Die feine Sache mit der guten Kunst – OSTRALE’ 013

Sebastian Hempel, Rauminstallation, Tor 10
Sebastian Hempel, Rauminstallation, Tor 10

Kunst- und Dresdenwoche hier im Blog. OSTRALE’013.

Nachdem ich nun recht umfassend über DAVIDS Auftritt und die Stadt geschrieben habe, hier nun ein Blick auf die Ausstellung. Ich habe mir erlaubt, sechs Künstler/innen heraus zu picken. Denn die OSTRALE ist ein aus dem Boden gestampftes Museum für moderne Kunst, das 90 zeitgenössische, internationale Künstler/innen präsentiert – und das in einer Form, wie man sie sich nur wünschen kann. Mit viel Raum, Freundlichkeit, Lockerheit und einer sehr schönen Atmosphäre in beeindruckender Kulisse. Letztlich verantwortlich für all das zeichnet Andrea Hilger, die auch diese 7. Internationale Ausstellung zeitgenössischer Künste unter ihre Fittiche genommen hat. Auf dem Ausstellungsgelände ist sie omnipräsent und kümmert sich – zusammen mit den vielen anderen. Man spürt die Menschen, die hinter der OSTRALE stehen. Das tut der Kunst, dem Projekt gut.

Besucherlounge im OSTRALE Café
Besucherlounge im OSTRALE Café

Die Werke der OSTRALE’ 013 hängen, stehen, liegen, leuchten, klingen, bewegen sich, lassen sich begehen in den Futterställen und Heuböden des von Hans Erlwein vor über hundert Jahren entworfenen Schlachthofgeländes. Das Schöne, das Gute: Fein ausgewählte Kunst trifft auf die atmenden Möglichkeiten der Improvisation. Nichts ist wie aus dem Ei gepellt. Keine Glasfassaden, kein Edelstahl, kein Parkettboden. Alles so, wie es mal war, als hier noch Tiere ihren letzten Weg gegangen sind. Das Überzeugende am Gelände und an den Bauten ist die Abwesenheit von gewollter Perfektion. Das gibt einen subversiven Rahmen vor, der Kunst authentisch präsentiert und ihr die Möglichkeit gibt, fernab von Hochglanz lebendig zu bleiben. Die OSTRALE ist angenehm weit weg von Investitionen, die zum Beispiel die Zeche Zollverein zu einem institutionalisierten, fixen Kunstraum machen. Mit allen umgesetzten, vermeintlichen Notwendigkeiten.

So, nun viel Spaß mit dem, was es zu sehen gibt und was ihr, wenn möglich, live erleben solltet. OSTRALE’ 013.

Das Titelfoto oben zeigt eine Rauminstallation von Sebastian Hempel aus Leipzig. Metallfäden sind etwa einen halben Meter über dem Boden quer durch den Raum gespannt. Dazwischen sind Leuchtdioden angebracht, die den Raum in blaues Licht hüllen. Yves Klein. Als Sprachmensch kam mir die Assoziation The Big Blue, Luc Besson. Der Raum hat etwas von einem Hallenbad. Als könne man eintauchen, was letztlich auch möglich ist – im übertragenen Sinne. Sphärische Musik begleitet das Licht, nimmt es auf, verstärkt das Leuchten. Ein beeindruckendes Bild gleich zu Beginn der OSTRALE (Tor 10).

Sehr gut gefallen hat mir die Arbeit von Gunda Förster. MURMELN (2013). Sie hat Leuchtkästen mit Glaskugeln gefüllt, tarnsparenten und farbigen. Ein schönes Bild. Leuchtende Kindheit. Das Kribbeln in den Fingern, sie anfassen, die glatten, handschmeichelnden Oberflächen spüren, imaginieren. Sich nähern, die einzelnen Murmeln entdecken, den Lichtreflexionen nachgehen. Eine Arbeit, die lächeln lässt, berührt, umschmeichelt, die den Raum in der Anordnung der murmelgefüllten Leuchtkästen füllt.

MURMELN, 2013, Gunda Förster, Tor 5
MURMELN, 2013, Gunda Förster, Tor 5

Ein Tor weiter zeigt der Japaner Takehito Koganezawa GRAFFITI OF VELOCITY (2008). Lichtprojektionen schwirren durch den Raum. Man steht mittendrin und sucht Halt. Wohin schauen? Wie das Gesehene halten? Die Bilder ändern sich, der Raum ist voller Farben und Formen. Ein Lichtspektakel, das einlädt, auffordert. Sich im Raum zu bewegen, sich einzulassen, aufzunehmen.

