Am liebsten würde ich ihn drucken auf rarem Papier. Oder doch als zeitgemäßes E-Book? In meinem Kopf schwirren einige Idden herum. Verschiedene Wege. Ein kleines Problem ist, dass ich gerade so viel zu tun habe. Manchmal franst so ein Leben punktuell sporadisch aus. Auf einmal so viele Fäden in der Hand. Welchem folge ich?

Wir werden sehen. Jetzt habe ich euch neugierig gemacht, und es gibt noch nix zu sehen oder zu lesen. Nun, die meisten Gedichte sind eh hier auf der Seite. Nur die ganz neuen nicht und ein Gedicht, von dem ich nicht gedacht hätte, das Ela es in die Veröffentlichung gibt. So bleibt es für euch nur ein wenig spannend. Mit das Aufregendste dürfte für euch die Gestaltung werden. Ich kann nur sagen: Sehr schön, sehr fein. Ich habe gesehen, dass sich meine Gedichte sehr wohl fühlen.

Vor 20 Jahren sind Ela und ich über ein Buch zusammengekommen. Im Dezember 1991. Unter anderem waren da Texte von mir drin. Nun, 20 jahre später, wieder ein gemeinsames Buchprojekt. Damals haben wir es im folgenden Frühjar im Rahmen einer Lesung präsentiert. Das wäre jetzt eigentlich auch adäquat. Nur auch hier die Frage: Was für ein Rahmen? Fragen über Fragen. Wo ist mein Manager? Immer, wenn man ihn braucht…

Tomas Tranströmer ist gekommen…

Und ich war nicht da. So ein Ärger. Er hat geklingelt und ich wahr wohl gerade irgendwie um die Ecke oder so und schwupps fand ich einen Zettel im Briefkasten. Das Paket kann morgen im Schreibwarengeschäft des Nachbardorfes abgeholt werden. Dieser Briefträger. Kann nicht Hans-Jürgen gewesen sein, der hätte gewusst… Warum lässt die Post irgendwen Tranströmer bringen? Der hat den Nobelpreis! Ein wenig Respekt vor dem sanft gesetzten poetischen Wort. Sämtliche Gedichte. Zurück ins Postauto und weg. Und ich hatte schon gewartet. Sehnsüchtig.

Schwamm drüber. Jetzt liegt es hier, das gesamte lyrische Werk des schwedischen Literatur-Nobelpreisträgers Tomas Tranströmer. Als ich die Kinder vom Bus geholt habe, hatte ich vorher noch einige Minuten Zeit. Rein in den Laden, Tranströmer her, raus aus dem Laden, rein ins Auto, lass die Hüllen fallen Amazonkarton und noch die Zellufanfolie vom Körper gerissen, ohne Kratzspuren auf dem Rücken hinterlassen zu haben. Die erste Zeile. „Das Erwachen ist ein Fallschirmsprung aus dem Traum.“ Ja. That’s it, baby. Poetisch, bildreich, einfühlsam geht es weiter. Kauft, kauft, nehmt reichlich. Wie immer: Bitte bei eurem Buchhändler, der die kulturelle Feste eures Viertels, Dorfes ist. „Ist das letzte Buch verkauft und schließt der Vorhang der Regale, wird es einsam in den Herzen eines Volkes, das auf den Duft des frisch bedruckten Papiers ganz ohne Not verzichtet.“

So. Mehr habe ich heute nicht zu sagen, zu schreiben. War ein aufregender Tag. Mein Großprojekt kommt ins Rollen. Heute habe ich das erste von 34 Interviews per Telefon geführt. Gesprächspartner war ein Dokumentarfilmer. Jetzt kommen noch einige Berühmtheiten, weshalb mir heute kurzfristig der Arsch auf Grundeis ging. Bammel. Ich meine, ich bin ja generell nicht auf den Mund gefallen und weiß den Degen der Sprache schriftlich wie mündlich zu führen, aber ab und an ist Kreativität auf Knopfdruck anstrengend. Mental. Egal. No. 1 ist immer schwieriger als die No. 2, No. 3… Hoffe ich:) Ist ein schönes, schönes Projekt und ich habe zu tun, zu tun, zu tun… Bye.

