Wer kauft jetzt noch japanische Autos?

Mann. Erdbeben, Tusnami, GAU. Ich meine, das ist doch schon genug. Kommt jetzt noch ein Wirtschaftsdesaster als Add-On oben drauf? Gestern war ich im Bioladen. Ich hatte Zoe und ihre Freundinnen zum Hip-Hop-Tanzen gebracht. Drei durchgeknallte Lady Gagas im Auto. Super. Während die getanzt haben – move your body, shake your hips -, habe ich eingekauft. Für die Woche und für ein Sushi-Essen am Samstag. Helga und David kommen und wir wollen zusammen sehen, was wir da auf die Teller zaubern können. Jim hat seine Hilfe angeboten, weil er mittlerweile ein gutes Sushi-Feeling hat.

Ich denke, ihr wisst, was jetzt kommt. Die Zutaten, also Miso für die Suppe vorweg und die Algenblätter kommen aus Japan. Rote Algen aus dem Meer. Äh? Tja. Ich habe dann im Laden nachgefragt, weil ja gestern die Grenzwerte für die Strahlenbelastung importierter Lebensmittel angehoben wurden. Foodwatch berichtet über eine EU-Eilverordnung. Nuklearer Notstand.

Mir war mit den Algen aus japanischer Produktion nicht ganz wohl, deshalb habe ich nachgefragt. Zwar habe ich mir gedacht, dass das noch kein Problem sein wird, aber ich wollte schon wissen, was Sache ist. Denn, sitzen wir da am Samstag in der Runde und essen Sushi und fragen uns zwischendurch, wo das, was wir gerade essen, her kommt, dann kann das zu Irritationen und Ungemütlichkeit führen. Wer will schon Algen essen, die verstrahlt sind? Ich nicht. Und Gästen möchte ich solche auch nicht anbieten und meiner Familie auch nicht. Entwarnung. Für mich. Alle japanischen Lebensmittel im Laden stammen aus der Zeit vor der Katastrophe. Neue Ware ist nicht geordert. Ups? Keine neue Ware geordert?

Ah. Was jetzt? Shit. Großes Problem. Nichts Genaues weiß man nicht. Was ist in Japan verstrahlt? Und womit? Da gibt es ja die unterschiedlichsten Halbwertszeiten. Von bis. Wenige Minuten bis mehrere Jahrtausende. Und wie ist die Windrichtung? Und wie groß ist die Belastung überhaupt? Und wenn das Zeug regional schon im Meer, im Gemüse und im Trinkwasser ist, ist es dann bald auch in den japanischen Autos? Und anderen japanischen Exportgütern? Und was ist dann? Was wird aus Japan, wenn verstrahlte Exportwaren auftauchen? Strahlen sieht man nicht. Das war das merkwürdige gestern an der Tüte mit Miso und den verpackten Algenblättern. Ich konnte es ihnen nicht ansehen. Natürlich kann man sagen: Bleib mal locker. Aber wer hat Lust, aus Solidarität mit Japan verstrahlt zu werden?

Ich glaube, es wird Zeit für einen Plan B. Die Süddeutsche berichtet: “Mehrere Länder haben den Import von Lebensmitteln aus Japan ganz oder teilweise eingeschränkt, darunter China, Südkorea, Taiwan, Australien und Singapur.” Von Importverboten ist die Rede. In dieser ganz besonderen Situation wird es Zeit, sich Gedanken für den Fall X zu machen. Für den Fall, dass der Weltmarkt für japanische Produkte schwierig wird. Noch sieht es so aus, als wäre die Verstrahlung lokal begrenzt. Aber so richtig weiß niemand, was los ist. Das wird sich an den Messstationen in den Häfen zeigen. Per Geigerzähler. Ganz banal. Kommt es zum Fall der Fälle, braucht Japan Hilfe. Ich hoffe, da sitzen Weltbank-Spezialisten und rechnen das mal durch. Drücken wir weiter die Daumen, dass die Reaktoren in Fukushima bald unter Kontrolle sind und die Verstrahlung ein Ende findet. Aber ein Plan B sollte schon mal angedacht werden. Wahnsinn.

