Durch Nächte treiben, durch Städte

Urlaub. Gestern die letzte Präsentation. Das war heikel. Wäre die doof gelaufen, hätte ein Schatten auf den freien Tagen gelegen. Die Arbeit hat sich gelohnt, das Konzept ist angekommen. Es ging um Menschen, Sinn und Marken. Manchmal können wir in unserer Branche mehr bewegen. Zu Veränderung beitragen, von der Menschen profitieren. Wir können Wege denken, die über Kommunikation hinausgehen. Empfehlungen, sinnvoll zu handeln. Genau hinzuschauen, um das Richtige zu tun. Das ist eine Verantwortung, die gleichermaßen wiegt, bewegt und das Profane überwindet. Nun. Arbeit war gestern, Urlaub ist morgen. Zumindest agenturmäßig. Aber die freien Jobs laufen jetzt auch aus. Es kehrt Ruhe ein.

Das dauert natürlich, runter zu kommen. Den eigenen Wind aus den Segeln zu nehmen. “Lande mal!” Das Jahr ist vorbeigeflogen. Ich habe so viele schöne Dinge erlebt, die im Rausch der Geschwindigkeit untergegangen sind. Die Erinnerungen liegen neben mir in dieser kleinen schwarzen Box von Western Digital. Tausende Fotos. Kurz nach Paris, Hamburg, London durchgesehen und dann vergessen. Und dann sind da noch eine ganze Reihe anderer Orte. Diese normalen. Köln, Essen, Duisburg.

Gemütlich ist es gerade. Zoe liegt auf dem Sofa, Herr Cooper schläft auf seinem Kissen, der Ofen bollert, die Adventskerzen leuchten. Draußen herrscht Ruhe. Zoe hat eben mit Ela und Jens in Neuseeland gescyped, ich habe versucht, Viveka zu erwischen. Vergeblich. Sie kommt morgen, ein langes Wochenende. Urlaub. Dieses Mal kein Paris, London, New York, Tokio. Ich brauche mal ein wenig Abstand vom Draußen. Also eher weniger Input. Die Dinge sollen sich setzen können. Im Kopf. Der Indianer an den Gleisen, der auf seine Seele wartet.

Wenn man erst einmal anfängt. Der Ordner Paris 2016 enthält 1583 Aufnahmen. Die Stühle sind No. 157. O.K. Im Leben muss man Kompromisse schließen. Der Urlaub ist lang und heute Abend möchte ich noch durch Hamburg und London ziehen. Der letzte Abend. Auf der Suche nach einem kleinen Restaurant. Der Waschsalon mit den Blubberblasen, also das Foto, ist da entstanden. In St. Pauli einige Monate später ist mir wieder ein Waschsalon vor die Linse gesprungen. Hier nun aber eine Straßenszene. Nachdem wir aus dem Restaurant gekommen waren, wo wir gerade noch so – vorher in der Wohnung hatten wir uns verquatscht – etwas zu essen bekommen haben, sind wir in diesen Laden an der Ecke und haben uns ein Bier gekauft, um in Sophies Wohnung weiter Musik zu hören. Sofa, Bier, in der Stadt der Liebe versinken.

Nun. Erst einmal genug Paris. Ich werde noch wehmütig. Ach, quatsch, bin es schon. Gehe jetzt nach Hamburg. Erster Abend St. Pauli. Alles so schön bunt hier.

Ups. Viveka ruft zurück. Was jetzt? Männer können kein Multitasking? Hey, ich blogge, suche Bilder raus, bearbeite sie und telefoniere. Bei Viveka läuft im Hintergrund Pink Floyd. Habe ich gestern den ganzen Abend mit verbracht. Wie ging es weiter in Hamburg? Übrigens: Zoe lässt euch grüßen. Hier im Blog. So aus dem Hintergrund.

Von Viveka wünsche ich mir “Hey you”. Passt. Abfliegen.

