Über Land

Im leichten Schritt enthoben
die weiche Seele in ein Tuch gehüllt
am Gürtel

Füße gleiten über frisch gewaschene Gefühle

Den Mantel abgelegt
das Zepter eingeschmolzen
das Pferd dem Ackerer geschenkt

Mit den Vögeln ziehen
eine Weile
im Bussardkreis
aufgenommen in die Krähenbande
an der Seite des Milans

Von oben
Küsse liegen sehen
deinen Zuckerwattemund

Ist Sehnsucht Flügel
oder Blei?

In allen Schritten
liegt die Welt
in bunten Tüchern

In Farben, Mustern
Rosenöl

sEPTEMBER 2015

“… dann ist das nicht mein Land.”

wertheim8_red
(Installation Sebastian Linnerz, Köln)

Respekt.

Natürlich war ich als Kind der Seventies immer für die Revolution. Nichtsdestotrotz habe ich bei der Bundeswehr als Scharfschütze gedient. Und anschließend für immer verweigert. Schizophren, könnte man meinen, denken, sagen. Nun. So ist dieses Land. Es gibt Freiheiten, Irrwege, Richtungsänderungen, Meinungen, Umdenken.

Eine Frau als Kanzlerin. Für dieses Land ein Novum. Ein Extra. Führungspositionen tragen Krawatte. Dunkelblau. Sie trägt Kostüm und Zurückhaltung. Angie-Fan zu sein, war bislang nicht einfach, es sei denn, man hat schon immer Karohemden getragen, das System nie in Frage gestellt, ist den geraden Weg gegangen, hat es stammtischgerade immer besser gewusst. “Kann nicht funktionieren, wird nicht funktionieren, das hat es noch nie gegeben.” Konservativ halt. Da kann man technisch innovationieren, bleibt gesellschaftlich aber gerne die rote Laterne des Fortschritts. Aus Angst, aus der im Mantra wiederholten Sorge heraus, es könnte sich etwas verändern. Wenn das Konservative zum Fels wird, der kühl und starr Werte manifestiert und bewahren will, die Werte der Menschlichkeit und des Sozialen aber außen vor lässt, ist etwas faul im Staate Dänemark. Je dunkler, je starrer, je unmenschlicher.

Deutschland im Spätsommer 2015. Der lange Weg aus dem Krieg ist bei uns angekommen. Die Gesichter der Leidenden steigen aus dem Fernsehen über die Grenzzäune. Der Treck 1945. Rette sich, wer kann. Wo eine Not ist, ist auch ein Weg.

Eine vollkommen neue Situation. Herrje, die Nazis, wie sollen sie damit zurechtkommen. Da sitzen sie um ihre Gauleiter und klagen über die Zukunft Deutschlands. Dabei, einen lieben Dank an euch, habt ihr doch erst alles ins Rollen gebracht. Der Zauberlehrling seid ihr. Walle, walle. Ihr dachtet, die Revolution des nationalen Widerstandes wäre da und unter den Klängen Wagners in Form von “ROARR” würde die Demokratie die Segel streichen und ein Führer käme aus den Tiefen des deutschen Bodens aufgefahren.

Loderndes Feuer. Der Wahnsinn Neros. Es soll brennen. Sie sollen brennen. Und nun? Wohin haben die Zündeleien geführt? Wohin die betrunkenen, grölenden Auftritte in Freital und Heidenau? Zunächst einmal sind die Städte als Marken verbrannt, zu unschönen Symbolen geworden. Sie tragen nun das Brandzeichen des Hasses und werden zu Stiefbrüdern von Hoyerswerda, Rostock, Mölln. Das ist gemein für die, die dort einfach nur leben möchten. So ist Leben. Zur falschen Zeit am falschen Ort.

Volksverräterin haben sie gerufen, als die Bundeskanzlerin in schwarzer Karosse vorfuhr. Das wird ihr nicht gefallen haben. Helmut Kohl hat das damals ignoriert, als die Familie Genc in Solingen verbrannt wurde von Nationalsozialisten. Angetrunkenen. Nach einem Polterabend. Immer sind sie angetrunken.

“Gürsün İnce (27) und Saime Genç (4) erlagen ihren Verletzungen nach einem Sprung aus dem Fenster. Ein sechs Monate alter Säugling, ein dreijähriges Kind und der 15 Jahre alte Bekir Genç wurden mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. Bekir Genç erlitt schwerste Verbrennungen und unterzog sich seit dem Anschlag insgesamt 30 Operationen und Hauttransplantationen. 14 weitere Familienmitglieder erlitten zum Teil lebensgefährliche Verletzungen.” (Wikipedia)

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.

