Schönen guten Abend, Herr Massenmord.

Es wurde dunkel und es war kein Traum, was in jenem Augenblick das Ungeschickteste war, was ihm passieren konnte. Denn schweißgebadet aufwachen war nicht drin, weil er ja gar nicht schlief. Sein Name war John-Heiko, weil sein Vater Ami und die Mama eine Deutsche war. So nach dem Krieg, Besatzung, Kennenlernen, Tanzen, Rummachen, Kind, ab nach Amiland.

Was ihn, John-Heiko, in jener Nacht bewog, den falschen Weg nach Hause einzuschlagen, lässt sich nun, einige Jahre später, nicht mehr sagen. Ob wir ihn noch fragen können, weil er ja gleich den Massenmörder trifft in dieser wahren Story, soll jetzt noch nicht verraten werden. Ist noch geheim.

Er kam von einem schönen Fest voll Lichtertaumel, Kerzenschein. Nicht voll betrunken aber doch mit diesem oder jenem Bier beladen. Getanzt, gelacht, geneckt und auch den einen oder andren Blick geworfen zur schönen Sibylle hin, die ihn seit jeher doch nicht will (weil er den unbekannten Papa hat mit dieser schwarzen Haut, die auch ihn in zartes, schönes Braun nun hüllt). Nun hatte er die Wahl, den längeren Weg der Straße lang oder husch, husch durch den nicht ganz dunklen, mondbeschienenen Wald. Gab ihm das Bier den Mut, den Weg des Waldes einzuschlagen? Schritt für Schritt, Sibylle noch im Sinn, Schritt er beherzt voran. Im vom gestrigen Regen leicht aufgeweichten Boden ließ jeder Schritt die Spur vom Fest Richtung Zuhause zurück. Bis irgendwann die Spur beendet war, zumindest auf dem Weg. Weshalb, was war geschehen?

Monsterdunkel, Mondennacht. Zu hell, um unerkannt zu schreiten, zu dunkel, um den Überblick zu wahren. Der Zufall wollt es so, John-Heiko traf den Massenmörder dort im Wald. Unerwartet plötzlich, so ist die Plötzlichkeit nun mal, trat jener große, schwere Mann als Albtraum auf den Weg. In riesigen Pranken hielt er ein riesiges Meuchelmörder-Messer und eine dunkel glänzende Pistole, Marke ganz schnell und dann für immer tot. Man kann sich vorstellen, was in John-Heikos Kopf in diesem finstren Augenblick geschah. Sibylle raus, Massenmörder rein. Puh, was für Wendungen dies allzu unbeschwerte Leben manchmal nimmt. So standen sie auf diesem Weg und die Pistole ganz allein hielt John-Heiko davon ab, den Weg zurück zu laufen, weil Massenmörder auch in Rücken schießen. Nix da Ehre und so weiter, alte Cowboy-Western Moral, tut ein wahrer Mann nicht und so weiter. Erschossen wird nun einmal nur von vorne. Was ist mit unten, oben, von der Seite? Sorry, ich schweife ab. Wir sind noch auf dem Weg, im Wald. John-Heiko sieht den Massenmörder, der Massenmörder sieht John-Heiko. High-Noon kurz nach Mitternacht. „Ich hab dir nichts getan, nun lass mich einfach gehen, ich hab noch nicht einmal mehr Geld, der teure Sekt für die Si…, Si… – ich kriegs nicht raus –, das musst du doch verstehn. Bist doch auch ein Mann.“ Kaum gesagt, da kam der Zweifel schon. Sich mit dem Massenmörder einfach nur durchs Mannsein auf eine Stufe stellen, ob das der richtige Weg ist? Da muss man doch eher Psychologisieren, weil Massenmörder doch als Kind zu wenig Liebe abbekommen haben und sich letztlich doch nach nichts mehr sehnen als nach ein paar guten Worten. So schlimm bist du doch gar nicht und irgendwie ja auch nicht schuld, weil der Papa dich immer gehauen hat und du jetzt einfach gar nicht anders kannst. Was soll man machen? Ist halt so.

