Die Liebe in Paris erlebt wie an keinem Ort nirgends

Braut

Ein Klischee. Sicherlich. Paris, die Stadt der Liebe. Doisneau, der Kuss.

Herrje. Ich habe sie erlebt.

Mit ihr durch die Nacht. Die Nächte. Nicht schlafen gehen wollen, einander an die Hand nehmen. Stundenlang. Vom Tour Eiffel die Seine entlang. Die letzte Metro ist weg, die Wohnung am Montmatre weit weg. Viveka und ich fahren kein Taxi. Keine Option.

Hier sitze ich, durchstreife die Fotos. 800. 200 habe ich durchleuchtet, einige ausgewählt, leicht bearbeitet. Alle vom ersten Tag, aus der ersten Nacht.

Wir haben uns dem Eiffelturm genähert, sind abgebogen über die Brücke, über die Seine, um aus der Ferne zu sehen. Wir haben uns hingesetzt, nah nebeneinander und haben geschaut. Zwei Mal haben wir die Sterne gesehen, das stündliche Wunderkerzenleuchten, die Silberlichter. Nur dagesessen, glücklich mit Paris, mit der warmen Nacht, miteinander.

Jetzt sitze ich hier, bin noch benommen. Es sind Tage, die geschenkt sind, es sind Nächte, die bleiben. Es ist Zeit, deren Wert unermesslich ist. Ich möchte Gedanken, Erinnerungen fesseln, betonieren, halten. Für immer. Sie gehen. Nur ein Teil bleibt. Aber der für immer, das weiß ich.

Die Kerzen leuchten. Leonhard Cohen läuft. Wieder und wieder. Die Platte aus der Wohnung. Die Musik von Yan. Songs from a Room. Besser könnte der Titel nicht sein. 1969. Bird on the wire.

Wie ein Vogel hoch auf dem Draht
Wie betrunken tief in der Nacht,
Hab´ ich versucht, frei zu sein.
Wie ein Wurm fest am Haken,
Wie ein Ritter in manch alten Sagen
So blieb in der Liebe ich dein.

Die Stimme, ein junger Cohen. Einer, der die Gefühle glaubt. Noch. Noch.

Die Stadt der Liebe, ich durfte sie erleben. Und ja, sie kann was. Sie hat tatsächlich eine Magie. Wir haben an der Seine gesessen, am Montmatre, am Kanal in der Sonne mit Blick auf das Chez Prune. Dort habe ich mit meinen Eltern und meinen Brüdern gesessen. Wir haben dort einen Kaffee getrunken und ich habe den Tisch gesehen, an dem mein Vater gesessen hat. Die letzte Fahrt als Familie. Alle zusammen. Und Viveka war an meiner Seite und hätte gerne ihrer Mutter von Paris erzählt.

Diese Stadt packt einen im Inneren, da gibt es kein Entkommen. Ich bin gerne nicht entkommen. Im Gegenteil. Satt reingesetzt. Aufgesogen. Keine Sekunde verschenkt, kein Rückzieher, kein zu früh schlafen gehen. Ausgereizt, die Stadt der Liebe, die Liebe.

Zusammengewohnt für 4 Tage. Kein Essen, kein Nosbach, kein einander Vermissen, kein Fern. Nah. Nebeneinander. So nah. Tage, eingebrannt. Ich höre jetzt nur noch Cohen und die Songs from a Room und beame mich zurück in die Stadt, in Yans Wohnung. Beam me up. Ich bin sehr verliebt. Sehr. Merci beaucoup, Holly Vi.

Hier eine Auswahl der Fotos aus den ersten zwölf Stunden. Kisses.

Ingrid

Mädchen

Treppenhaus 2

Treppenhaus

Dächer

Dachfenster

Mann_Treppe

Barbes

Franklin

Amischlitten

Cinq

Roosevelt

Exzessiv in Pärissss

_DSC0021

Wenn man von Dingen nicht lassen kann. Wenn es einen zieht, drückt, wirbelt. Wenn das Atmen schwerfällt, weil die Luft der Wünsche dünn wird, der Boden der Gewohnheit sich auflöst, man fällt und steigt, glaubt und verzweifelt in einem Moment. Wenn alles da ist, sich vereint und schon wieder entschwindet.

Paris.

