Sie säen nicht, sie ernten nicht und der Herrgott nährt sie doch…

Steinpilze. 2013
Steinpilze. 2013

Wäre schön, wenn das überall so wäre und der Herrgott seine gütige Gnade allenthalben ausschenken würde. Nun gut, lassen wir das, wo sich gerade Franziskus anschickt, in die Fußstapfen seines Namenspatrons zu schlüpfen. Scheinbar hat er vor, seine Sache richtig gut zu machen. Würde das klappen, würden sich die Institutionen mit den großen Kreuzen auf ihr Kerngeschäft Barmherzigkeit konzentrieren (und sich nicht in zwielichtigen Bankgeschäften oder theoretischen Theologiefragen verlieren, schließlich gibt es fernab der Klosterbibliotheken einiges zu tun) wären wir schon deutliche Schritte weiter. Jeder, was er kann.

Erntedank steht an. Dankesrituale, um die Götter für die nächste Saison gnädig zu stimmen. Eine reiche Ernte wird dieses Jahr eingefahren. Von mir. Da wäre unser eigener Garten, der Salat, Kräuter, Zucchini, Kürbisse und Mangold abgeworfen hat und noch abwirft. Geile Sache. Tür auf, raus in den Garten, Mittagessen holen. Oder zumindest einige Zutaten.

Und dann gibt es noch den Wald. Der hat dieses Jahr schon für einige Pfifferlings-Naschereien gesorgt. Auf Toast, so wie Jim sie am liebsten isst, oder mit Spaghetti oder als Risotto. Ich war echt zufrieden mit der Pilzsaison. Dachte: Hey, thanks. War lecker. Aber. Also wirklich. Nach dem einsetzenden Regen hat sich plötzlich was getan. Steinpilze. Die sind so beliebt, dass man wirklich ziemlich schnell sein muss. Einen Tag zu spät und die Würmer und Schnecken haben ihr Werk verrichtet. Unbrauchbar.

Nun gibt es Steinpilze bei uns nicht so in den Mengen wie die Pfifferlinge, aber, ja tatsächlich, in den letzten Tagen hatte ich Glück. An den gewissen Stellen sprießten wunderbare Prachtexemplare. Fest, schwer, groß. Zarte Farben, kompaktes Fleisch. So, wie sie sein müssen. Zuhause habe ich sie in ganz dünne Scheiben geschnitten, damit sie trocknen können. Denn momentan habe ich keine Zeit für gutes Kochen. Deshalb trockne ich sie und harre den Dingen, die da kommen. Heute habe ich eine gute Flasche Chianti geschenkt bekommen, da sollte sich doch ein Steinpilz-Gericht finden lassen, das, wie heißt es so schön, korrespondiert. Barock ausgedrückt:)

Wenn ihr Ideen, Tipps oder Rezepte habt…

Die beiden fetten Steinpilze waren von heute Morgen, die Pflaumen unten von gestern. Von meiner Mutter in der Eifel. Da bin ich nach den Feierlichkeiten zu ihrem fünfundsiebzigsten Geburtstag im Pflaumenbaum rumgekraxelt und habe eine schöne Ernte eingefahren, die ich Zuhause zusammen mit Viveka in Pflaumenkuchen verwandelt habe. Ein Wunder! Es ward Licht und es duftete und die frisch geschlagene Sahne fand ihren Weg und alles fuhr hernieder in unsere kleinen, süßen, runden Bäuche. Schmatz!

Ist doch immer wieder schön, so’n bisschen was essen. Und am Wochenende dürften die Pfifferlinge wieder so weit sein… Es hört nicht auf. Lecker. Grins.Ciao.

Pflaumen. 2013
Pflaumen. 2013

Auf sweet little GAGGIA Baby Millenium folgt Maverick von ISOMAC

Isomac Maverick. 2013
Isomac Maverick. 2013

Sie geht, er kommt.

Es ist eine Zeit des Wandels, des Neuanfangs, des Abschieds, der Begrüßung. Wie die Zeit vergeht, tiefe Spuren im Sand. Unsere sweet little GAGGIA Baby Millenium ist den Weg des Gerechten gegangen. Zwölf Jahre lang hat sie uns mit Kaffee verwöhnt. Mit italienischem. Schwarz, ölig. Tief in Farbe und Geschmack. Alltagszeremonien, kleine Fluchten, zwischendurch das Glück des feinen Geschmacks am Gaumen. Nicht einfach nur Filter rein, Pulver drupp und los und fertig ist die schwarze Suppe. Bitter ist sie dann, schwer verträglich. Das Gute, das Eigentliche, das Wahre, die Kaffeeöle, sie bleiben im Filter. Finden den Weg nicht in die Kanne, die Tasse, zu den Geschmacksknospen (was für ein merkwürdiges Wort, als wäre unser Mund ein Busch, eine vor dem Blühen stehende Zimmerpflanze).

