HEILIG ABEND im Theater an der Ruhr und die geschenkte Kuh

Nun. 2017. Letzte Aktionen.

Gestern Abend hatten wir das Glück, noch einmal Barbara und Norbert zu sehen. Adriana hat im Theater an der Ruhr das Bühnenbild zu HEILIG ABEND, ein Stück von Daniel Kehlmann in einer Inszenierung von Simone Thoma, entworfen. Wir hatten schon länger vor, das Theater an der Ruhr zu besuchen. Insbesondere, um den Mülheimer Peer Gynt zu sehen. Hat terminlich nicht hingehauen.

HEILIG ABEND hat geklappt. Kurzfristig. Von Essen über Land und die Autobahn. Mit Navi und Irrtümern, wie das Leben so ist. Weil ich Pünktlichkeit als Wertschätzung des Gegenüber sehe, sind wir zu früh losgefahren und letztlich hat es ungefähr hingehauen. Knappe Minuten zu spät. Die Freude groß. Dort saßen Barbara und Norbert im Foyer. Leuchtend. Norbert hat mir eine Papprolle in die Hand gedrückt. Zum Zuhause-Aufmachen.

Das Stück, die Inszenierung, das Bühnenbild, die Musik. Es ist ein mittelgroßes Theater. Man sitzt auf einer Empore und erlebt das Geschehen von oben, es sei denn, man sitzt wie ein Teil des Publikums direkt links und rechts am Bühnenrand. Es ging um ein Verhör, eine Bombe, die Ungerechtigkeit der Welt, den versunkenen Gedanken der Revolution und die Facetten der Zwischenmenschlichkeit. Adriana hat als Verhörsituation eine Kirche geschaffen. Mit Bänken, einem Altar in Form eines Opfertisches und einem Taufbecken.

In den Hauptrollen Dagmar Geppert und Steffen Reuber. Begleitet durch Peter Kapusta. 90 Minuten Verhör, zusätzlich begleitet durch eine Sanduhr. Und die Frage im Raum: Ist die verhörte Philosophie-Professorin eine Terroristin und Bombenlegerin? Geht sie so weit, an Heiligabend irgendetwas in die Luft zu sprengen, um etwas gegen die sich auftuende Armut-Wohlstands-Kluft der Welt zu tun? Ein Zeichen zu setzen?

Zunächst habe ich es nicht geglaubt. Eine Farce. Ein saufender, geschiedener Kriminalbeamter mit Hang zu philosophischen Fragen: “Wenn niemand sieht, dass ein Baum fällt, fällt er dann?”

Zu Beginn wechselt sie das Kleid, schlüpft in das Büßergewand. Die Kirche erlaubt das Spiel mit Klischees. Die Sünde im Raum. Wer frei von Schuld ist, werfe den ersten Stein. Die Drohung, Waterbording einzusetzen. Die Inszenierung des hochnotpeinlichen Verhörs auf dem Altar. Sie in Unterwäsche, er mit gewaschenen Händen sie abtastend. Eine Untersuchung. Heilige oder Hure. Ist sie Maria oder Maria Magdalena? Ist sie die Professorin oder Bombenlegerin.

Die Zeit läuft ab. Die staatlichen Organe der Demokratie stehen unter Druck. Was zählt? Den Rechtsstaat wahren, die Medien mit PR füttern, einfach nur gnadenlos sein?

Ein intensives Spiel auf dieser Bühne, ein Umeinanderkreisen. Man weiß, das beide ihre Mittel einsetzen. Es entstehen wunderschöne Bilder, die durch einen wunderbaren Klang- und Musikteppich begleitet werden. Man kann sich sattsehen. An den Figuren, die sich entfalten. Das sich Reinwaschen des nackten Kommissars im Taufbecken. Johannes der Täufer.

Die Zeit läuft ab. Am Ende das Läuten der Glocken zur Nachmette. Der Heiland ist geboren, der alle Schuld auf sich nimmt. Wurde die Bombe gezündet? Ich weiß es nicht. Aber sicherlich wäre nach 2017 Jahren ein weiterer Heiland nötig, die neue Schuld und in dieser Zeit auch all die Schulden der Menschheit gegenüber einander und den Mitspielern und Größen des Planeten auf sich zu nehmen.

Ein bildstarker, intensiver Theaterabend in einem besonderen Theater. Lohnt sich.

Und dann?