Mein Geburtstagsgeschenk. Lange, lange gewünscht. Genau genommen seit drei Jahren. Kurz nach der Trennung von Ela hatte ich eine Karte gekauft. Damien Rice in Paris. Alles geplant. Dann habe ich in meiner Lieblingsagentur einen Job bekommen und dann kam etwas dazwischen. Ich hätte Tag und Nacht Auto fahren müssen, um das irgendwie hinzubekommen und wäre dann bei einer Präsentation am Morgen gerade rechtzeitig aus Paris zurückgekehrt. Ich wollte dann kurzfristig für Ersatz sorgen und mein Wunschherz in die Watte des tatsächlichen Geschehens hüllen. Hat nicht geklappt. Weil mehr passiert ist, als Wasser den Rhein hinunter geflossen ist. Mein Leben hat sich auf den Kopf gestellt, es war ein emotionales Rodeo, ein Austanzen, Wegatmen. Und ja, Verdrängen.

Letzte Woche irgendwann bin ich 50 geworden. Nun gebe ich es offiziell zu: Ich bin 50! Gleichzeitig merke ich an, dass ich tatsächlich keinerlei Lust empfinde, 50 zu sein. Das ist das Tor zum Jenseits, der erste Schritt ins… Lassen wir das. Natürlich komme ich klar, Pillepalle, eine Unwichtigkeit am Rande des Weltgeschehens.

Viveka hat mich genommen und entführt. Ich wusste seit Monaten von einer Reise. Ich hätte es mir denken können. Voila, Paris. Die Sehnsucht gestillt. Aber. Ey. Sie hat eine echt super Performance hingelegt. Andeutungen, falsche Fährten, ein Wort, ein Lächeln im rechten Moment.

Nun sind wir hier. Gestern mit Germanwings gelandet. Amen. Charles de Gaules. 1999 bin ich hier umgestiegen auf dem Weg nach New York, habe Waris Dirie geholfen, ihre Taschen ins andere Terminal zu tragen. Herr Schönlau als Sherpa der Wüstenblume. Der gleiche Weg.

Vivekas Vater uns gefahren. Stau. Stau. Stau. Bahnstreik. Lokführer. Ey. O.K. Gutes Geld für gute Arbeit. Der 7. Streik. Da fängt es an. Wir haben es geschafft. Pünktlich, glücklich. Wolkenlos bis Paris. Was alles abfällt, wenn es in die Stadt der Liebe, der Freiheit geht. Auf dem Weg zum Gare du Nord ein spanisches Ehepaar mit Liedern der Liebe. Box auf dem Rollwagen, Mikro. Kennt ihr. Schön. Als hätten sie nur für uns gesungen. Wir haben uns angelächelt und klar haben wir Geld gegeben. Gerne. Die Kunst.

Am Gare de Nord mussten wir umsteigen. Unsere Wohnung, die Viveka uns besorgt hat, liegt am Montmarte. 15 Uhr Treffen mit Yan. „Ich habe einen Hut auf.“ Wir sind in Afrika gelandet. Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Bunte Kleider, Markt, Fisch, Fleisch, Gemüse. Dazwischen Polizei, die Männer mit Malboros hochnimmt. Leibesvisitation. Fliegende, fliehende Händler. Willkommen mitten im Leben. Wunderbar. Yan meint, die meisten kämen aus Kamerun und Tansania. Dort kommt auch der Fisch her, den wir gerade gegessen haben.

Diese Stadt ist unglaublich. Yan hat uns die Wohnung übergeben. Sie gehört einem Freund, er schläft bei seiner Freundin. „Die Deutschen fragen immer, wo ich bleibe.“ Ich auch. Keine Ahnung, weshalb. Weil ich deutsch bin oder neugierig? Was ist deutsch?

Die Wohnung ist so, dass ich nie mehr weg müsste. Der Eingang zwischen dem afrikanischen Gemüsehändler und dem Schlachter. Gegenüber der zweifach gesicherten Eingangstür sitzen tagsüber afrikanische Frauen auf Bananenkisten. Wir wohnen im 6. Stock. Schauen auf die Dächer des Viertels. Yan hat uns Kaffee bereitgestellt, Tee. Orangensaft, frische Handtücher. Ach. Wenn man so eine Wohnung mietet, übernimmt man ein Leben. Es ist ein verstehen Wollen. Ein Suchen. Wer ist der Mensch, der hier wohnt.

