Die Schönheit der Trostlosigkeit im Januar

Trauerweide

Es ist Januar, was, hey, soll man da sagen. Die Zugvögel sind weit weg und denken noch lange, lange nicht daran, zurückzukommen. Wer schlau ist, kehrt Deutschland den Rücken und bucht ein Sonnenleben irgendwo all-inclusive.

Bleiben die Trostfaktoren. Seit Dezember geht es lichttechnisch steil aufwärts. Dieser point of no return ist überschritten. Liegt der erst hinter einem, läuft die Zeit in die richtige Richtung. Aber, es dauert. verdammt Scheiße lang. Unmenschlich lang, denn der Mensch braucht Licht zu leben, sonst fehlt alles – Vitamin D und gute Laune und der Schwung des Sommers.

Heute hat es mich, uns hart erwischt. Viveka und ich haben die Italienreisenden des letzten Sommers zum Diaschauen eingeladen. Ela, Michaela, Jens und Jens, Jim und Kalle und Freunde, Freunde, die Lust hatten. Hier nach Essen. Ist manchmal schon lustig, da kamen Ela und Jim und Cooper, mit denen ich die Woche über zusammenlebe, zu Besuch. Zoe war auf einer Party.

Es gab italienischen Wein, Spaghetti Frutti die Mare (ich weiß jetzt, wie es geht – es gibt ein paar Kniffe – das erste Mal in meinem Leben habe ich mir ein eigenes Rezept aufgeschrieben, weil Viveka und ich letzte Woche Probe gekocht haben). Das zweite Gericht war ein Pfifferlings-Steinpilz-Risotto mit getrockneten Pilzen vom letzten Herbst (oberbergische Eigensammlung). Auch da weiß ich jetzt, wie mit getrockneten Pilzen umzugehen ist (lange einweichen und das wunderbare Pilzwasser später mit Gemüsebrühe aufkochen, um damit den Reis weich zu kochen). Zum Abschluss: Tiramisu – mein erster Versuch – die Creme war lecker, die Biscuits hätten etwas mehr Espresso vertragen.

Und dann: Highlight des Abend. Fotos. Natürlich keine Dias, alles digital. Meer, Sonne, Strand, Italien, Ligurien, Cinque Terre, Menschen, Freunde, Familie, Geliebte. Und das im Januar. Es gibt keinen besseren Zeitpunkt. Doping auf halber Strecke. Bald kommen die Krokusse, Karneval, die Narzissen, Ostern…

Zweig

Heute aber, noch nichts von dem. Schnee und Schneematsch, Nebel, Regen, Feuchtigkeit, Kälte, Schneereste. Das bedrückende Bild von Kindern, die auf braunem Matschschnee Schlitten gefahren sind. Viveka und ich waren Stunden unterwegs. Über weiße Wiesen und Felder zum See runter. Wir wollten nach Kupferdreh – eine spontane Idee. Im Bahnhof dort, eine Kneipe, was trinken.

Holzreste

Der Hin- und Rückweg grau. Die einzigen Farben: Neonjogger mit Leuchtapplikationen zum Erblinden, Mountainbiker mit ähnlicher Farbblindheit und die bunten Bojen auf dem Baldeneysee. Rein theoretisch hätte man in Depression verfallen können. Bin ich nicht, sind wir nicht. Weil diese Ruhe auch etwas Schonendes, Entspannendes, Reduziertes und fernab eines prallen Sommers einfach auch etwas sehr, sehr Schönes hat. Es lohnt sich, offenen Auges au die Details zu schauen. Winterschlaf. Ausruhen, die Augen schonen. Letztlich hat es Spaß gemacht und meine Kamera hat sich gefreut, mit dem Januar zu spielen.

Boje

Große Deals, kleine Deals, die 18 und andere Wahnsinnigkeiten

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Leute, Leute, Leute, Leute! Ich sage euch…

Manchmal, aber nur manchmal, aber letztlich eigentlich immer ist dieses Leben nichts anderes als der nackte Wahnsinn am Rande der Katastrophe. Der Wecker geht, du verfluchst das unsichtbare Vorbeirauschen der nächtlichen Stunden. Weg. Am Abend beim Einschlafen, beim Einkuscheln ins Kissen, beim Aufkommen dieses seligen Gefühls unbändiger Gemütlichkeit, wenn die Gedanken und Augen schwer werden, die Füße warm und der letzte Atemzug sagt: Hey, wie grenzenlos schön ist Panama. Brrrrrrrrr…..