Graffity of Velocity (2008), TakehitoKoganezawa, Tor 4
Graffity of Velocity (2008), TakehitoKoganezawa, Tor 4

Tor 6. Rocco Dubbini. Drei alte Kühlschränke. Die Türen leicht, verschämt geöffnet. Aus den Türspalten tritt grünes Licht, orangenes Licht. Wer hat vergessen, sie zu schließen? Was tritt aus? Was ist im Innern? Ein Kopf, im Kühlschrank mit dem grünen Licht. Ein Opferraum. Zu dritt stehen sie dort, die Türen voneinander abgewandt. Alt, rostig, wie vergessen im Keller. Altes Eisen, alte Zeiten. Und doch groß, heroisch, füllend. Die Raumkonstellation, das Verhältnis der Drei untereinander erzeugt Spannung. Die Inhalte erzählen die Geschichte.

Rocco Dubbini, Tor 6
Rocco Dubbini, Tor 6

AND AGAIN (2012) von Katrin Caspar. Fünf Slinkys. Diese faszinierenden Metallspiralen, die irgendwo zwischen Kinderspielzeug, Wohnzimmerdeko und Naturwissenschaftsphänomen rangieren. Dort stehen sie aufgereiht wie die Orgelpfeifen nebeneinander auf dem Betonboden, recken die Spiralen zur Decke und lauschen den Klängen der Lautsprecher. Kabel führen zu ihnen, die ein Gewirr auf den Boden zaubern. Kleine schwarze Plättchen am Ende, die irgendetwas mit den kleinen, filigranen Bewegungen der Slinkys zu tun haben. Sie tanzen. Schüchtern, zurückgenommen. In ihrer Bescheidenheit liegt ein menschlicher Zug. Unaufdringlich sind sie und doch magisch.

AND AGAIN (2012), Katrin Caspar, H2 Ost
AND AGAIN (2012), Katrin Caspar, H2 Ost

Und. Eine Arbeit, die ich mir mehrfach angesehen habe. Mit Anziehungskraft. Olaf Mooij, RELICS OF A BYGONE ERA (2010). Einmachgläser wider des Vergessens. Eingelegte Autos, Reifen, Räder. Wie Pfirsiche, Birnen, Möhren im Kellerregal. Einst werden wir uns erinnern… Zeit, Realität in Formaldehyd eingelegt. Alles sieht sehr schön aus, die Farben sind stimmig und doch verbindet sich im Gehirn die Kunst mit dem Erlebten. Embryo im Glas. Anfang. Ende. Es gibt viel zu sehen in diesem Kellerregal der Kuriositäten einer noch nicht vergangenen Zeit.

Relics of a bygone era (2010), Olaf Mooij, H1 West
Relics of a bygone era (2010), Olaf Mooij, H1 West

Dresden sehen und sterben

dance
dance

Die Überschrift stammt nicht von mir, sondern von Viveka.

Die Stadt hat uns ziemlich umgarnt und gefangen genommen. TANZT! stand da in der Neustadt an der Wand (Scheune Dresden). Und in einer Seitengasse unweit der Frauenkirche in Beton gegossen: “ICH WILL NICHT HÜBSCH UND LIEBLICH TANZEN!” (Palucca).

palucca
palucca

Die Menschen in Dresden tanzen das Leben. Noch. Vielleicht. Kürzlich habe ich über die Kranhäuser in Köln geschrieben. Investorenprojekte. Rendite. Quadratmeter aus Gold. Zum Erliegen gebrachtes Leben, das über den Köpfen der anderen stattfindet. Wie war das? “EURE ARMUT KOTZT MICH AN”?

