Wenn die Sonne sonntags in Duisburg scheint

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Duisburg? Schimanski. Viveka und ich hatten schon länger vor, einmal Duisburg kennenzulernen. Den Innenhafen. Rheinaufwärts rechts ab und rein ins Vergnügen. Dieses Ruhrgebiet ist wirklich imposant. Da finden sich immer wieder neue Perlen.

Gestern schien die Sonne, es war prachtvolles Ausflugswetter und Viveka hatte das komplette Sagen. Ich war ein wenig platt von der Woche und wollte einfach nur mitcruisen. Nicht denken, nicht entscheiden, nur mitlaufen und ausführen. Dann kam der Moment, als wir die Nachmittagsgestaltung in Angriff genommen haben. Da kam doch dieser Wunsch nach Duisburg in mir hoch – Viveka musste lachen. Ich habe versucht, es als Beratung der Bestimmerin zu verkaufen. “Ist nur so ein Vorschlag, eine Idee, kein Zwang, wir können auch was ganz anderes…” Paare. Schrecklich schön.

Und so sind wir losgezogen, haben den Weg ohne Navi gefunden und einen kostenlosen Parkplatz ebenfalls. Am Wasser entlang, kurz in Richtung Stadtmitte, zurück. Wir haben am Ufer gesessen, die Gesichter in die Sonne gehalten und einen schönen, sonnigen Sonntagnachmittag in Duisburg verbracht. Ich liebe es, mit Viveka unterwegs zu sein. Wir haben den gleich Rhythmus und die gleichen Vorlieben. Eine der größten ist es, gemeinsam am Wasser zu sitzen, aufs Wasser zu schauen, auf vorbeifahrende Boote, die Welt anzusehen und zu reden. Mittelmeer, Rhein, Baldeney-See, kleine Wiehl, Weier… Mitte April entführt sie mich mit einem Flugzeug. Bin sehr gespannt und versuche ihr das Geheimnis zu entlocken. Was ich sicher weiß: Es geht nicht nach Hannover oder Karlsruhe. Bei den Städten war sie bereit zu sagen: Nein, da geht es nicht hin. Hamburg ist es angeblich auch nicht, obwohl ich da noch nicht ganz sicher bin. Andererseits: Flugzeug. Die Welt ist ein Rätsel und Widder sind so neugierig – und das lässt im Alter nicht nach.

Am Abend dann zurück nach Nosbach – Familien und Leben tauschen. Hier, dort. Über die Autobahn, durch Telefonleitungen, durchs Web. Die Zeit rinnt, verändert, Welten fliegen vorbei. Schnell, langsam. Wie so ein Leben neu beginnt vom einen auf den anderen Tag.

Ja, richtig, ich habe euch ein paar Fotos mitgebracht – hier unten. Das oben stammt vom vorletzten Parkplatz vor der Abfahrt nach Nosbach. Vor zwei Wochen auf dem Heimweg geschossen. Kurze Pause, ankommen.

red_Wand mit Stahl

red_Stämme

red_Wellen

red_Haus_Balkone_Norden

red_Parkhaus

red_Giebel

red_Pfähle

red_Scheibenaufkleber

Walking along cold water in frosty february…

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Ladies, gentlemen. You know: Februray. Cold Water.

Wir müssen noch ein klein wenig durchhalten, wenn auch Hoffnung am Horizont aufblüht. Bald ist Frühling. Und: Yes. Pronto. Habe gebucht. 3 Wochen Levanto. Wieder. Obsessiver Wiederholungstäter. In diesem Jahr Zoe und ich. Jim ist mit seinen Leuten unterwegs – ihr erinnert euch vielleicht. Ein Auto, sechs freie Wochen, ein wenig Geld und die Welt ist so weit und macht nichts anderes, als zu warten… Wie gerne ich dieses Gefühl. Noch ein einziges Mal. Das ist die eigentliche Sehnsucht nach Jugend. Diese Momente des Staunens und Überwältigtseins vom allerersten Mal. Also nicht so, sondern allgemein. In allem.

Freitag. The day after. Abschied von Drago, herzlich willkommen in Essen. Ausschlafen. Liebevoll empfangen und umsorgt werden. Der Klimawandel tut so, als würde er pausieren. Es ist sehr frostig. Machen wir uns nichts vor, all das Gerede von das ist doch nur eine natürliche Laune der Natur… Vergesst es. Auch beim Klima haben wir so richtig ziemlich verkackt. Es kulminiert. Nach den Peace-Jahren der Seventies haben wir ab dem 6. März 1983, als Monsieur Poire die Macht ergatterte, einen Abstieg in Frieden und Wohlgefallen erlebt, der nun wahrlich erschreckend ist. In dem Maße, wie sich das Weltklima aufheizt, nehmen die zwischenmenschlichen Temperaturen ab. Wir müssen jetzt hier nicht erwähnen, wo überall die Kacke dampft. Gemeinsam können wir einen Strich unter die Rechnung ziehen und feststellen: Die Egos wachsen, die Bereitschaft zu töten, ist allerorts hoch. Krieg ist salonfähig, die Frage nach dem WHY hat sich aufgelöst. Geben wir doch zu, dass wir die 1. Mai-Friedensdemos belächelt haben. War doch nicht mehr notwendig, da was zu unternehmen. Wo doch alles so gut gelaufen ist.

