Stiller Kämpfer:)

Das Leben ist wundervoll und schön. Es ist reich und prall. Ich liebe es. Aus dem Vollen schöpfen. All die wunderbaren Dinge, die geschehen. Das neue Jahr beginne ich mit Demut und Dankbarkeit.

Gerade sitze ich in der Küche, der Ofen bollert, ich muss mit dem Heizöl sparsam umgehen. Wenn alles gut läuft, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle und das Denkmalamt zustimmen, werden wir dieses Jahr auf regenerative Energien umsteigen. Also muss das restliche Öl bis zum Frühjahr reichen. Wenn nicht, muss es der Ofen schaffen. Für uns ist der Umstieg ein großer Schritt. Wärmepumpe plus Pellets für die richtig kalten Tage. Unser schöner Holzofen wird umziehen müssen, in eine andere Etage.

Das Klimapaket der Bundesregierung macht es möglich. 45 % Förderung. Wenn der Antrag durchgeht. Das Gesetz wurde kurz vor Weihnachten durch Bundestag und Bundesrat verabschiedet. Es gilt seit dem ersten Januar und schon am Sonntag konnte ich den Antrag einfach online stellen. Genial. Respekt, liebe Verwaltung. Respekt. Kein Chaos. Das Gesetz tritt in Kraft und ist praktisch anwendbar. Jetzt bin ich auf den Ablauf und vor allem das Ergebnis des Procederes gespannt.

Und sonst? Hinter mir liegt ein fettes Jahr. Meine Mutter, die Familie, die Brüder. Mein kleiner Bruder, wie ich ihn seit jeher nenne, hat geheiratet. Meine Tochter Abitur gemacht. Sie lebt jetzt für eine Weile mit ihrem Freund bei einer Familie in Sydney und kümmert sich um das wunderschöne Baby Charlie. Die beiden haben gerade das Vergnügen, Essentials zu lernen. Wickeln, füttern, beruhigen, beschäftigen, ins Bett bringen.

Wir stehen in Kontakt. Facetime, WhatsAPP, Wahnsinn. Infos von der anderen Seite, Gespräche über die Brände, Gedankenaustausch über den Plan B. So weit weg und doch so nah.

Mein Junge, unser Junge. Er hat seine Ausbildung abgeschlossen, lebt nun in Köln in einer WG mit alten Freundinnen aus der Schule. Seit der Einschulung kennen sie sich. 13 Jahre in einer Klasse. Nun lernt er in einem neuen Studiengang. Luxus pur. Er ist glücklich, macht genau sein Ding. Programmiert, lernt darüber hinaus im Kontext. Macht das, was er immer wollte und was er kann. Denken. Sein Gehirn einsetzen. Input aufnehmen und umwandeln. Er ist im Wonderland. Ich konnte ihn in der Uni besuchen. Nun weiß ich, das er am richtigen Platz ist. Vaterglück.

Viel rumgekommen bin ich, sind wir in 2019. Silvester in Paris, Blick auf die Stadt vom Montmartre. Im Frühling Gardasee, Verona und fünf Tage Venedig. Mein Geburtstag auf den Treppenstufen von San Giorgio Maggiore. Portugal, Estoril, Lissabon im Sommer. Eine lange Auszeit, dreieinhalb Wochen. Weg. Raus. Weihnachten mit den Brüdern bei meiner Mutter im Haus unserer Kindheit. Weihnachtsbaum, Weihnachtsessen, bollernder Ofen. Zuhause habe ich eine Weihnachtskarte bekommen, die mich weinen ließ. Manchmal summiert sich Vergangenheit in einem Moment. Ich mag es, wenn das Leben mein Herz ergreift. Dann macht es Sinn.

Jahresausklang, Jahresstart auf Schiermonnikoog. In anderer Besetzung. Zu siebt. Spannende Tage, die wunderschöne Insel, Strand. Über die Sandbank bei Sonne und wirbelndem Sand. Der Strandspaziergang bei Dunkelheit. Das Licht des Leuchtturms, kein Mensch außer uns. Blau das Meer, die Luft. Vogelgeräusche, Wellen, das Knirschen unter den Schuhsohlen.

