Es geht immer so oder so.
Ja, generell ist das Kölsche Grundgesetz geduldig und findet für jede bequeme und unbequeme Lebenslage eine Antwort. Das muss wohl so sein, wenn man Erfahrungen wie diese Stadt gemacht hat. Mal ganz oben, mal ganz unten. Mal die leuchtende Metropole, mal die brennende Stadt. Man kann nicht verleugnen, wo man hergekommen ist. Rom, Mittelalter, der Kölner Kaufmann der guote Gêrhart, die aufstrebenden Zeiten, der Weg zur viertgrößten deutschen Stadt, 1945, die wilden 70er, die Kunstmetropole…
Eine schöne, eine tolle Stadt. Aber irgendwie auch eine Stadt, die sich arrangiert hat. Die manches geschehen lässt. Die Zügel gerne auch mal aus der Hand gibt. Die sich nicht traut, Juwel zu sein. Ein Pferd springt nur so hoch, wie es muss. Der FC, der Karnevalsclub. Am Ende der ersten Liga. Es ist ja immer noch gut gegangen.
Umfrage: Wenn Sie an Köln denken, was fällt Ihnen ein? Der Dom. Klar. Der Karneval an zwei. D’accord. Der Rhein, der Zoo, das römisch-germanische Museum, der FC, Willy Millowitsch… Alles am rechten Ort, alles eingespielt. Läuft wie der Rhein Tag für Tag. Veränderung, Zukunft? Die IAA soll vielleicht kommen. Köln zur Autostadt werden. Sicherlich gibt es in der Stadtentwicklung einiges, was Zeichen setzt. Welche? Und wie groß sind die? Und was bedeuten sie für eine Stadt wie Köln im Großen und Ganzen? Wo soll die Reise hingehen…
Treten wir einen kleinen Schritt zurück und blicken wir in das Leben eines normalen Menschen. Nehmen wir mich, weil ich hier gerade an der Tastatur sitze. Was treibt mich an? Ich möchte wie alle anderen gut leben. Ich möchte, das mein Leben Sinn macht und nicht einfach nur vorbei plätschert. Ich möchte Highlights und meiner Zukunft standhalten. Meinen Kindern möchte ich etwas geben, mein Haus gestalten, meinem Leben ein Fundament geben, es ausbauen, keine Angst vor dem Morgen haben.
Eine Stadt ist die Summe der in ihr lebenden Menschen. Über eine Million Wünsche und Hoffnungen. Sehnsüchte, Schicksale. Wie wollen wir leben? Wie können wir leben? Den Hintern hoch kriegen oder aussitzen? Abwarten und Tee trinken. Die machen lassen, die etwas davon verstehen. Vermeintlich.
Otto-Langen-Quartier Köln Mülheim. Das Areal der Klöckner-Humboldt-Deutz AG. Zeitzeugen in Form von Backstein und Hallen aus Stahl. So ein Ort, der einmal Bedeutung hatte und für den Betrachter im Begriff ist/war, zu verfallen. So ist das, könnte man sagen. Die Zeiten gehen, das Neue kommt, das Alte weicht. Abrissbirne, Planierraupe, alles auf Null und neu hochziehen. Dafür gibt es die, die das können und in allen Städten genau so machen. Die mit dem Geld, das in Zeiten niedriger Zinsen verzweifelt nach Renditen sucht. Und findet.
Sieht man gerade. Ganz konkret. Wer sich interessiert und Veränderung einer Stadt einmal mit eigenen Augen live und in Farbe sehen möchte, der nimmt sich ein Gefährt und fährt die Deutz-Mülheimer-Straße entlang. Bis vor kurzem stand da noch ein lebendiges, historisches Industrieviertel, das Köln mit geprägt hat. Hier waren die Arbeiterinnen und Arbeiter durch die Werkstore gegangen und hatten Motoren entwickelt. Industriewandel, Globalisierung, nichts bleibt, wie es ist.
Weg damit, braucht kein Mensch mehr. Könnte man sagen und meinen. Oder man macht sich Gedanken und erinnert sich. Würden Sie das Familienalbum wegwerfen? Die Großeltern verbannen, die Bilder von der Wand nehmen, sie aus dem eigenen Leben nehmen?
Das gesamte Areal der Klöckner-Humboldt-Deutz AG ist ein bedeutendes Kapitel im Familienalbum der Stadt Köln. Wegen der Größe, all der Menschen, die hier gearbeitet haben und wegen einer kleinen Kleinigkeit Weltgeschichte, die alles verändert hat. „1864 war Nicolaus August Otto zusammen mit Eugen Langen Mitbegründer der weltweit ersten Motorenfabrik N. A. Otto & Cie. in Köln, aus der 1872 die Gasmotoren-Fabrik DEUTZ AG hervorging, die als technischen Direktor Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach als Leiter der Motorenkonstruktion engagierte.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Ottomotor) Hier wurde der Otto-Motor erfunden!!!
