Ich will nach Paris. Definitiv.

Total verbockt. Manchmal treffe ich die falschen Entscheidungen. Wenn ich rational werde. Die Kackentscheidung dieses Jahres: Damien Rice sausen lassen. Paris. Salle Pleyel. 5. Juli. Orchestre Impair, V-117, 1ere categorie.

Ela war weg, ich hatte die Kinder, die für einen Nachmittag, einen Abend, eine Nacht alleine klar gekommen wären. Der Plan war: Am frühen Nachmittag ins Auto, durchheizen, Damien und zurück. Wäre kein Thema gewesen. Doch dann kam ein Job, der ein Probejob war, von dem einiges abhing, der erste Job für eine Agentur, für die ich jetzt enger arbeite. Am Tag drauf standen Texte an. Ich musste gute Sachen abliefern. Die Nacht durchfahren, sechs Stunden von Paris, zwei Stunden schlafen und dann gute Texte? Mein Kopf hat gesagt: Geht nicht. Entscheide dich. Für Damien oder die Agentur. Die Agentur wollte ich unbedingt. Und tatsächlich arbeite ich mit der gut und gerne zusammen. Ein wichtiger Schritt. Raus aus dem Einzelkämpfertum, rein in die intensive, strategische Arbeit mit Kollegen. Netten Menschen. Jungen Menschen. Wollenden. Bewegenden.

Klingt so, als wäre die Entscheidung genau richtig gewesen. Ja. Trotzdem. Ich hätte fahren sollen, zwei Stunden schlafen und dann gut texten. Wäre gegangen. Schiss. Kontrolle. Mann. Damien hat den Saal gerockt. Hat sich das Publikum auf die Bühne geholt, hat mit dem Publikum zusammen gesungen. Oh, Mann, ich wäre oben gewesen. Damien. Unglaublich. Hier noch ein Song aus dem Konzert. Mafoo32 schreibt als Kommentar unter das Youtube-Video: „I traveled from UK for this concert. I can comfortably say I will NEVER see a better concert.“ Denke ich mir. Cannonball.

Auf das Konzert hatte ich Jahre gewartet. Ela und ich hatten ihn auf seiner letzten Tour 2007 gesehen. In Paris. Im Olympia. Dann war Damien verschollen. Ich habe seinen newsletter abonniert. Er war hier und dort kurz aufgetrteten. Charity. Eine neue Platte sollte kommen. Neue Songs. Dann ist er mit Glen Hansard in Irland aufgetreten, in einem Pub. Ich dachte schon, Damien wäre weg. Das Konzert wurde angekündigt, ich hab mir ein Ticket geschnappt und…

Haken dran. Niemals zurückschauen. Im Oktober sehe ich Glen Hansard in Frankfurt. Zwei Tickets. Komme, was wolle.

Aber. Sternchen am Fuße des Lebens. Da ist was offen. Paris. Eine kleine Sehnsucht hat sich eingeschlichen. Ich gebe zu, eine Vorstellung. Das, was ich eigentlich nicht will. Aber, was interessierts mich, wenns Spaß macht. Erfüllt. Träumen. Wegbeamen. Ganz oben sitzen, auf der obersten Stufe am Montmatre und gucken. Und in dieses kleine Restaurant, mittags, im Studentenviertel, an diesem Kanal. Das Mittagsmenü, einen Rotwein, einen Kaffee.

Der letzte Tango in Paris. DVD. Wollte ich schon lange sehen. Nora Barner hatte den Film auf facebook geposted. Und ich dachte: Will ich unbedingt mal wieder sehen. Und wie das Leben so spielt, wurde er mir vor die Füße gespült.

Die Stadt ruft. Mal sehen, wie, wann und wo das klappt. Bis dahin lasse ich einfach mal den Geist mit mir spielen, mich verrückt machen. Träume, glaube daran und fliege über den Wolken. Why not? Ich weiß, weshalb nicht, aber auch das blende ich aus. Das Wichtigste im Leben ist, in den Zwischenräumen mit Tricks zu arbeiten, damit es funktioniert. Sich ganz offiziell immer wieder selbst zu hintergehen. Auszuhebeln. Das i-Tüpfelchen, die Gratwanderung auf Messersschneide, der Tanz auf dem Vulkan, das Spiel ohne Netz und doppelten Boden. Es wagen, die Komfortzone zu verlassen. Oh. Pathos. Sie neigen zu Übertreibungen. Ja. Egal. Schönes Wochenende. Tauche ab. Quatsch. Fliege ab:) Byeeee…….

Zugabe: Story about Sperm.

