Fenster zum Hof

Was für eine schöne Zeit. Schon wieder ein Tag mit blauem Himmel. Wie so viele in den letzten Wochen. Dazu habe ich heute auf Facebook einen Link von Raoul Hagen zu einem alten Text von mir gefunden. „Mama, Papa, Jim, Cooper, Haus!“ Den habe ich gelesen und mal wieder gespürt, was wirklich wichtig ist. Alles ist gut. Und was draußen nicht gut ist, wird wieder oder lässt sich von mir nicht aufhalten.

Also kann ich den Augenblick schätzen, so wie er ist. Das mache ich. Familie. Advent. Nikolaus. Weihnachten. Nichts fehlt, alles ist da. Grund genug, sich einen Augenblick zurückzulehnen, zu entspannen. Die Sonne schein von Süd-Ost ins Büro, einige Vögel zwitschern, es ist kuschelig, ich mache mir gleich einen Cappuccino und arbeite ruhig vor mich hin. Aktuell arbeite ich an der Headline für einen Outdoor-Sommerkatalog. Schöne Fotos, die mir da vorliegen. Glückliche Menschen an glücklichen Orten. Weite Welt. Natur. Sonnenschein. Ich lassse mich ein wenig mitnehmen, bin aber im Herzen froh, genau hier zu sein. Der richtige Platz zur richtigen Zeit. Schön.

Ruhe bewahren! Bewahren Sie die Ruhe!

Jetzt muss ich mich doch mal wieder einmischen. In die große, weite Welt der Politik. Also nehme ich mein Megaphon in die Hand und rufe euch allen dort draußen an den Bildschirmen zu: Ruhe bewahren! Bewahrt die Ruhe! Sonst, ja sonst, werdet ihr einfach verrückt. Denn egal, was man liest, es ist letztlich Schwachsinn. Da draußen sind zur Zeit cirka 150.000 Milliarden Meinungen unterwegs, wie diese ganzen Krisen zu lösen sind. Jede und jeder schreibt darüber, hat eine hundertprozentig fundierte Meinung. Boah, geht mal in die Spiegel Online-Foren. Die Welt der Sachverständigen und Experten. „Das zentrale Problem ist doch…“ Und alle widersprechen sich. Es ist eine einzige Kakophonie. Journalliengeblubber, Windspielgesang, Kaffeesatzleserei. Idiotie.

Manche freut der ganze Medien- und Finanzterror natürlich: Die Zeitungen haben permanent etwas zu schreiben. Halten das Spiel zwischen Hoffen und Bangen am Leben, malen die Katastrophe an den Himmel und schreiben dann wieder, alles ist auf einem guten Weg. Zuckerrohr und Peitsche. Die Börsen bewegen sich im Rhythmus von Ebbe und Flut. Gehen rauf und runter. Und bei jeder Transaktion ist jemand, der verdient. Eine kleine Gebühr hierfür, eine kleine Gebühr dafür. Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Morgens habe ich immer einen newsletter vom Handelsblatt im Postfach. Da werden die großen Zeitungen und Finanzportale zitiert. Würde man denen glauben, wären der Euro und die Eurozone längst mausetot. Das Merkwürdige ist aber, wie in jeder Krise, dass irgendwann sich die Dinge scheinbar wie von selbst gelöst haben werden. Vielleicht aus einem so profanen Grund wie dem, dass alle den Spaß an der Aufregung verloren haben. Dass ein neues Spielzeug her muss. Ist doch wunderbar, wenn man so ein Krisenthema hat, dann können alle behaupten, sie wüssten, wie die Welt läuft. Können Thesen schmieden, veröffentlichen, raushauen, rausposaunen und zwei Wochen später heißt es: Was interessiert mich mein dummes Geschwätz von gestern.