Our Baby dagegen hat Wert darauf gelegt, einen guten Job hinzulegen. Und das hat sie, wahrlich, getan. Ab und an musste ich sie reparieren. Dann habe ich mit dem GAGGIA Ersatzteildealer meines Vertrauens im Osten der Republik telefoniert, habe Rat eingeholt, habe geschraubt, geprüft, gemessen, ersetzt, gereinigt. Ja, ich kannte die Baby Millenium. Den Klang, wenn sich im Boiler der Druck aufbaute, wenn die Dampfmaschine loszischte, um sich mit Kraft und Leidenschaft dem frisch gemahlenen Espresso anzunehmen. Eine Wissenschaft für sich, das Mahlen. Die richtige Körnung, wenn sich das Wetter ändert. Wenn die Luftfeuchtigkeit abnimmt oder zunimmt. Erbsengroße Flocken müssen entstehen, dann ist das Pulver richtig. Dann entsteht die Crema, der Schaum obenauf, der sagt: Ja, hier sind sie , die Öle. Alles ist perfekt. Perfetto infernale bomba atomica.

Nun hat sie den Geist aufgegeben. Oder, sagen wir es so. Die Kosten für die Ersatzteile rechtfertigen den weiteren Betrieb nicht. Nicht wirklich. Die Entscheidung ist eine gefühllose, rationale, auf Fakten beruhende Entscheidung gewesen. Die eines herzlosen BWLers – wohnt auch in mir. Baby, wir müssen uns trennen. Hart.

Ja. Ich habe es mir schön geredet und mir eine Geschichte dazu ausgedacht, um mit meinem schlechten Gewissen und meiner Kaltblütigkeit klar zu kommen. Ich habe einfach gesagt: Das ist ein Transfer. Die GAGGIA Baby Millenium war der italienische Superstar in unseren Reihen. Von Milano hierhergekommen, immer fantastico gespielt und zuletzt dann doch öfter verletzt. Das Alter. Wir spielen aber ganz oben, Champions-League. Feine Crema, schnelles Kombinationsaufbrühen – wider der guten deutschen Tasse Bohnenkaffee. Das ist eine Lebenseinstellung, eine Philosophie, eine Haltung.

Da hat man eine Verantwortung und da muss man als Manager manchmal harte menschliche Entscheidungen treffen. Ein letzter Check. Aufgeschraubt, nachgesehen. Sah nicht gut aus. Der Aluboiler angefressen, die Dichtungen marode und zwei Thermoschalter zu ersetzen, vielleicht sogar die Heizung. Puh. Und: Es gibt keinen Messingboiler. Ela verzichtet auf Alu-Deos, weil das Zeugs gesundheitlich nicht so optimal ist und dann pfeifen wir uns Espresso aus einem sich auflösenden Aluboiler rein.

Also mussten wir, musste ich handeln. Vamos con dios. Bye, bye, GAGGIA Baby Millenium. Schönes Leben noch. Wünsche dir alles Gute. Ich erspare euch die weitere harte Wahrheit, schildere euch nicht den Weg, den sie jetzt gehen wird. Aber Schluss nun mit Trübsal. Die Königin ist tot, es lebe der König. Wir haben einen neuen Mittelfeldregisseur. Die 10 in den Reihen der Espressomaschinen. Er heißt Maverick von Isomac und stammt ebenfalls aus Italien. Immerhin schlagen uns die Italiener im Fußball immer dann, wenn es drauf ankommt. 2006. Das Sommermärchenende. Merda!

