Crazy Corona Cabaret Cöln furioso and a star is born CHRIS $ CRASS

Hey.

Was war das, bitte schön?

Im Blog hatte ich über diesen fulminanten Abend in Köln mit dem Cabaret Cöln und der Party im Anschluss bei Norbert geschrieben. Leben at it’s highest. Knallgas. Vibration. Roaring times.

Danach das Halsband, der Käfig, die Handschellen, das dicke Seil um den Fuß. Rien ne va plus. Eingefroren, frozen people. Mehr oder weniger. Manchmal mehr, manchmal weniger. Black Dark Corona Lady. Wenn’s doch nur ein Drink wäre.

Ich fing gerade an, hier in der Idylle des ländlichen Frühlings in der Hängematte wegzudösen. Abhängen als Faultier im Winterschlaf und warten auf Irgendwas. So tun, als wäre nichts. Die Bäume sehen aus wie immer, der Kräutergarten entwickelt sich. So what? Is schon schön.

Auf Dauer verhungere ich im Schlaraffenland.

Das Schönste, was in den letzten Wochen geschehen ist, passierte gestern Abend. 21 Uhr.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, versammeln Sie sich vor den Bildschirmen und erleben Sie ein Programm, wie es noch nie da gewesen ist. Pralles Las Vegas, das komprimierte Moulin Rouge, die gesamte Kraft des Cabaret versammelt auf einem Live-Instagram-Kanal.

Wie nur habe ich mich gefreut, sie zu sehen.

LUDVÌK
YESCOW
HYBRIS DAHOUT
LIVIANE Á D’OR
CHRISS CRASS &
CHANGDARC

Wahrscheinlich wissen sie es nicht, aber sie retten Leben in dieser dürftigen Zeit.

Sie haben ein Programm auf die Beine gestellt und es live über Instagram gesendet. Moderiert von der wunderbaren Changdarc.

Ich wusste nicht, was mich erwarten würde und ich erwartete nichts, weil ich in meinem Leben noch niemals Cabaret über einen Instagram-Kanal live gesehen habe. Gerade erlebe ich viele Dinge, die ich zuvor nicht erlebt habe. Zum Beispiel Videochatten mit Kunden, die in ihrem Wohnzimmer sitzen. Chill mal.

Und nun das Cabaret Cöln vom Wohnzimmer aus. Aufs Sofa, einschalten, sehen, staunen, es nicht glauben, kurz vor Tränen.

Klar, das Lob gilt den Pfleger*innen, den medizinischen Kräften, den Kassierer*innen in den Supermarchés, die uns am Leben halten. Merci beaucoup. Und dann ist da aber neben dem Körper die Seele, die sich sehnt. Die erleben möchte, die hungert nach allem. Beschäftigung, Inspiration, gestreichelt werden.

Cabaret Köln.

Gerade rechtzeitig. Den Hunger stillen, den Durst nach Leben. Vielen Dank, euch.

Ich sitze dort und traue meinen Augen nicht. Wir Office-Menschen sitzen im Homeoffice, die Cologne Cabarettis bauen sich ihre eigenen Bühnen Zuhause. Stay at home, perform at home. Homestages.

Grandiosofurioso.

Changdarc begrüßte, leitete ein, sang, interviewte und war hübsch hinreißend wie immer. Es folgten grandiose Nummern. Eine neue Burlesque von der wunderbaren LIVIANE Á D’OR, LUDVÌK als Trucker zwischen den Welten. Hinreißend. Der Onkel aus dem Osten, der Hut und der Bart aus dem wilden Westen. Geschmeidiges Tanzen, spielen mit den Genre, flirten, Bier trinken. Die Kamera ganz nah, weit weg. Was alles möglich ist.

Der unglaubliche CHRIS $ CRASS. Ich kannte ihn nicht, und plötzlich schaue ich zu aus ungewöhnlicher Perspektive. Unter dem Bett her mit Blick auf einen Spiegel? Perücke, Brille, Minirock. “Ich bin Mann, aber trage auch gerne Highheels.” Räkeln vor dem Spiegel, Lächeln im Interview. So sympathisch. So mutig. So leicht. Changdarc hält einen Zettel mit dem Namen hoch und schreibt Criss mit zwei S. Cris meint, nun, eigentlich nur mit einem S. Und Changdarc macht aus dem S ein Dollarzeichen und der neue Name ist geboren: Cris $ Crass. Make Dollars, Baby.

