Wittgenstein von Raouf Khanfir

Wittgenstein. Ich dachte zunächst an den Philosophen, den Sprachphilosophen Ludwig Wittgenstein. Dann an Thomas Bernhards Roman Wittgensteins Neffe, in dem er das Leben, Sterben und Verzweifeln seines Freundes Paul Wittgenstein beschreibt. Ich dachte, es wäre ein Buch, das in die alten Zeiten reflektiert, sich mit Sprache auseinandersetzt. Wittgenstein von Raouf Khanfir habe ich auf blogg dein buch entdeckt. Da strahlte mir ein verknitterter Mercedes Benz Strich Achter aus alten Studientagen vom Cover entgegen. Ich bestellte es.

Und wurde überrascht. Mein Kopfkino hatte mich komplett in die falsche Richtung gelenkt. Es ist ein Buch aus dem Jetzt. Aus dem jungen, coolen Verlag HABLIZEL aus Bonn. Worum geht es? Um Marco H. Der lebt in Montreal in einer merkwürdigen WG mit einem netten Inder, der stundenlang das Bad blockiert und einem stinkenden Spinner, der sich aus Angst vor der Welt in seinem Zimmer verbarrikadiert und seine WG Mitbewohner mit elektronischen Mitteln ausspioniert. Klingt nach Endstation. Muff. Es kommt das erlösende Schreiben aus Deutschland. H. erbt ein Haus in der Region Siegen Wittgenstein, in einem kleinsten Dorf in der Nähe von Bad Berleburg. Pampa. Tiefste Pampa. Ich weiß, wovon ich schreibe, ich wohne ganz in der Nähe. In der Nähe des Endes der A4, die sich im Niemandsland verliert. Fährt man von dort noch eine halbe Stunde weiter, kommt man hin.

H. kommt an. Kehrt zurück. Lebt einen Plan B. Die Dinge überschlagen sich. Er lernt Anna kennen, wird Telefonist in einer Taxizentrale, renoviert das geerbte Haus, forscht nach einem Foto seiner Erbtante und wird zum Mordermittler. Denn auf den Ladstraßen des schönen Wittgensteiner Landes treibt ein Mörder sein Unwesen. Überfährt Menschen, die sich in der Nacht entlang der Landstraßen bewegen.

Es ist ein interessanter Roman, ein schräger Roman. Die Story ist ein wenig verrückt, dieser Marco H. ein Typ irgendwie undefinierbar. Einer, der sich zunächst nicht einlässt, der nicht zupackt, der seine Talente vergeudet und aus der Defensive agiert. Kaum fassbar. Die Szenerie beschreibt die Provinz als einen Ort, an dem es sich schlecht atmen lässt. Die einzige, wahre Lichtgestalt ist Emma, die verstorbene Tante. Dennoch versucht H. sich zu etablieren. Er hat einen Entschluss gefasst, er will bleiben. “Ja, ich weiß! Das sind aber die Fremden, die nur vier bis fünf Monate in der Stadt bleiben und sich eines Tages genau dieselben ungewaschenen Klamotten wieder anziehen und in irgendeine Richtung verschwinden. Ich habe nicht vor, hier nur zu überwintern und dann weiterzuziehen. Ich bleibe länger, und dafür brauche ich einen Job.” Um bleiben zu können, muss er die Morde aufklären, weil es sonst an der notwendigen Ordnung fehlt. Denn: Der Mörder bewegt sich in seiner Nähe. Hier kreuzt sich die Suche des Romanhelden mit der Suche nach dem Mörder. Die Genre vermischen sich, was durchaus Spaß macht.

Das Buch ist gut geschrieben und ein wenig schräg. Es ist europäische, vielleicht sogar deutsche, eckige Literatur. Diese Provinzstimmung gibt es so vielleicht nur bei uns. Oder in Österreich. Thomas Bernhards Romane. Hier schließt sich dann für mich ein wenig der Kreis. Wer ungewöhnliche, leicht schräge Romane mag, dem kann ich Wittgenstein von Raouf Khanfir empfehlen. Und sogar wärmstens ans Herz legen.

Turbo turbulenter Hochzeitstag!

Wow, was für ein Tag! Die Kinder haben Ferien, mein Patenkind Geburtstag und alles dreht sich ums Heiraten. Morgens habe ich mich um 7.30 Uhr vom Acker gemacht und bin 90 Minuten über die Autobahn zu einem Kunden geeilt, um bis am Abend um 19 Uhr eine Sportkollektion in allen Details zu beschreiben. Was ist das für eine Hose? Was kann die? Aus welchem Stoff ist die? Welche Rolle spielt die in der Kollektion? Irgendwann verschwammen die Stoffe vor meinem geistigen Auge zu einer riesigen Fasersauce. So muss sich eine Zitrone nach dem Auspressen fühlen. Dann zurück auf die Autobahn nach Hause, wo sich der Tag in einen Hochzeitstag verwandelte.

