Die pure Lust am Schreiben

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Heute war ich in Düsseldorf auf der K-Messe. Kunden besuchen, reden, schauen. Ein wenig wie ein Schulausflug. Das Klassenzimmer verlassen, die Bücher vom Tisch räumen und raus in die Welt. Weil ich morgens und nachmittags über die A3 gemusst hätte, habe ich ab Köln Mülheim S- und dann ab D’dorf HBF die U-Bahn genommen (ist im Messeticket-Preis praktischerweise enthalten). Zusammengepfercht mit Spaniern, Russen, Pakistanis, Chinesen and so on in dunkelblauen Anzügen mit bunten Krawatten, auf denen teils Firmenlogos blühten. Messe hat ein wenig was von Zirkus und Kirmes. Junger Mann zum Mitreisen gesucht.

Nun sitze ich wieder hier. Mein neuer Lieblingsplatz. Das Sofa. Der Kerzenleuchter leuchtet, also die Kerzen des Leuchters, Herr Cooper schnarcht. Und eigentlich wollte ich jetzt wieder einen Fassbinder-Film sehen. Die haben es mir gerade angetan und es gibt so viele. Yep. Gerade bin ich in der Spätphase unterwegs. Gestern Abend Die Ehe der Maria Braun mit Hanns Schygulla. Unter anderem. Und wer da sonst alles mitspielt. Aber Hanna Schygulla, echt. Die kann was.

Heute Abend Berlin Alexanderplatz – zumindest einen Teil:). Das Schöne an den Filmen, unter anderem: Die Sprache. Und so ist die Lust, und ein wenig auch die Zeit, zurückgekehrt, zu schreiben. Erst schreiben, dann schauen. Fast hatte ich schon ein wenig Angst, die Worte wären mir entglitten. Weg wie Meiers Hund. Aber siehe da, sie fließen aus den Fingern. Der Kopf arbeitet, spielt, sucht, findet. Sprache ist am Menschsein mit das Besonderste. Natürlich neben dem Gefühl der Liebe, aber nun, meine werten Damen und Herren an den Endgeräten, man kann auch beides kombinieren.

So, ich lasse euch nun. In Wirklichkeit lasse ich mich. Hole mir das Deckchen, ein Kissen, muschel mich ein und presse den Button Start. Abgehoben, weggeflogen. Die letzten Jahre des Rainer Werner Fassbinders, der ein deutscher Filmregisseur ist. Kaum zu glauben. Mit 37 gestorben während der Dreharbeiten zu Querelle. Danke, Wikipedia, du bist so gut zu den Unwissenden. Querelle hat mich bis jetzt am tiefsten beeindruckt. Bildgewaltig, opulent, mit schönen Textpassagen. Der Leutnant, der die Kommentare ins Diktiergerät spricht.

Sprache ist etwas so Wundervolles, dass es weh tut, wenn sie im Brüllen zur Fratze verformt wird. Wo, meine Damen und Herren, entsteht derzeit in diesem unserem Lande, Sprache, die Ausdruck von Sinn, Hoffnung, Ästhetik, Vision, Glaube ist? An welchen Orten wird eine Sprache geschaffen, die sich einmal die Sprache dieser Zeit wird nennen können? Eine Sprache, der ihr eigener Sinn innewohnt, die die Farbe der Zeit angenommen hat? Manchmal nun kommt es mir so vor, als würde ich einem sprachlichen Anachronismus anhängen und immer wieder anheim fallen. Manchmal glaube ich, meine Sprache stammt aus einer anderen Zeit. In die werde ich jetzt gehen. Play:)

P.S. – Das Foto? Stammt aus Menton, Frankreich. Sommer 2016. Es erinnert mich an die zerbombte Szenerie aus Die Ehe der Maria Braun und könnte, vielleicht, ich weiß noch nicht, eine Einstimmung auf Berlin Alexanderplatz sein. Zudem ist es, heute habe ich den ersten nackten, kahlköpfigen Baum gesehen, eine Erinnerung an die schönen Sommertage in Frankreich. Aber das ist ein anderes Thema. Auch schön.

Ruhig, schön, Herbst, Bowie, Prince, Steinbrüche, Steigerhaus, Film noir…

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Wieder Frank Ocean. Wieder das Sofa, der Kerzenleuchter brennt auf dem Ofen, das Licht ist aus, Jim zockt oben online mit Mattes, Zoe ist in Stuttgart und nutzt die Ferien und lässt sich zur Ernährungsberaterin ausbilden. Viveka ist mit meinem Auto in Essen. Der Zahnriemen, sie hat eine gute Werkstatt. Derweil bin ich mit ihrer Holly unterwegs. Ihr Kennzeichen trägt meine Initialen und mein Geburtsdatum. Sieht also so aus, als wäre es meine Holly. Ist sie aber nicht, obwohl, ich könnte schwach werden. Sie ist sehr nett zu mir.

