Harte Kerle. Hart, hart, hart. Genau der richtige Ort für einen Initiationsritus, wie er in unserer modernen Zeit rar geworden ist. Das Taschenmesser, das vom Vater zum Sohn übergeht, der erste gemeinsame Besuch einer Kneipe, die gemeinsame Fahrt im ersten eigenen Auto. Männerwelten. Klischee? Wirklichkeit? Vorstellung?
Samstag. Am Tag nach der Ladiesnight. Ich war mit David im neuen Pedro Almodóvar Film – „Die Haut, in der ich wohne“. Wie immer: verstörend, schön, süß, bitter, überraschend. Und: Männer, die sich merkwürdig geben. Verrückte, Wahnsinnige. Ein in den Bildern, in der gezeigten und skizzierten Kunst schöner Film. Wäre da nicht der Mensch, der Mann…
David & ich kamen gegen zwei Uhr in der Nacht zur Ladiesnight dazu, einen letzten Wein trinken. Wir hatten uns vorher in Köln in einem Club rumgetrieben. Es gibt so viel zu erzählen. Am Morgen dann: Ein überglücklicher Jim. Er hatte eine E-Gitarre geschenkt bekommen!!! Er spart seit geraumer Zeit auf eine E-Gitarre mit Verstärker und nun hatte eine Freundin von Ela eine mitgebracht, die ihr Mann noch hatte. Was Männer noch so haben. Irgendwo. In der Hinterhand.
E-Gittaren brauchen Verstärker. Kleine schwarze Kästen, aus denen das Krachen der Saiten tönt. Highway to hell. Ela meinte: „O.K. Jim, wir fahren in den Musicstore. Heute.“ Augen wie Planeten auf die Mutter, die Göttin, die Retterin gerichtet. „Ich will mit Papa fahren.“ Männersache. Kerlskram. O.K. Gerne. Alternativ hätte ich putzen müssen. Wenn man zwischen Himmel und Hölle wählen kann, nimmt man doch gerne die Hölle:)
Men’s hell. Köln. Musicstore. Europas größter Laden für Musikkrams. EQUIPMENT. Boxen so groß wie Garagen. Etage um Etage voller Musikalienspielzeugs. Männer. Überall Männer. Rock’n Roll T-Shirts, Bardenoutfit, Singer-Songwriter-Brillen. Nach außen getragenes Selbstverständnis, Dokumentation der Soundhistorie der letzten Jahrzehnte. Alle da: Buddy Holly, John Lennon, Joe Cocker, John Lord, Angus Young. Alle in den kleinen Glaskabinen, als säßen sie in Peepshows. Verklärter Blick, Ausdruck innerster Gefühle, Starruhm… In einer dunklen, schalldichten Kabine im Erdgeschoss eine Frau. Ein Alien auf diesem Planeten Musikstore. Mit einer großen Flöte. Flöte.
Vater und Sohn im Männergetümmel. Wir schnappen uns einen Verkäufer. Beginnen ein Fachgesimpel-Namedroping-Kaufgespräch. Verstärker, Marshall, Fame. Es ist laut im Raum, Gemurmel, hier geht eine Testraumtür auf, dort geht eine Testraumtür auf.13 Testräume voller Gitarren und Verstärker. 13 Höllenkreise nach Pasolini. Jahrhundertsoli kreischen in die Ohren. Eric Clapton, Dire Straits, AC/DC, Deep Purple… Leider können wir nicht testen, weil alle Proberäume voll sind. Ferien, Samstag. Aus Heizungsbauern und Werbefachmännern werden Rockstars. Hart und heftig. Men’s hell.
Jim sagt: „Brauch ich nich. Ich nehme den Fame. 60 Watt, einige Effekte schon integriert. Der ist laut und gut. Nehm‘ ich.“ Zettel ausfüllen, durch Tattoos und Lederjacken und lange Haare hindurch zur Kasse. Eine Frau. Ah. Oase. Insel. Stern über Bethlehem. Jim zahlt. Bar. Das Geld hat er vorher bei der Bank im Dorf mit seiner Kontokarte abgehoben. Mensch. Bald ist er 15 und dann bald. Darf gar nicht dran denken.
