Das Schöne lieben, leben

Nun, ich weiß nicht, wo anfangen.

Zwei Wochen Urlaub, zwei Wochen wie zwei Monate. Lande mal.

Raus aus allem.

Viel passiert, viel gesehen, viel Zeit gehabt.

Für mich, für uns.

Freitag vor zwei Wochen haben wir uns ins Auto gesetzt und sind in Richtung Italien aufgebrochen. Hotels waren gebucht. Riva del Garda, Verona, Venedig. Zwei Tage, zwei Tage, vier Tage. Zwischendurch irgendwann mein Geburtstag. 54. Ups.

Danach waren wir bei meiner Mutter in der Eifel und haben ihren Garten auf Vordermann gebracht. Dann waren wir hier und haben heute einen Gartenteich in die Erde gebracht. Meine Liebste liebt Fische. In ihrem Teich sind noch ihre Fische. Nun werden sie demnächst auch Landeier und ziehen aus der großen weiten Welt aufs Land, aufs Dorf. Nichts bleibt wie es ist.

In diesem Text habe ich nun ein Problem. Wie all die Dinge, die passiert sind, in einem Blogbeitrag unterbringen? Mein Kopf ist so voll. Gedanken, Bilder, Abenteuer.

Mein Geburtstag in Venedig.

Ich war mehrmals in Venedig. Es gibt ein Foto von mir, da bin ich zwei Jahre alt und stehe an der Hand meines Vaters auf der Rialto-Brücke. 1967/1968. Dann war ich auf Klassenfahrt in Venedig. 1981. Da hatte ich mir braune Wildlederschuhe gekauft. Und dann mit der Uni. Italienische Reise. Im VW-Bus auf Goethes Spuren. 6 Wochen. Gunnar wurde an dem Tag, als wir in Venedig waren, 33. Gunnar lebt nicht mehr. Nun. Ich hatte für ihn eine Flasche Wein aus einem Restaurant geklaut und war an meinem Professor vorbei mit Highspeed geflüchtet.

Dann sind wir rüber gefahren. Vaporetto. St. Giorgio Maggiore. Palladios Kirche gegenüber vom Markusplatz. Da haben wir damals gesessen und haben den Wein getrunken. Später sind wir den Canale Grande entlang zurück zum Schiff, das uns zum Festland gebracht hat, wo wir in den VW-Bus gestiegen sind, um die Brenta herauf nach Padua zu fahren, wo wir Zimmer hatten. Über diese verrückte Reise damals müsste ich einmal schreiben. Unser Professor in Rom in dem günstigen Hotel am Bahnhof im Kaftan. Jeden Abend eine Trattoria, jeder Tag voller Renaissance, Bilder, Museen, Orte, Häuser. Palladios Rotonda, Verona, Vicenza, Padua, Venedig, Rom, Pompeji, Assisi, Paestum, Florenz…

18. April 2019. Mein Geburtstag. Als die Glockentürme Venedigs Mitternacht schlagen, sitzen wir dort wie damals. St. Giorgio Maggiore. Allein. Ganz allein. Niemand dort. Nur wir beiden mit dem Blick auf die Stadt. Mein Herz in Flammen, meine Seele badet in Glück. Wir küssen uns, wir trinken französischen Sekt von der Loire. Es ist kühl, es ist besonders, es ist alles.

Als wir das nächste Boot nehmen wollen, kommt es nicht. Das nächste auch nicht. Keine Ahnung. Robinson und Freitag.

Ich pfeife mit den Fingern und wir erwischen ein Taxi zum Markusplatz.

Dort sind wir allein. Fast. 2 Uhr in der Nacht und nur William und Olivia aus England sind dort. Sie 19, er 20. Sie umarmen mich. Glückwunsch. Wir reden über das Reisen und das Alleinsein in der Nacht in Venedig. Gute Reise! Ich gebe den beiden meine Karte und lade sie ein, uns zu besuchen. Unser Haus steht offen für William und Olivia. Würde mich freuen.

Wir laufen durch die Nacht. Kein Mensch. Venedig crowded? Niente. Die Rialto-Brücke gehört uns. Ganz allein. Keine Menschenseele. Wir laufen bis in den Morgen. Unser Hotel liegt am Ende des Canale Grande unweit des Bahnhofs. Venedig ist unglaublich. Unglaublich schön. Man muss Venedig zu nehmen wissen, man muss sich arrangieren. Zwischen all den Menschen liegt so viel Schönes.