Otto, Langen, Daimler, Maybach. Da klingelt doch was. Yep. Köln war die Wiege des Automobils, der Mobilisierung der Welt. Weiß kaum jemand so wirklich. Daimler, Stuttgart. Die haben da dieses Museum, das die Geschichte erzählt. Köln hat sich immer vornehm zurückgehalten.
Weshalb eigentlich?
Die Zurückhaltung geht aktuell so weit, dass das Areal abgeholzt wird wie der Regenwald. Nun dürfen sich da einige Investoren im Renditewahn austoben und aufgrund der hohen Grundstückspreise Luxuspaläste bauen für die oberen Zehntausend. Schickes Kölle. Ein wenig Düsseldorf-Flair am Rhein. Das wird dann Wohnen am Wasser und so heißen. Und in den Verkaufsbroschüren steht so Kram wie die Verbindung von urbanem, kulturellen Leben mit dem feinen Rückzug in die Ruhe der Schäl Sick.
Stadtentwicklung ist das nicht. Das ist der Weg des geringsten Widerstandes. Sehr bequem für alle Beteiligten. Ein paar Sozialwohnungen rein und alle sind zufrieden. Oder entsteht da vielleicht eine tote Trabantenstadt? Wie die Kranhäuser, von denen die Betuchten auf das am Tag flanierende Fußvolk herab lächeln? Ein Veedel wird das nicht, weil ein Veedel Durchmischung, Proporz braucht. Von allem etwas. Das macht den Reiz aus. Nippes, Ehrenfeld, Sülz. Und dann das künstlich geschaffene Areal, dessen Mutter die Abrissbirne ist. Ups! Ui, alles weg. Die ganze Vergangenheit planiert für die schöne neue bunte Welt.
Keine Zeche Zollverein, kein Landschaftspark Nord, keine Erinnerung an die Bedeutung Kölns für die Welt.
Nun kann man den Otto-Motor durchaus kritisch sehen. Smog in Los Angeles, Kuala Lumpur, den chinesischen Städten. Die Sehnsucht nach Mobilität wächst weiter. Es wäre schön gewesen, wenn man in den historischen Gebäuden der Klöckner-Humboldt-Deutz AG schon in den Siebzigern Mobilität neu gedacht hätte. Einfach mal die Visionen und Utopien der Automobilmacher um Otto, Daimler & Co. weiter spinnen. Eine Mobilität ohne diesen kleinen CO2-Haken.
Hat keiner gemacht. Nicht in Konsequenz. Lohnt nicht, wollte keiner, will keiner so richtig wirklich.
Jetzt haben wir den Salat. Hier trifft das Lokale auf das Geschehen der Welt. Und alle finden sich ab. Moment. Fast alle. Nur ein kleiner Kreis nicht. Es gibt ein gallisches Dorf, einen letzten bewahrten Raum, einen Schutzraum, der sich um das Kölsche Familienalbum kümmert.
Vor einigen Jahren schon haben Anja Kolacek und Marc Leßle begonnen, einen Teil des Vermächtnisses zu bewahren. Es gibt noch einen etwa fünf Fußballfelder großen Bereich, der noch nicht verkauft wurde. Leider ist der Bereich Gold wert. Säcke voller goldener Taler. Einige sehen sich schon wie Dagobert in Goldtalern schwimmen. Wenn auch diese letzte Bastion fällt, ist für Köln der Drops gelutscht.
Dann ist alles weg und gönnerhafte Investoren werden einen Künstler beauftragen, dem Otto-Motor ein Denkmal zu setzen. Aus Messing gegossen, mit einer Tafel versehen und Tschüss. Einweihung mit Oberbürgermeisterin, Kölsch und Musik. In unserm Veedel. Peng!
Und wie sieht die Alternative aus?
Die Stadt wird schnell erwachsen, lässt Klüngel Klüngel sein, entscheidet sich, was sie wirklich will und setzt ein Zeichen. Für die Stadt, für die Menschen, die hier leben und sagen wir es ganz pathetisch: Für die Welt. Von hier aus hat der Otto-Motor, wer hätte das damals geahnt, seinen weltweiten Siegeszug angetreten. Von hier sollten nun im Geiste der Erfinder ähnlich starke Impulse ausgehen. Innovationen, neue Ideen, Lösungen, Machbarkeit, Sinnhaftigkeit. Einen Raum schaffen, im dem ein neues Denken eine Heimat hat. Den Ball der Geschichte aufnehmen und neu Geschichte schreiben.
