Unterwegs irgendwo im Nirgendwo

Grashüpfer

Glen singt. Zoe liegt neben mir auf dem Bett und lernt Russisch. Kerzen leuchten. Ein Räucherstäbchen duftet. Viveka ist zurück in Essen, Ela in Köln, Jim bereitet mit seinem Kurs die Aufführung des Zwölfklass-Spiels vor. Peter Weiss. Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade. 1964. Es freut mich. In meinem Studium, Jim weiß das nicht, hat Peter Weiss eine große Rolle gespielt. Ich bin sehr gespannt, was geschieht.

Zudem erinnert mich das Stück an Jerofejews Walpurgisnacht oder die Schritte des Komturs in einer Aufführung der Schauspielgruppe des Nationaltheaters Mannheim beim Theatertreffen in Berlin 1994. Ich hatte in der Schauspieltruppe für Jörg Tewes, der ausgefallen war, die Rolle des Kolja übernommen. Im Titania Palast, der mittlerweile abgerissen ist. Teures Hotel in Mitte, vier Aufführungen. Zwischendurch Stücke anderer Bühnen und George Tabori im Spiegelzelt. Dort sagte er: „Die Kraft liegt in der Wiederholung. Die Kraft liegt in der Wiederholung. Die Kraft liegt in der Wiederholung.“ Da hatten wirs kapiert.

Kürbisse

Es ist Erntezeit. Die Steinpilze sind mittlerweile aus. Ich habe so viele verputzt und getrocknet, seit ich aus Italien zurück bin. Pfifferlinge. Mengen. Tagliatelle mit frischen Tomaten und einem Berg frischer Pfifferlinge. Kürbissuppe mit Curry und Kardamom. Ernten. Einfahren. Am Ende der Zeit. Gestern erhielt ich eine Mail von einem Kölner Künstler. Einem Maler, den ich sehr schätze und der hier im Blog auch schon mehrfach erwähnt wurde. Er malt Viveka und mich. Hat uns gefragt. Ein Doppelportrait. Gestern haben wir Teile des Bildes gesehen. Da sah ich in meine Augen. Bald kommt Viveka hinzu. Vermählt auf Leinwand.

Hexenei

Und was ist das? Der Tintenfisch? Ein Pilz. Ein Tintenfischpilz. Der fiel mir gestern auf dem Weg zum Schloss Crottorf vor die Füße. Ein Pilz, der wohl ursprünglich aus Australien oder Neuseeland stammt, behaupten Stimmen im Netz. Wikipedia weiß es besser. Tatsächlich roch der etwas streng.

Die Natur ist gerade so schön. Satte Farben, Bilderbuch-Sonnenuntergänge. Hach.

Haus Hundscheidt

Kürbisse_Schule

Wer ist Moby Dick, Michael Nowottny?

Moby Dick 1_red

CALL ME ISHMAEL.

Dem Thema war ich das erste Mal im letzten Jahr in Liblar in einem fast abgerissenen Supermarkt begegnet. Ich war der Arbeit von Trash Treasure auf der Spur. Hatte gehört, gelesen, dass sie bei der Abrissekstase dabei ist. Ein Projekt, das Kunst Raum gab, etwas zu schaffen, das dann zerstört wird. Von Baggerschaufeln ins Nirvana geschoben.

Einen Hauptgang zierte ein riesiger Wal – bestimmt 10 Meter lang. Darüber die Frage: Wer ist Moby Dick? Einige Zeit später sollte ich während einer Ausstellungseröffnung im Labor unterm Ebertplatz den Maler kennenlernen, der die Frage in den Raum gestellt hat. Michael Nowottny. Geboren 1961.