Noch ist das Wohnen in Dresden relativ preiswert, obwohl die Mieten in den letzten Jahren von niedrigem Niveau um 60-70% gestiegen sind. Meinte ein junger Mann, den wir auf der Straße getroffen haben. Monopoly. Irgendwann ist ein Wert erreicht, bei dem es sich lohnt, als Investor einzusteigen. Dann fallen die Altbauten, die Szene- und Künstlerviertel den Banken und Architekten und Planern in die Hände, die das ja gelernt haben. Wie man baut, wie man gestaltet. Dann ist Schluss mit Wildwuchs – und lustig. Hoffentlich nicht. Dresden möge so bleiben. So ruhig, so menschlich, so freundlich, so lebens- und liebenswert. Mit so viel Platz für Kunst und Improvision und für Projekte wie die OSTRALE. Das sind die blühenden Landschaften, das ist der Aufbau Ost (Sage ich jetzt mal naiv romantisch, ohne die Lebenswirklichkeit der Menschen tatsächlich zu kennen.)

Als wir aus dem Hotel kamen, trafen wir ihn. Einen jungen Mann mit Fahrrad und Anhänger. Viveka fragte ihn: “Guter Mann, wohin des Weges?” Und er antwortete mit dem Klang der Stimme eines Mannes, der eine Mission hat: “Zum Schrottplatz.” Wir haben ihn dann in der Neustadt öfter gesehen und tief in der Nacht, als er mit Anhänger an uns vorbeigeflogen ist, mussten wir lachen. Lange. Sehr sympathisch. Ich hatte versucht, ihn zu fotografieren. Kriegte die Kamera aber nicht aus der Tasche, drückte dann doch kurz vor dem Verschwinden am Straßenhorizont den Auslöser und hatte nix drauf. Irgendwo im Straßenlaternenlicht ein verschwommenes Etwas. Zu schnell, der Mann. Mission.

journey
journey

Wir waren auf dem Weg, Helga, Martina und David in der Alaunstraße zu treffen. Da wären wir fast schon bei einem ersten Kunstprojekt hängen geblieben. Zwei Männer lagen in einem Bett auf dem Gehweg. Mit Kissen, Bettdecke und allem drum und dran. Kemal lag dort, erlaubte mir, ihn zu fotografieren und lud uns ein, Sebastian kennenzulernen, der das Projekt initiiert hat. Später, haben wir gesagt. Am nächsten Tag war es verschwunden. Wie im Märchen. Weggezaubert.

in bed
in bed

Nach dem gemeinsamen Kaffee haben wir uns, Viveka und ich, zu Fuß auf den Weg zur Ostrale gemacht – obwohl wir Straßenbahntickets für den ganzen Tag hatten. Die Alaunstraße runter. Große Augen. Szeneviertel. Die Scheune Dresden mit dem Schaubudensommer. Artisten, Kleinkunst. Hereinspaziert. Dort trafen wir den Betreiber des wohl kleinsten Kinos der Welt. Ein liebevoll gestalteter Wohnwagen. Sitze mit rotem Samt. Gezeigt werden die in 20 Jahren gesammelten Lieblingskurzfilme des Betreibers, der gerade seinen Popcornautomaten FANTASTOMAT für den Abend mit Überraschungen bestückte. Wie so ein Mensch Herzen erweicht. Wie er eine Welt schafft, die Glück bringt. Da ist Platz für Herzenswärme. Menschenverstand im positiven Sinne. Stadtplaner – für solche Kinos braucht es Raum, Platz und Erkennen! Wert und Wichtigkeit.

short cinema
short cinema

Zeitsprung. Die OSTRALE-Eröffnung liegt hinter uns. Der nächste Tag.

Wieder zu Fuß. Wieder durch die Neustadt Richtung Altstadt. Touriprogramm. Frauenkirche. Semperoper. Marcel, den wir auf der Hinfahrt per Mitfahrgelegenheit mitgenommen haben, hatte uns erzählt, dass viele Menschen glauben, die Semperoper sei die Radeberger-Brauerei. Werbung. Ts.

Wir wollten uns von links nähern. Über die Albertbrücke, nicht über die Augustbrücke. Und was hat uns am Elbeufer erwartet? Ein Flohmarkt. Das hatte sich Viveka gewünscht. Sie hat mich über die Brücke gezehrt. Schnellen Schrittes. Schneller! “Jens, nur eine Stunde!” Klar. Keine Frage. Es waren dann zwei und wir haben alles gesehen. Jeden Stand. Viveka hat Weihnachtskugeln gekauft. Sehr alte, sehr schöne und ein Kleid. Mir fiel UNENDLICHER SPASS von David Foster Wallace in die Hände. Dieses Buch der Bücher. Diese Bibel der sprachlichen Möglichkeit. Ein Euro. Ich konnte den Verkäufer nicht enttäuschen und bin den ganzen Tag mit dem SCHINKEN durch Dresden gelaufen. Und: Es war gut, das Buch dabei zu haben. An diesem Tag habe ich mehrere Lesungen gegeben. Jeweils eine Seite. Viveka hat eine Seitenzahl genannt, ich habe gelesen. Dieses Buch ist mindestens eine Offenbarung.