Also können die was. Und er, der Isomac Maverick sowieso. Sieht italienisch gut aus, glänzt auch ohne Pomade und steht voll im Saft. Bringt echte 15 Bar auf die Pumpe, was die Kaffeeöle nur so sprudeln lässt. Und hat Boiler und Brühgruppe aus Messing. Starke innere Werte sozusagen. Ein feiner, solider Charakter. Und ja, tatsächlich, es ist ein Unterschied. Die Baby Millenium hatte einfach Druck verloren. Und ein Aluboiler ist eben auch nicht so gut, weil er ein schlechteres Wärmemanagement hat. Das Wasser muss sehr heiß sein, die gesamte Brühgruppe auch, damit am zentralen Ort des Geschehens, dort, wo Wasser auf Pulver trifft, optimale Bedingungen herrschen. Ein Hexenkessel muss es sein. Voller Druck, voller Hitze. Und das alles in der richtigen Geschwindigkeit. Langsam durchlaufen lassen, aber nicht zu langsam. Also alles nicht so einfach. Aber da die Menschen jenseits der Alpen nun einmal wissen, was ein guter Espresso ist, haben sie eben die Maschinen so entwickelt, dass die einen richtig guten Espresso hervorzaubern können. Und das kann er, der Neuzugang, der Maverick aus dem Hause Isomac. Ein Talent mit Potenzial für die obere Liga.

Gut, die Bleche sind etwas labberig. Qualität und so, Verarbeitung. Mañana. Da biegt sich halt mal ein Blech an Stellen durch, wo ein kleiner Schweißpunkt das verhindert hätte. Dolce Vita. Das stört keinen großen Geist. Mamamia! So sind se und so mag ich sie und so leben wir mit diesem kleinen Abzug in der B-Note. Mein Dealer, ein sehr netter Herr aus dem Osten (da wohnen scheinbar die deutschen Espressospezialisten, weshalb eigentlich?), hat mich beruhigt und mir zugesichert, dass das keinerlei Einschränkung der technischen Eigenschaften nach sich ziehen würde. Ich könnte gerne versuchen, das Blech eigenständig wieder gerade zu biegen und wenn das nicht funktionieren sollte, könnte ich sie gerne zurückschicken. Och nö. Jetzt, wo der Maverick da steht. Soll er bleiben. Außerdem war er etwas günstiger, weil er ein Ausstellungsstück war. Also quasi am Ende des Transferpokers übrig geblieben – da hat der Herr Schönlau hart zugeschlagen. Paff.

Allerdings: Ich muss zugeben, der Wechsel fällt mir nicht leicht. Noch sehe ich sie da stehen. Unsere gute, alte, liebgewonnene GAGGIA Baby Millenium. Was haben wir uns damals über sie gefreut. Ach, ja. So isses. Maverick ist halt etwas kerliger. Und Männer untereinander müssen sich erst aneinander gewöhnen. Am Theater nannten wir das zu Beginn einer Produktion Rüdenbeschnüffelung. Manchmal haben wir Jungs sie nicht alle. Aber das macht uns ja aus – sonst wär ja langweilig:)

Jetzt werde ich mir mal schön ein feines Käffchen ziehen… Ciao.

Tag am See – mit Vi in Paradise

paradise. 2013
paradise. 2013

Ach, ihr Lieben.

Komme gerade wenig zum Bloggen. Der Zeit wegen. Ihr wisst, sie fliegt davon und wird von kleinen Alienmonstern in Grün gefressen. Die Dinge haben sich geändert. Nichts bleibt, nichts ist fest, es gibt kein Halten. Das ist manchmal schockierend, weil verändernd. Und wer will das schon? Never change a winning team.

Nun isses aber so und nach dem Sprung ins kalte Wasser ist dann ja auch gut und plötzlich macht es Spaß. Vorstellung. Angst. Panik. Dabei. Also mal ehrlich, was soll passieren?

Und so freue ich mich. Momentan recht still und im Hintergrund, weil so ein Tagebuch auch nicht alles erfährt. Deshalb stehen die Artikel jetzt länger. Weil ich statt zu bloggen zum Beispiel telefoniere. Oder weil ich unterwegs bin. Wie am letzten Wochenende. Da war ich bei meiner Liebsten in Essen. Ich sage es jetzt, weil es sich immer noch so ungewöhnlich anhört: Bei meiner Freundin. Huch.

Leider hatte ich Herrn Cooper nicht dabei, sonst hätte der viel Spaß gehabt. An der Ruhr entlang – von Werden nach Kettwig. Sonne, Regen, ein stiller Fluss, Schwäne, Reiher und selbst in der Stadt recht wenige Menschen, die das Draußen klauen wollen.