Moby Dick 3_red

Norbert van Ackeren hatte mir gerade seine Arbeiten gezeigt, als ich im zweiten Raum des Ateliers auf die Welt Ahabs stieß. AHAB IST NICHT BÖSE. Ich fand zunächst keinen Zugang. Wale? Ahab? Der Mann und das Meer? Archaischer Kampf? Ich wusste nicht…

Moby Dick 5_red

Das Plakative gefiel mir, die Botschaft. Ich hatte nur eine vage Vorstellung, eine Ahnung. Vielleicht, wahrscheinlich, weil ich Melvilles Moby Dick nicht gelesen habe. Oder weil das Plakative den Blick in die Tiefe nahm oder…

Es verging eine Zeit. Zwischendurch waren mir mal die Fotos, die ich in Liblar und im Labor geschossen hatte, in die Finger gefallen. Außerdem hatte mich etwas berührt, von dem niemand wissen kann. Michael Nowottny hat 2011 auf Föhr gemalt – ein Stipendium. Föhr war die letzte Zuflucht meines Freundes Gunnar. Ich habe mit ihm studiert, bin mit ihm und anderen Anfang der Neunziger Goethes Italienische Reise nachgefahren, habe für ihn im Venedig zu seinem 33. Geburtstag eine Flasche Wein aus einem Restaurant geklaut, die wir auf den Stufen von Palladios Sant Giorgio Maggiore mit Blick auf den Markusplatz getrunken haben. Am Ende des Abends mit dem Vaporetto den Canale Grande an den Palazzi entlang zurück zum VW-Bus…

Wir haben zusammen Peter Weiß Ästhetik des Widerstands gelesen, haben die Kunst betrachtet, die darin als Ausdruck menschlichen Widerstands beleuchtet wird. Delacroix, Manet, die Erbauer des Pergamon Altars. Zwei Jahre lang haben wir das Buch gelesen – wir haben anders studiert, ganz anders und am Ende war uns ein Abschluss ziemlich scheißegal.

Gunnar ist auf Föhr gelandet. Der Rekonvaleszenz wegen. Ein wenig Zauberberg. Der Luft wegen. Erst hatte er eine Rippe verloren, dann einen halben Lungenflügel und am Ende hat es ihm ganz die Luft genommen. Zwei Mal hat er es geschafft, hat den Kampf gewonnen. Beim dritten Mal war es nicht zu operieren – der zentrale Eingang in die Lunge. Keine Operation, keine Bestrahlung mehr möglich. Zu brüchig, das Gewebe. Er hat mich zu seinem Gesundheitsminister gemacht, dort oben auf der Insel. Wir haben telefoniert. Und irgendwann ist er einfach zusammengesackt. Föhr. Moby Dick. Ahab. Ist nicht böse. Schreibt, malt Michael Nowottny. Gunnar sah im ähnlich, er war zwei Jahre älter, hatte eine ähnlich Frisur, auch diese dunkle Brille. Ich denke hier an Gunnar, erinnere an ihn, weil es nicht viele gibt, die so sind, wie er war. Nachwort für einen Freund. I.M.

Michael Nowotny_red

Manchmal gerät Kunst aus den Fugen und brandet über die Rahmen der Bilder hinaus. Dann wird sie privat, persönlich, innerlich und wehrt sich gegen eine allgemein gültige Rezeption. Ahab, Moby Dick. Kampf, Obsession. Den Dämon besiegen, das Messer aus dem Rücken ziehen, den Peiniger peinigen. Türme, Rumsfeld, Abu Ghureib. Vielleicht.

Das starke ICH. Die Geister, die ich rief. Der Zauberlehrling, der Tanz auf dem Vulkan. Kunst als Kampf, als Spannungsfeld. Moby Dick auf der Spur. Besessenheit, das Tier erlegen. In sich?

Vorgestern Abend: Vernissage im Labor. Zwei Künstler. Fotografien von Pinguin Treutinger (ein auch äußerst sehenswertes Projekt, das ich hier gerne vorgestellt hätte, aber er hat mich gebeten, keine Fotos im Internet zu veröffentlichen. Klar.) und Malerei, Zeichnung und Video (mit Sandra Klaas) von Michael Nowottny: Ahabs letzter Tag. Der letzte Tag, ja. Es gibt einen ersten Tag, einen siebten Tag und einen letzten.

Faszinierend. Seit über einem Jahrzehnt beschäftigt sich Michael Nowottny mit dem Thema. Stellt immer wieder die Frage. Die Frage, die eine Metapher ist. Wer ist Moby Dick? Ich habe die Bilder in verschiedenen Stufen und Größen gesehen. Fragmentarisch, angedeutet in Kohle, halb fertig im Atelier und nun zuletzt gerahmt.