Im Jahr 2050 werden 80% der dann rund 10 Milliarden Menschen in Städten leben, die dann aus allen Nähten platzen. 1864 galt es die Welt zu mobilisieren, 2019 gilt es, wieder Herausforderungen anzunehmen und Zukunft zu gestalten. Und ja, wieder kann, darf und soll Köln eine Rolle spielen. Das Heft in die Hand nehmen.
Aber wie?
Fragt sich die Politik. Und hofft auf Antworten, die Raum 13 seit Jahren sucht und entwickelt. Es ist einfach, ein Viertel abzureißen und in Form von neuer Bausubstanz hoch zu ziehen. Das ist für Projektentwickler 08/15. Da rollen einfach Kolonnen.
Aber wie gestaltet man einen Ort mit Bedeutung? Ein Zentrum des Denkens, in dem Innovationen entstehen, die Köln und die Städte dieser Welt brauchen? Das ist ein großer Schuh, bei dem es manchem Angst und Bange wird. raum 13 setzt hier auf Kollaboration. Auf Menschen, die sich mit Ideen einbringen. Es mag für manchen befremdlich klingen, aber es ist die Kunst hier das Mittel der Entwicklung. Der Auftakt, die Ideengeberphase.
raum 13 hat den Ort bis jetzt bewahrt und ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, um ein historisches Unrecht zu vermeiden. Um die Stadt vor sich selbst zu schützen. Um ihr eine Perle in die Hand zu geben. Ein Juwel, das sich schleifen lässt.
Wie schön wäre das denn, wenn es Köln gelingt, hier etwas Außerordentliches auf die Beine zu stellen? Ein Projekt, auf das man schaut. In Düsseldorf, Los Angeles, Kuala Lumpur. Wenn hier ein Ort von Bedeutung erhalten und gleichzeitig neu erschaffen würde? Wenn hier Antworten auf zentrale Fragen entwickelt würden? Köln nicht nur Dom, Karneval und die Stadt mit Herz, sondern auch mit Verstand und Ideen. Ein Ort des Denkens und Entwickelns im Geiste der Herkunft.
Was raum 13 alles gemacht, getan, veranstaltet, initiiert, umgesetzt, gedacht hat, ist aktuell in einer Ausstellung in den Räumen der IHK zu sehen. Dort wird ein Buch präsentiert, dass zeigt und beschreibt, wie die Reise bislang aussah und wie sie aussehen könnte. Da ist viel von Partizipation, Mitmachen und Transformation, Wandel die Rede. Es muss etwas geschehen, es kann etwas geschehen. Es ist ein Projekt der Hoffnung und Zuversicht. Es könnte ein Ort entstehen, an dem neu gedacht wird und Neues geschaffen wird. Innovation für den Menschen und die Menschheit. Groß gedacht. Als eine in der Arbeit von raum 13 Vision gewordene Utopie. Eine Vision, die sich verdichtet und im Zusammenspiel der Kräfte immer konkreter wird.
Nun ist es an der Stadt, das Areal zu kaufen und das Zepter in die Hand zu nehmen. Wie wollen wird leben? Köln hat es in der Hand, Charakter zu zeigen und nicht den immer gleichen Weg der Gentrifizierung zu gehen. Es braucht Mut, es braucht Zusammenhalt und letztlich einen Arsch in der Hose, die Stadt an diesem Ort zu gestalten.
Entwicklung bedeutet hier, Verantwortung zu übernehmen. Das Areal zu kaufen, ihm einen Sinn zu geben. Die Arbeit von raum 13 aufnehmen, weiterführen, ein Konzept entwickeln, Partizipationen suchen, die diesen Ort bewahren und neu aufladen. Professionelle, fundierte Stadtentwicklung im Schulterschluss von Politik, Verwaltung, Bürger*innen, Wissenschaft, raum 13 und Projektentwicklern, deren Werkzeug nicht die Abrissbirne ist.
P.S. Hier einige Links:
Zum Buch: https://www.yumpu.com/de/document/view/62854965/zukunfts-werk-stadt-das-buch
Zur Ausstellung: https://www.ihk-koeln.de/Ausstellungen.AxCMS?ActiveID=2328
Deutzer Appell: http://www.raum13.com/global_projects/details.php?id=176&state=current&type=projects
raum 13: http://www.raum13.com/home/