Barbara. Ihre Stimme. Sie dreht sich auf einer Plattform. Die kleinste Theater-, Oper-Drehbühne der Welt. Wo ein Wille, da ein Motor. Ihre wunderbare Stimme. Ich kenne sie so, das Bild erinnert mich an Duisburg-Ruhrort. Schachten & Ackern. Sie in dem Raum mit den Fäden. Alles verbindet sich. Es ist unglaublich, was diese Zeiten entstehen lassen.

Ich liebe das. Die Tiefe der Improvisation, die Möglichkeiten des Arrangierens.

Und dann Camila Scholtbach. HYBRIS DAHOUT. Ich traue meine Augen und Ohren nicht. Sie performt in ihrer Wohnung in einem Ikea-Ivar. Sie schlängelt sich durch die Ebenen des Regals. Ich sehe einen Hochseilakt, stelle mir eine 20 Meter hohe Museumswand vor. Auf halber Höhe das Regal und Camilla, die sich von Fach zu Fach schlängelt. Ganz großes Kino. Die maximale Komprimierung der Situation. Im Wohnzimmerregal gefangen. Küche, Badezimmer, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Bad, Balkon, Wohnzimmer. Fuck. Anmut. Ästhetik. Minimalism. Hochachtung.

Viveka und ich saßen gebannt vor dem Bildschirm und konnten kaum glauben, was wir sahen. Es war eine wertvolle, wunderbare Zeit. Die Kunst ist der Sauerstoff der Menschheit. Ich lag gestern Abend im Sauerstoffzelt und wurde beatmet. Ohne euch geht Leben nicht. Ich danke euch, ich küsse euch.

Wenn es nicht mindestens Liebe ist.

Ich freue mich, euch live in Köln zu sehen. Bleibt gesund und weiterhin die Freude der Menschheit.

Love it:)

Was mir gerade am Leben auf dem Land gefällt?

Der Garten
Die Sonne
Die unendlichen Details
Der Gang morgens und abends
Sind es die Stockrosen, die wir letztes Jahr gesät haben?
Die Pfefferminze nun an drei Stellen
Die Kamelie hat es geschafft
Der Gewürzgarten wird
Der Schnittlauch, die gesäte Petersilie geht auf
Adams Rose an Coopis Grab geht es gut
Wir kämpfen um Rosemaries Rose
Giselas Oleander ist angekommen
und wird gehätschelt wie ein Baby
Die drei Bottiche
Schutz vor Schnecken
mit Rucola, der bereits aufgeht
Kürbiskernen
Zucchini
Die beiden neuen Rosen
die im Keller überwinterten Geranien
Der Holunder kommt
der Kompost ist gefleddert
alle gute Erde verteilt
Das Blumenbeet vorm Haus
all die Vergissmeinicht
die Liebsten in der Ferne
Die gelben Tulpen
die Stiefmütterchen im Fenster
die vom Friedhof geretteten Büsche
die es hoffentlich schaffen werden
Der Teich
den wir Tag für Tag von der Algenplage befreien
die jungen Fische vom letzten Jahr
Der Apfelbaum, den ich operieren musste
der Pflaumenbaum, der meinen Haarschnitt anscheinend mag
Die Pflanzen, die auf Stein wachsen, aus Kaisersesch
die Gänseblümchen, die ich so mag
die neuen Futterstellen für Vögel
vor dem Küchenfenster
in der Korkenzieherweide über dem Teich
Die Traubenhyanzinthen, die schon fast verblüht sind
die Maiglöckchen unter den Buchen
die das Dach über Shois Skulptur sind
Ich bin süchtig nach dem Gang durch den Garten
voller Nachrichten ist er
voller kleiner Geschichten
In diesem Jahr
lasse ich wachsen
für alle
Es ist atemberaubend
hoffungsfroh
glückselig schön
umwerfend
liebreizend
ganz klein und ganz groß
Dazu läuft Musik aus offenen Fenstern
die Suppe kocht auf dem Herd
und ich liebe
Sie
meine Liebsten
den Garten
die Welt
So what

Italien, mon amour

Nun sitzen wir hier also fest in unserem Leben. Ich sitze Zuhause am Küchentisch, Ostermontag ist rum und ich scrolle durch Fotos, die vor einem Jahr entstanden sind. Viveka und ich in Italien. Italy. Ups. Was für ein Wort momentan.

Da sehe ich Bilder von mir, die Viveka am Lido von mir gemacht hat. Wir waren nach Stationen in Riva del Garda und Verona in Venedig angekommen, um meinen Geburtstag zu feiern. Mit Venedig verbindet mich einiges. Ich war als Kind mit meinen Eltern dort, später auf Klassenfahrt, im Studium auch und kurz bevor Max geboren wurde. Früher war ich öfter in Wien. Irgendwie liegt mir das Alte. Ich wohne seit jeher in alten Häusern, einen Neubau könnte man mir schenken. Meine Seele will in Geschichte baden.