Das hat der Junggesellenabschied, der uns später angequatscht hat, auch gedacht. Denn. Ja. Die vielen jungen Männer in weißen Kitteln, die ihrem Junggesellen einen OP-Kittel und eine Windel verpasst hatten, durften auch eine Seite UNENDLICHER SPASS hören. Mitten in der Fußgängerzone auf einer Treppe. Das war meine Bedingung für den Kauf eines Andenkens aus ihrer Kleinigkeiten-Kiste. Passte gut. Der Titel zum Projekt EHE, die Wallace-Zeitrechnung mit dem Referenzpunkt JAHR DER INKONTINENZ-UNTERWÄSCHE zum Junggsellen mit Windel sowie der Textinhalt, den ich leider nicht wiedergefunden habe. (Warme Worte auf dem Weg in das Abenteuer Beziehung.) Über 1.400 Seiten, da geht schon mal was verloren. Weg. Schade. Aber der Schlusssatz hat auch gepasst. Dresden steckt an. Eine Mitmach-Stadt. Die Aktion war ziemlich lustig.

frauenkirche
frauenkirche

Genauso wie das Treffen mit Klaus am Abend in der Neustadt. Wir hatten uns nach dem Altstadtbesuch und Stunden auf der Wiese im Alaunpark ins Nachtleben gestürzt. Alle saßen draußen auf der Straße, tranken mitgebrachtes Flaschenbier, unser Anhängermann kreiste durchs Viertel, eine Bluesband sang an einer Straßenecke, der Schaubudensommer lief mit vollem Programm, ein junges Paar eröffnete vor unserer Nase einen Bowle-Verkauf, es war warm, schön, unbeschreiblich.

night
night

Da lief uns Klaus über den Weg. Geboren 1949. Baseballkappe mit geradem Schirm, Hornsonnenbrille Marke Honecker. “Dieser Dreck hier. Diese verdammten Amis. Schaut mal dahinten. Pissen alles voll. Wo kommt ihr her?” Ich konnte nicht anders. Ich richtete meinen Kiefer aus, nahm einen amerikanischen Slang in den Mund und faselte was von “John from New York Citiieeee.” Oh Wunder. Klaus sprach Englisch und es wurde ein begeistertes viertelstündiges Gespräch, in dem wir uns über unsere Länder und unsere Vergangenheit ausgetauscht haben. Plötzlich hatte Klaus Freunde in Amiland und überhaupt. Um ihm die Tragweite von Radikalität vor Augen zu führen, habe ich mich als begeisterter Anhänger von George W. Bush ausgegeben, was ihn doch kritisch hat anmerken lassen, dass das wohl nicht alles so toll war… Geht doch. Man muss den Menschen nur die Möglichkeit geben, das Gute auszuleben. Wir waren dann ein Herz und eine Seele und ich musste weg, weil Viveka sich kaum noch halten konnte und ich auf keinen Fall Klaus das Gefühl geben wollte, ihn verarscht zu haben. Er hat mich am Arm gehalten, um mir seinen letzten Satz auf meinen Rückweg nach Amerika mitzugeben: “Germany is a clean country.” Ja Klaus, da hätte ich auch noch ein paar Takte zu sagen können, aber wir sind ja Bruder- und Schwestervölker, oder? Auf jeden Fall haben wir ihn ein wenig glücklicher gemacht und mit einem besseren Gefühl gegenüber den überall hin pinkelnden Amis zurückgelassen. Denke ich.

Ansonsten? So viel. Dieses Stadt ist so prall, voll. Lebendig. Unten nur eine Auswahl der über 600 Fotos vom Wochenende. Klickwahn. Sonntag waren wir noch einmal auf der OSTRALE, haben uns alles angesehen. Ich hoffe, ich schaffe es noch, auch darüber zu berichten. Diese Woche ist Dresdenwoche im fiftyfiftyblog. Viel Spaß, haut rein. Tschüssikowski.

fotokiste
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swissotel
swissotel
semper/bath
semper/bath
schauburg
schauburg

DAVID reloaded – OSTRALE 013

BUSS- & BETTAG II
BUSS- & BETTAG II

Ich bin jetzt noch getroffen.