Die Gedanken zuckten, der Impuls zu Laufen hatte sich als Betonklotz um die Füße gewunden, John-Heiko hatte eine Heidenangst. Was für ein Wort, die Angst der Heiden. Vor dem Schwert des Ritters mit dem Kreuz? Oje, wo all die Worte immer herkommen und dann verschütt in unsren Köpfen wie tief eingenistet weich gebettet liegen bis zum Augenblick, wenn Wahrheit dran kommt wie Luft, die Feuer zündet, explodieren lässt. (Manchmal übertreib ich und außerdem schweif ich schon wieder ab, eine Unart). Da stand er nun, John-Heiko, nicht der Kreuzritter, um jegliche Verwechslung auszuschließen, mit dem Massenmörder in der Nacht. Kurz überlegte er, ob ihn die Angst jetzt pinkeln lassen würde, weil das Gemisch aus größter Angst und frisch getrunknem Bier durchaus in diesem Augenblick zu einem Rinnsal längs des Beins herunter hätte führen können. Nichts, nur ein leichtes Zittern, tatsächlich schlotterten die Knie und er wusste nun, dass sie das wirklich tun können. Der Massenmörder trat einen Schritt auf ihn zu und grinste überheblich schadenfroh, so wie es Massenmörder wohl gern tun. Das hatte er schon oft getan, kurz bevor er tat, was Massenmörder letztlich dann nicht lassen können. Er war, sofern man das in diesem Falle sagen kann, ein Meister seines Handwerks und hatte seinen Namen Massenmörder durch viele Taten sich wohl wirklich redlich schon verdient. Er soll, allein in einer Nacht, ein Dorf und noch ein halbes dann dazu gemeuchelt haben ohne Rücksicht auf Verluste, denn zu verlieren hatte er gar nichts.

Die Situation war also klar. Ein John-Heiko und ein Massenmörder, dass da am Ende nicht der Massenmörder tot am Boden liegt, liegt auf der Hand. (Ich hab jetzt das getan, was der Lehrer hat verboten, hab zweimal liegt verwendet. Ein rotes A am Rand für schlechten Ausdruck. Leck mich. Da red ich hier von Massenmörder und der schreibt Ausdruck an den Rand. Sonst noch Probleme? Weiter.) Nimmt man zumindest an. Man kann jetzt auch nicht sagen, die Situation wäre ein Patt – Knarre, Messer, alles klar. Tja, und der Papa zwar ein Ami, aber leider ganz weit weg. Die kommen nur im Film mit Hubschrauber und Kavallerie.

Der Massenmörder grinst und sagt. „Pech, jetzt bist du tot.“ Da flucht John-Heiko und sagt „Scheiße“. (Rotes A). „Ja, Scheiße sagt der Massenmörder, alles Scheiße. Den ganzen Tag, die ganze Nacht. Immer kalt und nix zu fressen. Kaninchen fangen, schlachten, häuten, grillen. Ganz selten nur ein Reh. Am liebsten ess’ ich Beeren.“ John-Heiko verstand Bären und dachte Scheiße (A!), hier gibt’s Bären und ich Idiot laufe durch den dunklen Wald. Und gleich fragte er dann auch den Massenmörder: „Hier gibt’s Bären?“. Vielleicht war es der Mond oder das Fest in der Nähe, was den Massenmörder nicht gleich explodieren ließ. Da traf er auf ein Wesen menschlicher Gestalt und das war scheins so dumm wie Brot. Beeren mit doppel e und nicht mit ä wie Äquator. Das hat er dann auch gesagt, mit erhobenem Messer und der Pistole auf die Stirn des Gegenübers gerichtet. Kapiert? Ein schnelles Ja, klar, hab verstanden. Red’ nicht so viel, oder ich puste dich weg, ganz langsam selbstverständlich. Erst ins Ärmchen, dann ins Beinchen, dann das ganze schlotter-schlotter-Schweinchen.