CAFÉ GRAEFEN. Duisburg. Heritage. Norbert. Der Barkeeper und Besitzer konnte gar nicht mehr von ihm lassen. Weitere schöne Bilder. Das GRAEFEN ist eine Kunstkneipe. Gestaltet von Eckart Graefen. So muss eine Bar sein. Verrucht, mit Geschichte, Nikotin in den Ritzen, der Boden alkoholdurchsogen. Ein Ort, der die Gesetze des Alltags aussetzt. Die Grenzen der Vernunft ausloten. Reden. Lachen. Den anderen Blick auf die Welt richten. Ich liebe das. Ich liebe das Ruhrgebiet. Duisburg, Essen, Mülheim.

Und so freue ich mich, am Ende des Jahres hier gewesen zu sein. Nur zum Feiern rausgehen. Zuhause habe ich dann Norberts Rolle geöffnet. Er hat mir die Kuh geschenkt. Liebster, danke. Wenn man ein Kunstwerk geschenkt bekommt, hat das nichts mit Materie zu tun. Alles, was man sieht, ist etwas anderes. In diesem Falle Freundschaft, Respekt, Wertschätzung, Liebe und das Wissen, in dieser Welt in wesentlichen Teilen gleich zu schwingen.

Ich freue mich auf 2018 und Barbara und Norbert und Schachten & Ackern und neue Wiedersehen und diese reiche Welt. Gestern Abend hat mein Herz berührt. Ein Zustand, den ich sehr mag. Das ist pure Droge. Menschen können sich gegenseitig im positiven Sinne abschießen und fliegen lassen. Ich bin ein Flieger. Ich grüße euch alle und die Sonne und wünsche euch beste Zeiten immer und überhaupt.

Die Kuh von Norbert van Ackeren zur Weihnacht

Nun. Es geht auf das Ende zu. 2017 haucht den Atem aus. Ich muss zugeben, ich werde ein wenig sentimental. Das hat auch damit zu tun, dass ich heute meinen letzten Job abgeliefert habe. Eine Präsentation vor Nonnen. Monate Arbeit. Kopfzerbrechen, Seelenqualen. Einer sozialen Sache gerecht zu werden, ist etwas anderes.

Sie haben sich bedankt. Sie waren in der Sache kritisch, letztlich glücklich und mir gegenüber sehr nett. Ihren Segen für das nächste Jahr habe ich. Das war ein schönes und besonderes Gefühl. Von Herzen. Es war ein außerordentlicher Nachmittag, für den ich nicht unbedingt ein Gehalt gebraucht hätte.

Morgen noch. Eine Stunde Arbeit und dann wars das. Noch ein Brunch in der Agentur, am Nachmittag kommt Viveka, wir werden einen Baum besorgen, einkaufen, die Liebe feiern. Mindestens.

Doch zuvor fliegt mich dieses Jahr an. Ich bin immer noch auf der Suche. Eben habe ich eine weitere Speicherkarte gefunden und die unverarbeiteten Bilder. Duisburg. Norberts Atelierauflösung. Kein Wort drüber verloren, obwohl ich das Atelier zuvor so lange hab sehen wollen. Es war überwältigend. Riesige Arbeiten. Starke Kunst. Gewaltige Bilder.

Ich habe es nicht geschafft, darüber zu schreiben. Wie so oft in diesem Jahr. Die Bilder eingefangen. Liegen gelassen. Der Kopf war woanders.

Ein wenig bin ich irritiert.

Klar, die Dinge haben sich verändert. Ich mag nicht mehr über jede Kleinigkeit schreiben. Die Zeiten sind vorbei, als ein Grashalm im Wind eine Story war. Es interessiert mich nicht mehr. Ganz einfach. Aber dennoch ist da der Wunsch, zu schreiben. Die Buchstaben fliegen zu lassen. Nur ist die Kunst, das Alphabet durcheinander zu wirbeln, etwas anderes, als der Wunsch, tatsächlich zu schreiben.

Es ist eine mir fremde Ernsthaftigkeit eingezogen. Woher auch immer sie kommt. Wer weiß. Zeiten der Veränderung, des Umbruchs, des Aufbrechens und Ankommens.

So klicke ich mich durch die Bilder der Speicherkarten. Norbert van Ackeren. Die Kuh. Ich liebe sie. Einfach nur eine Kuh, wie ich sie hier den ganzen Sommer über sehe. Ein Portrait. Wunderbar. Ein fester Blick, eine Offenheit, ein Charakter, eine Seele. Egal, ob Tier oder Mensch. Für etwas stehen. Das sein, was man ist. Damit zufrieden sein. Es ist ein schönes Bild, gut gemalt, voller Ausdruck.

In meinem Kopf gibt es kleine Galerie, die ich besuchen kann. Darin gibt es einige Bilder, die ich mal gesehen habe. In Galerien, Museen. Eines ist eine Skulptur aus Pompeji, ein kleiner, zarter Faun. Ich mag es, wenn die Dinge zart sind. Wenn sie etwas Feines ausstrahlen, eine Kraft ohne Aufwand. Ich könnte mir vorstellen, dass die Kuh Einzug halten wird. Genaueres weiß ich erst später. Ich entscheide das nicht. Wir werden sehen.