In Köln gibt es diese wunderbaren Kopf-in-den-Sand-Gebote, die dann doch viel Wahrheit in sich tragen. Die stehen sogar am Kölner Flughafen an den Glaswänden der Eingangshalle (wenn man vom Flieger wieder reinkommt):

1. Et es, wie et es
2. Et kütt, wie et kütt
3. Et hätt noch immer jot jejange
4. Wat fott es, es fott
5. Et bliev nix, wie et wor
6. Kenne mer nit, bruche mer nit, fott domit
7. Wat wellste maache?
8. Maach et jot, ävver nit ze of
9. Wat soll dä Quatsch
10. Drinkste eine met

Scheinen auch derzeit viele nach zu handeln. Die Konsumlaune in Amiland und Deutschland ist hervorragend. Die verbreitete These dazu – es bleibt ja überhaupt gar nix unkommentiert – lautet: Die Menschen wollen ihr Geld nicht anlegen, weil sie Anlagen nicht trauen. Also weg damit. Scheinbar wird der ganze Beklopptenzirkus nicht so ernst genommen. Schon wieder Krise? Schon wieder Angstsparen? Ach was. Raus damit. In die Läden. Offensive. Zum Angriff. Törö. Und damit wird wieder Geld verdient und es werden Steuern bezahlt und Mama Staat ist wieder flüssig. Oder so. Oder auch nicht. Oder ganz anders. Oder es kommt der IWF oder die Schulden kommen in die Tonne oder wie auch immer. Ist doch egal. Scheiß drauf, auf diesen ganzen Finanzfirlefanz. Es ist Adventszeit. Zurücklehnen, Füße hoch, Kekse backen, Orangen futtern, Glühwein schlürfen, freudvoll Geschenke kaufen und basteln und die Krisen der Welt Krisen der Welt sein lassen. Die kommen ganz gut ohne uns zurecht. Ich für meinen Teil setze mich jetzt oben auf die Bank, schaue aufs Meer, futtere ein paar süße Früchte und denke mir: Wat soll dä Quatsch.

Muss auch mal ohne dich gehen…

Also so dauernd bei mir, sorry, das geht nicht. Das engt mich ein. Total. Ich fühle mich, als würde ich an der Leine gehen. Ja, wir sind lange zusammen, miteinander verwachsen, haben viel erlebt und vor allem viel miteinander gesprochen. Du flüsterst mir Sachen ins Ohr und bist manchmal meine Verbindung zur Welt. Tatsächlich. Ich kann nur sagen, du bist mir wirklich wichtig.

Nur manchmal eben, da ist es schöner, frei zu sein. Kürzlich war ich in Köln und du kamst nicht mit. Bist Zuhause geblieben. Auf der Autobahn dachte ich: Mist, jetzt bin ich ohne dich gefahren. Du hast mir gefehlt, es war ein kleiner Schock, Stich im Herz. Dann aber wurde mir klar, dass ich frei war, von der Leine gelassen. Und da habe ich mir vorgenommen, dich einfach öfter mal Zuhause zu lassen. Zum Beispiel gestern auf dem Weihnachtsbasar in der Schule. Der ist immer so schön feierlich. Die Frauen singen, Bläser treten auf, es wird Theater gespielt, es werden Märchen gelesen, Kerzen gezogen, Schiffchen gepustet. Es gibt kleine Cafes und Restaurants in den Klassenzimmern. Zeit für Gespräche. Du lagst währenddessen zu Hause, hast aufgetankt, hast dich aufgeladen und ich war ungebunden. Ein schönes Gefühl.