Moby Dick 4_red

Es sind starke Arbeiten, die in ihrer Plakativität Ruhe ausstrahlen. Die einen Prozess, eine Geschichte dokumentieren. Ein vielschichtiges Gesamtwerk. Ist Michael Nowottny Ahab? Der Besessene? Ist Moby Dick die Kunst? Der Moment des Durchbruchs, des Erschaffens? Letztlich ist das egal. Nowottny erscheint in den Bildern, wird Teil des Ganzen, taucht als Erschaffer im Video, das in der Ausstellung gezeigt wird, auf.

Die Kunst, ein Jagen. Moby Dick auf der Spur. Flaute, Sturm, Gegenwind, Meuterei, Skorbut, Holzwürmer, faulendes Wasser, Piraten, Hafengesetze, Syphillis, Suff… Es ist eine harte Welt mit quälenden Tagen und Nächten auf dem weiten Meer der Freiheit. Jeder Kurs ist möglich – mit und gegen den Wind. Die Freiheit, in jedem Augenblick zu entscheiden, die Jagd abzubrechen und den weißen Wal ziehen zu lassen…

Der Wal ist tot, es lebe der Wal. Dort liegt er in der Ausstellung im Guckkasten, im Theater aus Holz. Die Kulissen zeigen den Ebertplatz mit Kirche im Zentrum. Straße, Häuserzeilen. Im Keller der Realität, der lebendigen Gegenwart, man sieht es nicht sofort, die Unterführung. Das Labor. Davor der erlegte Wal. Wie oft muss Moby Dick sterben, bis es geschafft ist?

Wer ist Moby Dick? Mein Moby Dick?

Moby Dick 2_red

Ateliergespräch mit DAVID

Was ist Malerei?
Was ist Malerei?
Was ist Malerei?

Ein Atelier zu betreten, ist ein besonderer Moment. Ein Übergang in eine Welt, die Türen und Tore hat. Fenster, Ausblicke, Einblicke. Kommt man in ein Atelier, in dem die Werke von drei Künstlern stehen (wie in diesem Fall), sind das viele Fenster zu vielen Welten, die dahinter liegen. Ich muss zugeben, zunächst überfordert gewesen zu sein, als ich in DAVIDs Atelier kam. In diese Gespräche gehe ich unvorbereitet, um offen zu sein. Um zuzuhören und dem nachzuspüren, was das jeweilige Wesen der jeweiligen Kunst ist. Ich muss mich also vor Ort orientieren, einen Zugang finden. Entscheiden.

Ankommen im Atelier. Nachfühlen. Ateliers sind für mich die besseren Museen, weil ich näher herankomme an Kunst, Bilder, Künstler. Weil ich sprechen kann, suchen, nachfragen. Bilder hinstellen, umstellen, sortieren, nach dem richtigen Licht gucken. Ich kannte DAVIDs Bilder teilweise aus dem Internet und von Besuchen bei ihm. Es sind Arbeiten, die zu einem großen Teil aus den Neunzigern stammen. Ich war einmal zufällig hereingeschneit, als er seine Pilzserie im Atelier stehen hatte. Zwei Meter mal einssechzig groß. Öl. Imponierend. Da war mir die Idee zu den Ateliergesprächen gekommen.

Wir wählen drei Bilder aus, um zu reduzieren, um einen Rahmen zu schaffen. Drei „Fenster“. Zwei stehen schon im Atelier, eines finden wir im Lager. Verstaubt, nicht vergessen. Ein Frauenkopf aus der Serie „Wella“. Wir räumen Bilder, kämpfen mit den Großformaten, rücken, schieben. Vorsichtig. David macht mir einen japanischen Tee. Einen besonderen Tee. David hat eine Zeit lang in Tokio gelebt.

Währenddessen fotografiere ich. Sehe die Bilder durch den Sucher, komme näher heran, blicke herein. Sie wirken, sie entfalten sich. Kunst ist immer auch eine Sache des eigenen Ankommens im Raum, im Moment, in der Kunst. Wir sprechen über DAVIDs Biographie. Das Aufwachsen im Bergischen, das Leben in einer Künstlerfamilie, die Bibliothek, die sein Spielplatz war, die Kunstbände, die seine Comics waren. Sind. Wir sprechen über den Vater, der Schweißer und Kunstmaler ist, Beuys verachtet und für den die Malerei nach 1830 aufhört. Ein Spannungsfeld. Was ist Malerei?

