Ein klein wenig Anarchie zum Fest.
Der Tag hat recht lustig begonnen. Auf dem Plan als zentraler Akt des Vormittags stand: Baum besorgen. In meiner Familie wird der Weihnachtsbaum traditionell aus dem Wald entführt. In diesem Jahr wurde das zum kleinen Event. Ich habe das Fluchtfahrzeug vorbereitet, sprich die Batterie in meinen Trecker – einen Fendt Farmer II aus dem Jahr 1961 – eingebaut. Dann sind Jens, Jens, Jim und Zoe auf die Kiste geklettert, haben das Knattergetüm angeworfen und sind los. Seil und Säge auf dem Heckcontainer und ab ins Tal. Herr Cooper mag kein Treckerfahren und ist vorgelaufen. Hatte der einen Spaß, uns zu versägen. Warten, Trecker passieren lassen und dann mit Karacho dran vorbei. So ein Angeber.
Wir wollten natürlich möglichst unentdeckt zur Tat schreiten. Aber direkt unten im Tal sind wir auf unseren Nachbarn gestoßen. Trecker aus. Palaver. Weihnachten, Wetter, der übersprudelnde Kanal im Tal, der Abwasser mit dem zukünftigen Trinkwasser unserer Trinkwassertalsperre mischt. Da dürfen nur Menschen mit Gesundheitszeugnis rangehen. Das nennt man dann Realität. Oder: Anarchie. Egal. Heiligabend. Wir sind weitergefahren auf dem Weg in die Tiefen des Waldes. Rumpel die Pumpel. Plötzlich Anmerkung von den Beifahrern: Säge weg.
Die Superprofis. Voll der Anfängerclou. Jim ist los, die Säge holen, da kam schon unser Nachbar, der uns eingeholt hatte und meinte, er habe noch einen zweiten Baum. Wegen der Auswahl. Könnten wir haben. “Nee, sehr nett, aber die Tradition. Und die Kinder müssen das ja lernen und ich muss das weitergeben und das macht ja sonst keinen Spaß.” Baum einfach so kann ja jeder. Wo bleibt da der Weihnachtskribbel, das Festadrenalin? Wir haben dann noch einen Tipp bekommen, wo die besten… Ich sagte nur: Weiß schon. Und er meinte: “Klar, du kennst dich hier aus.” Richtig. Herr Cooper und ich wissen, wo was steht.
Also hin zu dieser Stelle, wo die Bäume wild wuchern und sich gegenseitig erdrücken. Also zu der Stelle, wo forsttechnisch der Diebstahl tieferen Sinn hat. Platz schaffen. Ich finde, als aufgeklärter Bürger muss man einfach mitdenken und die Anarchie in sinngebende Bahnen lenken. So kann man schon weit kommen als Gesellschaft. Grins. Gerade noch die Kurve in die politische Korrektness bekommen.
Baum ab, aufgeladen, durch den Wald zurück, den Berg hinauf. Da hatte ich plötzlich das Gefühl, wir würden mit unserem knatternden Fahrzeug die Straße des 17. Juni parademäßig entlang gleiten, schweben, wie im Flug. Also habe ich salutiert und “Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt” lauthals gesungen, was die direkten Nachbarn ans Fenster rief und winken ließ. Was für ein Weihnachten. Revolutionäre sozusagen. Die denken jetzt endgültig: Was hat der Typ für einen Riesensockenschuss. Ist der Ruf erst…
Jim und Zoe sollten den Baum dann schmücken, nachdem Jens und ich ihn aufgestellt hatten. Zwei mal mit der Stichsäge gekürzt (im Haushalt passieren die meisten Unfälle – alle Finger noch dran) und er passte immer noch nicht rein. Die Spitze kratzte an der Decke. Mit einem alten Floristentrick meiner Mutter habe ich die dann einfach so schräg abgeschnitten mit der großen Küchenschere, dass man das nicht mehr gesehen hat. Passt! Super. Jim wollte dann, dass wir alle zusammen den Baum schmücken. So’n soziales Gemeinschaftsding. Wenn der Junge das möchte, klar. Haben wir gemacht. Überwiegend in rot. “Traditionell soll es sein. So wie früher, als die Leute Äpfel drangehängt haben”. Die Kids das Konzept, wir alle die Ausführung. Schön sieht er aus. Und Herr Cooper läuft jetzt mit roter Schleife rum. Zu all dem hab ich, also in diesem Fall als Herr Papa, die Weihnachts-CDs aufgelegt. Erst Sinatra und Crosby, dann klassische Konzerte.
Und dann, plötzlich, erklang “O du Fröhliche…” aus dem Dorf. Der Posaunenchor der Kirche hat das Dorf beschallt. Sehr schön romantisch und atmosphärisch. Was für ein Weihnachten. So entspannt. Alles gleich, alles neu. Alles gut. Jetzt ist alles getan. Vor allem der Wein ist geöffnet. Jens hat französische Schätze aus seinem Weinkeller mitgebracht. Chateaus. 1995. 1996. Grand Crus. Wir werden gemeinsam kochen, fein essen, sehr fein trinken. Ich freue mich.
Bleibt noch, euch zu danken. Euch allen. Annegret, Gitta, Tine, Danièle, Claudia, Viveka, filo, Monja, Michaela, Martina, Petra, Moon, Patrizia, Ilona, Alina, Uta, Sarah, Elke, Sandra, Alexandra, Manuela, Polly, Birgit, Ingrid, ElaE, Susanne, Bianca, Juli, Carla, Frau Zwitscher, Ulla, Ina, David, Raoul, Ralf, Jens, Frank, Andreas, Tilman, Raimund, Thomas und alle, die hier aktiv waren, die sich eingebracht und gelesen haben. Ich weiß, viele lesen für sich mit und sind dabei – auch in Kanada, den USA, in Israel, Neuseeland, Schweden und in Großbritannien. Euch allen wünsche ich als große fiftyfifty-Familie ein richtig schönes, gemütliches, entspanntes, leckeres Weihnachtsfest und alles, alles Gute für das kommende Jahr. Ich bin froh, euch zu haben und dass ihr 2012 an meiner Seite gewesen seid.