Unterwegs irgendwo im Nirgendwo

Grashüpfer

Glen singt. Zoe liegt neben mir auf dem Bett und lernt Russisch. Kerzen leuchten. Ein Räucherstäbchen duftet. Viveka ist zurück in Essen, Ela in Köln, Jim bereitet mit seinem Kurs die Aufführung des Zwölfklass-Spiels vor. Peter Weiss. Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade. 1964. Es freut mich. In meinem Studium, Jim weiß das nicht, hat Peter Weiss eine große Rolle gespielt. Ich bin sehr gespannt, was geschieht.

Zudem erinnert mich das Stück an Jerofejews Walpurgisnacht oder die Schritte des Komturs in einer Aufführung der Schauspielgruppe des Nationaltheaters Mannheim beim Theatertreffen in Berlin 1994. Ich hatte in der Schauspieltruppe für Jörg Tewes, der ausgefallen war, die Rolle des Kolja übernommen. Im Titania Palast, der mittlerweile abgerissen ist. Teures Hotel in Mitte, vier Aufführungen. Zwischendurch Stücke anderer Bühnen und George Tabori im Spiegelzelt. Dort sagte er: “Die Kraft liegt in der Wiederholung. Die Kraft liegt in der Wiederholung. Die Kraft liegt in der Wiederholung.” Da hatten wirs kapiert.

Kürbisse

Es ist Erntezeit. Die Steinpilze sind mittlerweile aus. Ich habe so viele verputzt und getrocknet, seit ich aus Italien zurück bin. Pfifferlinge. Mengen. Tagliatelle mit frischen Tomaten und einem Berg frischer Pfifferlinge. Kürbissuppe mit Curry und Kardamom. Ernten. Einfahren. Am Ende der Zeit. Gestern erhielt ich eine Mail von einem Kölner Künstler. Einem Maler, den ich sehr schätze und der hier im Blog auch schon mehrfach erwähnt wurde. Er malt Viveka und mich. Hat uns gefragt. Ein Doppelportrait. Gestern haben wir Teile des Bildes gesehen. Da sah ich in meine Augen. Bald kommt Viveka hinzu. Vermählt auf Leinwand.

Hexenei

Und was ist das? Der Tintenfisch? Ein Pilz. Ein Tintenfischpilz. Der fiel mir gestern auf dem Weg zum Schloss Crottorf vor die Füße. Ein Pilz, der wohl ursprünglich aus Australien oder Neuseeland stammt, behaupten Stimmen im Netz. Wikipedia weiß es besser. Tatsächlich roch der etwas streng.

Die Natur ist gerade so schön. Satte Farben, Bilderbuch-Sonnenuntergänge. Hach.

Haus Hundscheidt

Kürbisse_Schule

constellations!

constellation one

Alles ein Sommernachtstraum.

Ein Abend in Italien. Ganz genau weiß ich es nicht mehr. Ich denke, vorne am Meer. Dort. Die Steine, die Felsen, die die Wellen spritzen lassen. Wir saßen dort. Tranken Bier aus Flaschen. Italienisches. Peroni. Moretti. Sahen aufs Meer. Neben mir Jim. Prost, Junge.

Manchmal schaue ich verstohlen, stehle mir die Momente vergehender Zeit. Steine. Fundstücke. Wie ein Puzzle, ein Zusammenfügen. Die Wellen, die Sonne, die Menschen um mich herum. Jim, die Steine, Konstellationen, dachte ich. Wie die Figuren, die Stehlen, die er bemalt hat. Geprinted aus Metall, bestellt, geliefert, gekennzeichnet, verpackt, verschenkt an die Familie.

Ab und an ein Blick. Ordnung. Vermeintlich. Tic, Tac, Toe. So lange niemand einen Fehler begeht, gibt es kein Ende. Alles sortiert sich neu. In allem wohnt noch der Anfang.

Seine wunderbare Ruhe. Handeln in Beiläufigkeit. Was ist das für ein Gefühl, wenn die Hände von Tiefe geführt werden. Wenn es keine Fragen gibt. Wenn es sich wie von Zauberhand schiebt, legt. Fügt. Eine Ordnung der Selbstverständlichkeit. Ein Masterplan, kein Wunsch, keine Vorstellung, kein Irren, Zweifeln, Verlaufen.

