Kein Ort wie Ruhrort

Endstation

„Das Schönste, was einem im Leben geschehen kann, ist neben Liebe der wichtigen Menschen der Zugang zum künstlerischen Schaffen der Welt.“

Glück, pur.

Das Leben leben. Diesem Normalen auf der Spur. Märklin-Format. Der Pflicht ergeben, den Rahmenbedingungen, den Anforderungen. Dem Geld. Ihr kennt das: Am Monatsanfang kommen die Abbuchungen. Die Versicherungen, die versichern, dass alles sicher ist. Es kostet viel Zeit und Engagement, sicher zu sein. Das Auto versichert, die Haftung, das Haus, den Hund, den Hausstand, das Leben. Am Ende des Jahres ein Strich drunter und ins Schwitzen geraten. Ein lukratives Business.

Fernab dieser bürgerlichen Realität die Kunst. Auch ich in Arkadien. Das Dionysische. Tantra of the Mind. Das Erfüllende. Die Freiheit fernab des Zwangs.

Letztes Wochenende haben Viveka und ich Barbara und Norbert getroffen. Barbara Schachtner vom Ensemble unterwegs und Norbert van Ackeren vom Labor Ebertplatz. Barbara hatte ein Konzert im Kolumba gegeben, in den Ausgrabungen. Barbara singt. Sie ist Opernsängerin. Ihre Stimme inmitten dieses gigantischen Raumes. Ein Steg aus Holz als Tribüne für das Publikum. Darunter die Steine der Vergangenheit. Tiefen, darüber die neuen Wände, Höhen. Dazwischen der Klang. Ich stand dort mit geschlossenen Augen und offenen Ohren. Und offenem Mund.

Anschließend im Funkhaus. Gespräche, Künstler. Eine Verabredung für gestern Abend. LOKAL HARMONIE, Duisburg Ruhrort. Nicht weit von Essen. Um die Ecke. Eine Foto-Ausstellung, ein Film: Buy, buy, St. Pauli. www.buybuy-stpauli.de.

Wir hätten bei Norbert im Atelier in Ruhrort übernachtet. Leider ist er krank geworden. Zwei Jobs, ein Wochenende, ein Flug nach Paris, eine Absage. Wir sind trotzdem gefahren, um dort zu sein in Ruhrort. Seit zwei Jahren planen Norbert und ich einen Besuch seines Ateliers. Die Bilder sehen, die ich noch nicht kenne. Dieses unglaubliche Gesamtwerk, das den Weg in die Museen bislang nicht geschafft hat. Normal, könnte man fast meinen. Das geschieht. Um in ein Museum zu kommen, muss viel geschehen. Es ist Glück, es ist Schicksal, es ist Zufall, es ist der rechte Ort zur rechten Zeit.

Wir sind losgefahren. Ruhrort. Duisburg. Fragezeichen. Man hört dauernd von Duisburg. Duisburg ist ein Klischeegenerator. Die Kanzlerin war da. Schimanski. Bitte, ah.

Tatsächlich ist diese Stadt einfach nur spannend. Was Berlin nach der Wende war, dieser Ort der Möglichkeiten. Was ich dachte, was Dresden sei, bis die Spießer kamen… Herrgott. In Mephistos zur Revolution, im Kampf um Thermomix-Kopien bei Aldi, in der Angst, ein Stück Vorgarten abgeben zu müssen.

Duisburg ist riesig. Geteilt durch den Rhein, die sozialen Faktoren. Hier, dort. Zugegeben: Ich dachte, Ruhrort wäre eher so abgefuckt. Kreuzberg damals. Bröckelnde Fassaden, dunkle Ecken. Und dann: Immer wenn Vorurteile nicht bestätigt werden, geschieht es. FLASH. Bing, Bang. Ups. Respekt, meine Damen und Herren.

Man fährt über die Brücke und sieht den größten Binnenhafen Europas dort liegen. Containerberge. Am liebsten wäre ich sofort abgebogen, um zu fotografieren.

Dann in das Viertel. Links abbiegen. Ruhrort ist wunderschön. Alte, kleine, nicht weg bombadierte Häuser. Harmonisch. Restauriert. Pittoresk, fast. Unglaublich schön. Und doch noch das Schwarze unter den Fingernägeln. Der fette, getunte Benz an der Ecke in der Nacht mit röhrendem Motor. Die Absturzkneipe am Platz. ENDSTATION. Oben ohne Bedienung an Halloween ab 22 Uhr. Falls ihr noch nichts vorhabt…

Und dann: Das LOKAL HARMONIE. Wir treffen Norberts Bruder Wolfgang. An der Wand hängt ein riesiges Bild von Norbert aus der Ausstellung SCHICKSAL. Habe ich Vollidiot verpasst. Einfach durchgegangen.

