Liebend auch umfängt im Schweigen im Zimmer die Schatten der
Alten,
Die purpurnen Martern, Klagen eines großen Geschlechts,
Das fromm nun hingeht im einsamen Enkel.
Denn strahlender immer erwacht aus schwarzen Minuten des Wahn-
sinns
Der Duldende an versteinerter Schwelle
(aus der menschheitsdämmerung: Georg Trakl, Gesang des Abgeschiedenen)
Die Rolltreppe runter. Von unten kündigt sich der Ort des Geschehens an. Musik. Bierbänke, ein Schaufenster voller Zeichnungen. Köln, Ebertplatz, Labor, Projektatelier. Vernissage.
Kurz nach 19 Uhr, gleich werde ich auf die Bilder des Norbert van Ackeren treffen. Hinten im Atelier, das ein vergessenes Ladengeschäft ist an einem Ort, an dem sich nur schlecht Geschäfte machen lassen, aber umso besser Kunst. Ich frage, ob ich darf. Ins Atelier, schauen. Ich hatte schon länger den Gedanken, Ateliergespräche mit Künstlern zu führen. Ihre Arbeit, ihre Arbeiten hier vorzustellen. Nicht planen, machen. Also gehe ich an Leinwänden vorbei, atme Neonlicht, versuche den Blick zu fokussieren, mich anziehen zu lassen, zu sehen, wo es mich hintreibt, was mich hält.
Das Atelier des Norbert van Ackeren. Hinten durch in der Tiefe des Ebertplatzes, als würden nebenan U-Bahnen als wilde Tiere ihr Unwesen treiben und jede Sekunde durchs Mauerwerk brechen. Da stehen sie. Die Gesichter. Die Leiber. Die Figuren, Menschen, Wesen. Verrenkungen, Verletzungen. Ich bin sprachlos, weil ich das nicht erwartet hätte. Die Intensität des ersten Blicks, Eindrucks ist hoch. Die Bilder, Gemälde, nebeneinander aufgereiht an der hinteren langen Wand. Norbert kommt rein. Ich frage, ob ich fotografieren darf. Ja. Später frage ich, ob er mir erzählt. Ja.
Er findet die Themen in Zeitungen oder im Internet. Die Bilder sind da. Das Paar der ausschweifenden Fete auf Hawaii. Ein kleiner Mann reitet auf einer dicken Frau. Der Junge aus Tschernobyl mit den Elefantitisbeinen, die Brüder, einer lebt in Israel, hat Bergen-Belsen überlebt, der andere in Ausschwitz gestorben. Das Mädchen aus dem Kosovo. Ein Foto aus der WAZ. „Da habe ich das erste Mal dieses Wort Kollatteralschaden bewusst wahrgenommen. Flüchtlinge waren bombadiert worden. Ein kleines Foto des toten Mädchens. In Decken gehüllt. So viele Decken.“
Van Ackeren liest Trakl. Ein Buch lehnt an der Wand. Unscheinbar, mittendrin. Neonlicht, kein Fenster. Sakral. Das Hawaii-Bild wie ein Kirchengemälde in Italien. Der dunkle Hintergrund. Tief schwarz. Grafiker-Asphalt. Die abgesetzten Farben, ein Hauch Renaissance. Norbert van Ackeren hat seine eigenen Materialien. Keine Tuben. Die Farben entstehen durch Umwandlungsprozesse. Durch Oxidation oder den Einfluss von Sonnenlicht. Stammen aus der Fotoentwicklung, dem Druckbedarf. „Es haben sich rund fünf Substanzen herauskristallisiert, die meine Farben sind.“ Aus den offenen Beinen des Tschernobyl-Jungen wächst grünes Kupferoxid. Eine lebendige Wunde. „Das Bild ist zwei Monate vor Fukushima entstanden. Wir vergessen so schnell.“
Das verwundete Kind ist als Prinz in einem Goya-Arrangement gemalt. Inthronisiert mit einer Elster auf Kopfhöhe und einer Katze zu Füßen. Symbole der alten Malerei. „Ich habe Kunst nicht studiert. Irgendwann bin ich auf Max Ernst gestoßen, habe mir ein kleines Atelier gebaut. Ich habe mich in die Museen gesetzt, Bilder geguckt. Geschaut, wie sie es gemacht haben.“