Gerade läuft Pink Floyd. Die Platte Wish you were here. Immer wenn wir hier sind, hört sich jetzt komisch an, weil wir gerade einmal 30 h hier sind, schiebe ich ein CD ein. Ich versuche mal, mich an die Reihenfolge zu erinnern:

Gil Scott-Heron: Pieces of a Man
Miles Davis: Kind of blue
Serge Gainsbourg
The Doors: Sampler
Rage against the machine: Bomtrack, Killing in the name
Patrice: Lions
Pink Floyd: Wish you were here

Und sonst? Metro gefahren, Eiffelturm bei Nacht, Sacre Coeur in der Sonne, Notre Dame, Marais und vor allem: Kaffee im Chez Prune. Dort haben meine Brüder und ich mit meinen Eltern gesessen. Da war der Tisch, an dem wir gesessen haben. Mein Vater hat dort gesessen.

Zwischendurch hat sich Viveka zwei Kleider und einen Rock gekauft, ich habe mir zwei Paar Schuhe gekauft und meine 8 Jahre alten Timberlands entsorgt. Ciao.

Gestern Nacht sind wir bis 3 Uhr unterwegs gewesen. Haben uns eine Stunde lang den Eiffelturm angesehen. Haben in der Nacht gesessen und uns das Teil komplett reingezogen. Je länger man hinsieht, desto wahnsinniger wird dieses Bauwerk. Wir wollten dann die letzte Metro nehmen, hatten aber keine Lust die Welt oben zu verlassen. Also sind wir an der Seine entlang. Immer weiter Richtung Notre Dame. Zwei Stunden. Allein an der Pyramide des Louvre. Und irgendwann in den Nachtbus Richtung Chateau Rouge.

Diese Stadt ist ein Rausch. Wie soll man das alles fassen, erklären? Noch ein Schloss? Noch ein Museum, noch größer. Heute sind wir von Notre Dame über das Marais bis zum Chez Prune gelaufen. Vorbei am Place de Republique. Charlie Hebdo Plakate an der Liberte. Ein Zeltdorf davor. Schwarze. Megaphone. UN TOIT. UN DROIT. Gleichheit, neben der Freiheit und Brüderlichkeit. Wären da nicht die Grenzen.

Die Grundpfeiler. 1789. Wo wären wir? Demokratie in Europa. Umgeben von Afrikanern, die lesen müssen, was mit Afrikanern geschieht, die nach Europa wollen. Hier in der Wohnung bin ich mehrfach dem Satz begegnet: 1ere Classe pour toute le monde.

Einen roten Stern gibt es auch. Das ist alles sehr menschlich, sehr ästhetisch, sehr warm. Die Plattensammlung spricht für sich, alles andere auch. Ich könnte einziehen, sofort, ein neues Leben beginnen. Das wartet eh. Irgendwann. Was wird? Jim und Zoe sind bald so weit. Die Zeichen stehen auf Neuanfang.

Nun gut. Paris. Montmatre wartet. Ich muss, will los. Die Stadt von oben bei Nacht. Korrektur lesen schaff ich nicht mehr. Nur noch einige Fotos. Auch unbearbeitet. Au revoir.

_DSC0007

_DSC0341

_DSC0391

_DSC0396

_DSC0437

Liebe Nazis, geht endlich heim und zieht die bescheuerten Stiefel aus

Konstruktion_red

Schon wieder.

Ich meine, diese Welt hat genügend Probleme. Echte Probleme. Menschen, die um ihr Leben fürchten. Die fliehen müssen. Weil sie sonst einfach und ganz banal: NICHT ÜBERLEBEN.

Das war in Deutschland auch so. Menschen mussten sehen, dass sie Land gewinnen. Bis 45. Irgendwie rauskommen. Nicht wissen, wen man zurücklässt, verliert. Ob man es selber schafft.

Jetzt kann man den verblendeten Nazis, mein Großvater väterlicherseits war einer (er bezahlte für sein Abendessen im heimischen Rathaus mit Adolf Hitler mit 6 Jahren Krieg, 5 Jahren russischer Kriegsgefangenenschaft, 2 Jahren Entnazifierung (Waldarbeit für die Briten) und einem an alles anschließenden, erbärmlichen Darmkrebs. Mein Vater pflegte ihn bis zum Schluss, den Vater, den Nazi.