Es ist schön, dass es jetzt Herbst wird und Ruhe einkehrt. Mag mich in die Zeit einmuscheln, mit dem Deckchen aufs Sofa, die Zeiten durchhören. Bowie, Prince. Es wird ein Fassbinder-Winter. Es scheint, dass ich süchtig werde nach alten Zeiten.

Nun könnte ich denken, das hat etwas mit Alter und Sentimentalitäten zu tun. Oder ich könnte denken, es hat etwas mit den Zeiten zu tun. Weder Bowie noch Prince noch Fassbinder kann man von den Bäumen pflücken. Wenn die weg sind, kann man nur noch die alten Sachen hören und sehen. Da kommt nichts Neues mehr.

Es waren andere Zeiten. Nun sollte man sich hüten, die Gegenwart gegen das Gestern aufzuwiegen. Habe ich immer gedacht. Aber nun holt es mich ein. Mir sind 100.000 Friedensaktivisten lieber als all die dumpf deutschnationalen Tendenzen aktuell.

Es scheint, dass ein Vakuum das Dunkle an die Oberfläche gesogen hat. Dresden. Als Viveka und ich dort waren, haben wir diesen Klaus getroffen. Der so frustriert war und erzählt hat, die Amis würden die ganze Stadt voll pissen. Da hatte ich gedacht: Oje, der Ärmste, der hat einen ‚Stasi-Honecker-DDR-Schaden‘. Ich habe ihm auf Englisch geantwortet und erzählt, dass ich aus New York sei. Da hat er nett auf Englisch geantwortet und von Vollpissen war nicht mehr die Rede. Ich denke, Klaus ist Montags dabei. Und ich denke, Klaus war damals in Leipzig nicht dabei, als ‚Wir sind das Volk‘ gerufen wurde und sich die Mauer in Wohlgefallen auflöste.

Klaus hat auch kein Bowie und Prince gehört und keine Fassbinder-Filme gesehen. Wahrscheinlich hätte er Pfui gesagt. Die Deutschen und die Kunst. So viele Museen, so viele Künstler, so wenig Respekt.

Es sind gefühlt viele Menschen geworden, die den Anstand verloren haben, die sich nicht benehmen, denen ein Gefühl für die Schönheit dieses Landes in seiner Komplexität fehlt. Weshalb übertönen diese dumpfen Schreie all das Tiefe, Wertige, Wunderbare?

Woher kommt der Hass? Aus gefühltem Unglück, aus Leere, aus Sinnverlust.

Gestern durch den Wald, die neue Heimat. Die ist schön. Anders, ganz anders als in Nosbach. Nosbach war das Maikäfertal, die Wiesen oben, Vivekas Irland, die Wälder bis ins Unendliche. Hier ist alles komprimierter. Mehr Menschen, mehr Zäune, mehr Straßen. Und dazwischen doch auch die unberührten Orte. Keinen Menschen getroffen. Das sind mir die liebsten Wege.

Alte Steinbrüche, mit Stacheldraht abgesperrt. Seen, Felswände. Ein Steinbruch ist offen. Naturschutzgebiet. Wunderschön, ein magischer Ort mit einer Eule. Dazu die Spuren des Bergbaus, die alten Bleigruben. Und ich wohne mittendrin im alten Verwaltungsgebäude oder Steigerhaus, wie ich jetzt gehört habe. Was ist ein Steigerhaus? Werde noch dahinter kommen.

Es ist ein Abenteuer, diese neue Welt zu erkunden und abends hier zu sitzen und Bowie und Prince zu hören und, zugegeben, Frank Ocean und Gregory Porter und Marvin Gaye und Gil Scott Heron und die Doors und dann die alten Filme zu sehen, die erzählen, dass das Leben keine Autobahn ist. Filme, die auf Gedanken beruhen, die mit sich ringen, die ungewohnt sind, weil die Gedanken noch nicht gedacht sind. Echte Aufgaben. Schöne Sätze. Konzepte.

Zu Weihnachten sollte ich mir Filmkollektionen wünschen. Von mir wünschen. Herr Schönlau, bitte, dies, jenes. Jim Jarmusch, Aki Kaurismäki, Peter Greenaway, Derek Jarman. Und dann zurückgehen. Film noir, italienischer Realismus. Wir haben eine Vergangenheit, eine Basis. Wir haben eine Geschichte, auf der wir fußen. Wir haben großes Glück, das wir mit Löffeln schaufeln sollten. Nachrichten mit der Pegida-AFD-NPD-Seehofer-Scheiße raus, die alten Filme rein. Und Bowie und Prince. Nicht zu vergessen. Und all die anderen. Was für ein Fundus. Spotify. Alles da. Saturn. Zweitausendeins? Gibt’s die noch?