So weit. Gute Nacht. Morgen noch und dann Ferien. Zwei Wochen. Ich möchte nichts mehr sehen und werde mich mit Viveka einschließen und nur noch zum Feiern rauskommen.

Social Media Spielzeug für Herrn Schönlau

Manchmal fühl’ ich mich ein wenig wie Catweazle. All dieser neumodische Kram. Was möglich ist. Mit den Social Media und Smartphones und MacBooks. Vom Ursprung her komme ich aus der Ecke Text. Das gute, schöne alte Wort. Die faszinierende Möglichkeit, Buchstaben aneinanderzureihen.

Nun sind Texte s/w. Unbewegt. Auf einen Hintergrund gesetzt mit mehr oder weniger Botschaft. Texte verlangen, zumindest, gelesen zu werden. Lesen, nicht lesen, das ist hier die Frage. Es geht um Kommunikation. Dieses Sender-Empfänger-Modell. Ein Nachricht senden, eine Nachricht empfangen. Wusch. Etwas damit machten, tun, anfangen. Können.

Das geht jetzt eben einfach auch anders. Zoe ist gerade in Neuseeland. 4 Wochen über Weihnachten mit teilweiser Befreiung vom Unterricht. Wir Whatsappen. Klar. Am liebsten über Sprachnachrichten, noch lieber über Video. Sie hat sich ein Surfbrett gekauft und ja, da ich Windsurfer bin, weiß ich, was es heißt, ein Board zu kaufen. Es ist. Nun. Es hat eine Form, ein Finish, Linien, eine Sprache und eine Design. Es geht darum, wie es sich im Wasser verhält. Bei Wind, bei Wellen. Wie es auf Fußdruck reagiert, wie schnell es angleitet, wie es sich anpaddeln lässt, welchen Grip es in Kurven hat. Das ist eine Wissenschaft für sich. Wenn du draufstehst und fährst, weißt du, was es kann. Und was nicht. Und ja, es soll einfach schön sein.

Sie hat mir ein Video geschickt. Wow. Das ist ihr neues Brett. Cool. Like it. Das ist Kommunikation, das ist das Wesen von Social Media. Es ist: Leicht.Du drückst auf einen Knopf, filmst, nimmst auf und Beng ist es auf der anderen Seite der Welt. In Farbe. In Echtzeit. In Sekunden.

Wenn ich nun ein Gedicht schreibe, einen Blogbeitrag über die Lage der Welt oder meinen Hund oder Seelenzustände oder was weiß ich schreibe, dann ist das einfach nur Text s/w. Ohne Bild. Das muss man sich selber denken, machen, tun.

Nun bin ich über den Hinweis einer Kundin auf Instagram gelandet und habe plötzlich die Lust am Video entdeckt. Skurrile Bilder und Mitschnitte aus dem Leben. So wie das Video oben aus dem Eulenspiegel in Essen. Ein Kino, das unter Denkmalschutz steht und seit den Fünfzigern unverändert Filme zeigt. Viveka und ich haben dort Fatah Akins “Aus dem Nichts” gesehen.

Am Ende waren wir allein im Kino, die Musik lief, die ganze Geschichte des Kinos lag vor uns, vorne standen rechts und links die beiden Orgeln. Roter Punkt, drücken, Schwenk, Video, Instagram, ab dafür.

Ich muss sagen, das gefällt mir. Es ist eine neue Spielart. Bislang bin ich durchs Leben gegangen und habe nach den Textgeschichten gesucht. Parallel habe ich fotografiert, um die Geschichten zu bebildern. Das Ganze fing 2010 an. Nun, 7 Jahre später, kommt Video hinzu. Videoschnipsel. Verzeiht bitte, dass da einiges noch sehr ungelenk ist. Nun. Sponti. Ein Kind der Siebziger. Einfach mal machen und denken, es ist irgendwie Kunst. Oder sowas. Smile. “Walking the lights” auf Facebook. JA. Egal. Hauptsache, es macht Spaß.

Und da ich mein Geld dann immer noch mit Text verdiene, kann ich in Bild und Ton noch ein wenig rumdilettieren. Habt ein wenig Geduld. O.K. Fürs Protokoll und mein Blog-Tagebuch, hier das Video:

Durch die Nächte schlendern

Ich weiß nicht. Plötzlich ist dieses Jahr vorbei und ich habe das Gefühl, es verpasst zu haben. Mann. So viel gearbeitet. Ein Rekordjahr. Jobmäßig. Kohlemäßig. Drei Markenprozesse. Ein Buch geschrieben für Kunden. Unendlich viele Jobs gerockt. Jetzt suche ich zwischen all dem nach mir. Was hab ich eigentlich gemacht?