Die Achtziger in Köln. Die Künstler-WG im Dunstkreis der FLUXUS-Szene. „Wahnsinnige rund um die Galerie 68/11, die Performances zelebrierten und Einrichtungen wie die Akademie für künstlerische Nekropholie schufen.“ DAVID jobbte und malte. In seiner WG. Loslösen vom Alten, Contemporary Art, die Suche nach dem Wesen der Malerei. Ein Prozess, der 1990 in eine Einzelausstellung in der Galerie Kunstschalter von Ulrich Eichhorn mündet. Die Bilder verkaufen sich. Mitte der Neunziger wird DAVID „Scheunenkünstler der Gemeinde Overath“ – ein Atelierstipendium, das ihn letztlich bis auf die Pariser Herbstausstellung im Espace Eiffel-Branly bringt (1999).

Wir sehen uns seine Bilder an, sprechen darüber. Vorsichtig, nicht interpretierend. Das würde erdrücken, nehmen, stehlen, reduzieren. Ein Frauenkopf aus der Serie Wella, eine übermalte Pistole aus der Serie Waffen und eine Stinkmorchel aus der Serie „Pilze beim Betrachten der Sammler“. DAVID redet. Er weiß, was er tut. Er sortiert, erläutert seinen Plan, Weg. „Ästhetik interessiert nicht. Kunst ist ein Prozess mit Gewaltpotenzial. Man darf nicht pingelig sein.“ Mitte der Neunziger stellt DAVID seine Waffenserie aus. Pistolen, Gewehre, akribisch in Öl gezeichnet, realistisch gemalt – die Ästhetik des Objektes. Während der Vernissage übermalt er die Bilder – das Publikum ist entsetzt. Die schönen Bilder, die ganze Arbeit. Zerstörung in der Zerstörung. „Es ging nicht um die Waffen, das hätten auch Igel sein können. Malerei hat nicht die Aufgabe, darzustellen. Die Gegenstände sind nur die Lockvögel, die in die Malerei hineinziehen. Malerei hat an sich einen Wert. Das ist wie Tanz auf der Bühne. Das muss nichts darstellen.“

Ich sehe Wella mit anderen Augen, den Pilz. Sirenen, die locken, die reinziehen. „Malerei ist eigenständig, braucht keine Botschaft, ist Botschaft für sich selbst. Sie spricht unsere Synapsen an. Wir haben eine Metaebene in uns, die auf wertfreie Emotionen reagiert. Das macht uns zu Menschen, zu Lebewesen. Lebendig sein. Sei einfach!“ Ich mag die Bilder. Die Wella, die sich gegen ihre Schönheit wehrt und unterschwellig etwas Morbides zum Ausdruck bringt, die übermalte Pistole, die sich wehrt, versucht Zerstörung zu zerstören und dabei letztlich verfüherisch schön bleibt und den Pilz. Die Morchel, die die Fliegen fängt. „Pilze beim Betrachten der Sammler“. Humor. „Als ich die Pilze malte, war das eine Zäsur. Die Pilze an sich sind nicht wichtig. Es geht um die Malerei dahinter, um den Prozess des Malens. Für mich war das der Übergang vom Konzept zum Malerischen.“

Der Prozess geht weiter. Aktuell arbeitet DAVID an einem Bild für eine Ausstellung 2013. Es lag im Atelier. Die nächste Generation, der nächste Schritt. Ich konnte die Linie sehen, an der Hand von DAVID den Weg nachgehen. Das war ein großes Vergnügen, weil Kunst, Malerei letztlich immer im Betrachter entsteht. Bei mir ist gestern Abend wieder viel entstanden – das ist das, was diese Ateliergespräche so besonders macht. Danke, DAVID.

Ateliergespräch mit Ina T. von Trash/Treasure

STAUB. MOP ART. TRASH/TREASURE.