Lustig war: Ab und an kam ein Trupp auf Fahrrädern. Die hatten alle ein Motto. Mal kamen die Geisens, mal Männer in Frauenkostümen und einmal ein korpulenter CDU-Kandidat, der von einem Pulk orange gekleideter Menschen mit orangenen Luftballons umgeben war. Nur er trug hoffnungsfrohes Himmelblau. Das Lustige war, dass er uns schon den ganzen Tag von hunderten Plakaten entgegengelächelt hatte. Im dunklen Anzug und mit einem Stift in der Hand, um seine Termine aufzuschreiben. Da hat jemand versucht, aus einem Lokalpolitiker einen Staatsmann zu machen. Little Angie. Da war das mit dem Fahrrad doch deutlich sympathischer. Und so haben wir dem Demokratiekämpfer zugewunken, Viveka hat ihn angefeuert (um ihm eine Freude zu bereiten, weil Wahlkampf nun wirklich ein demütiges Geschäft ist) und wir hatten unseren Heidenspasss.

Eine sehr schöne Stadt, dieses Essen. Hatte ja nun schon öfter das Vergnügen und freue mich, all dies Neue zu sehen. Tja, und dann diese ganzen Schauspiele. Am Wochenende fand Essen Original statt. Mitten in der City sechs Bühnen und eine Band nach der anderen – Freitagabend sind wir in so eine Ballermann-Kiste reingeraten. Eine pralle Sängerin im Oberbayern-Outfit und mit mächtigem Stimmungspotenzial. Samstagabend dann Chima. Mit Viveka durch die Nacht getanzt – wunderbar. Zum Beispiel zu Morgen. Was für ein reiches Land – draußen & umsonst. Schaut euch mal das Programm an. Sechs Bühnen, drei Tage. Volles Programm.

Sonntag. Abschied. Viveka hatte Familienverpflichtungen. Da passe ich noch nicht so ganz rein. Schritt für Schritt. Warten. Zeit geben. Langsam. Geduld (voll meine Stärke:). Nächstes Wochenende stelle ich sie meiner Mutter vor. Geburtstag. 75. Gerne hätte ich sie mit meinem Papa bekannt gemacht. Er hätte sie sehr gemocht. Aufregend ist das Leben, wenn so vieles neu ist. Frischzellenkur. Die Gedanken ändern sich, die Einstellungen, die Farben, der Himmel, die Welt innendrin, außenrum. Dabei sieht fast alles aus wie immer. Das Haus, die Familie, die Abläufe, die Wege mit Herrn Cooper.

baldeney/ villa hügel. 2013
baldeney/ villa hügel. 2013

Sonntagmorgen haben wir am Baldeneysee gesessen und den Segelbooten zugesehen, wie sie um die Wette gefahren sind. Kreuz, Vorwindkurs, die großen Spinnacker mit BMW-Logo setzen, einholen, rum um die Boje, den besten Kurs wählen. Drei Boote Kopf an Kopf, eines hatte den Skipper mit dem glücklichen Händchen. Alles richtig gemacht und vorbei an der Zielboje. Bootsjubel über dem See im Sonnenlicht bei leichtem Wind. Noch ein Kaffee im Garten des Hauses am See. Gut fühlen, sich ins Leben kuscheln, dem Schicksal mit sanfter Hand den Nacken streicheln. Alles gut. Schön. Nach Hause. Zurück. Voll sein, glücklich, sich gut fühlen. Aufgeladen. Ruhig. Wild is the wind.

Jetzt gleich geht es auf die Autobahn nach Bayern. Job. Ein Workshop am Tegernsee morgen und Heimkehr Mittwochnacht. Wieder ein See. Er wird mich an erinnern… Jetzt ist alles noch mehr und kompletter fiftyfifty denn je:)

Baldeney 2

Paul Bowler & Georg Weißbach bei BRUCH & DALLAS

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Nimmt das mit der Kunst hier gar kein Ende?

Nicht, wenn solche Schauspiele geboten werden. Der Blog hier steht zeitlich immer noch auf Freitag und befindet sich weiterhin in der Unterführung am Ebertplatz. Jim und ich kamen gerade aus dem Labor, haben einen Schlenker durch die Galerie BOUTIQUE gemacht und sind geradewegs bei BRUCH & DALLAS gelandet. Eine weitere Vernissage. Diese Stadt ist verrückt. Geradezu barockarrabesk. Überladend großzügig. Die Augen wissen nicht, wohin, der Geist muss galoppieren, um alles zu erfassen.