Mein Opa wusste es nicht besser. Seine Menschlichkeit war vom Kaiserreich, vom 1. Weltkrieg, vom Vertrag von Verdun, vom Schwarzen Freitag, von Arbeitslosigkeit und Währungszerfall korrumpiert worden. Es waren die Zeiten. Und es ist, trotz allem, ich möchte meinen Opa nicht verlieren, unverzeihlich. Das Nazitum einer Generation trägt weiter und giftet. Ihr Nazi-Vollpfosten habt keine Ahnung, was ihr tut.

Vor allem: Ohne Not.

Kein Vertrag von Verdun. Kein schwarzer Freitag. Kein Hunger.

Kinder eines der reichsten Länder der Erde. Aufgehoben, umsorgt, getragen von Systemen eines Sozialstaates. Nun gut, der ist mehr als er sollte freimarktwirtschaftlich ausgerichtet und hofiert nicht gerade seine unteren Schichten. Stolz und Ehre können da schon einmal einen Knick bekommen. Unschön, das Gefühl, X.-ter Klasse zu sein. Klar, verständlich.

Aber kein Problem im Vergleich mit dem, was es heißt, in einem Land mit echten Problemen zu leben. Was es heißt, aus Syrien zu entkommen. Da sind Leute, die schaffen es gegen alle Widerstände, unter Einsatz ihres Lebens, sich nach Deutschland zu retten. Das sind Leute, die wissen, was es heißt, dem Tod ins Auge zu sehen.

Und die Nazis in Deutschland, die dann die Unterkünfte anzünden? Die glauben, so hart zu sein? Wann in eurem Leben musstet ihr wirklich mal hart sein? Wann habt ihr etwas geleistet, das irgendeine Bedeutung hat? Man muss nichts leisten, was Bedeutung hat. Man kann ganz einfach ruhig und friedlich leben. Aber wenn man sich selbst als so arisch und besonders beschreibt, dann muss man doch mal vor sich selbst zeigen und bewahrheiten, dass da irgendetwas Besonderes ist. Die Glatze (Chinaladenrasierer für 9,99), die schwarze Jacke (ebay 19,00 €), die Streichhölzer (Aldi 29 Cent).

Versuche ich mal, mich in einen Nazi-Hausanzünder hineinzuversetzen. Mit dem Benzinkanister unterwegs, um Menschen zu verbrennen. Von irgendwelchen CDs die Stimme Adolf Hitlers im Ohr. Das Gefühl in sich, etwas Gutes zu tun. Aller Menschlichkeit entledigt. Hassdurchzogen. Wäre ich nun ein Nazi, wäre es so: Ich fühle Ungerechtigkeit. Ich fühle Hass. Ich will nicht, dass andere Menschen mit mir in einem Land leben. Menschen, die fremd sind. Ich hasse Fremde, ich hasse Andersartigkeit. Ich hasse. Und das, was ich hasse, verbrenne ich.

Tja, was soll man sagen, es hört nicht auf. Wahrscheinlich hört es nie auf. Die einen schneiden Köpfe ab, die anderen verbrennen Menschen. Und beide fühlen sich im Recht. Finde den Fehler. Und beiden wird man schlecht sagen können: Das gehört sich nicht! Ohren zu, Gehirn festgefroren: ICH WILL TÖTEN.

Nur, warum? Der Islamische Staat ist zu weit weg. Räumlich, kulturell. Ich habe keine Ahnung, was da los ist. Bei unseren Nazis und Pegida-Nazi-Sympathisanten ist das anders. Die wohnen nebenan, das ist der Klaus oder die Heidrun. Irgendwann hatten die nur noch die komischen Freunde mit dem gereckten rechten Arm. Heil. Die haben eigentlich alles. Satt zu essen. Wohnungen. Handys. Autos. Zweithandys. Toaster, Toaster, Toaster, Mikrowelle, Mikrowelle, Riesen-Riesen-Aufmarsch-TV. Und genügend Geld, sich das alles noch mal zu kaufen. Und Springerstiefel. Und noch ein Paar. Und Bomberjacke. Und Zugticket zum Aufmarsch. Und CDs und Nazibücher aus dem Naziversand.

Genauso verwöhnt wie wir alle. Verwöhnte Nazi-Konsumkinder mit allem Tamm-Tamm. Kinder der Bundesrepublik Deutschland, die keinerlei materielle Not leiden. So what? Deutschland den Deutschen? Aber nur den Deutschen, die nicht links oder homosexuell sind. Also ganz schön viele Leute raus aus Deutschland. Nur noch Nazis. Die Intelektuellen auch weg und die Künstler und Behinderten und die Zugewanderten und die Franzosen im Land und die verbliebenen Juden. Raus.

