Was soll ich sagen. Nun sitze ich am Ende dieses Jahres auf einer Couch in einer Küche in einer Wohnung in Paris. Montmartre. Was für ein Jahr.
Im Hintergrund läuft Rodriguez, über den ich hier schon längst hätte schreiben sollen. Nun. Mir ist in diesem Jahr der Schreibatem ausgegangen. Es gibt so Zeiten, in denen von dem, was man glaubt zu sein, weniger übrig bleibt, als man jemals gedacht hätte.
Es sind die kulminierenden Zeiten. Das Äußere. Die Welt, diese verrückte, in der wir leben. Ihr wisst. Der Rahmen, in dem man sich bewegt. Und dann der Inner Circle. Das eigene Leben. Herausfordernd genug. Die Menschen um sich herum. Der Job. Die Aufgaben. Die Pflichten. Jobtechnisch war ich dieses Jahr am Limit. Immer noch ein wenig mehr. Das hat weh getan. Nicht mehr tun können, was getan werden muss. Augen zu und durch. Das war am Limit. Große Projekte, hohe Ansprüche, wenig Zeit. Leistung ist Arbeit pro Zeit. p gleich w durch t.
Und parallel ein Privatleben, das sich nach all den Jahren der Veränderung noch einmal auf den Kopf stellt. Alles neu. Zusammenziehen. Mit allem, was dazu gehört.
Nun muss man die Dinge halt nicht nur im Leben schaffen, sondern auch mental. Auf Augenhöhe mit dem Geschehenden. Atmen, durchatmen. Funktionieren und lieben. Das eine tun, ohne das andere zu lassen.
Und dann stirbt einer und noch einer und dann Herr Cooper. So schaust du in dunkle Löcher und bewältigst Jobs und versuchst, deine Seele auf Kurs zu halten, das Innerste in Liebe zu halten und deine Ängste nicht größer werden zu lassen als du selber bist.
Dann kommt der Dezember und Paris ist in Reichweite und du arbeitest bis zum letzten Tag und freust dich auf Paris.
Der Anruf.
Mama hat Leukämie. Montags hat sie noch Tennis gespielt. Dienstags mit Atembeschwerden ins Krankenhaus, donnerstags die Diagnose und direkt verlegt. Koblenz. Onkologie. Freitagnacht der nächste Anruf. Ein Arzt am Telefon. „Ihre Mutter sagt, sie sollten besser kommen.“ Die Leukämie ist explodiert, ihr Herz rast, niemand weiß… Mit den Brüdern telefonieren, in Autos setzen, über Autobahnen rasen. Vor Ort treffen. Es sieht nicht gut aus. Gar nicht. Es ist 4 Uhr in der Nacht. Ihr Herz rast, sie hat Angst, sie kann es nicht verstehen, wir können es nicht verstehen, wir küssen sie auf die Stirn. Wir müssen gehen, damit sie zur Ruhe kommt.
Sie übersteht die Nacht. Es sieht schlecht aus. Sie ist achtzig Jahre alt und die Leukämie ist aggressiv. Aggressiver als wir, scheint es. In Ohnmacht zuschauen. Heiligabend auf der Onkologie an ihrem Bett. In der Nacht über die Autobahn nach Hause. Nicht mehr wissen, was man fühlt. Nicht mehr fühlen, was man fühlt. Spüren, wie alles Innere versagt. Wie die Ratio die Emotionen blockiert, wie die Emotionen die Ratio ausschaltet. Wie alles dumpf wird und letztlich nur die Lichter der Autobahn bleiben.
Nichts mehr verstehen. Wollen.
Weihnachten. Mama am Klavier. Ihr Kinderlein kommet. Papa im Anzug. Das Fenster geöffnet, durch das das Christkind geflogen ist.
Unser Weihnachtsbaum steht verwaist. Viveka ist in Essen bei ihrer Familie. Kurz war ich bei Michaela und den Kindern. In Trance. Lachen, essen. Als wäre es irgendwie so.
Am Morgen wach werden und sie dort liegen sehen. In ihrem Krankenbett. Der Krebs quält sie. Chemotabletten. Angst. Ihre. Meine. Unsere.
Wie viel Zeit bleibt?
Die Chemo, diese fiese Chemo hat angeschlagen. WhatsApp-News. Der Professor spricht von einer Überraschung. Die Leukozyten haben sich zurückgezogen. Von 130.000 auf 8.000. Gibt es Hoffnung? Sie kann im Sitzen essen.
Gut. Dann fahren wir. Nach Paris. Gebucht, gekauft, gemacht.
Und so sitze ich hier in der Wohnung auf der Couch und schreibe. Ich weiß nicht, was passieren wird. Auf Abruf.
Und dennoch glücklich.
Lieben, eine Familie haben. Brüder, Kinder. Eine Freundin, eine Mutter, um die alle ringen.
Es war ein hartes Jahr. Nicht noch so ein Jahr.
Nun 5 Tage und Nächte Paris. So Gott will. Treiben lassen, die Gedanken fliegen lassen. Durch die Seine bis zum Meer. Kraft tanken. Die Gewichte abwerfen, in Leichtigkeit fallen, die Süße des Lebens küssen. Küssen.