Die Steine. Irgendwann blieben Viveka und ich zurück. Die Nacht am Meer wartete, die Sterne, die unaufhörlich fließenden Worte, Sätze, Gedanken. Lachen, Küssen, die Zeit tätowieren. In meiner Hosentasche die Steine, das Spiel. Unbeachtet genommen, Stein für Stein mit feinen Fingern aufgeklaubt. Jeder Stein ein Kapitel, eine Manifestation, ein kleines Glück von vielen.

Sie haben wochenlang in meinem Zimmer gelegen. Ab und an habe ich sie neu sortiert. constellations! Die Zeiten ändern sich, die Verbindungen fügen sich. Es ist nur ein Fingerzeig. Den Zeigefinger leicht auf die kühle Haut legen, das Leben verschieben, die Schachfiguren führen. Verlieren, gewinnen, schweigen, lachen, arbeiten. Mit allem. Und mit Tricks.

constellation two

constellation three

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Heute Morgen war seit langem mal wieder Zeit für einen erfrischenden Moment gutgelaunter Einsamkeit. Die Kamera, Herr Cooper, die aufgehende Sonne. 6:50 Uhr und los. Ins Tal, über den Bach, über die Straße den Hügel hinauf. Die Kuhnase fotografiert, den vorbeirauschenden Reiher, die wilden Pferde (Mutter und Tochter – Verrückte, im vollen Galopp über die taunasse Wiese auf mich zu. Was denken die sich?).

Die Guardians of the Galaxy-CD ist gerade zu Ende. Habe wenig Musik auf dem Rechner. Kopfhörer auf, Zoe schläft nebenan. Schule. Mathe. Am Nachmittag haben wir Gleichungen geknackt. Nach dem X gesucht, den Weg, es frei zu bekommen. Ich habe ihr von der Gerechtigkeit des Gleichheitszeichens erzählt, und dass es die wahre Message der Mathematik ist, wenn die Dinge auf beiden Seiten in der Waage stehen. Plus. Minus. Mal. Die Zahlen fügen sich, die Unbekannten stehen für Hoffnung und Möglichkeiten und es ist gut, sanft und überlegt vorzugehen, um zu sehen und zu fühlen. Die Mathematik ist nichts anderes als eine Metapher. Sie meint es gut.

U2 läuft. Wieso gefällt einem ein und die gleiche CD mal total gut und dann wieder erscheint sie nichtssagend? constellations! Einiges muss zusammenkommen. Es ist ein zarter Kokon, in dem wir leben. Unbezwingbar. Momentan weht die Musik. Gerade passt sie. Höre das Wort summertree. Angenehm. Es ist spät. Egal. Morgen bin ich weg. Mit den Jungs im Wochenende. Krachen lassen.

Am Morgen, den Hügel hinauf, war mein Blick Richtung Horizont gerichtet. Die Augen sehnen sich nach dem Kräftigen. In den Wolken spiegelte sich das Orange. Meine Schuhe, meine Hose waren nass vom Tau. Da sah ich sie am Boden, die kleinen Blumen. Ach. So klein und blau und voller Glocken Nass vom Morgentau. Wasserperlen. Zumindest fotografiert wollte ich sie mitnehmen, ihnen ansonsten kein Stengelchen krümmen. Manche von ihnen sehen sich an, andere nicht. Hier hin, dort hin neigen sie sich. Für sich, miteinander.

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Boris Becker, Bono, Bagger

Baggerschaufel

Die Welt dreht sich. Würden wir sie von der ISS sehen, wäre das Gefühl ein anderes. Sicherlich. So geht die Sonne auf, der Mond füllt sich, die Sternbilder ziehen und wieder ist ein Monat vergangen, eine neue Zeit beginnt, die Welt rennt, das Leben verfliegt, es geschieht, oft unbemerkt.

Boris Becker. Fotograf aus Köln. Wie Gursky durch die Hände Bechers gegangen. Wahrscheinlich wird es irgendwann die Düsseldorfer Schule heißen. Oder jetzt schon? Oder seit langem? Keine Ahnung. Egal. Gurskys Rhein hatten wir hier schon. Schweineteuer, ein Auktionsstar. Millionen für eine Fotografie.