Bazooka, Knall, Schepper, Bumm, Bumm!

Nein, kein Krisenherd. Wieder nicht. Momentan sitze ich hier morgens und überlege: Weite Welt oder kleines Leben. Eben bin ich kurz durch die Nachrichtenchannel gezapped, um zu sehen, wo die Welt gerade steht. Dabei kam mir heute der Begriff Chaostheorie in den Sinn. Das war die Sache mit dem Flügelschlag eines Schmetterlings in China, der tausende Kilometer entfernt eine Naturkatastrophe auslöst. Weil gerade dieser kleine Flügelschlag als letztes kleines Etwas gefehlt hat. Gerade paar viele Schmetterlinge unterwegs. Wenn wir auf dieser Welt so feinfühlig miteinander verbunden sind, dann…

Ich bleibe lieber beim kleinen Leben. Schließlich ist Frühling. Vor einem Jahr schrieb ich im Brigitte Woman Blog über das Grand-Treppen-Opening. Dieser Moment, dieses bewusst das erste Mal im Jahr draußen auf der Treppe in der Sonne sitzen und Cappuccino schlürfen, ist in diesem Jahr durchgerutscht. Alles ist so anders in diesem Jahr. Der Frühling kam überraschend und vieles andere auch.

Gestern Nachmittag saß ich hier am Rechner und beschäftigte mich mit verschiedenen Texten. Da ging es um Ingenieursleistungen und das Einvibrieren von Löchern in sandige Böden – die es zum Beispiel in Berlin gibt -, um Fundamente auf bis zu 30 m tiefe Betonstützen zu stellen. In meinem Kopf vibrierte und betonierte es. Da kam Jim rein. “Papa, ich brauch’ den Kompressor.” Ein Kundengeschenk, das bei mir im Büro steht. Klar. Nimm. Abmarsch. Da rumorte es draußen. Vor meinem Bürofenster hatten sich die kleinen Strolche des Dorfes eingefunden. Eine ganze Bande. Heerscharen von Kindern. In der Mitte Jim und ein Nachbarsjunge. Aus meinem Vibratortext lösten sich erste Gedanken. Mein Vater sagte früher immer: “Holzauge, sei wachsam.” (In meinem Kopf kursieren etwa 150 Millionen Papasprüche, die nur zu ca. 10 % politisch korrekt oder öffentlich aussprechbar sind. “Wenn’s vorne juckt und hinten beißt, nimm Klosterfrau Melissengeist.” Und so weiter. Welch ein Erbe!)

Aufgeregtes Geschnatter draußen, das Röhren des vibrierenden Kompressors. Wir haben doch ein Fundament! Quatsch, das ist das andere Thema. Was machen die nur? Kompressor, Druck aufbauen. Moment mal. Nix gut. Jim hatte sich, das scheint bei Jungen in seinem Alter normal zu sein, kürzlich erst in Flammen aufgehen lassen. Haarspray versprüht und angezündet. Weil das Feuerzeug erst nicht klappte, war er näher dran gegangen. Zu nah, weil das Feuerzeug dann doch klappte. Augenbrauen weg, Lippen verbrannt, eine Gesichtshälfte rot, die Fleecejacke teils geschmolzen. 100 % Glück gehabt. Ohne die Augenbrauen sah der aus wie ein Alien. Die angekokelten Wimpern haben sich immer wie ein Klettverschluss ineinandergehakt. Er musste die Augen dann mit den Fingern öffnen. Ihr könnt euch vorstellen, was in Ela und mir vorging. Aaaaaaaahhhh!!!