Wir nähern uns. Eine andere Galerie, ein anderes Publikum, eine andere Vernissage. Bunt hier. Die Wände hinter dem Glas des Schaufensters die Fläche. Die gestaltete. Das Projekt. Das Bild.

Paul Bowler & Georg Weißbach aus Leipzig stellen aus, treten auf. Jim und ich schauen, versuchen zu verarbeiten. Zu viel des Guten im ersten Augenblick. Wir gehen raus in die Unterführung. „Was riecht hier so gut?“ Ah. An der afrikanischen Bar mit den nahezu ausnahmslos schwarzen Gästen steht Restaurant. Klein. Wäre ich nicht drauf gekommen, hätte es nicht so gut gerochen. Wir setzen uns an die Theke. Bestellen, warten, schauen, essen. Tom kommt. Der Engel. Sagt Sachen, die in einem Gedicht vorkommen. Später. Leicht angetrunken, das beflügelte Wesen. Ein Lächeln, nicht von dieser Welt. Ansonsten handfest, Handwerker, Pfleger – von Pflanzen und behinderten Menschen. Das Spiel, die Realität, die Wirklichkeit und das Leben. Sommer 1990. Ganz Deutschland wird Weltmeister.

Paul & Georg lassen mich nicht los. Jim erzählt. „Die arbeiten mit Zitaten. Da steckt viel Internet drin.“ Hat er abgecheckt. Ich frage ihn: „Fahren wir zurück oder schauen wir uns das genauer an? Ich hätte gerne ein Foto von den beiden. Vor der Wand.“ „Gehen wir.“ Also sind wir rüber. Nach einem ziemlich leckeren afrikanischen Essen und einer skurrilen Unterhaltung mit einem Weisen, der Waise ist. Da gehen Filter verloren und Zartheit katapultiert sich durch die geöffneten Schleusen der erinnerten Verzweiflung in ein tieferes Sehen. Wer da war, weiß, wo es ist, wie es ist. Die Nerven sind feinfühliger, bedachter, brauchen weniger Information. Respekt, junger Mann. Der Rausch, ach, beiseite.

Sie lassen sich fotografieren. Paul nimmt sich Zeit, erzählt. Mir und Jim. Ja, mit Internet hat es viel zu tun. Er kommt aus München und lebt in Leipzig. Mit Georg macht er Kunst. Ist es wegen der Vornamen? Ist es wegen dieses britischen Künstlerpaares, diese beiden Männer, dass sie englisch wirken? Als kämen sie aus London? Oder ist es die Kunst, die sie betreiben. Wirkt so metropolenhaft kreischend. Gut.

Mit Büchern haben sie angefangen. Sich ins Zimmer gesetzt für Tage. Tür zu, Sonne raus, Netz an. Sammeln, jagen, Bilder, Zusammenhänge. Bilderbücher sind entstanden. Zwei mit den Titeln Online-Buch und Online-Buch 2. Jim und ich blättern sie durch. Laute Bilder, schwule Szenen, Frauen mit riesigen Brüsten, Persiflagen, Karikaturen, Verarschungen. Spiel mit Klischees. Laut, bunt, frech. HEUTE. Ganz genau heute. Trash im September 2013. Alles da, alles greifbar.

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Mir kommt der Gedanke, dass dieses Webzeitalter mit all den Irrwegen und verschlungenen Entwicklungen Kultpotenzial hat. Verändert hat sich eh alles. Jedes Kind, jeder Teen ist nur Klicks vom Pornomaterial entfernt. Gewalt, Terror, Faschismus, Perversion – alles gute Nachbarn im Web. Gleich nebenan. Porsche, BMW, Siemens, die Deutsche Bank Tür an Tür mit… Der Youtube-Clip von den hippen Youtubern neben allem anderen. Dazwischen Viren, Geldflüsse, Lauscher, Verrückte und Künstler. Wie Paul & Georg. Ihre Bücher gibt es per Print on Demand im Web. 54 € und 55 € das Stück. Die Webadresse?

Keine Ahnung. Ist alles noch nicht so organisiert. Wunderbar. Frisch. Man muss sich die beiden im Web zusammensuchen. Ihr Projekt auch. Art’n’more. Den Trailer zur Ausstellung in Köln auf Vimeo. Und eigene Seiten haben sie auch. Der Grafiker Paul Bowler & der Maler Georg Weißbach.