You know? Und dann am Morgen? Noch kein Auge geöffnet, da rattert es schon los. Der Tag in Sequenzen, dieses Programm menschlicher Abläufe im System Ernährung, Jagd, Familie, Ämter (Steuer), Energieversorgung, Gemeinde, Job, Schule, Sex… Unendlich, die Liste.

Letzte Woche drei Tage München. Diese Woche zwei Workshops. Wach sein. Aufnehmen, Inspiration sammeln, Energien bündeln. Der Kopf brummt. Kochen für die Kinder. Mit Herrn Cooper morgens raus – ein Kapitel für sich, dieser schwarze Hund im schwarzen Morgen. Kürzlich war er weg. Aufgelöst in Dunkelheit und nicht zu finden auf den Komposthaufen der Nachbarn. Mit dem Auto durchs Dorf, die Zeit lief, Termine standen an. Und ja, dort, wo ich dachte, war er. Ein Knochen hatte ihn gelockt. Gerochen aus 200 m Entfernung. Taschenlampe an, zwei grüne Knopfaugen, ein wedelnder Schwanz und ein Mamutknochen quer. Sack! In die Karre, nach Hause, ankleiden für einen Kundentermin, ab dafür.

Los. Marsch, Marsch. Und zwischendrin all der Alltag. Mit der Versicherung um die Schadenfreiheitsklasse kämpfen – ja, ich bin ein echter revolutionärer Schadenfreiheitsklassenkämpfer. Den Gasvertrag kündigen, um im nächsten Jahr wieder 400 € zu sparen. Dafür muss man schon mal nicht mehr arbeiten. Und dann die Frage: Was koche ich? Und wie ist das mit den Kindern? Sind die noch Kinder, oder schon groß? Noch aufstehen, oder selber machen lassen? Jim ist jetzt 18. Fährt selber. Macht selber. Wie geht man mit 18-jährigen Söhnen um? Next Step, wieder so ein neues Kapitel. Viele Gedanken.

Die freien Jobs. Der Outdoor-Katalog, emotionale Geschichten, keine Werbung, von den Gefühlen erzählen, die da draußen entstehen. Vom Scheitern, vom Schaffen, vom Überwinden, von den Momenten, die befreien, die bleiben, die geben, verändern. Telefoninterviews, rauskitzeln. Skypetelefonat mit dem Kunden in Singapur. Die Leitung bricht ab. Über Reisen sprechen, Energie tanken, wiederkommen, ändern, intensiver werden. Glücksgespräche.

Den Tag durchgetextet, durch Serverprobleme aus dem Homeoffice heraus den Kontakt zur Agentur verloren, einen großen Topf Ratatouille gekocht, der auch für morgen reicht, wenn Jim und seine Bande zum Mathelernen kommen, und nach Feierabend versucht, meinen Hauspart zu putzen, um morgen möglichst früh nach Essen zu kommen. Dort wird es am Wochenende ein großes Treffen der Italienreisenden des letzten Jahres geben – Viveka und ich haben schon festgelegt, was wir kochen werden. Den Wein habe ich eben gekauft und besondere Zutaten.

Ich hatte versucht, zu putzen, bin aber ausgebremst worden. Ela hatte heute zwei Yoga-Kurse – da braucht das Haus dann eine Ruhepause. Gerade war der erste Kurs weg, da wollte ich hochmotiviert wegsaugen, was das Zeug hält. Da kam Zoe und berichtete vom Eintreffen der Neuen. „Hä?“ „Papa, heute fängt Mamas neuer Kurs an. 19.30 bis 21 Uhr.“ Mist. Vergessen. Verspielt, nicht mitgekriegt? Verzweiflung. Um 21 Uhr anfangen zu putzen? Saugen, wischen? Dann ist es halb Elf. Nö, also echt, nee. Und dann? Och, so sweet. „Papa, ich putze morgen für dich.“ Mann ey, die können einem echt das Herz brechen. „10 Euro?“ „Will kein Geld.“ War klar. „Was kann ich machen?“ „5x nicht motzen, wenn du mich irgendwohin fahren musst.“ DEAL!