Hey you!
Out there on your own, sitting naked by the phone, would you touch me?
Hey you!
With your ear against the wall, waiting for someone to call out, would you touch me?
Hey you!
Would you help me to carry the stone?
Open your heart, I’m coming home.

Ups.

Viveka sucht nach Frank Ocean. Ich verlasse Hamburg. Das war erst der erste Abend. Nun. Ab durch die Mitte nach London. Frank Ocean findet sie nicht. Ihr Spotify klemmt. Nehmen wir meins. Noch einmal “Hey you” durch den Hörer.

Oh. Mist. London ist auf ‘ner anderen Festplatte. I hope so. Wo ist London? Nehme ich die aus dem Blog und vertiefe mich in meine Erinnerungen. Die nicht digitalen Bilder.

Ach, und eben gesehen. Mannheim ist auch auf der Festplatte. Und Menton. Was für ein Jahr.

One day in TATEmodern

Jetzt ist meine London-Reise untergegangen. Titanic. Natürlich nicht ganz. Ich hab die Bilder auf der Festplatte und natürlich im Kopf, wobei ich manchmal nicht weiß, ob die geschossenen Fotos nicht irgendwann die gespeicherten Fotos überlagern. Viele Kindheitserinnerungen entspringen der Familienfoto-Sammlung meiner Ursprungsfamilie. Und auch die Erinnerungen meiner nun eigenen Familie kommen oft direkt aus einem der vielen Fotoalben. Der Speicher ist voller Fotos.

Ich war in London, um mein Englisch zu verbessern. Dazu habe ich den Kurs LLLE – Love London Learn English gebucht. Fünf Tage, von Montag bis Freitag. Weil ich noch nie nicht in London oder England war, bin ich früher angereist. Samstags. Bin in Gattwick gelandet, habe mir einen Zug einer der vielen Gesellschaften geschnappt und bin bis zur Station London Bridge. Vom Zug aus schon konnte ich die Tower Bridge sehen. In der Sonne. Von der Tower Bridge bin ich zur Old Street und von dort zu Fuß in meine WG. Mit einem großen Blumenstrauß, den ich von meinen ersten Pfund gekauft habe. Weiße Lilien und gelbe Rosen. Ein frisches Bild. In der WG bekam ich das Sofa im Living Room. Kein eigenes Zimmer für über eine Woche. Spannendes Experiment. Musste ich mich dran gewöhnen. Kann ich jetzt brauchen:)

Ich habe mit drei Ungarn, einer Polin, einem Amerikaner, einem Deutsch-Amerikaner und einem Briten zusammengewohnt. Oshi, Peter und Ilango (ein kleines, sechs Monate altes Baby) haben mich in Empfang genommen (ich hatte ein Baby auf dem Arm, habe mit einem Baby auf der babydecke gespielt und habe Ilango erfolgreich gefüttert – hach. Erinnerungen.). Eine junge Familie. Sehr, sehr nett. Es gab Kaffee und Fragen und ich war gleich drin in der Sprache – noch holprig, was am Ende der Zeit anders aussah. Tatsächlich habe ich in der Woche darauf einmal in englischer Sprache gedacht.

Von der WG aus habe ich mich direkt auf den Weg gemacht. Zu Fuß. Quer durch die City of London, das Bankenviertel. Kein Mensch auf der Straße. Als ich abends zurückkam, war ich ganz allein in den Straßen. Keine Seele. Ab und an ein Auto. Saturdaynight im Bankenviertel. Das Geld schläft. Es war, als wäre ich über die Dorfstraße von Nosbach gegangen.Nur sah alles ganz anders aus. Dann leuchtete das EI zweischen Glasfassaden hervor, dann stand da plötzlich eine alte Kirche zwischen Glaspalästen und überall waren Baustellen. Kein Arbeitstag – es fehlten schlicht 750.000 Menschen, die hier nur zum Arbeiten hinkommen. Strange. Mir war es recht, so konnte ich mich an die Massen gewöhnen.