So richtig Gedanken scheint ihr euch nicht zu machen. Dumpf dagegen. Ein Nazi-Anleitungsbuch gelesen und raus. Machen, was der Führer sagt.

Ab 1983 haben in Deutschland Häuser gebrannt. Die CDU hatte Feuer gelegt zusammen mit Bild: Das Boot ist voll. Sofort haben sie den braunen Hulk in sich erkannt und gezündelt. Familie Genc in Solngen. Hoyerswerda. Das waren Einzelfälle, jetzt brennt es überall. Die Nazis haben so ein schönes Gefühl im Bauch: Jetzt geht es ab, wir sind am Drücker.

Es werden wieder andere Zeiten kommen. Es werden Nazis ihre Bomberjacken ausziehen und ein bürgerliches Leben leben. Nicht jeder ist dazu geboren, Menschen zu verbrennen. Da gehört schon einiges dazu. Da muss man innerlich über viele Grenzen der Menschlichkeit gegangen sein. Da muss in einem selbst schon viel verbrannt sein. Da ist nicht mehr viel, was glücklich macht, da ist nur noch die Sehnsucht, den Hass zu stillen. Aber das ist nicht möglich.

Günther Grass ist gestorben, Biedermann und die Brandstifter sind unterwegs und wir müssen als Demokratie da durch. Das tut weh. Ruhe bewahren, Geduld haben, zusehen, aufmucken, Partei ergreifen, Flüchtlinge schützen und willkommen heißen. Denn: Wir haben unser Leben, unser Essen, unsere Freiheit. Die Flüchtlinge in Deutschland leben in versifften Unterkünften, müssen mit ihren Erinnerungen klar kommen, wissen überhaupt nicht, was wird und leben in der ständigen Angst, von Nazis verbrannt zu werden. Das gibt den Nazis ein gutes Gefühl, dass es Menschen gibt, die Angst vor ihnen haben.

In diesem Land könnte alles so schön sein. Elysium. Alles da. Essen, Trinken, Arbeit, Geld, Museen. Wir könnten teilen, gastfreundlich sein, profitieren. Aber nein, manche brauchen was anderes. Es muss weh tun. Anderen. Und ihnen selbst auch. Scheinbar ist auch das irgendwie menschlich und deutsch. Es ist manchmal zum Verzweifeln.

Als High Tech-Roboter X.X in die Unendlichkeit hinter allem

achtzehneintel

Ja.

Wir reden von Vernetzung. 2.0. Wir reden von Roboting. 4.0.

Und eigentlich sind wir schon ALLES.X.

Es sind langsame Schritte der Erkenntnis. Es sind Jahrhunderte, Jahrtausende, Unvorstellbarkeiten, die es braucht. Wir gehen durch die Zeit, erfinden, vergessen. Entwickeln. Und letztlich: Bewohnen wir in der Unendlichkeit aller Planeten, Himmelsstraßen und Galaxien diesen einen blauen Planeten. Als Menschen. Mit Tieren. Pflanzen. Nur, weil es Sauerstoff gibt. O2. Eine galaktische Anomalie.

Wie lustig ist das? Roboter. Cyber. Und das alles sind wir längst. Ein plumper, DOS-gesteuerter Schweißroboter braucht Starkstrom. Wir laufen mit Minimalampere. Sind perfektioniert. Als Menschen versuchen wir nachzubauen, was wir schon sind.

Göttlicher Code. Ich sitze vor diesem Bildschirm, halte einen Augenblick inne und schaue, was meine Hände, meine Finger können. Da Vinci. Alles. Jeden Punkt in Reichweite. Die Finger zu Geschichten formen, zu Zeichen, zu Liebkosungen. Drohungen. Sprache, Ausdruck, Handeln. Ich wedele nur ein wenig und bin als einer von 7 Milliarden besser als jeder Roboter. Mit allem Potenzial, das Kind streicheln, das Schwert erheben, die Hand reichen, den Abzug drücken, den Kopf tätscheln, die Rakete zünden, die Kaffeemaschine.