In der Kölner Ausstellung treten sie aus ihren Büchern heraus und inszenieren sich selbst. Bilden sich auf den Wandtapeten ab, schaffen sich einen Rahmen aus Sprüchen und Plakaten. Fick dich Paul Klee. CUTE GUYS WITH AMAZING PERFECT DICKS, THAT’S ART NOT PORN. Irgendwo tickt eine Uhr. Es gibt einiges zu entdecken. In den Büchern, an der Wand, auf dem Bildschirm, der dort steht. Es macht Spaß, es ist leicht, es ist in der Buntheit laut. Und es ist JETZT. Kein Retro, kein 68, kein Sonstwas. Leben in dieser Welt im Jahr 2013. So waren sie damals. Das hat es gegeben.

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Tja, und nett sind die beiden. Sehr sympathisch. Keine Allüren, keine Berührungsängste. Diese Unterführung in Köln ist momentan besser und lebendiger als jedes Museum of modern Art. Du gehst rein, du sprichst mit den Leuten, du gehst in die Kunst. Keine Rumschnauzerei des Museum-Ludwig-Wachpersonals: Aufstehen. Sie dürfen sich hier nicht hinsetzen!

Ja, ein wenig Happening. Kunst, die lebt. Wunderbar authentisch und anfassbar. Ihr solltet euch Art’n’more von Paul Bowler & Georg Weißbach ansehen – bis zum 5. Oktober bei BRUCH & DALLAS am Ebertplatz. Lohnt sich. Die haben Potenzial. Grüßt mir Tom, genießt afrikanisches Essen, atmet Kunst und vergesst das Labor nicht. Klar. Und nehmt euch ein wenig Zeit mit. Ein Freitagabend, ein Samstagabend dürfte gut sein.

Wer ist Moby Dick, Michael Nowottny?

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CALL ME ISHMAEL.

Dem Thema war ich das erste Mal im letzten Jahr in Liblar in einem fast abgerissenen Supermarkt begegnet. Ich war der Arbeit von Trash Treasure auf der Spur. Hatte gehört, gelesen, dass sie bei der Abrissekstase dabei ist. Ein Projekt, das Kunst Raum gab, etwas zu schaffen, das dann zerstört wird. Von Baggerschaufeln ins Nirvana geschoben.

Einen Hauptgang zierte ein riesiger Wal – bestimmt 10 Meter lang. Darüber die Frage: Wer ist Moby Dick? Einige Zeit später sollte ich während einer Ausstellungseröffnung im Labor unterm Ebertplatz den Maler kennenlernen, der die Frage in den Raum gestellt hat. Michael Nowottny. Geboren 1961.

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Norbert van Ackeren hatte mir gerade seine Arbeiten gezeigt, als ich im zweiten Raum des Ateliers auf die Welt Ahabs stieß. AHAB IST NICHT BÖSE. Ich fand zunächst keinen Zugang. Wale? Ahab? Der Mann und das Meer? Archaischer Kampf? Ich wusste nicht…

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Das Plakative gefiel mir, die Botschaft. Ich hatte nur eine vage Vorstellung, eine Ahnung. Vielleicht, wahrscheinlich, weil ich Melvilles Moby Dick nicht gelesen habe. Oder weil das Plakative den Blick in die Tiefe nahm oder…

Es verging eine Zeit. Zwischendurch waren mir mal die Fotos, die ich in Liblar und im Labor geschossen hatte, in die Finger gefallen. Außerdem hatte mich etwas berührt, von dem niemand wissen kann. Michael Nowottny hat 2011 auf Föhr gemalt – ein Stipendium. Föhr war die letzte Zuflucht meines Freundes Gunnar. Ich habe mit ihm studiert, bin mit ihm und anderen Anfang der Neunziger Goethes Italienische Reise nachgefahren, habe für ihn im Venedig zu seinem 33. Geburtstag eine Flasche Wein aus einem Restaurant geklaut, die wir auf den Stufen von Palladios Sant Giorgio Maggiore mit Blick auf den Markusplatz getrunken haben. Am Ende des Abends mit dem Vaporetto den Canale Grande an den Palazzi entlang zurück zum VW-Bus…

Wir haben zusammen Peter Weiß Ästhetik des Widerstands gelesen, haben die Kunst betrachtet, die darin als Ausdruck menschlichen Widerstands beleuchtet wird. Delacroix, Manet, die Erbauer des Pergamon Altars. Zwei Jahre lang haben wir das Buch gelesen – wir haben anders studiert, ganz anders und am Ende war uns ein Abschluss ziemlich scheißegal.