Am Abend gehen wir essen. Geburtstagsessen. Eine Trattoria in unserem Viertel. Cannareggio. Am Canale Cannareggio. Mittags haben wir einen letzten Tisch für abends ergattert. Im Dalla Marisa. Ein Menü. Sechs Vorspeisen. Fisch. Dann eine Fischlasagne und Fritto Misto und Weißwein und eine Creme und ein Espresso und ein Grappa. Und ein Wirt mit einem wunderschönen Lächeln. Glatze, kräftig, charmant, mit einem Kinderarmband am Gelenk und einem Kellner, mit dem er lacht und lacht. Alle Gäste im Gespräch, keine Handys. Unglaublich, diese Stimmung, Atmosphäre, das Gefühl, dort zu sein und all diese leckeren Speisen zu essen.

Vier tage Venedig. Lido, Murano, Burano.

Eine fantastische Kunstausstellung in einer der alten Werfthallen.

In meinem Kopf sind so viele Blogbeiträge. Über 1.400 Fotos.

Burano mit den bunten Häusern ist so schön, Murano hat dieses Glas.

Nun.

Ich habe mich in Murano-Glas verliebt.

Bislang dachte ich, das ist so buntes Touri-Zeugs.

Nun habe ich einige Ateliers gesehen. Hey. Wow. Alter.

Bei einer Schale wäre ich fast schwach geworden. 570,00 €. Oball.

In einem Atelier kosteten Vasen auch 6.000,00 €.

Nach meiner Rückkehr habe ich ein wenig recherchiert und planlos investiert. Flavio Poli hat es mir angetan. Eine Schale habe ich gekauft, drei Vasen. Kommt alles in den nächsten Tagen.

Meine Erkenntnis: Schönheit. Es ist schön, sich mit schönen Dingen zu umgeben. Goethes italienische Reise. Elysien. Arkadien. Palladio, Renaissance. Guido Reni, Caravaggio.

Und dann waren wir bei meiner Mutter in der Eifel. Sie kann ihren Garten nicht mehr pflegen. Also haben wir das gemacht. Wir sprachen über Murano und sie zeigte uns ihre wunderschönen Murano-Lampen, die mir nie aufgefallen waren. Dann sah ich all das, was sie in ihrem Haus stehen hat. Und im Garten. Sie ist Floristin, kommt aus einer Gärtnerei, hat Menschen Blumenstecken beigebracht, auch mir, und hat immer nach Gefäßen Ausschau gehalten. Das ganze Haus voller Vasen, Schalen, Blumen.

Da fiel mir auf, dass das meine Kindheit war. Dass ich immer von Schönheit umgeben war.

Heute haben wir einen Teich im Garten angelegt. Der Nachbar hat uns mit seinem Bagger geholfen. Vom Fenster aus schaue ich auf den Teich unter dem Baum. Wasser im Garten.

Alles gibt es immer auch in schön.

Das Leben lieben, die Liebe leben. Das Schöne. Arkadien, Elysien.

VERÓNICA von Helga Mols und der Umgang mit der Gegenwart

VERÓNICA, 120 x 95 cm, Gouache und Öl auf Leinwand, Pflanzenfarbe auf Baumwolltuch, 2019 – von Helga Mols

Ausgestellt im Kulturhaus Zanders in Bergisch Gladbach im Rahmen der AdK-Ausstellung “alles ist eitel” – der Titel entstammt aus einem Gropius-Gedicht, in dem eitel im Sinne von vergänglich verwendet wird. Es ging also um Vergänglichkeit.

Mit Ihrem Bild zitiert Helga Mols den spanischen Künstler Francisco de Zurbarán (1598-1664). Sein Schweißtuch der Veronika (Öl auf Leinwand, 105×83,5, 1658, Spanien, Museo Nacional de Escultura Valladolid) könnt ihr euch HIER anschauen.

Die heilige Veronika hat Jesus auf dem Weg zum Kreuz mit einem Tuch den Schweiß abgewischt. Dieses Tuch ist, in einem Tresor, in eine der zentralen Säulen des Petersdoms eingelassen. Eine sehr heilige, wichtige Reliquie der katholischen Kirche, die nur einmal im Jahr gezeigt wird.

Immer wieder haben Künstler das Motiv aufgenommen, unter anderem El Greco, Guido Reni, Albrecht Dürer…

Und nun Helga Mols in ihrer Zurbarán-Interpretation.