Gestern nun also der Kompressor. Ich bin dann mal lieber vor die Tür gegangen, um einen Blick auf das Geschehen zu werfen. “Papa, guck mal. Wir haben eine Bazooka gebaut.” Super. Waldorfschule, Anti-Atomkraft-Demonstration, engagiertes Schultheater und in der Freizeit Bazookas bauen. Passt. Jungen. 14 Jahre. Im Spiegel Online Pubertäts Special stand was von umfassenden Gehirnveränderungen in der Zeit und einer gewissen Unzurechnungsfähigkeit. Ein Trost. Leben in Extremen. Das wird schon – sofern er seine Experimente unbeschadet übersteht. Nun gut. Eltern müssen ja auch einfach Vertrauen haben. Und sanft kontrollieren.

Was haben die Jungs gemacht? Eine Flasche mit Wasser gefüllt, einen Korken rein gesteckt, durch den Korken die Spitze zum Ballaufpumpen geschoben und dann mit dem Kompressor Druck auf die Flasche gegeben. Klassischer Raketenantrieb. Jim hat den Kompressor bedient, der Nachbarjunge hatte ein altes Lüftungsrohr auf der Schulter – die Bazooka – in dem sich die Flasche befand. Kompressor an, Druckaufbau, Korken fliegt aus der Flasche, die fliegt einige Meter weit aus dem Rohr nach vorne und versprüht Wasser. Kerosin. Genial. Mit Einschränkungen. Die Jungs hätten meines Erachtens auch eine friedliche Nutzung der Anwendung ins Spiel einbeziehen können. Auf jeden Fall war der Jubel groß. Friede, Freude, Eierkuchen. Alle waren nass und hatten ein breites Frühlingsgrinsen im Gesicht. Mittendrin Cooper als Petey the Pit (der Hund der kleinen Strolche, der mit dem schwarzen Auge).

So bleibt das Leben im kleinen und großen Zusammenhang spannender, als mir lieb ist. Meinetwegen könnte ich gerne mal eine Woche lang unbeschwerte Langeweile haben. Euch wünsche ich, dass ihr unbeschadet durch den Tag kommt. Das ist momentan ja auch schon mal was. Quatsch. Sehen wir das mal nicht so pessimistisch. Ist ja bislang immer noch gut gegangen. Wie der Kölner/ die Kölnerin sagt. Und der/ die hat auch schon einiges mitgemacht…

Die Einschläge kommen näher:)

Nicht was ihr jetzt im Kontext des momentanen Weltgeschehens glaubt. Nein. Viel banaler. Aber nicht unbedingt weniger dramatisch. Ich bin auf dem Land. Genauer gesagt beim Dorffußball. Wer es noch nicht weiß, ich spiele hier im Nachbardorf in der offiziellen Mannschaft der Alten Herren. Mittlerweile seit zehn Jahren. Die Jungs sind mir ans Herz gewachsen. Wie das so ist, wenn Männer nach dem Spiel beisammen sitzen, es tauchen Ideen auf. Pläne. Möglichkeiten.

Vor zwei Jahren saßen wir nach einem Training im Sommer draußen vor der Tür. Verschwitzt, dreckig, glücklich. Hormonausschüttung durch das Laufen und Rennen und Stürmen und Flanken und Grätschen. Für den Körper ist das Fluchtverhalten, das mit eigenen Antidepressiva unterstützt werden muss. Gedanken ausschalten, lächeln. So saßen wir da auf unserem Hormontrip und der Sorge um das Abflauen des Gefühls, dem Hormonturkey. In der Mitte eine Kiste Bier, alle setzten sich hin, wo gerade Platz war. Auf Treppenstufen, Autokotflügel. Ein guter Abend.