Ach. Gute Nacht, träumt süß.

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Licht am Ende des Tunnels…

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… oder der Sinn von irgendwas.

Es ist. Mehr müsste ich nicht schreiben. Nun, ich könnte, sollte die Formel um ein Konkretes erweitern. Im Werden? Was?

Allmählich komme ich dahinter. Ich weiß nicht, wann ihr euer Leben zuletzt umgekrempelt habt. Es ist etwas geschehen oder ihr wolltet, musstet, habt. Ist ja auch egal, warum.

Allmählich, die Zweite. Also. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Beim Sinnabend unserer Agentur. Bei den Fassbinder-Filmen, die ich in letzter Zeit schaue, bei dem Haus, das wird. Bei dieser Geschwindigkeit, die mich umhüllt.

Viveka und ich haben dieses Wochenende nach unendlichen Zeiten endlich gestrichen. Nun steht hier eine funktionierende Küche, die den Status Zwischenlösung in Form von Kompromiss und Notbehelf in Richtung ernst zu nehmender Vollwertigkeit verlassen hat. Eine Erlösung. In den den letzten Monaten habe ich alles zusammengekauft. Die Siematic-Zeile aus Rheine bei Münster mit Dampfgarer, Kühlschrank, Backofen, Mikrowelle und Tellerwärmer. Ja, ja, Tellerwärmer. How ever. Vielleicht mal. Wer weiß, was kommt.

Die Arbeitsplatte vom Schreiner. In der falschen Farbe, die dann doch die Richtige war. Zum halben Preis. Den Geschirrspüler fein deutsch von Siemens in Edelstahl und das Induktionsfeld in 80’er Breite, für das mein Bruder extra Leitungen verlegt hat.

Und das Highlight. Mein neues Sofa aus Bergisch Gladbach. Da standen viele Porsche im Viertel und ich hatte von meinem Nachbarn Stefan den Hänger mit Stroh- und Pferdemistresten. Schönes Sofa. Gebraucht, aber ein Schnapper. Und schön. Erst wollte ich einfach irgendwas und dann wollte ich das nicht mehr, und dann eben dieses. Eigentlich unbezahlbar, in gebraucht irgendwie doch. Man muss Wege finden im Leben.

Und dann, neben all dem Faktischen. Den Stromanbietern, Heizöllieferanten, Anschlusswerten, Grundbucheinträgen und all dem Zeugs, was diesem Land so einfällt, die große Frage nach dem kleinen Sinn. Wozu das alles?

Es kam mir heute, als ich mit Viveka das Revier erkundigt habe. Herr Cooper war schon bei Ela, er ist jetzt ein Trennungshund. Mal hier, mal dort. Es fällt ihm schwer, aber er macht sich. Ich liebe ihn auch dafür. Heute morgen war er mit mir im Wald und glücklich. Wie ein junger Hund ist er an mir vorbeigeschossen und hat Sonnenstrahlen gejagt und gelächelt. Ehrlich.

Wir saßen also am Wasser. Und ich wusste, was fehlt. Ein Teil von mir. Dieser Teil meines Kopfes, der immer mir gehört hat. Diese Gedanken, die sich im Warmen geräkelt haben. Dieser Luxus, frei zu denken. Okkupiert. Besetztes Gebiet. Besetzt vom Faktischen, vom Notwendigen, von den Dingen, die geregelt werden müssen. Im Wald heute, nachdem wir gestern mit dem Streichen fertig geworden sind, kam mir eine Gedichtzeile. Sie hatte etwas mit Herzen und Barbaren und Besetzung zu tun. Es war ein schönes Gefühl einen Gedanken zu spüren, der nichts mit Induktionsfeldern oder Küchenmöbelfüßen zu tun hatte.

Und dann kamen mir Gedanken zu meiner Lesung am 8. Januar in Duisburg. Plötzlich wusste ich, was das Thema ist. Der Inhalt. Und ich wusste, welche Texte es sein müssen. Das war ein Geschenk. Das Schlimmste ist, nicht denken zu können. Verknotet zu sein im Rationalen. Funktionieren müssen. Paff, Finanzamt. Kotz.

So war es ein guter Tag und ich wünsche, dass es nachlässt, was hindert und hält. All dieses. Bitte. Yep.

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