Wir haben Buy buy St. Pauli gesehen. Ein Dokumentarfilm. Sehr ermutigend, herzergreifend und in erster Linie 100% authentisch. Der klassische Innenstadt- und Stadtteilkampf gegen Investoren. Wer gewinnt am Ende und streicht die Rendite ein? Ratet mal. Au Mann, ey.

Das Schöne an diesem Film: Solidarität. Der ekelhaft überlegene fette Investor aus Bayern, der einfach abwartet, um seine x Millionen einzustreichen. Die Leute rausekelt. Plötzlich werden Gerüste mit Tüchern vor die Fassade gestellt. Monatelang, ohne, dass irgendetwas geschieht. Dann müssen Balkone mit Balken abgestützt werden und plötzlich wackelt das Haus, angeblich, weil die Band MADSEN im Molotov-Club im Hauskeller gespielt hat. Evakuierung in der Nacht. Übersiedlung ins Hotel. Natürlich nur zum Wohle aller. Gedeckt von der Politik. Sachzwänge. Ganz linke Dinger. Das Haus sei so marode, dass es schon bei Musik wackle. Komischerweise war bis zum Kauf durch den Investor alles in Ordnung und dann war plötzlich alles marode. Abriss. Die Politik spielt mit.

Und dann: Werden die Leute zur Weihnachtsfeier durch Investor und Politik geladen und der Bezirksamtsleiter macht Geschenke: Jeder dürfe sich von den Nivea-Shampoos und den Tempo-Taschentüchern vom Gabentisch nehmen. Woooarrrr! Ey.

Das Happyend mit Schatten. Der Protest stärkt die Leute, alle kommen gut unter und plötzlich darf die Bevölkerung bei der Planung mitreden. Weil der Bebauungsplan neu gefasst werden muss. Dem Investor werden ein wenig die Flügel gestutzt, auch wenn er gewinnt und letztlich die Menschlichkeit mit Füßen getreten hat. Es ist zum Kotzen. Es tut weh, das zu sehen. Es ist schön, dass Menschen das nicht durchgehen lassen. Der Film lässt es nicht durchgehen. Auch das ist Demokratie. Die arrogante Geldgeilheit des Investors ist in Bilder gefasst. Das bleibt, für immer. Das ist, ich gebe es zu, am Ende Genugtuung.

Ein beeindruckender Abend. Zurück über die Brücke am Hafen vorbei nach Essen. Dieses Ruhrgebiet ist mit Sicherheit eines der lebendigsten und spannendsten Kulturgebiete Deutschlands und Europas. Ich freue mich, so nah dran zu sein. Und ich freue mich darauf, irgendwann das Norbert van Ackeren Atelier zu stürmen… Ruhrort. Eine neuer Ort in meinem Herzen. Eine Liebe auf den ersten Blick.

Lokal Harmonie

Links zum Beitrag, die ich gerne empfehle:

http://www.kolumba.de
http://ensemble-unterwegs.de
http://www.lokal-harmonie.de

buy buy st. pauli

Am Ende ankommen

Anleger

Je höher man fliegt, desto länger dauert die Landung. Runter kommen sie alle. Auf die ein oder andere Art und Weise.

Eine Kur. Sieben Tage Meer atmen, Frieden finden.

Wie oft muss man die Insel umrunden? Wie viele Kilometer muss man am Strand laufen? Wie viel Meerluft muss man atmen?

Ich habe den Vögeln die Luft weggeatmet, den Pflanzen das Licht genommen, dem Meer den Wind. Ein wenig egoistisch habe ich sieben Tage genommen, was ich nehmen konnte. Aufladen, reinigen, ordnen. Katharsis hat einmal ein Freund gesagt, der sich von allem verabschiedet hatte, um nach dem Studium als Klempner zu arbeiten.

Wo will man hin? Der Himmel ist keine Grenze?

Die letzte Fahrt mit dem Rad heute. Um die Insel. Das Meer ruhig, dichte Wolkendecke, die Möwen auf dem Wasser, die Fähre in ruhiger Fahrt. Mit der Ruhe mitschwingen. Angekommen sein. Man muss auf sich aufpassen.

Gerade komme ich aus dem Whirlpool. Eine Stunde mit Blubber, netten Gesprächen und feinen 36 Grad. Mein Papa hat immer gesagt: Was soll das schlechte Leben nutzen? Ja. Was? Und was ist das gute Leben?