Wie viele Tote sieht man, wenn man im Februar 2015 Tageschau schaut oder Spiegel online von oben nach unter durchscrollt? Stellvertretend. All die Brennpunkte. Freude über Bombardements auf IS. Kobane ist frei. Und in Schutt und Asche. Von US-Fiegern mit besten Absichten fein säuberlich zerlegt. Das Unterste nach oben gekehrt und das Oberste nach unten. Eine zerstörte Stadt ist die bessere Alternative. Irrsinn.

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Fragen wir uns: Was ist passiert? Cold water. Es war so gemütlich in der Komfortzone der Neunziger. Da konnte man glauben, man würde so etwas wie gesellschaftliche Weiterentwicklung nicht mehr brauchen. Kunst wäre so etwas wie eine Aktie. Ich habe in London die Deutsche Bank mit ihren Riesenkunstwerken gesehen. Ein Foyer wie ein Museum. Und die Modern Tate auch von Ackermann & Söhnen bezahlt. Supported.

Tatsächlich haben wir die Innovation aufgegeben. Wir können per Web alles machen. Posten, liken, buyen, mobben, dissen, Revolutionen begleiten, Kampagnen starten, verurteilen, Regierungen zwingen und zwängen. Aber wir können den feinen Weg des Diskurses nicht mehr gehen. Das war einmal eine Einstellung, ein Entwicklungsprinzip. Schauen, was fernab der Wege möglich ist. Seit 1983 haben wir an Intelligenz verloren, haben Wichtiges aufgegeben, vergessen.

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Rom konnte Gewölbedecken bauen, das Mittelatlter konnte das nicht. Rom konnte in der Malerei Perspektiven und Dimensionen abbilden, im Mittelalter waren die Hände flach in 2D hingewichst. Vergessen. Wissen geht verloren. Menschen vergessen. Arroganz gegenüber dem Vergangenen. Möglichkeiten aufgeben. Sich Strauss-Kahn und Co. anvertrauen. Sarkozy, Berlusconi. Die ganze große Show der Ego-Maniacs. Oberflächlichkeit und stumpfes Geplapper par excellence. Aufgegeben, was Wert und Wichtigkeit hat.

Nun zahlen wir einen Preis. Laufen der Entwicklung hinterher. Früher war die Diskussion, wie machen wir die Welt besser? Wie retten wir sie? Heute: Wie können wir das Mittelmeer verminen und mit Stacheldraht durchwirken? Wie können wir unsere Bahnhöfe vor Terror schützen? Wie retten wir Banken und Inflation und Deflation und Wachstum und Renten und Konsum und all den Scheiß. Wie können wir in diesem Land überhaupt noch zusammenleben, ohne im Hass der Orthodoxen aus allen finsteren Ecken zu ersticken? Um wieviel schöner ist ein 1. Mai-Friedensmarsch als all die extremewalks der Voll-voll-voll-Idioten aus allen Richtungen.

Ein Vollidiot ist übrigens, wer seine Meinung mit Schlagen, Quälen und Töten durchsetzen will. Fangen wir an mit einer Liste ab 1983: Da sind ziemlich viele drauf. Von Hoyerswerda über Moskau und Washington bis Indien und Guantanamo und Abu Ghareib und Kobane und Somalia und Nigeria und Donezk und Kiew und Peking und Fukushima und Budapest und, und, und… Überall Kerle mit wahnsinnig dicken Eiern im Schritt und der Vorstellung von ICH.

Es ist sehr kalt im Februar 2015. In Kobane ist eine Frau gefallen, die ich liebe. Nicht so, klar. Die Kommandantin der YPJ. Der weiblichen kurdischen Befreiungsarmee. Kobane war schon befreit, da ist sie scheinbar im Kampf um die umliegenden Dörfer gefallen. Erschossen von IS. Denke ich. Ich weiß es nicht und recherchiere auch nicht, weil mich diese ganze Gewalt kotzen lässt. Angela fährt nach Kiew und Moskau. Und ich freue mich, dass wir eine besonnene Kanzlerin haben, auch wenn ihre Partei noch nie meine war. Keine Waffen in die Ukraine. Keine Munition für Idioten – egal, auf welcher Seite. Es reicht. Hört auf. Ist doch mittlerweile egal, wem die Ostukraine gehört. Schon jetzt wird es dauern, bis der Hass aufhört. Wie kann eine Welt nur in so vielen Punkten, Orten verkacken? Wie kann man nur so abgrunddämlich eine Welt vor die Wand fahren? Wie kann man nur auf so breiter Linie politisch, ideologisch, religiös versagen?