Am Wochenende war ich mit Jim und Viveka in Overath im Kulturbahnhof. Ein doofes Wort. Endstation. Rangierbahnhof. Bahnhofshalle. Bahnhofskiosk. Bahnhofsvorsteher. Bahnhofspolizei. Nun gut. Eine Ausstellung. David und Helga hatten mich, uns eingeladen. Overath wird 750 Jahre alt und der Kunst- und Kulturverein der Stadt hatte eine schöne Idee: Wir schenken Overath ein Museum.

EIN MUSEUM.

Ein Kunstmuseum. Der Gedanke hat mich in den letzten Tagen arg beschäftigt. Also eigentlich war mein Kopf mit Projekten beschäftigt, mit Konzepten. Da waren Zeiten eingebucht. Denken, entwickeln. Da steht eine Frage im Raum und der Kopf versucht, sie zu beantworten. Egal wann.

Der Gedanke, der mich beschäftigt hat. Nicht so einfach. Wir waren gekommen, um Helga & Davids Bild anzuschauen. Ein Triptychon. Ich hatte es mir aufgehoben. Es hing ganz oben im Kulturbahnhof. In einem schönen Raum mit Blick durchs Fenster. Aber es war mir etwas dazwischen gekommen. Die Fotografien des Boris Becker. Zwei. Jim und ich standen lange davor. Es gab viele Details zu sehen. Ich würde sie euch gerne zeigen, aber dieses verdammte Urheberrecht verbietet es. Ich darf nicht. Beschreiben? Zwei Fotos aus dem Alltag. Zwei Welten, ich würde sagen, annehmen, von Männern geschaffen. Eines zeigt ein Holzgebäude von hinten. Zwei in eine Holzwand eingefügte Fenster. Orchideen. Davor Krams. Dinge, die man brauchen kann. In einer Ordnung. Spanngurte in einem Fach. Petroleumlampen. Am Boden eine Reihe Kanister. Am rechten Rand alte Werbeschilder mit Kölner Adresse. Jim und ich haben uns alles angesehen. Jedes Detail, sind allen Linien, Themen gefolgt. Ein Suchbild, eine Typisierung, eine Freudsche Sofastunde. Wer lebt dort? Wozu all die Dinge? Wie denkt, lebt man, wenn man so strukturiert ist?

Das zweite Foto eine Spurensuche. Sherlock und Watson. Eine Spüle, ein Vaillant Boiler in Beige. Ein Übertisch-Wandgerät. Unendlich viele Details. Eine Wand wie eine Sammlung, ein Setzkasten. Ein wunderbares Detail unten links in der Fotoecke: Ein Herz-Ass in einem Korb. Von den schwarzen Drähten des Geflechts gehalten. Ansonsten ein heterogener Eindruck. Unentschieden. Wie es kommt, entstanden, gewachsen ist. Gelassen wurde im Entstehen. Weleda Tropfen, Schulmedizin-Arznei. Tee von Alnatura und JA!. Ein gespültes, umgedrehtes Kölschglas mit Gaffel-Logo. Kinderfotos. Wasserlilien in kleine Töpfen – lebendig und äußerst tot vertrocknet. Farbspritzer vorne an der Spüle. Eine Atelier-Küche vielleicht, oder mein Wunsch, meine Fantasie, meine Überheblichkeit. Die Wahrnehmung flimmert, reflektiert.

Natürlich kein Boris Becker da, der was sagt. Teuer, der Mann. Der hat besseres zu tun, als mit Jim und mir zu sprechen. Dieses verkackte Geld, das Künstler teuer macht und von der Erde löst und ins Nirwana der Kunstvorstellung schießt. Verdammt, Boris, wenn du ausstellst, dann beweg deinen Hintern dort hin. Sonst ist das Marketing oder eine herablassende Gnade. Egal.

Es war ein gutes Erlebnis. Eine schöne Detailsuche, ein guter Sohn-Vater-Moment. Damals, als wir diese Fotos – von wem noch? – in Overath gesehen haben. Dieser Vaillant-Boiler, die Petroleumlampen.