Ihr Tuch ist kein Schweißtuch, sondern eine Windel, durch die sie in den letzten Jahren den Saft gepresster Früchte filtriert hat. Ihr geht es um die Natur, die Schöpfung im Kontext von Vergänglichkeit. Vergänglichkeit im Jahr 2019. Was könnte einem da einfallen? Nun.

Mir gefällt das Zitat, die feine künstlerische Idee der Auseinandersetzung mit einem schwierigen Thema, das gleichermaßen platt wie tief ist. Wie über Natur sprechen im Jahr 2019, ohne in Stereotype zu fallen?

Jesus, der Beginn der christlichen Zeitrechnung vor 2019 Jahren. Was ist seither geschehen? Ein dreißigjähriger Krieg, in dessen Kontext Gropius die Vorlage der Ausstellung gegeben hat. Die Entwicklung der christlich geprägten westlichen Welt, die sich entwickelt und aufgeklärt hat, um über den Glauben an die Technik die Natur ins Hintertreffen geraten zu lassen.

Nun könnte man viel in Helga Mols VERÓNICA hinein interpretieren und Verbindungen zwischen den Vorbildern und Zeiten herstellen, die Farben mit Bedeutungen aufladen und letztlich in der Interpretation alles verkomplizieren. Hatte ich vor. Auf die Strange Loops einzugehen, die den Hintergrund bilden. Die Farbtöne, das Braun, Beige, Rötliche, das trockener Saft sein könnte. Mach ich nich.

Das Bild ist ein zartes Band und als solches wirkungsvoll und schätzenswert. Es ist eine mit der Natur gelebte Verbindung. Es ist ein Spiegelbild dieses sensitiven Lebens von Helga und David im Atelierhaus an der Agger. Auf dem Weg dorthin fährt man durch Cyriax, wo neben den Grundmauern eines alten Klosters ein Jahrhunderte alter Baum steht. Fährt man den Weg im Dunkeln, steigt David aus, um in der feuchten Jahreszeit die Salamander von der Straße auf die Wiese zu tragen. Verliert ein Baum auf dem Grundstück einen riesigen Ast und muss dieser Baum gefällt werden, geschieht das nicht einfach so. Fliegt ein Vogel vor ein Fenster des Atelierhauses und überlebt mit Schock, hält ihn David so lange warm, bis er wieder bei Sinnen ist und davonfliegen kann. Es ist ein verwunschener Ort an der Agger, der so viel Einfluss auf das Leben und Arbeiten der beiden Künstler hat.

Von daher ist VERÓNICA weniger in der Vergangenheit als vielmehr in der Gegenwart verankert, verortet. Als ein feines Zeichen, das zitiert, die Botschaft aber wie damals im Tuch trägt. Und erinnert man sich daran, was wir im Religionsunterricht und in den Unterweisungen der Kirche gelernt haben, so ist Jesus der Retter der Welt, der alle Schuld auf sich nimmt. Eine schöne Idee, die ich nie verstanden habe. Dieses Schweißtuch ist nicht in Schweiß getränkt, sondern in Fruchtsaft.

Das empfinde ich als ausgesprochen schön und optimistisch. Eine kluge Botschaft, in der es um Einklang geht. Im Wesen profan, im Leben unendlich wertvoll. Steht man vor VERÓNICA und schaut sich das Bild an, wirkt es. Es trägt die Aura des roten Hauses an der Agger mit all seiner künstlerischen Energie und dem Leben, für das es steht, in sich. Vital, schlüssig, fein, zurückhaltend.

Es hat sich gelohnt, das Bild live zu erleben und ich kann mich wieder einmal nur dafür bedanken, dass Helga und David die wertvolle Arbeit leisten, die sie leisten. Denn das Künstlerische gewinnt als Methode dieser Zeit zunehmend an Bedeutung. Wo das Rationale die Grenzen längst überschritten hat, bietet die Kunst den Raum, neu und anders zu denken. Das ist der Weißabgleich, der so zwingend geboten ist. Das Besinnen, das VERÓNICA ermöglicht.

AdK-Ausstellung: es ist alles eitel

Ausstellungsort: Kulturhaus Zanders, Hauptstraße 267-269, 51465 Bergisch Gladbach

Ausstellungsdauer: bis zum Sonntag, 14. April 2019

Öffnungszeiten: dienstags, donnerstags, sonntags von 15 bis 18 Uhr