Nun sitze ich in der Küche an dem kleinen Holztisch, den ich 1984 im Internat von einem Flurnachbarn geschenkt bekommen habe. An ihm habe ich für das Abitur gebüffelt, nun ist er unser Küchentisch und oft mein Arbeitstisch, wenn ich frei oder im Homeoffice arbeite. Ein guter Kollege. Zwischen Kaffeemaschine und dem warmen Ofen im offenen Wohnzimmer. Um 11 Uhr habe ich eine Telefonkonferenz, morgen einen Termin in Köln. Ein Briefinggespräch in einem Café. Das Jahr läuft ruhig und entspannt an.

Meine Seele hat die Flügel ausgebreitet und schwebt. Ich habe mir die Haare abgeschnitten, bin im Modus eines stillen Kämpfers der Klarheit:) Ups. Yep. Es ist ein schönes Gefühl, in der Konzentration zu sein mit Raum über den Dingen. Das Haar hat irgendwie eine größere Bedeutung. Als meine Abi-Löwenmähne bei der Bundeswehr geschoren wurde, erwachte im Spiegel ein anderer. Seither schneide ich ab und an meine Haare ab. Lasse alle Eitelkeit gehen und sehe aus wie ein frisch entlassener Häftling. Oder ein gerade eingezogener Rekrut. Dann kommt die Frage: Hä, was ist mit dir los? Bleibt mir nur ein Lächeln. Und ein inneres “Ist mir doch egal”, wie sie sagen würde. Manchmal ist es gut, einen Schritt zurückzutreten und das Äußere außen vor zu lassen. Ups, gefällt mir der Satz. Das Äußere außen vor lassen.

Das Leben ist schön, es ist wundervoll. Ich liebe es.

Am Ende ankommen

Anleger

Je höher man fliegt, desto länger dauert die Landung. Runter kommen sie alle. Auf die ein oder andere Art und Weise.

Eine Kur. Sieben Tage Meer atmen, Frieden finden.

Wie oft muss man die Insel umrunden? Wie viele Kilometer muss man am Strand laufen? Wie viel Meerluft muss man atmen?

Ich habe den Vögeln die Luft weggeatmet, den Pflanzen das Licht genommen, dem Meer den Wind. Ein wenig egoistisch habe ich sieben Tage genommen, was ich nehmen konnte. Aufladen, reinigen, ordnen. Katharsis hat einmal ein Freund gesagt, der sich von allem verabschiedet hatte, um nach dem Studium als Klempner zu arbeiten.

Wo will man hin? Der Himmel ist keine Grenze?

Die letzte Fahrt mit dem Rad heute. Um die Insel. Das Meer ruhig, dichte Wolkendecke, die Möwen auf dem Wasser, die Fähre in ruhiger Fahrt. Mit der Ruhe mitschwingen. Angekommen sein. Man muss auf sich aufpassen.

Gerade komme ich aus dem Whirlpool. Eine Stunde mit Blubber, netten Gesprächen und feinen 36 Grad. Mein Papa hat immer gesagt: Was soll das schlechte Leben nutzen? Ja. Was? Und was ist das gute Leben?

Eigentlich wissen wir es doch. Ohne alle Philosophie, Ratgeber, Coaches. Das Beste von uns nehmen und als Schatz in den Händen halten, es wahren, respektieren, schützen, lieben. Es ist einfach. Am Ende. Ankommen, wo man lange schon ist.

Den Himmel küssen, die Erde halten, das Meer zum Freund nehmen.

Vögel

Deich

Fähre

Konkret vs. gefühlt

Adler

Urlaub.

Ein Zustand. Eine Zahl in Tagen. Lande mal.

Seit Tagen laufe und radle ich um die Insel. Suche meine Lieblingsorte auf. Schaue aufs Meer. Fotografiere. Denke nach.