Anfang des Jahres war er in London. TATEmodern, National Gallery. Viele kleine Galerien im Umfeld. Er guckt, sucht, findet. „Es klingt vielleicht pathetisch, aber es sind die alten Themen. Tod, Leben, Liebe, Kuss, die Badenden. Das ist der Deal, das sind die Themen.“
Wir hatten eine intensive Viertelstunde für unser Ateliergespräch, das mich beeindruckt hat. Dann musste Norbert los. Was für eine Atmosphäre. Kunst atmen. Ich war dieses Jahr auch in der TATEmodern und National Gallery und habe viel gute Kunst gesehen. Aber das hier war anders. Näher. Anfassbar. Da ist ein Maler ohne Allüren. Mit Richtung, Ziel. „Ich brauche kein Atelier mit Fenstern und Ostlicht.“ Der erzählt, in den Figuren und Wesen steckt, der sie empfindet, auf der Leinwand lebendig werden lässt. Verändert. Jedes der Bilder eine komplette Geschichte. Was er malt, ist fühlbar. Weckt Emotionen, geht alles andere als spurlos vorüber. Das ist Kunst, die wirkt, die zerrt, die nicht lässt, die will, die berührt. Und: Die Bilder sind lebendig. Die Oxidationsprozesse gehen weiter. „Ich weiß nicht, was passiert. Die sind nicht für die Ewigkeit. Ich muss nichts erhalten, für mich müssen nur die Bilder raus aus mir.“
Norbert van Ackeren ist 1969 in Oberhausen geboren, arbeitet in Ateliers in Duisburg und Köln und wird im September in Duisburg zusammen mit seinem Kölner Atelierpartner Michael Nowottny ausstellen. Wer sich für die Arbeiten von Norbert van Ackeren interessiert oder wer mehr Infos zur Ausstellung im September haben möchte, kann ihm mailen: norbert@van-ackeren.de. Infos zum labor Projektatelier Ebertplatz gibt es hier.
Hallo Jens,
danke für die Einblicke. Es ist interessant, wie Künstler arbeiten, welche Materialien sie verwenden. Die Bilder, die ich hier sehe, hinterlassen Eindrücke, machen nachdenklich. Kunst ist nicht nur fröhlich.
Vielen Dank.
Annegret
Hi Annegret,
gerne geschehen. My pleasure. War ein sehr netter Abend mit spannenden Künstler. Hatte noch ein gespräch mit Michael Nowottny. Ist einfach immer sehr belebend. Kunst ist nicht nur fröhlich und sanft ästhetisch. Manchmal ist sie auch schwer und irritierend. Kunst eben. Mag die Arbeiten sehr, weil sie so intensiv sind. Einer, der sich was traut und erzählt. Fordert. Konfrontation. Alles an dere als beliebig.
Liebe Grüße
Jens
Hallo Jens,
da du mich ja nun bei Facebook „enttarnt“ hast, wenn man so will, kann ich ja auch gleich hier kommentieren: Toller Beitrag, die Bilder sehen allesamt der interessant aus, auch wenn die Motive eher düster zu sein scheinen. Das muss aber nicht negativ sein. Das Leben besteht schließlich nicht nur aus Sonnenschein und Fröhlichkeit. Wo Licht ist, ist eben auch Schatten. Vielleicht wüssten wir ansonsten den Wert der schönen Dinge gar nicht zu schätzen?
Viele Grüße
Laura
Hi Laura,
oder Miss Undercover? Ts:) Ist die Tarnung erst aufgeflogen, lebt es sich doch viel leichter…
Danke für das Kompliment. Nein, die Bilder sind nicht unbeschwert leicht. Eher erzählen sie von den nicht so schönen, skurrilen, schmerzenden Dingen. Wenn man sieht, wie blutrünstig die Malerei der Vergangenheit. All die Bilder in Peter Weiss „Ästhetik des Widerstands“. Zeitdokumente. Schonungsloser Blick. Interpretation der Geschehnisse. Kollatteralschäden. In Verbindung mit den Materialien, Oxiden, die van Ackeren benutzt, sehr intensiv.Sieht man hin und denkt. Nach.
Danke für deinen Kommentar-Mut und liebe Grüße in die Hafenstadt
Jens