Wie lange habe ich nicht mehr geschrieben, ohne Auftrag und Geld. Frei und selbstverliebt und schön. 2.300 Kilometer musste ich fahren, mussten wir fahren. Viveka und ich. Um in einem Freiraum zu landen.
Raus aus den Zwängen. Kein Schreibtisch am Morgen, der Ultimatives fordert. Große Gedanken, von viel Energie getrieben.
Im Kern bin ich ein Hippie, der ein wenig zu spät geboren wurde. California 69, stelle ich mir vor, wäre meine Erlösung gewesen.
Wenn es das Konventionelle verlässt, ist es mein Terrain. Obwohl mich das Konventionelle nährt und meine Spießerecke mich dort sprießen lässt. Zuhause bin ich dort nicht. Krawatten sind mir ein Graus. Sie sterben gerade aus, viel zu spät. Von den Fahnen der Ritter, von den Schildern im Kampf zu diesem Stück Stoff von Hals bis Brust verschwindend hinter dem obersten Knopf des Sakkos.
Weshalb ich das schreibe?
Weil es um Freiheit geht. Die, die ich gerade erlebe. Lhasa De Sela singt, draußen bewegt sich das Meer, wie es lustig ist. In Blautönen, unendlich vielen Blautönen und in alle Richtungen.
Die Musik, das Meer, die liebkosende Wärme auf meiner Haut küssen mich. So sollte es immer sein.
Irgendwann, in einigen Jahren, werde ich meinem Leben in Deutschland fliehen und nur noch aufs Meer schauen. Die Wellen, die Farben, das Wetter, die süßen Tomaten, all das, was man trefflich zubereiten kann, werden mich herzen.
Ich liebe Italien, ich liebe Frankreich. Dort sind die schönsten Orte, die ich kenne. Gegen all das ist Deutschland, bei aller Qualität, quadratisch, praktisch, gut. Wir haben leider keine Kultur der Schönheit. Wir sind ein unschönes Motzland. Man kann sich nur auf Inseln retten. Man muss sie finden, die Oasen in Deutschland. Nun.
Ich habe eine lange Geschichte in Italien.
Die fängt an, da war ich noch nicht geboren. Mein Vater und Hausmanns Willi fuhren mit einem Ford über die Alpen. Das war Mitte der Fünfziger. Der Vater meines Vaters, ein überzeugter Nationalsozialist, war nach Gefangenschaft in Russland und Entnazifizierung durch Holzfällen entkräftet an Auszehrung und Darmkrebs gestorben. Mein Vater hatte ihn gepflegt und war dann, die Duplizität der Ereignisse, wie ich nach Italien geflohen.
Wie Goethe. „Auch ich in Italien“. Ende der Achtziger hatten wir im Germanistik-Studium die Italienische Reise bearbeitet und waren ihr gefolgt. Unglaublich. Unser Prof, Schmidti, fragte uns: Wollt ihr die Reise machen? Und wie. Er besorgte einen VW-Bus und wir fuhren sechs Wochen lang auf Goethes Spuren. Wie Goethe am ersten September gestartet. Insbruck, Gardasee, Malcesine, Verona, Vicenza, die Villa Rotonda, Venedig. Den Apenin entlang, Perugia bis Rom und Neapel und Paestum und wieder zurück über Siena, Florenz. Immer auf den Spuren der Renaissance, der Wiedergeburt. Andrea di Palladio, Guido Reni, Michelangelo. Alle. Du gehst in Venedig in eine Kirche und sie hängen dort. Caravaggio. Die Farben. Diese Rottöne, das Blau, das Grün und die Gesichter voller Gefühl. Bislang habe ich es nicht in die Uffizien geschafft. Dort muss ich noch hin.
Wiedergeboren.
So fühle ich mich hier. Das erste Mal bis runter nach Kalabrien. Die Autostrada de Sol entlang, dann die Autostrada de Mediterrano.
Wie sehr die Dinge miteinander verknüpft sind. Kürzlich das van Gogh Museum in Amsterdam, die Orangerie in Paris, die Impressionisten. Monet, Manet. Die Normandie, Fecamp, Etretat. Puzzleteile einer wunderbaren Geschichte. Würden wir in Europa einfach nur begreifen, woher wir kommen.
Jetzt läuft Lhasa De Sela.
Gleich werde ich ein Risotto kochen. Später werden wir Schnorcheln.
Leben ist eine Begegnung der Ereignisse. Manche Dinge können wir steuern und dorthin führen, wo wir hin wollen. Manche Dinge sind Glück. Manche Dinge geschehen einfach.
Wie auch immer, jetzt höre ich Lhasa De Sela und schreibe und schaue aufs Meer.
C’est tout.