Nun brennt es wieder in Deutschland. Die Nationalsozialisten brechen reihenweise Gesetze. Hassbegründet. Vererbt vom Großvater, Vater, Onkel. Braune Sozialisierung in Dortmund und Dresden. Dort scheint es am schlimmsten zu sein. Und natürlich hier und auch woanders. Auf Spiegel Online gibt es eine Karte der Brennpunkte, der Orte, an denen sie zugeschlagen haben. Auf Spiegel Online gibt es auch Jan Fleischhauer, der den “Gutmenschen” ihr Mitgefühl vorwirft und sie in einer schmerzlichen Arroganz als dumm abkanzelt. Er scheint den Brandstiftern, den Volksrettern näher zu stehen als den Menschen in Dortmund und München, die früh Morgens am Bahnhof stehen, um zu helfen. Bespuckt und bepöbelt von denen auf der anderen Straßenseite.

An der Demokratie wird ein wenig gerüttelt. Ein Teil der Bevölkerung steht nicht hinter der Verfassung, die das Fundament unseres Landes, unseres Zusammenlebens ist. Die Nationalsozialisten haben versucht, diese Verfassung mit Brandbeschleunigern anzuflämmen. Kurz sah es so aus, als würden sie Aufwind bekommen. Ihr Lächeln in die Kameras wurde breiter. Und nun? Haben viele Menschen dieses Landes geantwortet. Die Hilfsbereitschaft ist grenzenlos. Auch wenn es Fleischhauer und der CSU und der NPD nicht gefällt, ein großer Teil der Menschen in diesem Land sind bereit, Zuflucht zu gewähren. Auch, wenn es 10 Milliarden Euro kostet. Auch auf die Gefahr hin, dass sich dieses Land verändern könnte.

Und dann sagt Angela Merkel: “Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.”

DANN IST DAS NICHT MEIN LAND.

Das ist ganz nah an Willy Brandts Kniefall. Das ist großes Kino. Gefolgt von der Aussage, dass die Verfassung keine Obergrenze kennt. Grundgesetz, Artikel 16 a: Politisch verfolgte genießen Asylrecht.

2006 beim Sommermärchen dachte ich: Hey, dieses Land hat sich verändert. 2015 nach Freital und Heidenau dachte ich: Schade, doch nicht. Nun denke ich doch wieder anders. Es gehört zum Wesen dieses Landes, dass wir dem Frieden nicht trauen. Wie viel Hitler steckt in Deutschland 60 Jahre danach? Ein Teil oder nur Spuren? Manche sind durchzogen, die meisten sind klar und tragen das Herz dort, wo es hingehört. Dieses Land, diese Demokratie ist nun stärker als vor einem Monat. Zusammenrücken tut gut, dann spürt man sich und verlässt die Lethargie des Wohlstands.

Nationalsozialisten wirken bedrohlich und böse, wirklich von Bedeutung sind sie nicht. Einfach nur unangenehm lästig. Das ist eine Botschaft, die mir gefällt.

Über allem und aus allem heraus

Über dem Dorf_Sonnenuntergang

Hinter den sieben Bergen…

Weit vor den Toren der Städte. Im Dreieck Frankfurt, Köln, Dortmund. Oben, oberhalb des kleinen Dorfes Nosbach am Rande der Gemeinde Reichshof, am Rande des Oberbergischen Kreises, am Rande des Landes Nordrhein-Westfalen. Wenn man da ist, oben über dem Dorf, den Berg rauf, gleich neben dem Dicken Stein, der die Grenzen markiert, dann hat man DEN BLICK.

Weitblick. Richtung Süden und Westen. An den Windrädern vorbei Richtung Siebengebirge und Bonn, nach rechts in Richtung Köln. Früher, vor einigen Jahren, war ich dort oben oft ganz allein und hatte den Sonnenuntergang und diese Welt für mich. Mittlerweile gibt es Liegebänke, die von Paaren belegt sind. Eingekuschelt in Decken, aneinander gekuschelt. Romantik.

Es ist die Via del Amore des Oberbergs. Ein kleiner Wirtschaftsweg, der sich am Hang entlang schlängelt und hinter dem es den Hügel hinab geht. Ganz oben, am liebsten sitze ich am Modellflugplatz, führt der Blick über Wiesen und Wälder bis zum Horizont. Manchmal habe ich das Gefühl, ich könnte den Dom sehen.