PENG! Dresden, Futterställe des alten Schlachthofes, Heuboden. OSTRALE 013. Mein Kopf summt von all den Bildern, über die ich später schreiben werde. Heute schreibe ich über DAVID. Über seine Bilder, über seinen OSTRALE 013-Beitrag BUSS-& BETTAG II.

Irgendwie bin ich fotografisch in das Projekt eingestiegen. Ich war vor geraumer Zeit auf dem Rückweg von Köln bei Helga und David in Cyriax vorbeigefahren. David arbeitete gerade an den Bildern. Überall Staffeleien, Skizzen. Wir saßen in der Küche, tranken einen japanischen Tee und sprachen über die Bilder, über die Waffen. Über die Faszination und die Metapher. Taucht in einem Roman eine Waffe auf… WAFFEN. FASZINATION. GEWALT. Der Blick nach Amerika, die Auseinandersetzung nach den Amokläufen, das verzweifelte Recht, sich zu schützen.

Kurzum: Das Thema hatte mich angepiekst, die Bilder sowieso. Also bot ich David an, sie zu fotografieren. Kurz bevor sie verpackt und nach Dresden verschickt wurden, konnte ich sie sehen und ablichten. Waffen in Öl. WAFFEN. ÖL. Feinste Pinselstriche, alle Details in malerischer Perfektion. Exakte Größenverhältnisse, stimmiges Licht. Sie waren einfach schön. Wirklich schön. Wie kann etwas so Schönes so zerstörerisch sein? Abzug. Das berühmte Bild in Saigon, als der Polizeichef den knienden Mann hinrichtet. All die Filme. Clint Eastwood. Dirty Harry. “Wer vor dir steht? Smith, Wesson und ich.” Das Wort Magnum. Das Wort Dum-Dum.

Ich erinnere mich an eine Szene in Köln, die ich nicht gesehen, nur nachvollzogen habe. Am S-Bahnhof in Köln-Mülheim. 1995. Am Tag zuvor war ein Mann auf dem Bahnsteig mit einem Brotmesser auf seine Frau losgegangen. Eine Polizistin hatte ihn erschossen. Als ich morgens mit der Bahn zur Arbeit fuhr, waren überall markierte Einschusslöcher. Kreise um gesplittertes Plexiglas. Tod. Waffe ziehen. Wilder Western. Highnoon. Du. Ich. Du oder ich. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.

‘we cross the rubicon’ ist das Motto der OSTRALE 013. BUSS- & BETTAG II hätte nicht besser passen können. Wenn Menschen über Grenzen gehen. Wenn sie den Weg verlassen. Wenn Sie Meinungen aufzwingen, Interessen durchsetzen. Mit WAFFEN. GEWALT. Cäsar hat die Waffen am Rubicon nicht wie vereinbart abgelegt. Ist weitergezogen, nach Rom, in die Welt. Die Waffe war und ist oft der Anfang, in dem das Ende schlummert. Das böse Erwachen. Von nichts kommt nichts. Wer Gewalt sät, wird… Guten Morgen, Vietnam. Guten Morgen, Amerika.

Die Waffenfaszination brechen. Dem Gewaltpotenzial den Glanz nehmen. DAVID hat seine Bilder, die er nach den Entstehungsorten der Waffen benannt hat (Oberndorf am Neckar, Springfield, Exeter, Springfield), im Rahmen einer Live-Painting-Performance übermalt. Zerstört, sagen vielleicht manche. Er hat das früher schon einmal gemacht und hatte ein wenig Sorge vor den Reaktionen. “Nicht alle können das akzeptieren.”

Ich war nah dran, weil ich fotografiert habe. Hinter der weißen Trennungslinie, im inner circle. Wow. Energy. Erste Striche mit Graphit, kurze Sätze. MY HOME IS MY CASTLE. Farben. Gelb. Rot. Grün. Akzente, Konturen mit öligen Pinselstrichen. Da spritze und spratzte die Farbe. Über die Bilder hinaus an die Wände, auf den Boden. Ein Bildermassaker, als würden die Leinwände mit dem Messer aufgeschlitzt. Rage. An allen Bildern vorbei. Grobe Streifen. Durchstreichungen. Abrechnung. Es war kurz zu spüren. Eine Wut auf Gewalt.