Gestern Abend hatte ich das sehr große Vergnügen, Ina T. von Trash/Treasure in ihrem Atelier in Köln besuchen und interviewen zu dürfen. Nach dem Gespräch mit Norbert van Ackeren in der letzten Woche war ich angefixt. Hatte Lust auf Kunst, wollte das Konzept Ateliergespräch weiterführen, weil Kunst in keinem Museum der Welt so direkt, nah, authentisch und nackt ist wie im Atelier. Es ist wie eine Spurensuche am Tatort Kunst. Da hängen, stehen, liegen, verschwinden die Bilder, Objekte, Installationen. Fragmentieren sich im Gesamtzusammenhang. Erzählen die Geschichten weiter, weil überall Hinweise herumliegen, herumstehen. Vorstufen, Informationen, Bücher, Fotos, Tests, skurrile Gebilde, die Bindeglieder waren, um die Idee zu transportieren. Kurz: Es ist einfach aufregend. Kunst spürbar, anfassbar, herausgenommen aus der Heiligkeit der Ausstellungen und Museen. Ich konnte Bilder herumtragen, hinstellen, einen Gesprächsrahmen schaffen.

Es war ein langes Gespräch. Bis zwei Uhr in der Nacht und es war nur ein Ausschnitt des Gesamtwerkes, auf den wir uns konzentriert haben. MOP ART. Ein Gemeinschaftsprojekt der beiden Künstlerinnen Bea T. und Ina T., die gemeinsam Trash/Treasure bilden. Bea ist vor zwei Jahren gestorben. Während unseres Gespräches ist sie im Raum, weil sie die andere Hälfte von MOP ART ist. Die Wissenschaftlerin, die Denkerin, die Schreiberin. Sie ist in den Bildern, Objekten, Katalogen, Installationen. Ich sehe sie auf einem Foto an der Wand. Im Projekt vertieft, in der Arbeit, in der Kunst, knietief im Staub.

Denn Staub ist das Thema. 1993 waren die beiden Frauen auf der Autobahn A1 unterwegs, als die Idee geboren wurde, die bis heute arbeitet, bewegt, macht, tut. MOP ART ist zwischenzeitlich um die Welt gegangen mit Ausstellungen in Deutschland, Island, den Niederlanden, Belgien, Spanien, Tunesien, Israel, Türkei, Japan.

Anfangs war der Staub eine dumpfe Masse. Eingesammelt mit Staubsaugern, aus fremden Wohnungen, Geschichten erzählend aus dem Privaten. Es gab Menschen, die konnten ihren Staub nicht hergeben. Zu intim. Es entstand die Bildreihe „Verkehrte Ordnung“ eins, zwei und drei bzw. blau, gelb, rot für eine Ausstellung in Düsseldorf zum Thema Ordnung.

Der Staub als Konglomerat, Zusammensetzung der Komponenten, Dokumentation. Verpackt in kleine Tütchen, Beweismaterial. Haare, Partikel, Stücke von Blättern oder Verpackungen. Geschichten. Das war der Anfang. „Zunächst gab es Berührungsängste des Publikums, später kamen erst die Frauen, die erzählten und unsere Arbeit reflektierten, dann die Männer. Die Experten, die beruflich mit Staub zu tun haben. Das war äußerst inspirierend, weil wir Staub plötzlich anders sahen. Als ein Funktionselement der Gesellschaft, das zum Beispiel das Fortschreiten der Zeit zeigt. Wir besorgten uns Normstaub aus Minnesota. Staub nach DIN, der so teuer wie Gold war. Dieser Staub ist definiert – in einem Jahr fallen in Mitteleuropa auf einen Quadratmeter 2,63 g Normstaub. Damit definiert Staub in seiner Menge auch Zeit. Es entstanden die Objekte „Gewicht der Zeit“ (Foto ganz oben).“

Trash/Treasure gingen weiter, tiefer. Von der Haushaltsebene auf die Wissenschaftsebene. „Wir kontaktierten die NASA, weil wir von kosmischem Staub gehört hatten, der oberhalb der Stratosphäre mit U2-Flugzeugen eingesammelt wird. Millionen Jahre alter Staub aus dem All, der erzählt. Die NASA hat den Staub unter Elektronenmiskroskopen bearbeitet, in einzelne Staubkörner separiert. Wir hatten Glück, haben einen Ansprechpartner gefunden, der offen für Kunst und unsere Ideen war. Irgendwann kam ein großer gelber Umschlag mit Aufdruck NASA und darin waren vierzig Aufnahmen einzelner Körner kosmischen Staubs. Wir waren auf der Mikroebene angelangt, beim kleinsten Teilchen. Das war extrem faszinierend und natürlich inspirierend. Stardust, Sternenstaub.“