Wir hatten schon lange recht halbherzig eine Mannschaftstour geplant, als sich an diesem Abend ein Mitspieler mit Begeisterungsüberdosis auserwählt fand, die Dinge in die Hand zu nehmen. Er startete die Aktion Mannschaftsmotivation und hatte auch schnell einen Claim für die interne Kommunikation gefunden: “Jungs, die Einschläge kommen immer näher!” Bedeutet: Seht euch um, was mit Menschen in unserem Alter passiert. Fallen um, liegen flach, es haut ihnen die Beine weg, nimmt ihnen den Atem. “Wenn nicht jetzt, wann dann?” Er hat es in die Hand genommen. Kurzerhand ein Reiseziel festgelegt und am nächsten Tag Flüge und Hotel gebucht. Malle. Ich gebe es zu. Fünf Tage Ballermann. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich selten so gelacht habe. Unvorstellbar.

Gestern nun hatten wir Ü32-Kreismeisterschaftsspiel. Direkt in der ersten Runde gegen den Favoriten. Die Spieler von denen sind alle noch aktiv und im Schnitt mehr als zehn Jahre jünger. Normalerweise können wir das durch Erfahrung ein wenig kompensieren und durch schlaues Auswechseln auch den Konditionsnachteil ausgleichen. Gestern dann: Verletzte, Kranke, Lahme, Couch-Potatoes. Die Einschläge kommen näher. Wahrlich. Am Sonntag hatte ich in der zweiten Mannschaft gegen junge Männer knapp über 20 gespielt. Gestern Früh taten mir alle Knochen weh. Am Abend dann das Entscheidungsspiel – Top oder Flop. K.O.-System. Nach drei Minuten verletzte sich einer unserer Spieler im defensiven Mittelfeld. Der Sechser. Khedira. Also so in etwa:) Ich war an der Reihe, wurde vom Trainer eingewechselt und durfte wieder ran.

Wir haben verloren. Ecke, Kopfball, drin. 1 : 0. Ausgeschieden. In der Kabine sind wir dann durchgegangen, wer uns alles gefehlt hat. Wer nicht da war, aber hätte da sein sollen. Das Ergebnis: Wir werden weniger. Rückenprobleme, Knieprobleme, Arbeit, Familie. Überhaupt. Nächsten Monat werde ich 46. Herrje. Egal. ich denke lieber an den Oktober. Da sind wir als Mannschaft wieder unterwegs. Auf Norderney. Vier Tage. Was ich jetzt schon weiß: Das wird wieder ziemlich lustig. Alte Geschichten, Gerede, Geklüngel, Gedöns. Macht einfach Spaß, an nichts zu denken und einfach mal nur dummes Zeug zu reden. Denn letztlich ist es ja so, man muss die Zeit nutzen, denn…

Carpe Diem.

P.S. Gestern Abend habe ich eine ganze Reihe Geschichten und Gedichte online gestellt, die ich auf meiner Festplatte gefunden habe. Dort setzen sie nur Staub an. Vielleicht habt ihr Lust, ein wenig zu stöbern. Einfach mal unter Lyrik und Kurzgeschichten nachschauen…

Kundera

Was nur

wenn alle Leichtigkeit Sein ist

Trauer schwebt

Wut verraucht

Blumen sind Wahrheit

Apfelbäume

und ihre Blüten

Du

ach

im leichten Blick

neu gesehen

Alle Liebe vergisst

schwer zu werden

tänzelt weiter

durch

Gassen und Straßen

Heliumgefüllt

kaum spürbare

Gravitation

Küsse

wie Flaum

Küsse, Küsse

juni 2010

höllenfahrt in den himmel

du liebst deinen gegner
das macht die waffen schwer
dein schild wiegt nur
schützt nicht

läufst gegen fatamorganen

regen, sonne, sturm

aufgelöst, zusammengesetzt
alt, neu
um die ecke
direkt getroffen
gefallen
aufgestanden
gelaufen

schlag ins gesicht
berappelt
kasteit

die neunschwänzige katze
im kopf

striemen

heilende wunden
aufgerissene wunden

gestern, heute
morgen irgendwann

dann wieder gefühl
gut und schlecht
schön und böse

höllenfahrt, himmelsreise

august 2006