Was tun? Der Massenmörder hatte scheinbar keine große Lust in dieser Nacht zu morden, obwohl es für ihn nur ein Fingerzug gewesen wäre. Nicht mehr als eine Synkope auf dem Weg durch diese mondbeschienene Nacht. John-Heiko spürte Aufwind, dachte, wenn er es bis jetzt noch nicht getan hat, vielleicht gibt’s dann noch eine Chance. Er nahm sich, ein durch das nicht mehr an Sibylle Denken frei gewordne Herz und gab dem Massenmörder zu verstehen, dass er gern’ verhandeln würde. Dass war dem Massenmörder niemals nie zuvor passiert. „Verhandeln? Hast du den Arsch auf oder was. Ich hab hier die Knarre und schmier gleich dein Gehirn nach hinten aus dem Schädel in den Matsch, du Pisser.“ Ja, da hatte er recht. Die Sache mit dem Gehirn hatte die Sachlage deutlich verändert und ließ John-Heiko nun dann doch ad hoc am Bein entlang den Strahl laufen. Pisser, wie wahr. John-Heiko nahm die Hände vors Gesicht um für einen kurzen Augenblick ganz allein für sich zu sein. Der Massenmörder schoss ihm knapp am Ohr vorbei, rechts und links. Beeindruckend knapp. „Dann verhandel’ mal und mach ein Angebot. Was haste denn zu geben, he?“ John-Heiko überlegte nicht und sagte einfach nur „Sibylle“. Das traf den Massenmörder wie ein Schlag links und rechts am Ohr vorbei. „Sag das nicht noch mal.“ John- Heiko sah den letzten Augenblick gekommen, schon wieder falsch, verdammte Scheiße mit Opfer-Täter-Psychologie und abgeklärte Kommunikation zur Wahrung letzter Chancen in von Risiko geprägten Situationen. Dann brannte bei ihm die Sicherung durch, peng, peng. „Was willst du Arschloch eigentlich. Lauerst mir auf, willst mich umbringen und tust es nicht. Was kann ich dafür, dass irgendein versoffen verlauster Penner dich niemals in den Arm genommen hat. Klebt an meinen Händen all das Blut, das du vergossen hast? Muss ich in der Hölle Kohlen schaufeln bis zum allerletzten Tag, wann der auch immer sein mag? Du arme Sau stehst hier und hast versemmelt, was man nur versemmeln kann (A!). Knall mich doch ab, ist mir jetzt auch egal. Sibylle liebt mich eh nicht, der Papa ist in Amiland und ich geh immer ganz genau den falschen Weg. Bin ich halt weg, wen stört’s?“ Da schien der Mond die Erde anzuhalten, der Wald wurd’ still, kein Blatt traute sich in diesem Augenblick ein kleinstes Rascheln. Was würde der Massenmörder tun? „Du liebst Sibylle?“ Der Tonfall war nicht der, den irgendwer in diesem Augenblick erwartet hätte. „Ja, das tue ich.“

Was dann geschah, ist nicht ganz klar. Weil weder John-Heiko noch der Massenmörder noch sonst wer davon berichten kann. Nicht, weil irgendwer in jener Nacht sein Hirn im Matsch verloren hat. Nein. Sondern weil die Welt ganz plötzlich in diffuses Licht getaucht war. Ein Wind kam auf, Wolken, die Blätter raschelten, tuschelten, der Wald wurd’ laut. Die Spur hat sich verloren, mehr weiß man nicht. Am nächsten Tag lag er mit matsch’gen Schuhen im Bett. Ohne komplette Erinnerung an die vorangegangene lausige Nacht. Dass das, was er noch ahnte, ein wahrer Albtraum und kein Traum wahr, verriet die nasse Hose mit deutlichem Geruch.

John-Heiko jedenfalls hat überlebt. Von Sibylle bekam er dann das Ja und beide schritten noch im gleichen Jahr vor den Altar. Die Mütter weinten. Die Väter beider Kinder aber waren gar nicht da.

Hamburg, August, Rolf und ich

Weiß nicht
was geschieht
muss nach Hamburg
auf Rolfs Spuren

Das raue Haus
St. Pauli
die Jungs

Weite Fahrt auf einem Schiff
voll Holz

Ein Vater, noch ein Vater
noch ein Vater
alle namens August
außer Rolf

Der spielte wunderschön Klavier
bis 76
das Jahr
der Sommer

Ende
Anfang
Abschied

Auf Wiedersehen
Realität

Ich lebe jetzt in Seelenwelten
Himmelsgruften
Stürmen

Halt, Schutz, Wichtigkeit
gebaut auf Liebe
Liebe, Liebe, Liebe
Liebe
Papa, Vater, Rolf

