Was ist Heimat?

Borner 16

Gestern habe ich diesen Beitrag geschrieben. Über das, was mein Innerstes gerade auf links dreht. Puff, Peng. Zuspruch, Verständnis, Mitgefühl. Danke.

Seit zwei Wochen ist Viveka hier. Wir testen ein wenig das Leben, wie es sein könnte, wenn wir tatsächlich einmal zusammenwohnen. Es ist spannend. Wir teilen den Alltag. Viveka bewegt sich durchs Dorf. Trifft die Nachbarn, unterhält sich, nimmt Kontakt auf. Es ist schön.

An allen Ecken warten Gespräche. Dieses wunderbare kleine Leben. Fernab.

Ich war immer im Gespräch, aber nie, so wie jetzt. Sitze hier in der Küche, draußen die Stimmen. Es ist Sommer. Es ist warm, ab und an kommt ein Gewitter. Herr Cooper liegt neben mir am Boden. Er hatte wunderschöne Tage, Viveka war jeden Tag mit ihm unterwegs. Morgens, mittags, abends.

Wir haben auf der neuen Bank an Nohls Wäldchen gesessen. Haben den Hasen beobachtet, die Schüsse des Jägers gehört. Kein Treffer:)

Zum Thema: was ist Heimat?

Zunächst einmal: Freundlichkeit, Lächeln. Nichts Ausgrenzendes, kein “Ich bin stolz…” Kein Abgrenzen. Im Gegenteil. Es ist aufnehmend, umschließend, gutlaunig. Keine übellaunige beige Grimmigkeit. Es ist ein Ort, den man schlicht mag. Der einem immer wieder etwas anderes gibt, das einen staunen lässt. Das besteht aus Vielem. Menschen, Nachbarn, Natur, der Blick in die Landschaft. Das Gefühl, das man hat, wenn man dort ist.

Dieses Dorf sieht jeden Tag anders aus. Der Himmel ist nie gleich, das Wetter sowieso nicht. In den letzten Tagen war Vollmond. Der zieht in der Nacht vor mein Fenster und geht im Morgen nach Westen. Dieses Dorf riecht immer anders. Das Licht ändert sich, die Stimmung. Im Winter kommt es zur Ruhe, im Frühling beginnt es zu flattern, im Sommer ist es Italien, im Herbst geht es von Haus zu Haus mit den Laternen und den Liedern von St. Martin.

Um das Dorf herum kenne ich jeden Baum und jeden Stein. Alles ist in tausenden Fotos festgehalten. Schließe ich die Augen, sehe ich.

In 16 Tagen gehe ich. Gestern habe ich meinen Traktor weggebracht. sein Platz hier ist nun leer. Es ist nun ein wenig therapeutisches Schreiben. Sich all diesen Gefühlen schreibend entledigen. Ich bin froh, den Blog zu haben. Auch wenn ich bis heute nicht weiß, was er eigentlich ist und was ich mit ihm mache.

Ich sitze in der Küche und schreibe. Irgendwann habe ich genug geschrieben und klicke auf Veröffentlichen. Baff.

Auch dieser Blog, diese Maske, die ich mit Bildern und Worten fülle, ist Heimat. Wahrscheinlich ist Heimat das, was der Seele gut tut. Was einem ein schönes Gefühl gibt, wenn man dort ist. Ob Blog oder Dorf.

Es tut weh. Punkt.

Jens 93 Dennis Durant

Vor diesem Beitrag drücke ich mich nun seit Wochen, Monaten. Ich war ein Maschinenmensch, der das Notwendige getan hat. Es kam alles so schnell. Das Haus, die Heimat, verkauft. Weg. Es kommen neue, nette Menschen, die übernehmen. Ich kämpfe mit den Tränen. Mein Herz weiß, ich will nicht gehen. Es haben 100.000 € gefehlt, die ich in meinem Leben mit Arbeit nicht mehr aufbringen. Der Zug ist abgefahren.

Offen sein für Neues? Die Herausforderungen des Lebens annehmen? Habe ich immer gemacht. Aber nun. Kämme ich mein Leben gegen den Strich. Es ist eine Niederlage, ein in den Sand fallen, ein getroffen Sein, ein abgeklemmtes Herz. Ein wenig müde bin ich. Was geschehen ist, wollte ich nicht. Es ist ätzend.

Ich habe ein neues Haus gekauft, das schön ist. Ich werde neu anfangen. Max und Pella können bei mir wohnen, ich kann eine Wohnung vemieten, die Nachbarn sind nett, der Verkäufer ist nett, die jetzigen Mieter, mit denen ich noch WG-mäßig zusammenwohnen werde in der ersten Zeit, sind nett. Alles gut, könnte man sagen.

Ist es aber nicht. Ich blute.

Die letzten Wochen hier. Alles geregelt. Notartermine, Banktermine, Grunderwerbsteuer, eine neue Küche gebraucht in Rheine gekauft, organisiert, gemacht, getan. Mein Bruder legt den Anschluss für den Dampfgarer, Stevie und Adam helfen beim Umzug, der 7,5 Tonner ist gemietet. Ich darf ihn fahren, wie damals im Studium. Die alte, feudale Klasse 3. 50-jährige haben Bestandsschutz.

Die letzten Wochen habe ich mir hier alles reingezogen. Natur pur. Alles ohne Kamera. Eine Nacht an Nohls Wäldchen mit hunderten Glühwürmchen. Und das größte Geschenk. Ein Mauersegler in der Hand. Mauersegler landen nur zum Nisten. Ansonsten sind sie in der Luft. Die freiheitsliebendsten Geschöpfe der Erde. Als große Ehre und Geschenk des Schicksals empfinde ich es, dass sie über meinem Zimmerfenster im Holzkasten unter der Regenrinne brüten. Auf dem Dachboden höre ich ihre Stimmen. Mauersegler sind so schön.

Einer hat sich verirrt, ins Innere des Hauses. Aufgeschmissen. Ich habe ihn genommen. Hingesetzt am Abend auf den Boden. Am Morgen habe ich ihn geholt, habe ihn in die Hand genommen, habe ihm sehr leise zugesprochen mit wenigen Worten. Im Morgengrauen sind wir auf Michaels Pferdeweide und ich habe ihn vorsichtig auf meine linke Hand gesetzt und er ist gestartet und weggeflogen. Das war einer der schönsten Augenblicke meines Lebens. Versöhnlich.

Das Leben ist schön, das Leben ist eine Herausforderung. Ich bin ein Mauersegler, der auf einem Speicher falsch gelandet ist. Mein Leben schmerzt gerade und ich könnte weinen und ich hoffe, niemals mehr, einen solchen Beitrag in mein Tagebuch schreiben zu müssen.

Ab jetzt geht es aufwärts. Das Holz liegt in Mühlhausen. Viveka und ich sind am Wochende 500 Kilometer Landstraße gefahren. 10 Touren. Laden, sichern, fahren, entladen, stapeln, fahren, laden… Am 6. August kommt mein Kram in den LKW. Dann ist Schluss in der Alten Schule. Und weg. Ich werde dann im alten Verwaltungsgebäude der Bleigrube Bliebach bei Wiehl wohnen. Weiter auf dem Land, weiter in einem alten, denkmalgeschützten Haus. Aber nicht mehr im geliebten Nosbach. 18 Jahre. Nirgendwo habe ich in meinem bisherigen Leben länger gewohnt.

Jens 1992