Klaut Möhren!

Habt ihr mal Möhren geklaut? Ich schon. Als Kind.

Ein verwegenes Unternehmen. Gestern erinnerte ich mich. Ich war dran mit kochen. Fiftyfifty. Nun hatte ich das Glück, am Morgen rund ein Kilo Pfifferlinge gefunden zu haben. Das war kein Pilzesuchen, sondern ein Pilzefinden. Erst wollte ich Spaghetti mit Pfifferlingen kombinieren, dann kamen mir Gnocchi in den Sinn. Fangfrische Pfifferlinge mit frischen Gnocchi aus dem Kühlregal. Dazu einen Salat. Die letzten Blätter aus dem Garten. Frische Sprossen aus dem Abtropfglas und Sonnenblumenkerne.

Mittags habe ich den großen Brätertopf genommen und die Pfifferlinge in Butter uhd Olivenöl angeschwitzt. Aus dem Garten brauchte ich noch Schnittlauch und Petersilie, etwas Rosmarin und Salbei. Und eben die Salatblätter. Als ich die Blätter zupfte, sash ich die Reihe Möhren. Erst zum Teil geerntet. Mir kam die Idee, Möhre in den Salat zu mischen. Mit dem Sparschäler fein gehobelte Schnitze. Also habe ich einige am Grün herausgezogen. Da musste ich schon schmunzeln.

In der Küche köchelten die Pfifferlinge auf kleiner Flamme und schmolzen in Butter und Öl. Die Kräuter dran, den Salat waschen, die Möhren. Ich musste an früher denken. Die Nächte im Zelt oben im Garten meiner Eltern. Ich hatte mir ein Zelt gekauft, weil Zelten zum Sommerprogramm gehörte. „Mama, darf ich?“ Und dann die Freunde aus der Nachbarschaft gefragt. Andreas, der immer in der Mitte schlafen musste, weil er Monsterfilme ab 16 guckte. Godzilla greift an und son Mist. Da wusste ich: Ist nix für Kinder. Wird man schissig von.

Im Schlafsack gelegen, Unsinn geredet, Andreas Schiss gemacht, gelacht, gerungen, geflucht, die große Welt probiert und irgendwann dann: Die Zeit ist reif! Möhren, Kirschen, Zuckerschoten klaun. Raus aus dem Zelt, rüber über die Zäune und mampf. Klar, gucken, dass es nicht auffällt. Keine Zerstörung, Verwüstung, Spuren. Im Dorf weiß jeder, was da läuft. Eins und Eins zusammenzählen. Braucht man kein Sherlock Holmes plus Watson sein.

Die Möhren waren mir, noch vor den Kirschen, die liebsten. Mit kleinen Händen das Grün gepackt und zupf. Schon war sie in der Hand. Im Mondlicht war der Dreck nur schlecht zu sehen. Mal eben schnell im feuchten Gras und an der Hose abgewischt. Den langen Zipfel unten weggeknickt und HAMM! Kennt ihr das? Der Biss in eine frisch geklaute Möhre ist einfach wunderbar! Das Adrenalin, nehm ich an, stärkt alle Sinneskraft. Denn: Ganz ungefährlich war das Möhrenklauen nicht. Erwischt zu werden in fremden Gärten auf dem Land ist kein Kinderspiel. In etwa so, wie einem Cowboy das Pferd zu stehlen. Wir hatten schon Respekt und wussten, das wir die Klappe halten mussten und nix mit Rumgekicher oder so. Auf leisen Sohlen. Denn hätte uns ein Garteneigner in dunkler Nacht gepackt, herrje! Da hätte es was gegeben. Kein langes Fackeln.

So stand ich gestern vor der Spüle, die frisch geputzten Möhren in der Hand. Den langen Zipfel weggeknickt und HAMM! 10 Jahre alt in diesem Augenblick. Die Nacht, der Mond, die Zäune, das Zelt, der schissige Andreas – alles da. Die Bilder der Erinnerung aus dem Archiv. Längst verschollen geglaubt und dann, im rechten Augenblick. Zack. Vorhang auf. Natürlich würd ich heute keine Möhrn mehr klaun. Klar. Das war einmal. Und ihr nehmt meinen Aufruf bitte nicht sehr ernst. Möhrn klaun, das dürfen nur die Kinder. Die müssen das sogar, um einmal echte Angst und diesen ganz besonderen Frischgeklautemöhrngeschmack zu erleben. Pures Abenteuer. Kann ich nur empfehlen. Aber. Klar. Liegt ja auf der Hand. Mein Vater hat immer gesagt, und er meinte es durchaus ernst (obwohl er grinste): „Jungs“, hat er gesagt. „Jungs, ihr dürft alles machen, ihr dürft euch nur nicht erwischen lassen.“ So haben wir’s gemacht.