Die Ruhe danach. Fertige Werke. Ein Künstler, der sich tief verneigt, der nach Monaten, Jahren des Arbeitens an einem Thema einen Strich zieht. Seine Arbeiten dem Publikum übergibt, an die Hand gibt. Beeindruckend. Bilder mit Geschichte, die nicht einfach gemalt wurden aus irgendeinem Grund. Sie sind sehr kraftvoll, wie sie jetzt dort in den Ställen hängen. Das Öl trocknet wie Blut. Vielleicht geht es darum, Verwundungen zu heilen. Ich weiß es nicht. Sicherlich hat da jede und jeder seine Sicht. Die drängt sich auf, zwingt sich auf, weil OBERNDORF AM NECKAR, SPRINGFIELD, EXETER und SPRINGFIELD alles andere als belanglos sind. Sie schreien mit einer Kraft, mit Ausstrahlung, mit Tiefenwirkung.

Es lohnt sich, die OSTRALE 013 zu besuchen. Natürlich wegen all der zeitgenössischen Kunst in diesem besonderen Umfeld, aber allein auch wegen DAVIDS Bildern, die dort noch bis zum 15. September zu sehen sind. Dann werden sie wohin gehen? Ich wünschte mir, in ein Museum. Ich wünschte mir konkret: Ins Museum Ludwig in Köln. Am besten alle vier. Nebeneinander. Ich wüsste auch schon, wo ich sie hinhängen würde… Dann könnte ich sie regelmäßig sehen. Würde mich freuen. Sie gehören schon jetzt zu meinen Lieblingen.

Infos zur OSTRALE 013 hier.

thinking about. 2013
thinking about. 2013
action. 2013
action. 2013
he did it. 2013
he did it. 2013
shot. 2013
shot. 2013
mdr. 2013
mdr. 2013
the end. 2013
the end. 2013

Paris, mon amour.

Eiffelturm_red

Irgendwie, ich weiß auch nicht, ist der Wurm drin. Seit geraumer Zeit versuche ich, Paris zu besuchen. Wieder einmal. Wahrscheinlich verwirre ich euch gerade, weil die letzte Info war, dass ich nach Dresden fahre und die Schweiz kam auch vor und Italien. Und nun Paris? Ein Intermezzo, ein Gedanke, der sich dazwischen geschoben hat

Letzte Woche Donnerstag war mir eine Seite im Web vor die Füße gefallen, auf der man speziell in Paris Wohnungen mieten kann, die Privatleute gegen Entgelt zur Verfügung stellen. Neben der Tatsache, dass das eine gute Alternative zum Hotel ist, hat es mir gefallen, in die Wohnungen hinein zu schauen. Ein klein wenig Voyeurismus.

Da gibt es natürlich alles. Die kleine Wohnung mit Schlafcouch, Küchenzeile und Duschecke, in der kein Millimeter Raum über ist. Und, ja, das ist natürlich letztlich spannender, die schönen, edel eingerichteten Design- und Prachtwohungen. So sieht es also hinter den Kulissen aus…

Eiffelturm_red 2

Und während ich mich so durch die Wohnungen schlich, habe ich mich ein wenig ins romantische Paris geträumt. Ach! Die Stadt ist mir ans Herz gewachsen, seit ich mit meinen Eltern und meinem älteren Bruder einmal spontan am zweiten Weihnachtstag dort gelandet war. Wir waren mittags einfach losgefahren mit einem Korb voller Weihnachtsfressalien, hatten abends am Montmartre draußen gesessen, weil es ungeheuer warm war. Durch irgendeine Wetterlage, vermutlich Südwind, so siebzehn Grad. Die Nacht hatten wir im Auto verbracht, morgens in einer Bar gefrühstückt, waren über die Champs Elysée flaniert und waren dann wieder nach Hause gefahren.

Seither war ich öfter dort. Als wir in Neuseeland waren und im Hinterkopf den Gedanken trugen, ob wir eventuell auf die andere Seite der Erde ziehen sollten, war es unter anderem diese europäische Möglichkeit, mal eben nach Rom, Paris, Amsterdam, London oder Berlin zu fahren, die mich, uns zurückgehalten hat.

