Bilder, Texte, Musik. In der Summe Menschen. Die vielen und die Besonderen.
Sitze den ganzen Tag schon in der Küche. Es ist lustig. Gerade lebe ich allein in einem großen Haus. Oben habe ich eine Büroetage, aber ich arbeite an einem alten kleinen Holztisch neben der Espressomaschine. Coppis Küche. Peter Weiß. Ästhetik des Widerstands. Jim hat sich aus Nord-Spanien gemeldet, er erreicht heute Portugal. Geht über die Grenze. Hat gestern Nacht wieder in seinem Fiesta-Ford-Wohnmobil gepennt. Der Junge ist in seinem Geist, in seinen Möglichkeiten, in seinen Bedürfnissen so frei. Wenn es sein muss, schläft er auf dem nackten Boden und sagt am nächsten Morgen “war hart”, geht Frühstücken und der Sonne nach.
Zoe ist im Kindergarten. Praktikum. Kleine Jungen, die ihr den Kopf verdrehen. “Will auch Schafe sehen”. “Will auch raus.” Diese Sprache der Kleinen in ihrer Reinheit und Schönheit und Ungefiltertheit. Wo verlieren wir eigentlich all diese uns innewohnende Schönheit und Menschlichkeit? Muss das so sein? Hart werden? Kratzig? Nun.
Heute der wöchentliche Wechsel. Von fest zu frei. Vom Angestellten zum Unternehmer. Aus dem sicheren Hafen ins Haifischbecken. Es sind die Übergänge, die Männer eigentlich nicht können. Ich liebe es, das zu managen. Mein Kopf ist ein hungriges Wesen, das Herausforderungen und Grenzüberschreitungen liebt. Weshalb eigentlich? Ja, seit Kurzem weiß ich es genau. Weil mein Sternbild Widder ist und mein Aszendent ebenfalls Widder. Was soll man da machen mit all der Energie und Power? Was ich bislang nicht verstehe bei all diesem Widdertum ist dieses Gefühl von Zartheit und Berührtheit. Noch ist da irgendwo ein Bug im System. Die Puzzleteile ergeben noch keinen Sonnenuntergang.
Zartheit, Feinfühligkeit. Mir fehlt Max. Zoe habe ich die letzten Tage gesehen, Max ist so weit weg. Tausende Kilometer. Was wäre das geworden, wenn er angefangen hätte zu studieren. Berlin, Moskau, Trinidad Tobago. Ui. Auf Spotify läuft ein neuer Liebling. Labi Siffre. Das Lustige ist, dass ich mittlerweile mit zwei Laptops hier agiere. Eines hängt an der Stereoanlage und speist die Boxen über Spotify. Wir haben jetzt ein Familienabo für 15 € im Monat. Musikalische Komplettversorgung. Herr Schönlau ist im digitalen Zeitalter gelandet. Montags bekomme ich meinen neuen Mix der Woche. Neues entdecken, noch nie habe ich Musik als so lebendig empfunden. Ich speise meine Listen. Heute höre ich Labi Siffre komplett durch. Und, der Hammer: Auf meinem zweiten Rechner, an dem ich gerade am Küchentisch schreibe, ist auch Spotify geöffnet. Höre ich aus dem Raum einen schönen Song, füge ich den hier meinen Favorites zu. Es sind so viele schöne Songs. Ich sage nur Gil Scott-Heron.
Draußen zieht die Sonne vorbei. Ich schaue aus der Küche über das Ofenzimmer nach Süden. Das Licht kommt also von rechts, Westen. Die Sonne neigt gerade ihr Haupt, um es in die Wälder des Horizonts zu legen. Heute Abend folgen die Sterne. Wenn ich in meinem indischen Bett liege, sehe ich das Winterbild ziehen. Der Orion neigt ebenfalls seinen Kopf und driftet schräg nach Westen, um Platz zu machen für den großen Wagen, der Viveka und mein Verliebtsein in diesem unvergesslichen italienischen Sommer 2012 begleitet hat. Die Nächte am Meer, der Vollmond, die peitschenden Wellen im warmen Wind. Bis morgens im T-Shirt, unendlich glücklich und verliebt. Ich frage mich, wie viele Geschenke ein Mensch in seinem Leben erwarten darf?
Das Foto oben ist im letzten Jahr entstanden. Jim und ich waren gerade aus London zurückgekommen. Unser Auto stand in Köln-Mülheim und wir hatten beide kollektiv vergessen, die S-Bahn rechtzeitig zu verlassen. So waren wir in Holweide gelandet und haben uns dem Warten hingegeben. Max kann das gut. Ich mache lieber irgendetwas. Also habe ich ihn fotografiert. So treffen und ergänzen sich die Eigenschaften, Talente und Zustände.
Was hat es zu bedeuten, dass in meinen Bildern immer wieder diese Linien und Horizonte auftauchen? Je älter man wird, desto mehr man macht, desto mehr Fragen entstehen und gleichzeitig wird die Beantwortung immer unwichtiger, weil die Zeit endlich wird und es irgendwann auch keinen Sinn mehr macht, alldem nachzugehen.
So. Feierabend. Morgen ist auch noch ein Tag. Und Herr Cooper wünscht sich ein wenig Aufmerksamkeit. Ach. Das ist alles so aufregend. Leben, oder?