Es ist ein Luxus, den Kopf für sich zu haben. Sich Gedanken zu erlauben, die in nichts einzahlen. Es ist Freiheit. Diese wahre.

Nichts ist wesentlicher als die Freiheit des eigenen Denkens. Wenn das aufhört, wenn sich Schranken ins Denken schieben, wenn sich die Möglichkeit auflöst, die eigenen Gedanken zu denken, wird das Individuum zur Statue. In den letzten Tagen hat mich das Meer eingeladen, meinen Gedanken zu folgen. Es zwingt, quasi.

Bevor ich auf die Insel gefahren bin, hatte ich einen kurzen Austausch mit Bruno Schulz. Ein Werber wie ich, ein Autor wie ich. Er schreibt Geschichten. Vona ist ein Thema. Vona ist eine Isländerin. Schöne Texte. Googlet.

Auf Facebook hatte er einen Schiermonnikoog-Text geteilt. Ehrbezeugungen unter Autoren. In einer Nachricht hatte er kurz notiert: Du schreibst gegenständlicher.

Ja. Gegenständlichkeit. Das Konkrete versus dem Ungenauen, dem Gefühlten, der Abstraktion. Und schon sind wir mittendrin in den Zeiten, in denen wir leben. Wie viel Abstraktion ist möglich? Möglich in Form von akzeptiert. Möglich in Form von verständlich, verstanden.

Ich habe durch meine Kamera gesehen. Herr Cooper ist konkret, real. Manchmal aber ist der Blick durchs Objektiv ein Blick in eine Metapher. Wie viel Metapher verträgt eine materielle Welt?

Mein Blick lässt sich ins Konkrete ziehen. Werber, Handwerker, ins Alltägliche eingewoben. Es ist eine Sehnsucht. Es fängt dort an, wo sich das Konkrete auflöst. Hollywood ist konkret. Die amerikanischen Erzähler sind konkret. Jonathan Frantzen ist konkret. Alles hat Hand und Fuß. Konzepte sind konkret. Strategien sind konkret. Das Konkrete ist konkret.

Das Konkrete ist eng, die Grenze des Freien. Durch das Objektiv sehen und die Dinge dahinter sehen. Frei sein. Bilder, Worte leben. Unbekümmert.

Über die Insel laufen. Hinschauen. Lächeln. Eine Muschel. Eine Muschel ist keine Muschel. Nicht zwingend. Ein Horizont ist kein Horizont.

Cooper_my friend 2

Cooper_my friend

Fischerboot

Fischerboot2

Fischerboot3

Gras 3

Holzstück

Moon

Muschel2

Schnur

Strandbuggy

Dem Meer so nah auf Schiermonnikoog

Gras 2

Den ganzen Tag unterwegs. Mit Herrn Cooper, sofern er kann. Er wird alt, will nicht mehr so weit. Heute ist er stehengeblieben, hat mich angesehen, wollte umkehren, der alte Junge. Nicht mehr an der Leine am Fahrrad. O.K. Habe ihn gelassen, trotz Leinenpflicht und entsprechender Blicke.

Er geht seinen Weg, in seinem Tempo. Manchmal bricht er mir das Herz.

Das Meer. Wie ein großer Bruder. Beruhigend, schützend. Fahre über die Insel mit dem Rad, laufe am Strand entlang, die Kamera dabei. Viel Natur, überwältigend groß, schön. Alleine auf der riesigen Sandbank. Eine halbe Stunde bis zum Wasser laufen. Ein paar Fotos, wenig Worte.

Kanal

Chocomel

Dangerous

Gras

Kanal 2

Kiter 2

Kiter 3

Kiter

Leuchtturm

Leuchtturm2

Lifeguard

Lifeguard2

Lifeguard3

Muschel

Segel

Spuren 2

Strand_Linie

Strand_Mann

Vögel

Spuren

Jens

Lone at the beach

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Gestern super Wetter, heute ist es zugezogen. Ab Mittag. Wolken, Wind, später Regen. Am letzten Tag gibt es immer einiges zu tun. Sich verabschieden vom Meer. Sich alles noch mal so richtig reinziehen. Mit den Jungs ein letztes Bier im van der Werff. Kleine Geschenke kaufen.