Jim kam mir entgegen und präsentierte mir auf Zoes iPod ein Youtube-Video, in dem es um einen Heiratsantrag geht. (Ihr habt jetzt nicht aufgrund der Headline geglaubt, dass ich Hochzeitstag gehabt hätte und den ganzen Tag arbeiten war? Geht ja gar nicht. Weil ich doch, wie ihr alle wisst, überhaupt so ganz und gar nicht verheiratet bin, geschweige denn es je war. Was das Folgende nicht einfacher macht…) Dieser Heiratsantrag ist so kolossal gut und groß inszeniert, dass ich mich frage, wie ich das mit Ela jemals hinkriegen soll? Also Youtube versaut echt den Schnitt und legt die Latte enorm hoch. Arme Männer, bei denen es ja nun einfach bislang liegt, sich um die Hand und so zu bewerben und zu kümmern. Habe ich da bisher vielleicht einfach grandios versagt und es nicht auf die Reihe gekriegt, so wie dieser junge Mann im Film zu agieren? Schaut mal rein…

Schwer zu toppen, oder? Vor allem: Wir haben hier gar kein Kino. Ob das mit Ela und mir und dem Heiraten noch mal was wird? Auf jeden Fall komme ich dann gestern Abend nach einem kurzen Mailcheck zu Zoe ins Zimmer, weil die ganze Bande spurlos verschwunden war. Da sitzen die drei dort im Bett und schauen sich eine DVD an. Ferienprogramm. Liebeskomödie. Amerika. “Verliebt in die Braut”. Ein Zeichen, ein Zeichen. Die Mannschaft rückt zusammen, drapiert sich anders aufs Bett, ich muss einen Hocker für das Laptop holen und setze mich nach links außen. Ela rechts außen, neben ihr Zoe, dann Jim. Die Reihenfolge spielt im Folgenden eine Rolle.

Während der Hauptdarsteller erst versucht, seine Geliebte, die er für einen guten Kumpel hält, nicht zu heiraten, muss er plötzlich, als sich eben diese Frau in einen anderen verliebt, alle Register ziehen, um sie doch noch zu bekommen. Bekommt er sie? Ihr wisst schon. Doch bevor das passierte, machte es zunächst leicht Knacks. Unter Jim und mir war das Bett eingekracht! Ein Zeichen, ein Zeichen! Aber nur so leicht. Jim sagte: “Papa, nicht bewegen!” Und was macht der Papa? Bewegt sich! Und was geschieht? Aus dem kleinen Knacks wird ein großes Rums! Im Gewichtstest markant durchgefallen. Das Kinderbett zum Einstürzen gebracht. Großes Gelächter. Erneute Filmunterbrechung wegen des Papas und Jim sagt: “Papa, das du aber auch niemals hören kannst! Was habe ich dir gesagt? Nicht bewegen! Und was machst du? Bewegst dich. So geht das nicht weiter. Du musst einfach mal auf deinen Sohn hören, wenn der dir was sagt…” Peng und Autschn! Wo hat der nur diese konservativ spießigen Erziehungsworte her? Sollte ich? Och nö, bitte nicht. Herr Schönlau, fällt Ihnen nichts Besseres ein? Sagen wir, das hat er von der Oma:)

Nun saßen Jim und ich wegen des partiellen Zusammenbruchs leicht schräg da. Die Popos tief auf dem Boden, die Füße oben auf der Bettkante und schauten auf, um Hollywood zu sehen. Derweil die Damen kicherten, obgleich ihr Teil des Bettes weiter nahezu horizontal da lag. Der Rahmen hatte sich ganz schön gebogen, war aber nicht gebrochen und konnte am Ende glücklicherweise gerichtet und wieder in den Originalzustand gebracht werden. Am Ende des Abends waren also zwei Männer mehr verheiratet und ich sitze immer noch hier und keine will von mir vor den Altar der Eheschwüre geführt werden. Wenn das mal kein Grund ist, sich ernsthaft Gedanken zu machen und die Sache mit der Midlifecrisis neu zu überdenken…

Werwölfe, Werwölfe und ein Düsterwald

Ein Dorf in Unruhe. Tatsächlich haben sich Werwölfe unter die Bevölkerung geschlichen und gehen Nacht für Nacht ihrem schrecklichen Handwerk nach. Es wird Tag und wieder hat es einen guten, braven Bürger erwischt. Da formiert sich Widerstand. An allen Ecken wird getuschelt und gerätselt. Wer ist Bürger, wer Werwolf? Am Tage lässt sich das kaum ausmachen, weil alle so aussehen, als könnten sie kein Wässerchen trüben. Doch in der Nacht… Ausgerechnet in dieser prekären Situation helfen die Seherin und die Hexe. Früher als Esoterikspinnerinnen abgetan, haben sie nun den Blick dafür, wer was ist. Gemeinsam mit der Heilerin können sie Unheil abwehren. Aber: Schaffen sie es rechtzeitig, alle Dorfbewohner zu schützen und die Werwölfe zu entlarven?