Auf den Bildern habe ich das Handy in der Hand und telefoniere mit meiner Mutter. Leukämie. Fast wäre sie schon einige Wochen vorher gestorben, aber im April 2019 konnte sie gerade noch Zuhause leben mit Unterstützung. Und sie konnte telefonieren, was wenig später nicht mehr möglich war. Ich konnte ihr nah sein, konnte mit ihr reden. Konnte ihren Schmerz spüren, ihre Hilflosigkeit, ihr Ausgeliefertsein.

Kurz vor Corona in Deutschland ist sie gestorben. Am 1. März 2020. 49 Tage vor meinem Geburtstag. In buddhistischen Kreisen ein Zeitraum mit Bedeutung. Wir konnten bei ihr sein. Sie ist an einem Sonntag gestorben. Wir hatten alle Zeit. Als hätte ihr protestantisches Pflichtbewusstsein darauf geachtet, den Alltag nicht zu stören.

Wir konnten sie mit allen Ehren beerdigen. Eine Beerdigung mit vielen Menschen. Auf das Händeschütteln am Grab haben wir verzichtet, um Corona keinen Platz zu geben. Eine Woche später und wir wären am Arsch gewesen. Wir hätten nichts für sie tun können. Aus der Ferne zusehen. Puh.

Mein Herz schreit. Ich denke jeden Tag an sie. Wie es ist, wenn deine Mutter tot ist? Grauenhaft. Vivekas und meine Eltern sind in den letzten acht Jahren gestorben. Wir sind seit 2012 zusammen. 4 Beerdigungen. Ciao.

Und jetzt ein Ostern, das Fest der Auferstehung ohne alle. Pella in Sydney, Max in Köln, Liv und Gil in Essen. Unsere Eltern. Ein einsames Ostern. Gut, trotzdem schön, weil ich mich belüge und sage, alles ist OK. Mit Tricks durchs Leben kommen. Nicht verzweifeln, aufrecht bleiben, hinschauen, wo das Licht ist. Und zwischendurch in die Knie gehen.

In wenigen Tagen werde ich 55 Jahre alt. Von nun an muss ich ohne Eltern sehen, dass ich klar komme. Man kann sich das nicht ausmalen und vorstellen. Es ist hart. Es ist nicht schön, es ist, wie ein Teil aus sich rausgerissen.

Meine Eltern sind mir nah. Ich spüre sie in mir, ich weiß, welchen Teil sie in mir ausmachen, was von ihnen kommt. Ich war mit meinen Eltern in Venedig. Ich wäre jetzt so gerne dort.

Mein Geburtstag 2019. Mit dem Boot rüber nach St. Giorgio Maggiore. Viveka und ich ganz allein mit dem Blick über das Wasser auf den Markusplatz. Meine Mutter hat am Morgen angerufen – wie immer. Und letztes Jahr zum letzten Mal, das hatte ich nicht vor Augen.

Nun ist es ein Jahr später. Die Welt sieht komplett anders aus. Keine Ahnung, was kommt. Irgendwann ist Corona vorbei und wir gehen irgendwie über in irgendeine Normalität.

Für mich ist seit geraumer Zeit nichts mehr normal. Ehrlich? Mir reicht es jetzt. Genug fundamentale, existenzielle Ereignisse. Ich würde gerne einfach leben. Mich schön erinnern können. Das Wetter ist so schön, die Natur erwacht, es ist Frühling in Deutschland. Mein Kopf steckt voller schöner Erinnerungen. Heute auf dem Weg durch den Wald haben Viveka und ich unsere Reise im letzen Jahr Revue passieren lassen. Das machen wir gerne. Levanto, Moneglia, immer wieder Paris, Hamburg, Dresden, Mannheim, Lissabon, Köln, Köln, Köln. Riva del Garda, Verona, Venedig. Schiermonnikoog.

Wenn wir unterwegs sind, machen wir das Hardcore. Niemals Fernsehen gucken im Hotel, in der Unterkunft. Die Zeit nutzen, da sein, laufen, schauen, einatmen. Ich bin so gerne mit Viveka unterwegs. Tage und Nächte. Nachts ganz allein mit ihr am Louvre oder an der Rialto-Brücke. Kein Schwein da. Nur wir. Schauen und sich halten und sich küssen im Alleinsein. Möchte ich wieder.

Diese Welt hat derzeit zu viel Drama. Ich hoffe, das wird wieder weniger.