Aktionspotenziale. Nervenstränge. Stromfluss im Millibereich. Ein Roboter funktioniert nur mit Strom, wir haben parallel chemische Prozesse. Hormone. Wir glauben an Roboter, die seit Jahrzehnten entwickelt werden. Unsere Entwicklungszeit läuft seit Anbeginn. In Eiweißstrukturen steckt die Information, Aminosäuren. Alpha-Helix. Gekoppelt, gepaart. Purer Wahnsinn. Die Wissenschaft versucht, nachzubauen, was in Perfektion bereits vorhanden ist.

Gehirne, Nervenbahnen. Blut, chemische Prozesse, Energie. Alles Vorhandene verwandeln wir in Antrieb. Ein Modell, das mit Getreide, Fleisch, Milch, Früchten, Wasser, Bier, Donuts, Burgern läuft. Mit Astronautennahrung, Eiscreme, Pasta, Beef, Sprossen, Algen. Egal. Einwerfen, umwandeln. Energy. Leben.

In Technik und Fortschritt gibt es nichts, was weiterentwickelt ist. 7 Milliarden High Techs. Leider oft mit falscher Programmierung. Das nennen wir Sozialisation. Das Einstellen des Codes auf Gesellschaft. Ich verwende dieses Wort, weil ich es mag. Es steht über den Dingen, es symbolisiert einen Wert. Seit Ewigkeiten kämpft mein Denken gegen die BWL, diese widerliche, beherrschende Teildisziplin, die sich der Moral entzieht. Eine dumme Wissenschaft, eine hoch spezialisierte Teilwissenschaft, die aus dem Ruder gelaufen ist. Wie Religion. Irrwege. Tötend, verletzend. Stark. Wer studiert nicht lieber BWL als Gesellschaftswissenschaften? Erwirtschaften, Reichtümer, Materielles. Religion: Versprechen, Hoffnung, Paradies. Jungfrauen, Wolken, Himmelstore, in Wohligkeit gebettet. Erleuchtung, Amen. Und irgendwann am Ende wird alles gut sein – wenn du tot bist. Seltsamer Deal.

Es ist egal, wie wir als lebendige Roboter eingesetzt werden. Wenn wir in den Himmel schauen, kommen in der ersten Reihe die Sterne, danach kommt irgendetwas, vielleicht das Nichts. Einstein, Hawkings.

Irrelevant, ein schönes Wort, das mir Viveka in einem Moment der Erleuchtung geschenkt hat.

Gehen wir auf die Stufe der emotionsfreien Bewertung. Vergessen wir Moral und die uns in Angst erstarren lassende Liebe. Tun wir kurz so, als wären wir so plump wie monoton agierende Maschinen. Und dann? Stellen wir fest: Der Zusammenhang unseres Lebens auf diesem blauen Planeten ist banal. Es hat keine Relevanz. Nicht wirklich.

Wir haben zwei Eckpunkte: Geburt und Tod. Dazwischen Geschichten, Farben, Tage, Urlaube, Sex, Gewalt, Angst, Liebe, Hunger, Befriedigung, Neugierde… Was alles. Ein Umfeld, das mitfühlt. Dem wir gut tun oder Schlechtes zufügen. Ein Rennen, Laufen, Stechen, Gieren, Wollen, Mitmachen, dagegen Sein. Facetten des Seins. Mit welcher Bewandtnis?

Würde in diesem Augenblick die Welt implodieren, wäre es ein Sekundenspektakel. Weg. Kein Amageddon, Schreien, Wimmern, Blaulicht. Peng, Zack. Keine vorhersagende Wissenschaft, keine Ankündigung eines Untergangs eines Planeten. Der grüne Punkt erloschen, die Herzkurve auf Null. Kein Feuer, kein Knall. Nothing.

Das Schöne: Wir können unsere Zeit verwenden, wie wir wollen. Es ist egal. Wir schauen über wenige Jahrzehnte, über die Sterne lächeln. Wir können uns aufregen, kämpfen, Widerstand leisten, Theorien entwickeln, schimpfen. Und?

Wir stehen auf gegen Vietnam, bekämpfen das Establishment, Leute von der Deutschen Bank werden erschossen, Flugzeuge nach Mogadischu entführt. An neuen Startbahnen gibt es Schlachten, 100.000 schreien in Bonn nach Frieden und am Ende wird Belgrad bombardiert, Türme fallen, Soldiers quälen Menschen in Abu Ghareib, deutsche Soldaten verteidigen am Hindukusch, um letzten Endes zuzusehen, wie der Islamische Staat (ein Marketinggeschöpf wie Megaperls oder powerenergy) Menschen quält.