Lummerland nennt eine Freundin meine ländliche Heimat. Sie lacht dann am Telefon und ich erzähle, dass es nicht leicht ist, all die Ländereien zu bewirtschaften und ich müsse gleich los reiten, um am Abend wieder zurück zu sein. Landadel. Nun. Es passiert schon auch, dass ich die Alte Schule hier als kleines Schloss sehe. Weshalb nicht? Das gibt so ein schönes, unbescheidenes Gefühl von Größe und Bedeutung. Habe ich euch schon einmal erzählt, dass ich mit Tricks arbeite? Sicherlich. Sich immer schön aufrecht selbst belügen, wenn es hilft, Dinge besser, schöner, aufregender zu machen. Und wenn es nicht mehr passt, löst der Satz “was interessiert mich mein dummes Geschwätz von gestern” die schnöde Seifenblase einfach wieder auf. Geschichten des Lebens, die dem Alltag ein wenig mehr Würze und Farbe geben. Das ganze Leben ist ein Spiel, und wir sind nur die Kandidaten.

Gerade regnet und stürmt es. Ich habe Feierabend und hänge im Hängesessel ab. Unten im Schulsaal läuft Yoga, Zoe und Jim erholen sich in ihren Zimmern von den Strapazen der Schule. Jims letztes Jahr, heute vier Stunden Bioklausur. Obwohl es so lange her ist, kann ich mich noch erinnern. Bio ist das Fach, das ich am meisten erinnere. Aktionspotenziale, zum Beispiel. Zellkerne, DNA, RNA. Das hat Spaß gemacht. Tja, und Herr Cooper schont sich heute auf seinem Kissen.

Eben habe ich meine Fotos vom Sommer durchblättert und habe ziemlich viele Sonnenuntergänge entdeckt. Dieser hier war einer der klarsten. Vom Licht her. In der Mitte leuchtete die Wiese so hell und grün. Eine Oase, mindestens.

So, jetzt koche ich für morgen vor. Denn eigentlich bin ich dran, bin aber nicht da, weil ich in die Agentur muss, darf, soll. Wir fliegen nächste Woche wieder einen Tag nach München. Strategie, Konzept, Ideen, Realisierungen präsentieren. Flieger, grüß mir die Sonne. Abflug, Punktlandung, Mondlandung. Hä? Sesamstraße, ein Ding ist anders als… Sorry. Das Wort Mondlandung hat mir einfach gerade gefallen. Armstrong. Der kleine große Schritt. Mensch, wenn der auf die Fresse gefallen wäre, was hätte die Menschheit gelacht… Buff. Ich meine, der wusste ja auch nicht so genau, was ihn erwartet. Und dann die dicken Stiefel und so wenig Schwerkraft. Eher Leichtkraft. Mond halt.

Genug des Weitblicks, Rückblicks. Mein Freund Armin meinte heute: In sechs Monaten haben wir Frühling. Das sind doch mal Perspektiven:) Ah, Herr Cooper lebt. Nr. 5. Kommt gerade rein und haut sich neben mir auf den Boden. “Moin, Kumpel, alles fit?” Sagt nix, pennt schon wieder. Ist der entspannt.

Überm Dorf_Sonnenuntergang 2

Van Ackeren skizziert Schönlau

van Ackeren_Jens

Norbert van Ackeren hat mich skizziert. Die Skizze war die Vorbereitung für ein Bild, auf dem Viveka und ich porträtiert sind. Norbert hat ein halbes Jahr daran gearbeitet. Nun ist es fertig und hängt in seinem Atelier. Zeit für ein Gespräch. Über die Kunst, das Warum, den Antrieb, den Duktus, den Sinn, den Weg.

Natürlich bin ich gespannt wie ein Flitzebogen. Demnächst, gerade ist keine Zeit. Job. Präsentationen. München. Schon wieder. Egal.

Kürzlich waren Barbara und Norbert hier an einem Wochenende. Landpartie. Ein Abend mit Viveka und mir. Wir haben draußen gesessen, in den Sternenhimmel geschaut, die Feuerschale entzündet, geredet, gelacht, ein wenig über Kunst gesprochen. Ein schöner Abend. Leicht. Sommer.

Ein zweiter Abend nach dem, als Norbert uns das Bild präsentiert hat. Mit Tam-Tam. Enthüllt und Viveka und mich dann alleine gelassen, damit es wirken konnte. Puh. Das Bild ist groß, sehr groß. Ich weiß nicht, aber ich denke 1,4 x 1,0 m. Öl. Leinwand. Kupfer. Metall. Oxide.