Tatsächlich muss ich überlegen. Hamburg, London waren letztes Jahr. Paris auch. Dieses Jahr Italien. Zwischendurch ist mein Rechner abgerauscht. Waren da die Bilder des Jahres drauf? Wo war ich? Was habe ich gemacht? In Italien in der Hängematte gelegen. Diese Wanderung, als vor mir die grüne Schlange tatsächlich aus dem Gebüsch vor mir über den Weg flog. Rechts war eine Mauer und plötzlich wie ein Pfeil. Lang, grün. Auf dem Rückweg von der Himmelstreppe. Viveka und ich waren trotz hoher Wellen zu dem Felsen rübergeschwommen. Nackt. Den Fels hochgeklettert.

Die Lesung im Frühjahr in Duisburg. Auf der Bühne mit Adriana, Barbara und Norbert. Die vielen Spaziergänge mit Viveka. Nachts durch Städte. Essen, Köln. Wie kann einem so ein Jahr so verloren gehen? Wo war ich?

Schaue die Speicherkarten durch. Große Lücken. Sprünge von hier nach dort. Dazwischen Autobahn. Zuletzt waren wir in Aachen bei Andreas. Özkans Geburtstag feiern im Exil. Und danach ins Dumont. Eine Zeitreise. Studium. Damals. Und der DJ von damals legt immer noch auf. Aachen. Andreas hat Platten aufgelegt. Wir haben in einer WG gewohnt, wir haben die Welt 352.251 mal gerettet. Mindestens. Die Weltformel haben wir gefunden, haben bis morgens diskutiert, geredet, gelacht. Dann mit dem Fahrrad in die Uni. Heimkehr. Vielleicht werde ich auf die alten Tage auch einfach nur sentimental. Ach. Ich war immer sentimental. Ich liebe es, sentimental zu sein. Ich liebe es, sentimental sein zu können. Den Raum zu haben. Mir fehlt der Raum. Business. Leistung. Menschen bewegen. Antreiben. Ihnen ein WHY einpflanzen. Macht. Bewegt euch, verändert euch. Habt ein Ziel. Macht es nicht für nichts. Das war dieses Jahr sehr anstrengend.

Mit Viveka durch die Nacht.

Wenn man einen Menschen sehr liebt, ihn nicht jeden Tag sieht und dann plötzlich mit ihm Zeit verbringt und es sich so gut anfühlt und man nicht will, dass man wieder auseinandergeht und man wieder die Sachen packt, und den Koffer für ‘in zwei Wochen’ Zuhause stehen lässt, den Kulturbeutel unausgepackt ins Bad wirft und all die Autos zählt, die da vor, neben, hinter, über einem rumfahren. Mit ihr durch die Nächte. Die Kamera dabei. Ihre Hand halten. Sie sehen. Die Stadt sehen, egal welche. Linien aufnehmen, sie spüren, küssen, weiterziehen, in eine Bar, die Bahn, das Türschloss, die Wohnung. Die Sehnsucht reist, fährt mit.

Nun. Das kommende Jahr. Wenn alles klappt, so Gott will, ziehen wir zusammen. Das wird mir ein Stück Einsamkeit aus einer Ecke meines Körpers nehmen. Ich sitze gerade bei ihr am Schreibtisch. Sie ist auf der Weihnachtsfeier ihrer Firma. Sie war aufgeregt, wollte nicht hingehen. Sie ist gegangen. Gut. Gleich irgendwann kommt sie. Ein neues Wochenende liegt vor uns. Dann noch eine Woche und wir haben zwei Wochen Urlaub. Zusammen.

Als ich heute hier ankam, war ich allein. Auf dem Schreibtisch lag ein kleines Fotoalbum. Indonesien Ende der Neunziger. Viveka in Shorts am Strand. Ein wunderbares Foto. Die Welt immer wieder neu entdecken. Heute dachte ich, ja, Weihnachten ist das Fest der Liebe. Sollte man das nicht einmal wirklich ernst nehmen? Das Fest der Liebe? Was macht das mit einem? Die Liebsten lieben. Vielleicht einmal anders als an all den Weihnachtstagen der Vergangenheit? Wie feiert man ein Fest der Liebe? Fernab von Braten und Spekulatius.

Nun. Jetzt ist sie hier. Das Wochenende beginnt. Mein Herz hüpft, ich genieße den Luxus, zu lieben. Weihnachten kann kommen. Ciao:)