jens schönlau, märz 2010

Fred, das Alien, der Birnbaum und der Weihnachtsmann

Als der kleine Fred – das war im Garten seines Vaters – dieses ästhetisch eingeschränkte Alien sah, fiel ihm nicht mehr ein als ein quietschiges „Ih!“. Dem Alien war es egal, hatte er sein feuerrotes Raumschiff doch nur aus Versehen im Garten von Freds Vater versenkt – den Birnbaum mitgerissen und den Goldfisch-Teich. Der – also Freds Vater – war im Moment des Aufpralls und dann Einschlags nicht zugegen – wegen Arbeit und anderer solcher Sachen, dachte sich Fred. Was tun? Fotos machen zum Angeben, als Gast hereinbitten, die Polizei und Feuerwehr rufen, die Armee, den Papst, das Fernsehen? Zu viel, für einen kleinen Jungen, hier und jetzt und gleich eine so wichtige Entscheidung zu treffen. Also, erst einmal das Naheliegende probieren: „Willst ’nen Kaugummi?“ Warten. Der spricht nicht, zuckt nur, blubbert, knirscht und quarzt. Vielleicht das ureigene interne Alien-Reparatur-Programm (ARP)? O.K., bewerf ich dich mit Dreck. Zack. Wirst schon nix mit Laser und Pistole bei dir haben. Wenn’s im Raumschiff ist, kannste eh ’ne Stunde buddeln, so tief liegt das Ding. Mensch, was für’n Speed. Keine Reaktion. Ob der fliegen kann? „Kannste fliegen, he?“ Und was ist, wenn’s der Weihnachtsmann ist? Das hätt’ mir gerade noch gefehlt, au Backe. Und alle Geschenke hin und unten drin in diesem Wahnsinnsloch. „Du Alien, ich hätt’ da mal ’ne Frage…?“

Smoke on the water

Wir waren Kinder, Brüder und verbrachten die großen Ferien gemeinsam mit unseren Eltern am Thuner See in der Schweiz. Für den Abend – es war der Nationalfeiertag des Landes, hatte die Hotelbesitzerin, eine wohlgenährte Französin mittleren Alters mit entsprechendem Akzent, ein Feuerwerk für die Gäste des Hauses angekündigt – „Isch abe die Ehre, Ihnen ’eute Abend, eine gewaltige Feuerwerk über die See’immel anzukündigen!“ Der gedämpfte Applaus ging in der pürierten Spinatsuppe „Potage du Jackson“ unter. Wir tauschten Blicke unter verschworenen Brüdern, ließen das Menü unbeachtet passieren und verzichteten in gespannter Erwartung und Vorfreude auf die Ereignisse des Abends auf das Dessert – Crepes mit pürierten Himbeeren und zartbitteren Schokoladenflocken. Wir eilten raus auf die Liegewiese unten am See, auf der Urs – Gärtner, Portier, Hausmeister, Chauffeur und Barkeeper in einer Person – die Vorbereitungen traf. Mit gekrümmtem Rücken und monotoner Langsamkeit trug der mindestens Siebzigjährige Kisten und Werkzeug aus der Orangerie am Rande des Hotelgartens. Wie gerne hätten wir geholfen, die Raketen, Böller, Sonnenräder, bengalischen Lichter auszupacken. Sein Blick traf uns ins Mark und wir wussten, er wollte uns bei seinen Vorbereitungen nicht dabei haben. Kleine Jungen und Feuerwerk, eine zu gefährliche Mischung. Also nahmen wir das Boot, ruderten auf den See und erzählten uns, was wir an den Himmel werfen würden. Allein unsere Ouvertüre hätte das Land der Banken und schweigenden Konten in eine finanzielle Staatskrise gebracht – unser Finale, von einem lyrischen Entree langsam einschwenkend in ein Lichter-Stakkato bis zu einem bombastischen Höhepunkt geführt, wäre noch in Sydney zu sehen gewesen.
Urs hatte scheinbar ein anderes Konzept und wir waren gespannt, was er sich hatte einfallen lassen. Aus heutiger Sicht kann ich das kurz auf den Punkt bringen: Nichts. Rein gar nichts. Kein Gedanke an ein Konzept. Nach dem Abendessen hatten wir uns auf die Wiese geschlichen und nicht mehr als einige behelfsmäßig zusammen gezimmerte Dachlatten sowie eine ganze Batterie geleerter Baron Rothschild Flaschen als Raketenabschussbasen entdecken können. Ein Skandal! Dann kam es, wie es kommen musste. Wir hatten keinerlei Vertrauen in Urs. War er ansonsten vielleicht ein handwerkliches Universaltalent, ein Feuerwerker war er mitnichten. Wir hatten uns auf dem Balkon des Salons in der zweiten Etage wie Stadler und Waldorf aus der Muppet Show verbarrikadiert, während alle anderen Hotelgäste Champagner schlürfend von der Terrasse aus zusahen. Zum Auftakt fuhr Urs die Hotelbesitzerin im offenen Bentley, ein herunter gekommenes Modell aus dem Jahr 1913, auf die Wiese und übergab ihr im Schein des Mondes die brennende Fackel. Dann ging alles sehr schnell. Die erste Rakete zündete und warf im Davonzischen die zweite und dritte Rakete samt Baron Rothschild Flaschen zu Boden. Uns war sofort klar, was jetzt geschehen würde. Am Anfang des Super GAUs stand die Auslösung einer Kettenreaktion. In den nächsten 60 Sekunden entzündete sich der gesamte pyrotechnische Vorrat für ein zwanzigminütiges Feuerwerk. Urs hatte definitiv versagt. Als erstes musste der Bentley mehrere Raketentreffer einstecken, was ihn im Handumdrehen in Flammen aufgehen ließ. Während Madame und Urs verfolgt von bengalischem Feuer in letzter Sekunde den rettenden Sprung in den Thuner See wagten, um von dort das Einschlagen der Raketen im Bootshaus mitzuerleben, was das Ende des geparkten Mahagonibootes eines befreundeten Industriellen aus Interlaken bedeutete, erlebten wir die schönsten und wohl aufregendsten Sekunden unseres Lebens. Alles war in ein Lichtermeer lyrischer Schönheit getaucht. Dann war alles vorbei – der Rest ist Schall und Rauch. Niemand wurde verletzt, ein Wunder, und auch das Hotel blieb gänzlich verschont, obwohl uns im Schutze des Balkongeländers die Raketen nur so um die Ohren flogen. Ein Volltreffer zauberte hunderte Sterne an die Hotelfassade, blieb ansonsten aber ohne Folgen. Es dauerte Stunden, bis die Einsatzkräfte den Ort des Geschehens verlassen hatten. Mein Bruder und ich waren einer Meinung: Besser hätten wir es auch nicht inszenieren können. Seither denke ich bei jedem Feuerwerk, und sie können mir glauben, ich lasse keines aus, an diesen Abend und – wer hätte das gedacht – einen wahren Feuerwerkgott namens Urs.