Im Kindertheater saß ich. Sack & Pack. Ein One-Man-Figurentheater. Wunderschön liebevoll. Ganz ruhig, märchenhaft. Da meinte der Theatermacher, dass es an der Zeit wäre, die Handys auszuschalten. Die Eltern neben mir, ein Paar, zückten die rauchenden Kommunikationscolts und bliesen ihnen den Atem aus. Das musste ich nicht tun, denn ich habe dich Zuhause gelassen, bin ohne dich gefahren. Saß dort unerreichbar. FREI! Denn: Wozu? Ständig und immer erreichbar? Nö. Klar, während der Woche für meine Kunden, wenn ich mit den Kindern unterwegs bin oder Termine habe. Aber doch nicht dauernd. Ich habe mit dem Vater im Theater neben mir kurz gesprochen. Er meinte, ohne würde er sich nackt fühlen. Das wäre immer dabei. Ich habe ihm gesagt, ich würde es jetzt öfter einfach einmal nicht mitnehmen. Würde mich offline schalten. Bewusst nicht zur Verfügung stehen, es niemandem erlauben, mich anzurufen bzw. zu erreichen. Es kann ja eine Nachricht hinterlassen werden. Weihnachtsbasar. Besinnlichkeit. Da möchte ich nicht mit einem Telefon am Ohr stehen. Deshalb, mein liebes Handy, habe ich für mich beschlossen: Es muss auch mal ohne dich gehen…

Einen schönen Advent für uns alle!

Das war ja nun weiß Gott ein alles andere als einfaches Jahr. Ich mag gar nicht an alles erinnern, was in der Welt geschehen ist. Desto wertvoller ist mir nun die Adventszeit. Zoe wollte dieses Jahr einen traditionellen Adventskranz haben. So richtig mit Tanne. Da ist sie konservativ. Unseren bisherigen, aus verwobenen Zweigen und die Kerze auf Glasstellerchen in der Mitte, wollte sie dieses Jahr nicht akzeptieren. Also haben wir einen Kranz gebunden. Wir sind runter in die Tannenschonung, haben uns Blautannenzweige geschnitten. Unten im Dorf im Blumenladen haben wir uns einen Strohkranz, das Innenleben, und im Drogeriemarkt Kerzen besorgt. Zoe hat die Zweige zurecht geschnitten und mir gereicht, ich habe ihn gebunden. Mit Bindedraht. So wie früher in der Gärtnertei meines Opas – unten im Bindekeller wo alle in einer Reihe standen und gebunden haben, was das Zeug hielt. Und alles duftete nach Tannengrün. Heinrich. Habt ihr hier ja schon von gelesen. Mein Opa.

Zum Schluss hat Ela ihn dann verziert – mit bunten Kugeln von IKEA. Dieses Jahr werden wir auch einen Weihnachtsbaum mit bunten Kugeln haben – Moderne trifft Tradition. Türkis, Orange, Pink, Grasgrün. Bin gespannt. Poppig. Nun wünsche ich euch und uns allen eine schöne, wirklich besinnliche Weihnachtszeit mit vielen Augenbliken der Ruhe und inneren Einkehr.

Die Situation in Vernazza

Die Flutkatastrophe in Vernazza ist nun fast einen Monat her. Ich möchte noch einmal an den kleinen Ort in Italien erinnern, der aktuell um seinen Wiederaufbau kämpft und auf die Unterstützung der Menschen in der Welt hofft, die Vernazza in ihr Herz geschlossen haben. Aktuell sieht es so aus, dass die Schäden allein in Vernazza rund 100 Millionen Euro erreichen. Bei 1.000 Einwohnern eine stattliche Summe. Der italienische Staat hat wohl 65 Millionen Euro für die gesamte Region – von Genua bis in die Toskana – zur Verfügung gestellt. Vernazza und die Cinque Terre gehören zum Weltkulturerbe. Es wäre wirklich ein großer Verlust, würde der Ort aufgegeben, was sicherlich nicht der Fall sein wird. Dazu ist er einfach viel zu schön und hat in seiner Vergangenheit zu viele Menschen glücklich gemacht.

Mittlerweile gibt es zwei Internetseiten, die informieren und Spenden einsammeln. Diese ist auf Englisch mit einem herzergreifenden Augenzeugenbericht, der die ganze Dramatik des Geschehens am Tag der Flut dokumentiert. Save Vernazza ONLUS. Dort findet ihr auch Fotos und Videos zum Stand der Dinge. Es wird gegraben, gebaggert, gemacht, getan. Die andere Seite ist vom Verein „Zukunft für Vernazza“. Es wäre schön, wenn ihr mit Spenden helft, Vernazza wieder aufzubauen.