Tja, dann hatte ich Zeit. 19.30 Uhr und der Abend hat begonnen. Hab ich Viveka angerufen. Und gelacht. 120 Minuten beste Unterhaltung. Was habe ich gelacht. Leider kann ich euch die Details nicht schildern, weil ich hier sonst Persönlichkeitsrechte verletze und morgen einfach auf die Fresse kriege, wenn ich Interna ausplaudere. Mann. Juckt in den Fingern, aber klar, nein, Ehrenkodex. Schließlich liest das ganze WWW mit. Herrje.

Auf jeden Fall haben WIR beschlossen, dass es nicht sein kann, dass Zoe alles allein putzt. Deshalb haben wir dann irgendwann aufgelegt, damit ich saugen kann. Zumindest. Halbe-halbe. Zwischendurch haben Viveka und Zoe telefoniert und ausgehandelt, dass es doch einen anderen Ausgleich gibt. Ein Heimspielbesuch des 1. FC Köln. DEAL! Bin dabei. Die ganze weite Welt ist ein endloses Geben und Nehmen.

Jetzt zeigt die Uhr 23.12 Uhr, die Bude ist gesaugt und ich freu mich aufs Wochenende in Essen. Jim, Ela, Jens und Cooper kommen am Samstag zum Bildergucken (Sehnsucht Italien), Zoe ist auf einer Party bei einer Freundin. Schade – leichtes Vermissen jetzt schon. Darf gar nicht dran denken, wenn die mal ausziehen. Puh. So, damit dürfte alles erschlagen, gesagt und berichtet sein. Mehr oder weniger. Morgen Früh steht ein Anschreiben auf dem Programm und der Singapur-Job – eine Internetseite, eine One-Page für eine Konferenz – muss ich sehr feinfühlig rangehen. Texten. Ja. Gute Worte finden, die dem gerecht werden, was da passieren kann. Verheißung, Möglichkeit, kribbelnde Anregung.

Das Leben ist schnell, bunt, energetisierend, aufregend und wahnsinnig – ich komme kaum noch mit, das alles festzuhalten. Wenn alles klappt, so wie es mir wünsche, wird in all dem Tohuwabohu im Frühjahr ein Projekt in Köln stattfinden, in dem ich mit einem geschätzten Künstler zusammenarbeiten werde. Vielleicht werde ich nach langer Zeit mal wieder Gedichte lesen. Viveka und ich haben schon ausgewählt und Lesen geprobt – boah ey, sie ist so streng. Da musst du wirklich komplett genau lesen. Kleine Deals, große Deals, Singapur, 18, Italien, Leben. Momentan kann ich hier in meinem Onlinetagebuch nur einen Bruchteil der Geschehnisse hinterlassen. Es ist viel, es ist herausfordernd, es ist schön.

Wie zart ist zart

Essen_Haus mit Baum

Mögt ihr Zartheit? Dieses unbeschreibliche Gefühl, wenn das Leben einen Augenblick lang kein Gewicht hat, wenn nichts drückt, schwer ist, zwingt, will.

Ich mag dieses Gefühl. Es macht Momente weich, nimmt ihnen die Schwerkraft, die Krallen.

Der zarteste Moment der Zartheit ist ein weiches Küssen, das fliegt. Wenn sich Lippen berühren, fast ohne sich zu berühren, wenn es ist, als würde ein Strom fließen, als würden einzelne Atome sich lösen, um leicht umeinander zu schweben.

Was Fingerkuppen können. Ohne Kontakt. Fast dran. Wie ein Springen oder nicht. Wenn Zartheit von Liebe getragen ist. Von einer schwebenden, leichten, wohlwollenden, freien Liebe. Die eine Waage nicht ausschlagen lässt.

Ich liebe Zartheit als Status und Möglichkeit. Zartheit im Denken, in der Berührung, im Blick. Und dort besonders. Wenn die Augen weich werden und aussehen, als wären sie nicht von dieser Welt. Über Zartheit sprechen, sie bewahren, beflügeln, schützen, umhüllen, tragen. Wie ein kleines Tier schützend.