Es entstanden immer neue Konzepte, die Staub neu beleuchteten. Die Staubfalle. Ein Gefäß mit Trichter, das Staub sammelt. Trash/Treasure verkauften sie, trafen die Käufer/innen in ihrem jeweiligen heimischen Umfeld und fotografierten sie mit ihrer Staubfalle. Fotos aus Wohnzimmern in Deutschland, Büros in Japan… In einer Ausstellung entstand in einem Raum ein „Museum des Staubs“, in dem „Staubfänger“ von Menschen aus der Region ausgestellt wurden. Es entstanden Staubbilder an Wänden, die langsam herab rieselten, Staubecken, Staubinstallationen am Boden, die Botschaften verkündeten. Ein Meer von Staubkunst. Bis hin zur Eigenreflektion des Projektes MOP ART in Ölbildern, die in der Türkei ausgestellt wurden. Menschen, Paare im Gespräch über MOP ART: STELL DIR NUR MAL VOR, WAS ALLES DAHINTER STECKT. WIR BERÜHREN DEN HIMMEL, GREIFEN NACH DEN STERNEN, GANZ REAL…

Nun geht das Projekt MOP ART in seine letzte Phase. Ina entfesselt sich vom Staub, lässt das Material gehen. Dazu verwendet sie digitale Malerei, mit der sie Schicht um Schicht überlagert. Wild, bunt. Farben, Strukturen. Feuerwerk, Finale. Wenn die Bilder als Prints produziert sind, wird es eine Ausstellung geben. ENTFESSELUNG. Freu ich mich sehr drauf. „Du wirst ab heute Staub mit anderen Augen sehen.“ Stimmt. Sternenstaub. Kosmischer Staub. Informationsträger. Symbol der Zeit. Kunst ist einfach groß. Ideen, Horizonte, der andere, weite Blick. Danke, Ina und Bea, danke Trash/Treasure.


(© Trash/Treasure, Ina T.)

Ateliergespräch mit Norbert van Ackeren

Liebend auch umfängt im Schweigen im Zimmer die Schatten der
Alten,
Die purpurnen Martern, Klagen eines großen Geschlechts,
Das fromm nun hingeht im einsamen Enkel.

Denn strahlender immer erwacht aus schwarzen Minuten des Wahn-
sinns
Der Duldende an versteinerter Schwelle

(aus der menschheitsdämmerung: Georg Trakl, Gesang des Abgeschiedenen)

Die Rolltreppe runter. Von unten kündigt sich der Ort des Geschehens an. Musik. Bierbänke, ein Schaufenster voller Zeichnungen. Köln, Ebertplatz, Labor, Projektatelier. Vernissage.

Kurz nach 19 Uhr, gleich werde ich auf die Bilder des Norbert van Ackeren treffen. Hinten im Atelier, das ein vergessenes Ladengeschäft ist an einem Ort, an dem sich nur schlecht Geschäfte machen lassen, aber umso besser Kunst. Ich frage, ob ich darf. Ins Atelier, schauen. Ich hatte schon länger den Gedanken, Ateliergespräche mit Künstlern zu führen. Ihre Arbeit, ihre Arbeiten hier vorzustellen. Nicht planen, machen. Also gehe ich an Leinwänden vorbei, atme Neonlicht, versuche den Blick zu fokussieren, mich anziehen zu lassen, zu sehen, wo es mich hintreibt, was mich hält.

Das Atelier des Norbert van Ackeren. Hinten durch in der Tiefe des Ebertplatzes, als würden nebenan U-Bahnen als wilde Tiere ihr Unwesen treiben und jede Sekunde durchs Mauerwerk brechen. Da stehen sie. Die Gesichter. Die Leiber. Die Figuren, Menschen, Wesen. Verrenkungen, Verletzungen. Ich bin sprachlos, weil ich das nicht erwartet hätte. Die Intensität des ersten Blicks, Eindrucks ist hoch. Die Bilder, Gemälde, nebeneinander aufgereiht an der hinteren langen Wand. Norbert kommt rein. Ich frage, ob ich fotografieren darf. Ja. Später frage ich, ob er mir erzählt. Ja.