P.S. Hätt‘ er doch heute einfach mal blogblau machen können. Kann er nich… Also dieser…

i’m limited & we need men with vision (claudia schönfeld)

i recently discovered that
i know no monk and not one single person
who actually drives my favorite car,
this made me think somehow,
seems like i’m limited to saxo players,
physicist, odd students, poets and yes – iPhone users
(honestly i cried when i heard Steve is dead)

so i could print a bumper sticker for my car
which says “i’m limited & we need men with vision”
on the other hand, most of my friends
suspected anyway– so rotting in the traffic jam

behind you, i know all your kids by name (and be-
lieve you’re making love not war), in a minute
i will get out of my car, knock gently on your window,
ask you for their birth dates & write ‘em greeting cards
each year until they’re old enough to drive

a car themselves just like my son and– my
mom is desperate for someone to translate
the english slogan, spreading on the back pane
of his Opel… no one does &

this is why i’ll print from now on
all the stickers in my life cyrillic cause
when you come up behind me on that road,
high gear, lights up, speed and all,
i want to be unriddled slowly (& seldom
drive on russian highways anyway)

claudia schönfeld)

Claudia ist über Twitter im fiftyfiftyblog gelandet und hat hier kommentiert. Dann bin ich in ihrem Blog gelandet und habe mich gefreut. Bildreiche, lebendige, aus dem Alltag gegriffene Gedichte. Poems. Auf Englisch beziehungsweise Amerikanisch. Ich dachte mir, es wäre schön dieses Gedicht, dass ich zuerst bei ihr gelesen habe, hier zu veröffentlichen. Also habe ich Claudia gefragt und sie war einverstanden. Was mich sehr gefreut hat. Und so ist es gut und schön, „i’m limited & we need men with vision“ nun im fiftyfiftyblog zu haben. Es gibt noch mehr Gedichte von Claudia Schönfeld in ihrem Blog. Ich möchte euch den Besuch empfehlen: http://jaywalkingthemoon.wordpress.com/

Ein Gedicht will nicht geschrieben werden

Manchmal ist es wie verhext. Gestern habe ich von der Ruhe im Kopf berichtet, von der Atemübung (da habe ich vergessen zu erwähnen, dass ein tiefes Atmen schön ist. Bis in die Lungenspitzen den Sauerstoff einatmen. Langsam durch die Nase.). Heute nun geht es um einen Prozess in meinem Kopf, der nicht stattfinden will. Das heißt, er findet statt, liefert mir aber nicht das Ergebnis, das ich mir wünsche. Oder nocht nicht…

Als ich kürzlich in Berlin vor dem Glen Hansard-Konzert mit Ela in der Hotel-Bar saß, Latte Macchiato schlürfte, Gedichte aus neuen Gedichtbänden las und den intensiven Tag verarbeitete, hatte ich drei Gedichtideen. Flashs. Ein Gedicht habe ich geschrieben, das verarbeitet Ela gerade in dem Gedichtband, den sie gestaltet. Für mich. Hach.

Eines ist in Warteposition und erscheint mir nicht so wichtig. Aber eines, das ist mir wichtig, aber das will nicht raus. Es wird „Friedrichstraße entlang“ heißen. Profan. Ja. Das Problem ist, dass ich das Gedicht überfrachte. Deshalb schreibe ich heute diesen Text, weil ich schreibend gut sortieren kann und oft weiterkomme. In Wahrheit ist dieser Blog nämlich eine verordnete Schreibtherapie:) Aber das habt ihr sicherlich längst selbst gemerkt, dass ich hier munter aufarbeite und rauslasse.