Weihnachtslampe

Unterwegs in wenig sternenklaren Nächten

Nacht 8_Januar 2015

Nacht2_Januar 2015

Nacht 10_Januar 2015

Nacht 11_Januar 2015

Abgetaucht.

Die Nacht hat mich geschluckt. Es ist Winter, die Tage gehören der Arbeit, den Menschen, die ich liebe. Die Nacht gehört mir. Die Zeit ist rar geworden in diesem neuen Konzept Leben. Ich habe mir das nicht ausgedacht. Ich denke, niemand denkt es sich aus. Es geschieht, als sei es ein geheimer Plan, eine Strategie des Über-Ichs.

Viele Gedanken habe ich mir in letzter Zeit gemacht und bin zu wenig Ergebnissen gekommen. Pegida? Keine Ahnung. Islam? Keine Ahnung. IS? Keine Ahnung. Kobane? Ich hoffe, sie sind bald frei. Charlie? Keine Ahnung. Wozu das alles? Keine Ahnung. Wo die Reise hingeht? Keine Ahnung.

Mir sind die Antworten ausgegangen. Es passiert so viel und ich lese so viel und es gibt so viele Menschen, die sich für Schwarz oder Weiß entscheiden und das mit aller Vehemenz vertreten. Dafür. Dagegen. 1. 0. Die Welt scheint einfach zu sein. Ein Multiple Choice-Test. Einfach ein Kreuz setzen, Gefällt mir drücken und alles ist klar.

Für mich ist nichts klar. Eine sehr undurchsichtige Gemengelage. Selbstverständlich sind die moralischen Pfosten in die Erde gerammt und definieren das Spielfeld. Aber wie viele Mannschaften toben da rum und mit welchem Ziel? Und wieso das alles? Und weshalb jetzt? Und wo führt das hin?

Ich brauche Zeit, die ich nicht habe. Wenn man keine Zeit hat, sind die einfachen Lösungen natürlich praktischer. Dann sagt man einfach zu irgendetwas Ja und bleibt dabei und dann muss man seine Meinung nur noch untermauern und untermauern lassen. Finden sich genug, die PROs liefern. Und diese beliebten NO-GOs.

Gerne würde ich zu all dem etwas sagen, Stellung beziehen, aber ich kann nicht. Mir kommt es so vor, als würden in den Teppich der Zeit Fehler geknüpft. Vieles ist einfach zu massiv und gleichzeitig massiv einfach. Bislang habe ich noch keinen intelligenten Kommentar zur Zeit gelesen, der tatsächlich Licht ins Dunkel bringt. Es sind unangenehm wichtige Zeiten und dieses Jahrtausend hat wirklich düster begonnen. Da sind die Türme in den Anfang gefallen und haben eine Schneise geschlagen, die sich links und rechts der Schuldzuweisungen ausbreitet.

Glasnost, erinnert ihr euch? Frieden mit Russland. Konflikte, die ausgelaufen sind. Da war mal der Nordirland-Konflikt, der das größte Problem des Kontinents war – und die Kämpfe der ETA. Kommt mir momentan vor wie Kindergarten gegenüber dem, was wir jetzt haben. Mein Kopf gibt sich Fluchttendenzen hin. Ich möchte Lachen. Ich möchte gute, unbeschwerte Zeiten erleben. Honig. Cocooning. Zurückziehen. Aber das Netz hat seine Tentakel überall. W-LAN bis ins letzte Zimmer.

Also raus auf die Straße, durch die Nacht. Dann ist es ruhig und die Lichter sind schön. Das Fotografieren ist schwierig, weil ich ein Stativ bräuchte, dass ich nicht mitschleifen will. Also ist manches verschwommen, verwackelt. Was solls, so ist die Zeit. Keine Klarheit nirgends, nur falsche Richtigs. Es wäre gut, besser zu überlegen und nicht im Affekt zu handeln. Für alle. Der Frieden ist auf eine lange Zeit verloren. Nord-Irland ist jetzt überall und was sich tun lässt, ist die Feuer weder zu entfachen, noch zu füttern. So weit, so vage. Hier die Bilder meiner Nightwalks der letzten Wochen.

Nacht 9_Januar 2015

Nacht 7_Januar 2015

Nacht 5_Januar 2015

Nacht 6_Januar 2015

Nacht 4_Januar 2015

Nacht 3_Januar 2015