Er findet die Themen in Zeitungen oder im Internet. Die Bilder sind da. Das Paar der ausschweifenden Fete auf Hawaii. Ein kleiner Mann reitet auf einer dicken Frau. Der Junge aus Tschernobyl mit den Elefantitisbeinen, die Brüder, einer lebt in Israel, hat Bergen-Belsen überlebt, der andere in Ausschwitz gestorben. Das Mädchen aus dem Kosovo. Ein Foto aus der WAZ. „Da habe ich das erste Mal dieses Wort Kollatteralschaden bewusst wahrgenommen. Flüchtlinge waren bombadiert worden. Ein kleines Foto des toten Mädchens. In Decken gehüllt. So viele Decken.“

Van Ackeren liest Trakl. Ein Buch lehnt an der Wand. Unscheinbar, mittendrin. Neonlicht, kein Fenster. Sakral. Das Hawaii-Bild wie ein Kirchengemälde in Italien. Der dunkle Hintergrund. Tief schwarz. Grafiker-Asphalt. Die abgesetzten Farben, ein Hauch Renaissance. Norbert van Ackeren hat seine eigenen Materialien. Keine Tuben. Die Farben entstehen durch Umwandlungsprozesse. Durch Oxidation oder den Einfluss von Sonnenlicht. Stammen aus der Fotoentwicklung, dem Druckbedarf. „Es haben sich rund fünf Substanzen herauskristallisiert, die meine Farben sind.“ Aus den offenen Beinen des Tschernobyl-Jungen wächst grünes Kupferoxid. Eine lebendige Wunde. „Das Bild ist zwei Monate vor Fukushima entstanden. Wir vergessen so schnell.“

Das verwundete Kind ist als Prinz in einem Goya-Arrangement gemalt. Inthronisiert mit einer Elster auf Kopfhöhe und einer Katze zu Füßen. Symbole der alten Malerei. „Ich habe Kunst nicht studiert. Irgendwann bin ich auf Max Ernst gestoßen, habe mir ein kleines Atelier gebaut. Ich habe mich in die Museen gesetzt, Bilder geguckt. Geschaut, wie sie es gemacht haben.“

Anfang des Jahres war er in London. TATEmodern, National Gallery. Viele kleine Galerien im Umfeld. Er guckt, sucht, findet. „Es klingt vielleicht pathetisch, aber es sind die alten Themen. Tod, Leben, Liebe, Kuss, die Badenden. Das ist der Deal, das sind die Themen.“

Wir hatten eine intensive Viertelstunde für unser Ateliergespräch, das mich beeindruckt hat. Dann musste Norbert los. Was für eine Atmosphäre. Kunst atmen. Ich war dieses Jahr auch in der TATEmodern und National Gallery und habe viel gute Kunst gesehen. Aber das hier war anders. Näher. Anfassbar. Da ist ein Maler ohne Allüren. Mit Richtung, Ziel. „Ich brauche kein Atelier mit Fenstern und Ostlicht.“ Der erzählt, in den Figuren und Wesen steckt, der sie empfindet, auf der Leinwand lebendig werden lässt. Verändert. Jedes der Bilder eine komplette Geschichte. Was er malt, ist fühlbar. Weckt Emotionen, geht alles andere als spurlos vorüber. Das ist Kunst, die wirkt, die zerrt, die nicht lässt, die will, die berührt. Und: Die Bilder sind lebendig. Die Oxidationsprozesse gehen weiter. „Ich weiß nicht, was passiert. Die sind nicht für die Ewigkeit. Ich muss nichts erhalten, für mich müssen nur die Bilder raus aus mir.“

Norbert van Ackeren ist 1969 in Oberhausen geboren, arbeitet in Ateliers in Duisburg und Köln und wird im September in Duisburg zusammen mit seinem Kölner Atelierpartner Michael Nowottny ausstellen. Wer sich für die Arbeiten von Norbert van Ackeren interessiert oder wer mehr Infos zur Ausstellung im September haben möchte, kann ihm mailen: norbert@van-ackeren.de. Infos zum labor Projektatelier Ebertplatz gibt es hier.