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Nach dem Bier mit Jens und Jens haben sich unsere Wege getrennt. Jens wollte noch in den Bioladen, Jens in einen anderen Shop. Mich zog es ans Meer. Für Viveka. Sie liebt das Meer und wenn sie an der Küste ist, ist sie vom Strand nicht wegzubekommen. Tagelang, nächtelang. Sitzen, laufen, eintauchen, gucken. Es gab diese wunderbare Szene im letzten Jahr in Italien, als die Wellen hoch waren. Viveka schwamm raus, weit raus, lange raus. Dorthin, wo niemand mehr war. Ein kleiner Punkt draußen. Ich machte mir schon Sorgen, wusste nicht, wie gut sie schwimmen kann und wollte sie natürlich um keinen Preis der Welt durch eine Fehleinschätzung verlieren. Sie spielte mit den Wellen, dem Wasser, den Bojen.

Ich schnappte mir ein Bodyboard und schwamm raus. Mir war in den hohen Wellen schon ein wenig mulmig. Als ich zu ihr kam, lächelte sie. Alles in Ordnung. Sie muss einmal ein Fisch gewesen sein, eine Meerjungfrau, ein Delfin. Kein Problem. Stundenlang. Ihr Element.

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Und so bin ich heute raus auf die Sandbank. Die Ebbe hat es möglich gemacht, der Übergang ein kleiner Rinnsal. Kein Problem. So durch. Meine Rossis hatte ich vor der Abfahrt dick eingefettet, also konnte ich trockenen Fußes hinüber. Auflandiger Wind, kaum Vögel, mir entgegen fliegender Sand. Ich wusste nicht, wann die Flut einsetzen würde oder ob sie vielleicht schon… Ich habe eine Linie in den Sand gezogen – neben die Wassergrenze und habe geschaut. Keine Veränderung. Highest Peak, habe ich angenommen. Ein Niederländer mit hohen Gummistiefeln folgte mir und ging sicheren Schrittes Richtung Wellen.

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Gut. Ein Schauspiel. Der fliegende Sand, die ziehenden Wolken, das Getöse, die Weite. Der andere Mann verschwand in eine andere Richtung, wurde kleiner und kleiner und unbedeutender. Wen juckt es, wenn so ein schwarzer Punkt von irgendwelchen Naturkräften verschlungen wird. Ich machte mich auf den Weg. Fotografierte, was das Zeug hielt. Erreichte das Wasser, sah ein Fischerboot im Dunst des aufkommenden Regens verschwinden.

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Zum ersten Mal musste ich alle Einstellmöglichkeiten meiner Goretex-Jacke justieren. Nach unten hin abdichten, die Klettverschlüsse am Ärmel eng ziehen, die Kapuze ums Gesicht legen. Alles gut. Fotos nur mit dem Wind, um die Kamera zu schützen. Am Ende ist die Linse voller Tropfen. Und ich bin allein. Der andere Mann ist schon wieder auf sicherem Boden. Mir fehlt Herr Cooper. Egal, er brauchte heute eine Pause. Anstrengende Tage. Mit dem Fahrrad unterwegs, das ist für Hunde Leistungssport.

Ich bewege mich Richtung Land zusammen mit dem fliegenden Sand, erreiche den Übergang, das Flussbett. Geht noch. Die Hose ist eh nass, die Schuhe sind es auch. Ich denke an Viveka und sauge alles auf. Sie wäre noch geblieben. Ich fahre nach Hause, mir ist es kalt, die Finger sind klamm. Jens sitzt im Jacuzzi, ich setze mich dazu. Der Regen fällt, das Wasser wärmt. Schön. Luxus. Morgen geht es nach Hause. Ostern. Aufgetankt für die nächste Runde.

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Und hier zum Abschluss noch ein Video von Finn und Jim, der Support geleistet hat…