Es ist die bittere Wahrheit, das ein Mörder des Islamischen Staates mit allen körperlichen Möglichkeiten ausgestattet ist, die ein Mensch hat. Er entscheidet einfach falsch in dem, was er seine Hände tun lässt. Und nicht nur die Mörder des Islamischen Staates tun das, viele andere auch. Es ist eine Tendenz, Blut an den eigenen Händen oder am eigenen Tun zu akzeptieren. Weil der Wert eines einzelnen Menschen abnimmt?

Als Menschen haben wir Schwarz und Weiß, Ying und Yang. Moralische Positionen, Werte, Haltungen. Rein theoretisch könnten wir in jedem Augenblick neu entscheiden. Manchmal gelingt das, aber meist ist der Zug des Lebens unterwegs und die Schienen sind in die eine oder andere Richtung ausgerollt. Es läuft, wie es aktuell heißt. Intelligenz, evolutionäre Möglichkeiten treffen auf die Dummheit der Individualität, die sich verführen lässt. Schade.

Was könnten wir mit unseren Möglichkeiten schaffen. Welches Potenzial schlummert in uns. Wie weit bleiben wir als Auserkorene unseres Universum hinter unseren Möglichkeiten zurück. Idioten, statt Talentierte. Wenn ich in den Himmel sehe, überkommt mich eine Sehnsucht. Nach Avengers, Guardians of the Galaxy und Interstellar treibt mich der Gedanke nach intergalaktischem Auswandern um. Das Gute nehmen und exportieren. Sollen sich Vollidioten hier umbringen, die Köpfe einschlagen, beschimpfen, Schuld zuweisen, Häuser anzünden, auf Schwächere einprügeln und dieses widerliche, vermeintlich überlegene Grinsen grinsen. Kurzschluss-Robots.

Ich nehme das Schiff der Integren und entschwebe. Major Tom to groundcontrol. Bye. Tee, Kekse, Vision und Ziel. Abflug. Tja. Und dort: Nur Bücher. Das übergeordnete Denken jenseits der aberwitzigen BWL mit ihrem tumben Dolch der Rendite.

Welches Foto wähle ich zu diesem Text?

Die Sterne sind die erste Reihe der Unendlichkeit

Jens 2015

Sorry, heute habe ich die Headline, die Überschrift missbraucht. Diesen Satz möchte ich mir merken, deshalb habe ich ihn hier in das Tagebuch geschrieben, damit er erhalten bleibt. Wie es zu ihm kam? In diesem Fall ist es eine lange Geschichte, die einen Tag beschreibt.

Den Tag.

Er kommt jedes Jahr und ist für mich besonderer als Weihnachten. Er gibt mir meinen Atem zurück, meine Freiheit, meine Leichtigkeit. Ich könnte ihn T-Shirt-Tag nennen oder den Beginn der Draußen-Zeit. Seit ich hier in der alten Schule wohne, hatte ich ihn in jedem Jahr.

Der Winter auf dem Land ist lang. Hier in Nosbach viel länger als in Köln. Er beginnt früher und endet später. Das sind nicht Wochen, sondern Monate. Schrecklich. Aber heute, heute endlich, konnten wir einen Haken dran machen. Die warme Jahreszeit hat begonnen. Die Zugvögel sind lange durch, die Sonne geht schon wieder im Westen (über Welpe) unter und die Temperaturen, ja die Temperaturen… Vorerst kein Ofenfeuern mehr (und kein Holzschleppen aus dem Keller). Plötzlich sind alle da. Draußen, vor der Tür. Auf einen Schlag.

Heute habe ich frei gearbeitet. Nach nicht ganz einfachen Tagen mit Viveka und Ela war ich froh, wieder auf der Spur zu sein. Das ist dieses Gefühl, Energie für sich zu haben. Um kurz nach Sechs ging der Wecker, Herr Cooper und ich haben uns auf den Weg gemacht und ich spürte: Frühling. Warm. Keine Daunenjacke. Yippie. Mir kam mein Trecker in den Sinn, und das nicht Anspringen.