Sündenkinder

Wie aus glühenden Kesseln
blanken Metalls
mit Kellen geschöpft

Fliehendes Pferd
bebende Nüstern
stählerner Flügel

Schwingen des Ichs
in gewittrigen Wolken
schüttelnder Stürme

Nackt
hemmungslos
ohne Schuld

Wir müssen verrückt sein
Wahn ohne Sinn
Göttern entflohen

Sich tragen
und fallenlassen
vom einen
zum andren
Moment

Weißt du
wann es sein wird?

Warte noch
eine Nacht
und eine andre

Lass und teilen
das Fell
die Schwingen nehmen
zum tanzenden Flug

Du spürst
das Beben
teilst Wein und Brot
mit vollen Händen
sündig und satt

september 2012

Immer am See entlang

Heuwägelchen.

Das hat mein Vater immer zu meiner Mutter gesagt, wenn sie sich im Alltag zu überschlagen drohte. Heuwägelchen. Im Sinne von „Ruhig, Brauner“. Gestern hatte ich einen Termin. Musste raus hier zu einem Briefing. Live und in Farbe. Über die Autobahn und dann die Bigge entlang. Zehn, zwölf Kilometer immer am See entlang. Nach Attendorn. Hansestadt. Sauerland.

Da lag er ruhig und schön, der See. In die Natur gebettet mit leicht gekräuselter Oberfläche. Die Geschwindigkeit war durchgehend auf 70 reduziert, weshalb ich den Tempomat eingeschaltet hatte und locker gecruist bin. Und wenn man dann mal so zur Ruhe kommt, fällt es einem plötzlich auf. So schön, die Ruhe. Kein Wollen, Treiben, Machen. Still und ruhig liegt der See.

In den letzten Monaten war ich sehr umtriebig und habe an allen Ecken und Enden forciert. Als Energietierchen mache ich das gerne manchmal mit Kraft. Oder auch der Brechstange. Augen zu und durch. Hauptsache, es passiert was. Veränderung, Fortschritt.

Nach Sloterdijk geschieht was, wenn man einen Stein ins Wasser wirft. Das schlägt Wellen. Dann ist es aus mit dem ruhig daliegenden See. Meiner ist gerade sehr unruhig, weil ich seit dem Urlaub ziemlich intensiv arbeite. Viele Jobs. Viele Themen. Ganz neue Herausforderungen. Nach dem Frühlingseinbruch hatte ich akquiriert. Nun ist das Echo da und es ist gut. Ganz profan was für den Umsatz tun. Auch bei einem Texter müssen die Zahlen stimmen. Am Ende des Jahres wird abgerechnet. Jetzt sieht es wieder gut aus. Puh.

Darüber hinaus arbeite ich jetzt mit einigen neuen Menschen in neuen Konstellationen zusammen. Wie es aussieht, werde ich demnächst tageweise sogar festfrei arbeiten. Richtig mit Vertrag. In diesem Jahr bleibt hier kaum ein Stein auf dem anderen. Alles verändert sich. Fast alles.

Gestern Abend kam ich dann vom Termin nach Hause. Die Kinder waren im Bett, Ela hat in der Küche Wäsche sortiert, zwischendurch mit ihrem Freund telefoniert und ich hatte eine kleine Bastelsache anzufertigen. Es war eine schöne Atmosphäre. Ruhig, wohlig. Da lag ich wie der See. Wert und Wichtigkeit fernab der Konventionen. Zuhause. Später dann habe ich telefoniert. Das war wie Italien. Zurückbesinnen. Ruhig werden. Den Wert sehen. Von allem. Zurück an den Strand, das Meer, die Sonne, das Licht, die Düfte, die Farben, die Geschmäcker, die Zustände und Momente – all die Bilder im Kopf.

Guten Morgen Herbst.

Da isser. Lässt sich nicht drumrum reden. Cooper und ich waren oben auf den Wiesen. Über allem. Höchster Punkt mit Weitblick und viel Horizont. Da haben wir ihn getroffen, den Herbst, mit Wind und Regen und vielen dunklen Wolken. Ich glaube, die Vögel waren not amused. Die Krähen krächzten und flogen in Formation von A nach B und wieder zurück. Die wissen, was kommt. Ich weiß es auch. Heizung an, Ofen an. Ich müsste mal wieder lesen…