Da standen wir mit unseren Spiegelbildern konfrontiert, der Blick des Künstlers auf unsere Seelen. Berührend. Nun ist es im ersten Augenblick ein psychologischer Effekt, der rätseln lässt, was die Konfrontation mit sich selbst, die Auseinandersetzung eines anderen mit der eigenen Seele, zu bedeuten hat. Was ist das? Was soll das? Weshalb?

Dreht man die Ich-Perspektive um, verschwindet die Psychologie und wird zu einem Entwicklungsprozess. Da ist ein Maler, der seinen Weg geht, der sich ein Sujet sucht, in dem er sich verliert. Welcher Anteil ist größer im Bild? Die Gemalten, der Malende? Ich habe noch keine Antwort gefunden, obwohl ich sie erahne. Das ist spannend und ich werde ein Ateliergespräch führen, um dem auf den Grund zu gehen.

Als Barbara und Norbert früh morgens gefahren waren, hatten sie die Skizze oben zurückgelassen. Eine Überraschung. Die Vorlage für das große Bild, die Annäherung. Sie hängt jetzt in meinem Büro. Daneben
das Bild meines Urgroßvaters. Der Mann mit dem Hut. Der Photographenmeister mit dem schüchternen, netten Lächeln. Wir begegnen uns dort an der Wand.

So ist dieser Blog jetzt um eine Geschichte reicher, die mir wichtig ist.

Leben unterm Ebertplatz

Labor

Die Kunst ist eine ökologische Nische.

Fernab der großen Museen und Events sucht sie sich Orte, an denen sich atmen lässt. Die freie Szene besetzt die Räume, in denen der Kommerz erstickt. Ökonomische Fehlplanungen. Eine Unterführung aus Beton. Ladenlokale im Souterrain. Unterm Ebertplatz eine Welt für sich, eine Welt mit eigenen Gesetzen. Ein Niemandsland, eine Murakamische Zwischenwelt. Afrikaner, Russen, Galerien, Künstler und ein Copy-Shop.

I like it. So wie damals die besetzten Häuser in Aachen. Provisorische Kneipen, Sperrmülltische, gefledderte Sofas, Flaschenbier, Kerzenschein, Punk-Musik. Manchmal gehen die Regeln flöten und Zwischenkulturen nehmen sich den unbeachteten Raum. Und für eine Zeit lang wird es geduldet.

Dort können Dinge entstehen, die dem System entweichen. Dem System des Funktionierens, das dem Duktus der produktiven Geschwindigkeit unterworfen ist. Hetzen. Erledigen. Abhaken. Produzieren. Kosten senken. Gewinne erwirtschaften. Vorwärts gehen. Bitte nicht stehenbleiben.

Köln, Ebertplatz, die Rolltreppen hinunter oder langsam abfallend aus der U-Bahn kommend am Göddertz’schen Brunnen vorbei. In der Ecke links die Obdachlosen. Manchmal laut, manchmal aggressiv, manchmal Russen. Viel Alkohol. Abstand halten, weil es manchmal kratzig wird, unverständlich, gefühlt unangenehm. Liegenlassen.

Die alten Ladenlokale. Vier Galerien. Eine afrikanische Bar, eine Kneipe. Der besagte Copy-Shop. Lebendig. Pur. Herausgenommen aus dem Kontext Köln. Eine eigene Welt. Ich mag sie. Ein Hauch Anarchie. Unpolitisch. Nichts fordernd, nur sein. Subkultur im wahrsten Sinne des Wortes, und doch nicht. Denn: Hier lebt neben allem eine Kultur, eine Kunst, die sich nicht unterordnet. Die sich nicht unterordnen muss. Lebendig, anspruchsvoll. Kein Schickimicki, keine Nase-hoch-Galerien. Kunst um der Kunst willen.

Im Labor Ebertplatz. Gerd Mies, Michael Nowotny, Norbert van Ackeren. Ein ständiges Arbeiten, ein lebendiges Programm, Überraschungen, Aktionen, gelebte Kunst. Für alle. Gegen Spenden in die Spendenbox. Kein Eintritt, keine Security, keine Jackenabgabe. Anfassbar, ansprechbar.

Die nächste Ausstellungseröffnung am Freitag. Wenn ihr Zeit habt. Wenn ihr der Welt entfliehen möchtet. Wenn euch das Leben in der Normalität oben manchmal langweilt. Nehmt die Rolltreppe…

Mila