Mein Weg führte mich direkt zur Tower Bridge. Am Ufer der Themse entlang. Die Sonne schien, die Menschen saßen auf den Bänken. Meine Kamera war sehr hungrig, gierte nach Input. All diese Sehenswürdigkeiten. Was mich jedoch am meisten angezogen hatte, war die TATEmodern. Ich habe das Museum über die Milleniums Bridge erreicht. Dort lag es. Was für ein Ort. Voller Menschen. Kunstfreunde. Freunde der modernen Kunst. Die Welt ist voll davon, was sich hier auf dem Land nur schwer glauben und nachvollziehen lässt. Alle interessiert an Contemporary Art. Ich wollte nur kurz rein, mal reinschnuppern, um mir später mehr Zeit zu nehmen. Da war schon die erste Videoinstallation zu sehen. Tacita Dean. Eine Engländerin, mein Jahrgang, 1965. Der Umgang mit Geschichte. Das Thema meiner Generation. Wir hängen und stehen jetzt in den großen Museen. Wir:) Es ist so weit. Projekt 65. Einer der letzten Massenjahrgänge vor dem Pillenknick.

Eine riesige alte Turbinenhalle. Dunkel. 25 Meter hoch, 30 Meter breit, 100 m lang. Ein Theaterraum, eine Bühne, eine Kulisse. Ich erinnere mich an eine Theaterszene. Macbeth. Die Bühne leer. Schwarz. Stille nach der Schlacht. Der Kämpfer kehrt heim, schleudert einen Vorschlaghammer über die Bühne. Das dumpfe Aufschlagen. Raum. Hier: Die Videowand. 10 Meter hoch, 4 Meter breit. Bilder wie aus einem Traum. Standbilder, bewegte Bilder. Ohne Ende. Der Film des Lebens. Gedankenband. Unaufhörlich. Ich saß da. Starrte, schaute. Wie schön, dass Menschen solche Dinge schaffen und sich einander damit beschenken. Kinder liefen ins Bild, Schatten entstanden. Ich bin am Ende der Woche zurückgekehrt, um mir die Installation noch einmal anzusehen.

Und dann ging ich verloren in diesem wahnsinnigen Museum. Habe mir fast alles angesehen, außer die aktuelle Ausstellung der Japanerin Yayoi Kusama. Das war zu viel. Am Ende war ich sechs Stunden unterwegs. Meine favorites: Tacita Dean, Joseph Beuys und Do Ho Suh aus New York, der die Treppe aus Gaze an den Himmel eines Ausstellungsraumes gehängt hat. Einige meiner Fotos aus London und aus der TATEmodern findet ihr auf meiner Pinterest-Seite. Verloren zugehen in dieser weiten Welt, die so wenig Sicherheiten bietet. Könnte ich nur eines Tages diese bescheuerte Angst ablegen… Oder sie einfach akzeptieren. Oder.

Abends, als dann die Sonne untergegangen war, stand ich auf dem Balkon der TATEmodern und sah die beleuchtete St.Pauls Kathedrale, die Skyline und die Lichter der Stadt in der Themse gespiegelt. Ich habe mich sehr, sehr wohl gefühlt. Sehr glücklich. Ein schöner Moment. Am Ende der Woche war ich hierher zurückgekehrt, um mit einer Kursteilnehmerin den Blick zu teilen. Wir saßen im Restaurant, haben auf die Stadt geschaut und haben uns danach TRAVELLING Lightning im National Theatre angesehen. Wie durch ein Wunder bekamen wir Karten in der zweiten Reihe. Großes Theater. Fast jedes Wort verstanden. Ich habe gespürt: Da ist eine große Sehnsucht. Ein Hunger. Nach Kunst, Bühne. Nach Menschheitsgeschenken. Die WG hat mich eingeladen, wiederzukommen. Im Herbst findet der nächste Kurs statt. Mal sehen. Ich würde schon gerne… Aber da sind so viele Pläne und wie immer habe ich Angst, mich zu verzetteln.