In diesem Gedicht laufen einige Stränge zusammen. Es geht aus von einem Besuch im Brecht-Museum vor vielen, vielen Jahren. Der Besuch seines Grabes nebenan. Ein Strang. Zweiter Strang. Heiner Müller, über den habe ich meine Magisterarbeit geschrieben und in dieser unter anderem die Beziehung zu Brecht untersucht. Heiner Müller habe ich 1992 auf der Leipziger Buchmesse gesehen. Ich war, kurz nachdem ich meine Magisterarbeit über ihn geschrieben und diese abgegeben hatte, einen Moment allein mit ihm in einem Raum. Purer Zufall. Müller und Schönlau – wie ein surrealer Traum. Ich wollte ihn ansprechen, dann aber den Augenblick nicht zerstören. Ich hatte auch keine Fragen mehr. Mir sind Emotionen immer wichtiger als Informationen, also habe ich still den Augenblick genossen. Er hat mich irritiert angesehen, hat genickt, ist gegangen. Und 1995 gestorben. Mit dem Untergang der DDR war er das zuvor schon.

Dritter Strang: Beim 31. Berliner Theatertreffen 1994 stand ich in Berlin auf der Bühne. Ich war Regieassistent am Nationaltheater Mannheim und landete durch einen Zufall in der Rolle des „Kolja“ in Wenedikt Jerofejews „Walpurgisnacht oder Die Schritte des Komturs“ unter der Regie von Hans-Ulrich Becker auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Ela war bei diesem „Betriebsausflug“ dabei. Wir hatten ein Zimmer in einem teuren Hotel und sahen auf den Bahnhof Friedrichstraße. Ich weiß nicht mehr, welches Hotel das war. Auf jeden Fall sahen wir ein Heiner Müller Stück im Deutschen Theater mit Ulrich Mühe in der Hauptrolle sowie eine Burgtheater-Inszenierung von George Tabori (Requiem für einen Spion).

Deutsches Theater, Berliner Ensemble, Brecht-Grab und -Museum – alles nicht weit von der Friedrichstraße. Ich bin sie immer wieder gegangen in den letzten 20 Jahren. In beide Richtungen. Jetzt war ich öfter beruflich da, weil wir einen Kunden in einer Seitenstraße der Friedrichstraße betreuen. Als ich nun die drei Gedichtbände im Kultur-Kaufhaus Dussmann in der Friedrichstraße gekauft hatte und in ihnen las, stand das Gedicht vor meinem geistigen Auge. Als ich es dann hier am Schreibtisch schreiben wollte, verschwammen die Zeiten. Lyrik und Drama. Müller und Grünbein. Und ich fand mich selbst nicht mehr darin, obwohl es meine Perspektive, mein Blick ist, den ich als Material habe.

Momentan arbeite ich daran, zu verknappen. Zu kürzen. Schärfer zu formulieren in den Gedichten. Das funktioniert, wenn die Bauteile im Kopf klar sortiert sind. Jetzt stehe ich vor einem riesigen Haufen Steine und weiß nicht, wo anfangen. Mir fehlt der berühmte Faden in der Hand, der zu einem Seil führt, an dem ich mich entlanghangeln kann. Denn das Ganze wird über das faktisch Historische noch komplizierter: Alle oben genannten Männer spielten und spieln in meinem Leben eine Rolle. Sie haben Funktionen. Klingt jetzt hoffentlich nicht zu verrückt, abgedreht.

Genug der Verwirrung. Ich gehe über ins Tagesgeschäft, schalte im Hirn um auf Business-Modus. Schreibe heute einen Text für ein Werbevideo, in dem es um ein konventionelles Produkt geht, in dem nun 20 % der Bestandteile durch Recyclingmaterial ersetzt werden. Eine Weltneuheit in diesem Bereich. Geht doch. Morgen fahre ich dann mit den Fußballjungs nach Norderney, weshalb ich schon wieder im Blog blau mache. Ich weiß, ich weiß. Der Typ ist ja dauernd unterwegs. Nach Norderney ist dann erst einmal Schluss:) Drückt mir die Daumen, dass ich das mit „Friedrichstraße entlang“ noch hinbekomme. So eine lange große Straße im Kopf, das zwickt. Die muss raus.