Bono? Aus der Überschrift. Ja. Gestern hat Apple das iPhone 6 vorgestellt. Anlässlich der Prinzenvorstellung gab es Geschenke für das Volk. Brot & Spiele. Das neue U2-Album als Geschenk. Einfach im Apple-Store runterladen. Ich höre es gerade. iTunes. Ei, ei, alles i. Auf Spiegel Online habe ich von der Aktion gelesen. Ein Schreiber, der U2 nicht mag, hat berichtet. Er nannte Bono eine Heulboje oder so. “Wer U2 in den letzten 35 Jahren nicht mochte, wird es auch jetzt nicht mögen.” Wie läuft das in solchen Redaktionen ab? Wer die Band nicht mag, der schreibt?

Ich mag U2. Wahrscheinlich, weil ich alt genug bin und Respekt habe. Eine ordentliche Menge davon. Teil meiner Jugend. Würde ich verleugnen, würde ein Teil von mir sterben und ich wäre weniger als zuvor. Wird man 50, muss man Gewonnenes bewahren, weil man weiß, dass nicht dauernd Weltbewegendes hinzukommt. Einmal vor langer Zeit war ich auf einer Geburtstagsfeier. In Heidelberg. Es lief U2 aus irgendwelchen Gründen. In einem Dachzimmer einer Schauspieler-Wohnung. Ich konnte nicht aufhören zu tanzen. Und die Balletttänzerin auch nicht. Gloria. Am Ende waren nur noch sie und ich in diesem Raum. Am nächsten Abend habe ich sie auf der Bühne gesehen. In der Nacht hatte sie an der Wand gestanden und mich angesehen. Nun sah ich sie auf der Bühne. Wir hatten zu U2 getanzt. Unendliche Zeiten ist das her, aber die Erinnerung ist wach. Und nun hat mir Bono sein Album geschenkt. Thanx. Für alles.

Bleiben die Bagger. So eine Überschrift kann einen schon durch den Text peitschen. Die Erwartungen der Leserschaft erfüllen. Da denkt man sich anfangs eine Head aus und die muss man dann erfüllen. Selbst schuld. Ursache und Wirkung. Ja. Uns ist gerade so ziemlich der Arsch aufgerissen worden. Die Feuerwehr wurde umgebaut, erweitert. Und mit ihr der alte Schulhof, der nun Feuerwehrplatz ist. Montagmorgen rief mich Ela in der Agentur an: “Hast du gewusst, dass die den Platz wegbaggern? Unser Auto steht auf einer Insel, die haben einfach drumherum gebaggert.” Au Mann, war Ela geladen. Niemand hatte uns was gesagt. Der Architekt hat sich entschuldigt. Landgemeinden können ganz schön ignorant sein. Hier weht ein kühler Wind, wenn die Gemeinde aktiv wird. Da rollen die Bagger ohne Wenn und Aber. Als Landmensch muss man ein dickes Fell haben, oder sich aufregen. Ist manchmal schade. Andererseits bekommen wir direkt vor der Tür …

Bis hierhin war ich am Donnerstag Abend gekommen. Dann kam Viveka aus Essen und das Schreiben nahm ein abruptes Ende. Liebe, Familie, Job, Blog – ist zeitlich manchmal etwas eng. Der Vorteil liegt in der konsequenten Vermeidung von Langeweile. Zum Platz vor unserer Haustür: Der wurde heute asphaltiert. Die feine Deckschicht kam drauf und so ist nun nach sechs Monaten Bauzeit fast alles fertig. Horrido. Jetzt muss ich auch keine Sangst mehr haben, dass plötzlich Bagger in unserem Garten baggern. Mal eben so. Weil eben der Tag gekommen ist, an dem der Bagger baggern muss. Manchmal ist diese Welt schwer verständlich und man muss einfach nur ausharren.

Mein Sturmlied

Blau ist es in deinen Augen
murmelt mein Blut
weiter führt kein Strahl
deine Lippen sind sonnig
lächelst du?
Dein Leuchten küsst
Du hast deine warme Seele
und was werden wir beide
spielen?
Zwei Äste durch Bogenwegen
lassen die kleinen Sterne stehen
und die Rosen fliegen mir
aus dem Haar

Viveka, september 2014