Gunnar ist auf Föhr gelandet. Der Rekonvaleszenz wegen. Ein wenig Zauberberg. Der Luft wegen. Erst hatte er eine Rippe verloren, dann einen halben Lungenflügel und am Ende hat es ihm ganz die Luft genommen. Zwei Mal hat er es geschafft, hat den Kampf gewonnen. Beim dritten Mal war es nicht zu operieren – der zentrale Eingang in die Lunge. Keine Operation, keine Bestrahlung mehr möglich. Zu brüchig, das Gewebe. Er hat mich zu seinem Gesundheitsminister gemacht, dort oben auf der Insel. Wir haben telefoniert. Und irgendwann ist er einfach zusammengesackt. Föhr. Moby Dick. Ahab. Ist nicht böse. Schreibt, malt Michael Nowottny. Gunnar sah im ähnlich, er war zwei Jahre älter, hatte eine ähnlich Frisur, auch diese dunkle Brille. Ich denke hier an Gunnar, erinnere an ihn, weil es nicht viele gibt, die so sind, wie er war. Nachwort für einen Freund. I.M.

Michael Nowotny_red

Manchmal gerät Kunst aus den Fugen und brandet über die Rahmen der Bilder hinaus. Dann wird sie privat, persönlich, innerlich und wehrt sich gegen eine allgemein gültige Rezeption. Ahab, Moby Dick. Kampf, Obsession. Den Dämon besiegen, das Messer aus dem Rücken ziehen, den Peiniger peinigen. Türme, Rumsfeld, Abu Ghureib. Vielleicht.

Das starke ICH. Die Geister, die ich rief. Der Zauberlehrling, der Tanz auf dem Vulkan. Kunst als Kampf, als Spannungsfeld. Moby Dick auf der Spur. Besessenheit, das Tier erlegen. In sich?

Vorgestern Abend: Vernissage im Labor. Zwei Künstler. Fotografien von Pinguin Treutinger (ein auch äußerst sehenswertes Projekt, das ich hier gerne vorgestellt hätte, aber er hat mich gebeten, keine Fotos im Internet zu veröffentlichen. Klar.) und Malerei, Zeichnung und Video (mit Sandra Klaas) von Michael Nowottny: Ahabs letzter Tag. Der letzte Tag, ja. Es gibt einen ersten Tag, einen siebten Tag und einen letzten.

Faszinierend. Seit über einem Jahrzehnt beschäftigt sich Michael Nowottny mit dem Thema. Stellt immer wieder die Frage. Die Frage, die eine Metapher ist. Wer ist Moby Dick? Ich habe die Bilder in verschiedenen Stufen und Größen gesehen. Fragmentarisch, angedeutet in Kohle, halb fertig im Atelier und nun zuletzt gerahmt.

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Es sind starke Arbeiten, die in ihrer Plakativität Ruhe ausstrahlen. Die einen Prozess, eine Geschichte dokumentieren. Ein vielschichtiges Gesamtwerk. Ist Michael Nowottny Ahab? Der Besessene? Ist Moby Dick die Kunst? Der Moment des Durchbruchs, des Erschaffens? Letztlich ist das egal. Nowottny erscheint in den Bildern, wird Teil des Ganzen, taucht als Erschaffer im Video, das in der Ausstellung gezeigt wird, auf.

Die Kunst, ein Jagen. Moby Dick auf der Spur. Flaute, Sturm, Gegenwind, Meuterei, Skorbut, Holzwürmer, faulendes Wasser, Piraten, Hafengesetze, Syphillis, Suff… Es ist eine harte Welt mit quälenden Tagen und Nächten auf dem weiten Meer der Freiheit. Jeder Kurs ist möglich – mit und gegen den Wind. Die Freiheit, in jedem Augenblick zu entscheiden, die Jagd abzubrechen und den weißen Wal ziehen zu lassen…

Der Wal ist tot, es lebe der Wal. Dort liegt er in der Ausstellung im Guckkasten, im Theater aus Holz. Die Kulissen zeigen den Ebertplatz mit Kirche im Zentrum. Straße, Häuserzeilen. Im Keller der Realität, der lebendigen Gegenwart, man sieht es nicht sofort, die Unterführung. Das Labor. Davor der erlegte Wal. Wie oft muss Moby Dick sterben, bis es geschafft ist?

Wer ist Moby Dick? Mein Moby Dick?

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