Eigentlich wissen wir es doch. Ohne alle Philosophie, Ratgeber, Coaches. Das Beste von uns nehmen und als Schatz in den Händen halten, es wahren, respektieren, schützen, lieben. Es ist einfach. Am Ende. Ankommen, wo man lange schon ist.

Den Himmel küssen, die Erde halten, das Meer zum Freund nehmen.

Vögel

Deich

Fähre

Konkret vs. gefühlt

Adler

Urlaub.

Ein Zustand. Eine Zahl in Tagen. Lande mal.

Seit Tagen laufe und radle ich um die Insel. Suche meine Lieblingsorte auf. Schaue aufs Meer. Fotografiere. Denke nach.

Es ist ein Luxus, den Kopf für sich zu haben. Sich Gedanken zu erlauben, die in nichts einzahlen. Es ist Freiheit. Diese wahre.

Nichts ist wesentlicher als die Freiheit des eigenen Denkens. Wenn das aufhört, wenn sich Schranken ins Denken schieben, wenn sich die Möglichkeit auflöst, die eigenen Gedanken zu denken, wird das Individuum zur Statue. In den letzten Tagen hat mich das Meer eingeladen, meinen Gedanken zu folgen. Es zwingt, quasi.

Bevor ich auf die Insel gefahren bin, hatte ich einen kurzen Austausch mit Bruno Schulz. Ein Werber wie ich, ein Autor wie ich. Er schreibt Geschichten. Vona ist ein Thema. Vona ist eine Isländerin. Schöne Texte. Googlet.

Auf Facebook hatte er einen Schiermonnikoog-Text geteilt. Ehrbezeugungen unter Autoren. In einer Nachricht hatte er kurz notiert: Du schreibst gegenständlicher.

Ja. Gegenständlichkeit. Das Konkrete versus dem Ungenauen, dem Gefühlten, der Abstraktion. Und schon sind wir mittendrin in den Zeiten, in denen wir leben. Wie viel Abstraktion ist möglich? Möglich in Form von akzeptiert. Möglich in Form von verständlich, verstanden.

Ich habe durch meine Kamera gesehen. Herr Cooper ist konkret, real. Manchmal aber ist der Blick durchs Objektiv ein Blick in eine Metapher. Wie viel Metapher verträgt eine materielle Welt?

Mein Blick lässt sich ins Konkrete ziehen. Werber, Handwerker, ins Alltägliche eingewoben. Es ist eine Sehnsucht. Es fängt dort an, wo sich das Konkrete auflöst. Hollywood ist konkret. Die amerikanischen Erzähler sind konkret. Jonathan Frantzen ist konkret. Alles hat Hand und Fuß. Konzepte sind konkret. Strategien sind konkret. Das Konkrete ist konkret.

Das Konkrete ist eng, die Grenze des Freien. Durch das Objektiv sehen und die Dinge dahinter sehen. Frei sein. Bilder, Worte leben. Unbekümmert.

Über die Insel laufen. Hinschauen. Lächeln. Eine Muschel. Eine Muschel ist keine Muschel. Nicht zwingend. Ein Horizont ist kein Horizont.

Cooper_my friend 2

Cooper_my friend

Fischerboot

Fischerboot2

Fischerboot3

Gras 3

Holzstück

Moon

Muschel2

Schnur

Strandbuggy

Dem Meer so nah auf Schiermonnikoog

Gras 2

Den ganzen Tag unterwegs. Mit Herrn Cooper, sofern er kann. Er wird alt, will nicht mehr so weit. Heute ist er stehengeblieben, hat mich angesehen, wollte umkehren, der alte Junge. Nicht mehr an der Leine am Fahrrad. O.K. Habe ihn gelassen, trotz Leinenpflicht und entsprechender Blicke.

Er geht seinen Weg, in seinem Tempo. Manchmal bricht er mir das Herz.

Das Meer. Wie ein großer Bruder. Beruhigend, schützend. Fahre über die Insel mit dem Rad, laufe am Strand entlang, die Kamera dabei. Viel Natur, überwältigend groß, schön. Alleine auf der riesigen Sandbank. Eine halbe Stunde bis zum Wasser laufen. Ein paar Fotos, wenig Worte.

Kanal

Chocomel

Dangerous

Gras

Kanal 2

Kiter 2

Kiter 3

Kiter

Leuchtturm

Leuchtturm2

Lifeguard

Lifeguard2

Lifeguard3

Muschel

Segel

Spuren 2

Strand_Linie

Strand_Mann

Vögel

Spuren

Jens