Erinnerungen ans Meer

Der Wald duftet
im leichten Rauschen
des Windes
am Morgen

Die Promenade
Nizza
eine weiße Bank
Mittagessen
im Hafen
Wein
Segelboote

Ela weckt mich
der Regenbogen
über dem Fenster
hochgetrieben
aufgespannt
von der Sonne
im Osten
aufgepustet
vom Westwind

Ihr Rücken
sie fotografiert
ein Cappuccino
im Bett
verwöhnt

Ein Kaffee in Chania
eine Moschee
aus alter Zeit
Sarazenen – Sarrazin
Sara
meine Katze
damals
angeschossen
Wer tut so etwas?

In großen Lettern
das Boot ist voll
dann brannten Menschen
Klu-Klux-Klan
mitten in Deutschland
im Westen
nebenan
Worte sind
Waffen
Schwerter
Pistolen
Fackeln

Die Wellen stoßen mich
schubsen
drängeln
necken, lachen
Salzwasser
dringt ein

Bin ich der Kaleu?
Kapitänleutnant zur See
auf der
Andrea Gail

Mach die Schoten
dicht
hör nicht hin

Rockmusik
die feste Frauenstimme
im Klang des Gewitters
Regen läuft über
meine nackte Haut
Ela
bei mir
an mir
in mir
Amsterdam
Himbeertorte
Wein
Kaffee

Kommen jetzt wieder
Fahnen?
Die Halterung
des dritten Reiches
am Fenster des Speichers
demontiert

Sehne mich
nach weichen Wellen
Sanftmut

In Leichtigkeit
taumeln
den Blick
ins Zarte

Türkisfarbenes
Wasser
Licht
Freundlichkeit
endlich

Ela
gib mir
die Hand
Bitte

jens schönlau, september 2010