Seit letztem Jahr nun versuche ich es. Wieder einmal nach Paris zu kommen. Aber aus irgendwelchen Gründen klappt es immer nicht. Ihr kennt das. Profane Gründe. Ausflüchte. Nebensächlichkeiten. Wenn ich wirklich wollte, könnte ich. Klar. Schließlich war ich jetzt auch in Dresden und das waren auch 500 Kilometer Autobahn und Weg. Allerdings hatte ich da einen zwingenden Grund. Davids Bilder fotografieren.

Es wäre natürlich nicht schlecht gewesen, wenn die Ausstellung in Paris stattgefunden hätte. Zwei Fliegen mit einer Klappe (huch, wie brutal sich das liest). Und dieses Wochenende mit dem Wetter wäre natürlich fantastisch gewesen. Allerdings war es das in Dresden auch. Ich werde noch darüber berichten.

Levanto, sonnig, 30°C

levanto, 2012
levanto, 2012

Ihr Lieben, verzeiht. Sehnsucht wecken. Aber. Muss. Sein.

Bald geht es los, noch zwei Wochen. Wieder Levanto. Wieder Camping. Dieses Mal mit vielen Menschen. Freunden von hier, von anderswo, Hinzukommenden. Drei Wochen unter freiem Himmel leben. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Gestern wurde, nach langen Recherchen und Diskussionen kollektiv eine Unterwasserkamera mit Videofunktion angeschafft. Alle haben einen Betrag dazugegeben. Sie ist bis sechs Meter Tiefe wasserdicht, so dass ich euch nach dem Urlaub vielleicht auch Italien unter Wasser zeigen kann:)

Den Winter über haben wir per Facebook schon immer nach Levanto rübergeschaut. Marco, der Campingplatzbesitzer, hat mit einigen Leuten aus dem Ort neue Wanderwege angelegt. Da wir alle anderen schon gelaufen sind und wieder laufen werden, wird das spannend. An der Küste entlang, die Zikaden singen, die Pinien duften, das Meer rauscht. Ob die Jungs wieder auf den Berg oberhalb Levantos wollen? Der Aufstieg letztes Jahr in der prallen Sonne – die Morgenwolken hatten sich dann doch schnell verzogen. UFF. Für die Young Guns kein Problem, ich habe schon ein wenig geächzt. Gut, ich habe den größten Teil der Wasservorräte geschleppt, die schnell zu Ende gegangen waren.

Levanto_Busch_red

Vorfreude. Immense. Ich werde mit meinem Rad zum Kloster hoch fahren. Vom Meer rauf auf über 500 Meter. Im Kloster esssen und dann die lange Fahrt oben über die kleine Küstenstraße bis nach Vernazza. Cappuccino bei Gianni. Ich kann die Sonne auf der Haut spüren, mein Körper erinnert sich. Eingebrannt. Wir werden schnorcheln, von Felsen springen, rausschwimmen, in der Piper-Bar sitzen, abends über die Piazza schlendern, das Feuerwerk (SPETTACOLO PIROTECNICO SUL MARE) des festa del mare vom Strand aus sehen, viele leckere Sachen kochen und essen, Wein vom Fass aus dem Weinladen holen, nach Portovenere wandern, durch den Tunnel nach Framura joggen, vom Strand die Sterne über dem Meer sehen, zuschauen, wie Sternschnuppen fallen, abhängen, lachen, reden, feiern… Ach.

Für mich könnte es jetzt schon losgehen. Allerdings wartet erst noch Dresden am Wochenende. Dann habe ich eine Woche überwiegend frei, in der ich mich um kleine Jobs, die Steuer und meine persönlichen Urlaubsvorbereitungen kümmern werde. Neue Boardshorts habe ich schon. Wieder von Quicksilver, weil mein Surfmann in Levanto auch nur Quicksilver trägt. Gute Marke, gutes Gefühl. Ansonsten stöbere ich durch Outdoorläden. Männer und ihre kleinen Outdoorwünsche. Was es da alles gibt – von vielen Marken. Alles so schön bunt hier, kann mich gar nicht entscheiden. Aber so im Vorfeld kommt doch immer ein klein wenig das Gefühl auf, es könnte was fehlen. Wir werden sehen. In der Woche vor dem Urlaub werde ich noch einmal in die Schweiz fahren – arbeiten. Intensiv. Und dann: Abflug. Es kribbelt schon:)

portovenere. 2012
portovenere. 2012