Aus dem Wald heraus habe ich den Landmaschinenmechaniker meines Vertrauens angerufen und um technischen Support gebeten. Er wusste sofort. Mach dies. Mache jenes. O.K. Am Morgen hatte ich keine Zeit, dieses oder jenes zu machen, weil ich texten musste. Wollte. Termine, Anforderungen, Wünsche. Mail rein, Auftrag, Texte raus. Telefonate, Mittagessen.

Mittags habe ich das Curry von gestern aufgewärmt, habe mir einen Cappuccino auf der Treppe vorm Haus gegönnt, habe die Sonne genossen, die Texte fertiggestellt und bin raus. Wie ein junger Hund: Die weite Welt wartet, was nun? Oi. Menno. Was ich dann alles gemacht habe. Den Trecker repariert. Kleine Ursache, große Wirkung. Die Anschlüsse der Batterie gesäubert und WROMMM. Die Winterqualmschwaden zum Auspuff hinaus, das Tuckern des Diesels im Ohr. Like it. Aus der Überdachung heraus auf den Schulhof. Tuck, tuck.

Äste aufladen, Laub rechen, ab in den Wald. Noch einmal und noch einmal. Schulhof fegen, Gartenstühle rausstellen, Feuerschale säubern, Rasen mähen, die Nachbarjungs mit dem Tecker kutschieren, Bier kaufen, mit meiner Mama telefonieren, mit einem Freund, der sich verletzt hat. Die ganze Zeit über die Sonne im Gesicht. Mehr braucht es nicht. Zwischendurch Mails gecheckt, Anfragen beantwortet, knappe Zeilen geschrieben und wieder raus aus dem Office.

Irgendwann lief mir Alex vor die Füße, mein Nachbar. Er hat mir seinen richtig guten Drehmomentschlüssel geliehen, den ich morgen brauche. Bremsscheiben und Bremsklötze hinten am Familienkombi wechseln. Da sollte das Drehmoment stimmen. 220 Nm. Die Ersatzteile sind heute gekommen, der Bremsenrücksteller nicht. Also habe ich mit dem Briefzusteller vereinbart, dass ich ihn morgen Früh auf seiner Tour abfange. Von 10 Uhr bis 10 Uhr 20 in der Langenbacher-Straße. Ich werde dort sein, dann kann ich die Kiste aufbocken und loslegen. Ist aufregend, aber die vordere Bremse habe ich auch schon komplett ersetzt. Eigentlich ganz einfach, man muss nur die Traute haben.

Ich kann euch nicht sagen, wie schön das alles war. Dieser Tag, dieses Draußensein, die Luft, das Licht. Die Nachbarskinder auf meinem Trecker, die Jungs aus dem Dorf: „Wir haben zwei Fragen: Dürfen wir aufs Trampolin und 2., dürfen wir an eurem Weiher angeln?“ Sie durften, beides. Grins, strahlende Gesichter, wie schön.

Abends wollte ich mich mit Jim ans Feuer, aber er war kurzfristig zu einer Party eingeladen worden. Und Sausewind war er weg. Schade für mich, schön für ihn. Also hab ich alles weggeräumt. Die Gartengeräte, den Holzspalter (endlich ist die Buche vom Herbst gespalten), die Motorsäge (manchmal ist das Holz zum Spalten zu lang).

Auf einmal waren dann alle da. Der Stamm hat sich versammelt. Großes Palaver. Wir haben uns an unserer Feuerschale getroffen. Dann kam dieser hinzu und jener. Ein aufgeregtes Gerede – die Kommunikationssperre, die Ausgangssperre der dunklen Jahreszeit endlich aufgehoben. Das Feuer, die Flammen, das Reden. Alle. Kinder, Nachbarn.

Dort stand ich in der Dunkelheit und schaute zu den Sternen: „Die Sterne sind die erste Reihe der Unendlichkeit.“ Und was kommt dann, habe ich gefragt. „Das Nichts.“ Ups. Das Nichts. Wie mag so ein Nichts aussehen? Von der Frage werde ich noch was haben.

Tja, wie?

Ich freue mich auf jeden Fall, heute diesen Tag der Tage erlebt zu haben. Kaum auszudenken, ich hätte ihn verpasst – wegen Arbeit und so.

So wünsche ich euch einen schönen neuen Tag und sage einfach: Danke. Dem Leben, der Welt, den Sternen, der Unendlichkeit für diesen unendlich schönen Tag. Endlich zurück im Leben.