Gestern wurde sie, haben wir sie. Beerdigt.
Ich möchte darüber schreiben, weil ich lieber schreibe als rede. Die Geschichte erspare ich euch. Wer von euch seine Mutter verloren hat, kennt das. Was, wie, wann, wo. Die Fakten sind ein sicheres Terrain und ein guter Weg, überhaupt sprechen zu können.
Letzten Sonntag, heute vor vor einer Woche ist sie am Morgen gestorben. Sie war krank, hat sich über eine lange Zeit Stück für Stück verabschiedet. Es war schmerzhaft. Aus dem Mosaik der Hoffnung lösten sich die Steinchen. Am Ende ging nichts mehr und wir mussten akzeptieren, was kein Kind akzeptieren möchte.
Es folgt das Procedere. Der Bestatter. Die Regularien. Wie bei meinem Vater habe ich die Traueranzeige getextet. Schreiben unter erschwerten Bedingungen.
Abschied nehmen in kleinen Schritten. Es durchsickern lassen.
Dort liegt sie im Krankenbett, atmet nicht mehr, ihre Wangen, die du küsst, sind noch warm. Deine Augen möchten den Moment halten, weil er der letzte ist. Das war es nun also. Mama.
Meine Brüder, ihre Frauen. Wir waren da, an diesem Wochenende. Haben sie gestreichelt, die Hand gehalten. Wollten es, konnten es nicht glauben. Zwischendurch das Zimmer verlassen, weil es zu viel wird. Komm damit klar. Versuch das mal.
Die letzten Küsse. Ein letzter Kuss auf die Stirn, ein letztes Mal die Hand gehalten. Und sich dann in ein Auto setzen und wegfahren und den Bestatter anrufen und die Formalitäten klären. Tagelang. An alles denken.
Alles ist egal. Alles funktioniert. Und in deinem Kopf, in deinem Körper, in deinem Herz ist ein Gefühl, dass du nie zuvor gefühlt hast. Es ist das ich-habe-gerade-meine-Mutter-verloren-Gefühl. Es hat etwas von Betäubung und davon, dass ein Nebel zudeckt, was fehlt. Neben der Spur. Nicht bei der Sache. Abwesend. Verletzt.
Auf dem Weg zur Beerdigung habe ich lange mit Viveka gesprochen. Über all das Fühlen, Spüren. Sie hat beide Eltern in kurzer Zeit verloren. In den letzten Jahren. Ich konnte es nur mit einem profanen Wort ausdrücken. Nabelschnur. Die Frau, mit der du verbunden warst. Von der du entnabelt wurdest. Mehr Nähe geht nicht. Ein System, ein Atem.
Letztlich bin ich unendlich traurig.
Nun.
Ein Trost ist alles, was nach ihrem Tod geschah. Die Nähe zu meinen Brüdern, meiner Familie. Der Zusammenhalt, das gemeinsam Durchstehen. Und die Beerdigung. Die kleine evangelische Kirche im Dorf voll. Die Pfarrerin, die sie hat lebendig werden lassen. Das Lied zum Ausgang, dass sie sich gewünscht hat. Und draußen vor der Kirche noch mehr Menschen und eine lange Reihe vor der Urne.
Die Kränze, die Gebinde, die Schalen. Und so viele Menschen.
Dann kamen wir aus der Friedhofskapelle und der Himmel öffnete sich und die Sonne schien auf unserem Weg zum Grab. Auf Mamas letztem Weg schien die Sonne. Später flogen Wildgänse über das Grab. Frühling. Unsere Tante, ihre Schwester, trug die Urne.
Alles war schön und unendlich traurig zugleich. Und ich bin weiter wie benommen. Funktioniere, kann alles machen und tun und bin trotzdem vom Realen getrennt.
Ich freue mich, dass so viele Menschen ihr Wertschätzung gezeigt haben. Ich bin glücklich über die Kraft meiner Familie und das pralle Leben, auf das wir zurückgeblickt haben. Viele Erinnerungen habe ich in den letzten Tagen gehört.
Nun muss ich, müssen wir sehen, wie wir ohne sie klar kommen.
Ihre Liebe trägt. Sie war eine besondere Frau. Ich liebe sie immer.