Die Werwölfe von Düsterwald ist ein Gesellschaftsspiel für 8 bis 18 Teilnehmer/innen. Ein großer Spaß, wie ich auf der Klassenfahrt kürzlich und nun gestern Abend feststellen durfte. Wir hatten uns mit vier Familien getroffen, um einen Abend lang zu spielen. War das lustig. Alle saßen an einem Tisch und bekamen ihre Spielkarten. Zunächst weiß niemand, wer Werwolf und wer braver Bürger ist. In der Nachtphase müssen alle die Augen schließen, nur die Werwölfe nicht. Die verständigen sich mit Blicken und Gesten untereinander und einigen sich, wen sie ins Jenseits schicken. Dann sagt der/ die Spielleiter/in, dass es Tag wird und ein Opfer ist nicht mehr dabei. Die Rätselei und das gegenseitige Beschulden nehmen ihren Lauf…

Es werden Beweise gesucht. Indizien. “Klar, das war doch eine alte Rechnung zwischen Bruder und Schwester. Da muss doch der ein Werwolf sein!”. “Ich ein Werwolf? Nein. Bin ein braver Bürger. Überleg doch mal. Ich habe doch eben geholfen, den X als Werwolf zu entlarven…” Und dann kommen noch die Spezialfiguren ins Spiel, die alles noch spannender machen. Die Bürger/innen einigen sich, wer Werwolf sein könnte. Es werden verschiedene Spieler/innen angeklagt und es kommt zur Abstimmung. Wer die meisten Stimmen bekommt, scheidet aus dem Leben. Oh. Leider trifft es nicht immer Werwölfe, weil die braven Bürger/innen eben auch ab und an den Lügen und Intrigen der Werwölfe auf den Leim gehen. Manchmal verraten sich aber auch Werwölfe, weil sie in der Nacht laut tuscheln oder etwas Dummes zu ihrer Verteidigung sagen oder sich all zu sehr als vermeintlich brave Bürger/innen in den Vordergrund spielen.

Und dann gibt es natürlich die Skandale. So wie gestern Abend. Erste Runde, erstes Opfer. ICH! Frechheit. Aber das ist noch nicht alles. Wer gehörte zu den mich killenden Werwölfen??? ELA! Ist das vorstellbar? Ein echter Skandal. Große Lettern auf der Titelseite meiner persönlichen Bildzeitung. Ich war sprachlos. Da hätte man doch mal über ihr kleines Zahnproblem sprechen und eine familieninterne Lösung finden können. Ein wenig sozialtherapeutische Romantik. “Meine liebe Werwölfin Ela, natürlich bin ich als braver Bürger auch in schwierigen Zeiten für dich da und helfe dir, deine kleine Blutsucht in den Griff zu bekommen.” Nix. Biss und aus die Maus.

Im nächsten Spiel war sie wieder Werwölfin, aber ich war Seher und durfte deshalb heimlich unter ihre Karte schauen. Das hat sie dann leider das Leben gekostet. Rache ist süß. Grrrrrrr. Und lustig. Wir haben so viel gelacht. Denn es gibt zum Beispiel auch ein Liebespaar, das leider immer zusammen stirbt. Die müssen also zusammenhalten. Ein Bürger ist Amor und wählt anfangs still und unerkannt das Liebespaar aus. Alle haben die Augen geschlossen und der/ die Spielleiterin tippt die beiden an. Die wissen dann, dass sie zusammenspielen. In einer Runde war ich Amor und habe Zoe und Jim zum Liebespaar gemacht. Die haben sich natürlich beim Erkennen gleich durch Gekicher verraten. Süß. Also für die Ferien ist das Spiel wirklich super. Spannend und spaßig.

Eine Beschreibung gibt es hier.

Am Fenster

Das Gedicht im Kopf
wie einen Popsong

Am Fenster

Calendula leuchtet
Zucchini, fette Möhren

Glen singt

Die baby Millennium
hat mir einen Kaffee ausgegeben

Johann Wolfgang
Der Gärtner deckt getrost
das Glashaus der Orangen und Zitronen zu

Sonnenstrahlen im Grün

Song for someone

Sie liegt noch im Bett

Die Kakaos der Kinder

Italien
Glen in Kreuzberg
Berlin im Oktober
die Tickets gestern bestellt

Das alte Fenster
von hier sah der Lehrer
den Garten

Das Kreuz, die Sprossen
geschliffen, berührt
der glänzende Griff aus Messing

Bringe dir deinen Cappu
und dann bald
ab, auf, davon

Höre ich Glen denk’ ich an Damien
Paris
das Theater Olympia
mit dir
denke, fühle, weiß
Liebe

Take the thinking
You have a choice

Dieses kleine Fenster
in die Welt
Calendula
Heilung

Die Gaggia rauscht
Glen gibt
nehme
was ich kriegen kann
sauge
die Stimmen der Kinder
den Hund
an meinen Füßen
intensive Gefühle

Wecke dich mit einem Kuss
jetzt lächelst du auch noch
Ein Fenster
ein Popsong
manchmal, Ela
könnte ich einfach heulen

Nur wegen der Blumen
des Gartens
der alten Gaggia
baby Millennnium

juli 2011