In diesem Jahr werde ich 50 Jahre alt. Vietnam habe ich nicht miterlebt, den 2. Weltkrieg über all das, was durch meine Vorfahren weitergegeben wurde, zu Genüge. Meine persönliche Entnazifierung in den Seventies hat gereicht. Danke. Auschwitz-Filme habe ich bis zum Ende meines Lebens genug gesehen. Gelungen. Von mir mir wird niemals eine Antisemitismusgefahr ausgehen. Versprochen. Hand drauf. Ich habe gedacht, wir hätten das Schlimmste erlebt. Mittlerweile bin ich mir nicht mehr ganz so sicher. Die Kriegsbereitschaft war nach meinem Empfinden schon sehr lange nicht mehr so hoch. Dass Russland und die Nato bereit sind, einen europäischen Stellvertreterkrieg zu führen ist einfach Wahnsinn. Eine vollkommen neue Qualität.

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Es ist an der Zeit, wieder ein wenig Wärme in die Welt zu tragen. Mit Sonnenblumen wird das nicht mehr möglich sein, vielleicht aber mit den neuen Mitteln, die die alten sind. Wir brauchen grenzenlose Solidarität. Das menschliche Mitfühlen als stärkste aller Kräfte. Das Aufgeben dieses Gefühls, voneinander getrennt zu sein. Aufgeteilt in dies und jenes. Klingt wie Ringelpietz mit Anfassen oder Seifenblasen im Selbsthilfekurs. Aber was, bitte schön, bleibt? Kalaschnikow? Präzisionstöten per Drohne?

Wo anfangen? Keine Ahnung. Nebenan? Think global, act local. Früher hieß es immer: Bei sich selbst. Ich weiß es nicht mehr. IS? Ukraine? Fukushima? Somalia? Budapest? Krieg, Sanktionen, Drohungen, Gewalt. Es ist kalt im Februar 2015. Verdammt kalt. Auf Facebook gibt es Lösungen im Sekundentakt, alle wissen, was zu tun ist. Eine Kakophonie. Was für eine Kacke…

On the road with good old Drago

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Manchmal trifft man im Leben auf alte Bekannte. Mit den Fußballjungs hatte ich mich Donnerstagabend im Kristallsaal der Kölnmesse eingenistet. Große Straßenbauersitzung des Verbandes. Karneval, alles, was geht. Guido Cantz, Blötschkopp Marc Metzger und die Paveier zum Schluss. Die Kölner Karnevalsprominenz am Start.

Und wen treffe ich im Saal? Drago. Ewig nicht gesehen. Die Sitzung war zu Ende, es war spät und wer sitzt da, typisch am weißen Flügel? Drago, der alte Halunke. Hat immer was laufen. Import, Export, Gebrauchtwagen – nicht immer mit allen Papieren und manchmal leichten Gebrauchsspuren im Schlossbereich. Ferraris, Porsches, BMWs auf Bestellung – den da? Genau den da? Also nicht den gleichen, sondern denselben.

Drago 3

Mit Grenzen hat er’s auch nicht so. Papiere vorzeigen, bleibt mal entspannt. Lieber auf dicke Hose. Kempinski, schöne Frauen und Champagner. Vieuve Cliquot. Aber nie aus dem Angebot. Da ist er manchmal auch ein wenig komisch. Nicht die 250 €-Pulle vom Service, zu teuer, aber die 50 €-Pulle aus dem Supermarkt. Einmal war die im Angebot, da hat er die Kassiererin per Charme gezwungen, den Originalpreis am System vorbei einzutippen. Gab’s ‘nen Zwanziger für. “Du kannst doch keinen Cliquot im Angebot kaufen. Wer soll den denn trinken.”

Stil hat er, der Drago. Mehr oder weniger. Kommt mir immer ein wenig wie ein Bruder vor. Das hat was von schizophrenen Anteilen im Kopf, wenn ich ihn mal wieder so überraschend treffe. Was für ein Typ. Plötzlich sitzt er da, alles ist wie immer, wie nie weg gewesen (zwischendurch mal so 14 Monate weg, ohne Bewährung, klar…), sieht mich, grinst sein Drago-Lächeln und es geht an die Theke.

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Was haben wir gelacht. All die alten Geschichten. Mann, der ist mir echt ans Herz gewachsen. Vielleicht sehe ich ihn nächste Woche wieder – Karnevalssitzung vom Fußballverein. Man kann nie wissen… Wenn dann noch Malle Ralle kommt, sind die Drei von der Tankstelle perfekt.