Schlange an der Warenausgabe. Gitarrenkoffer gehen über den Tresen, werden an den Schnallen wie von Killern geöffnet. Sie vor dem Einpacken ins Auto noch einmal in die Hand nehmen: Die Fender, Gibbson… So wie die, die oben hängen. Mit den Signaturen von Hendrix, Status Quo… Heroen. Wir müssen 20 Minuten warten. Gehen zur Bar bei den Gitarren – Cappuccino und Kakao. Raus in die Sonne. Schauen auf die Autobahnauffahrten im Licht. Ein Mann mit Elektrorollstuhl hat sich verfahren. Steht am Zubringer, kehrt um. Mein Gott. Männer sind in dieser Welt manchmal verwirrt und nehmen die falschen Auffahrten. Verloren. So it is.
Ich trage Jims Fame-Verstärker zum Auto. Sauschwer das Teil. Er sitzt hinten, packt ihn aus, mit dem Taschenmesser des Vaters. Initiation modern. Zuhause schließt er sie an. Curt Cobain. Smells like Teen-Spirit. Smoke on the water. Gestern ist er mit Gitarre und Verstärker zu seinem Freund Karl gefahren. Der hat auch so ein Set und dessen Bruder auch. Jam. Session. Ferien. Jungs, werdende Männer. Ausdruck des Innersten. Auf dem Weg zur Auffahrt. Jims Kumpel schreibt Songs. Eigene Worte finden, den eigenen Klang. Gute Übung:)
Hallo Jens,
wow, schöner Bericht am Montagmorgen. Klingt noch nach. Kann mir das Szenario gut vorstellen. Men’s Hell oder doch Men’s Heaven?
Ich wünsche Dir einen guten Wochenstart.
Viele Grüße
Annegret
Hi Annegret,
du hast schon recht: Eher heaven. Aber ich glaube, das Wort wäre zu lieblich gewesen. Deshalb: hell. Highway to hell. Draußen in der Sonne der Highway, drinnen die schwarzen T-Shirts und derr Lärm des Fegefeuers:)
Liebe Grüße
Jens
Jaja, Highway to Heaven wäre wahrscheinlich ein Paradis für Frauen (ich sage nur Schuhe).
Ich denke, da gibt es ähnliche Paläste:)
Kostbar! Mein inneres Auge sieht schon den Bericht über das erste Konzert von Jims eigener Band – deine Vaterbrust stolz geschwellt.
Das sind die Initiationsriten der Moderne.
Schön beschrieben lieber Jens, danke. Mir dröhnen noch die Ohren ;-)
Eine wunderschöne Woche wünsch ich Dir und den deinen!
Liebe Grüsse aus dem sonnigen Süden,
Danièle
Liebe Danièle,
das war mal wieder so ein Tag, der vom Himmel gefallen ist. Plötzlich da. In dieser unwirklichen Welt. Fast ein paralleluniversum, von dem ich nichts ahnte. Alle Menschen in unterschiedlichen Wirklichkeiten verstrickt. Es hat Spaß gemacht, sich mit Jim da rein zu stürzen. All diese Gitarren und Verstärker zu sehen, die großen Boxen.
Er spielt nun seit acht Jahren klassische Gitarre. Nun kam die Sehnsucht auf, ein E vor den Namen zu setzen. Mit seinem Freund hat er seit Monaten gefachsimpelt, welchen Verstärker er sich nun kaufen soll. Fame war die Marke seiner Wahl. Ich denke an Sätze wie „Papa weißt du noch, als wir damals meinen ersten verstärker gekauft haben. Diesen 60 Watt Fame Amplifier.“ So stellt sich meine Vaterseele das zumindest romantsich vor. Die Realität wird dann wohl anders aussehen. Zumindest im unterbewusstsein ist der Moment da. Immer. Das freut mich und ist ein teil persönlichen Reichtums:)
Viele, viele Grüße
Jens
Sehr schön.Freut mich das die Gitarre so eine Folgewirkung hatte.
Nehme wahrscheinlich dein Angebot an, am 17. Dezember zu euch zu kommen,wenn die Damen in Köln Yoga praktizieren. Also bis bald.Liebe Grüsse Ralf
Hallo Ralf,
die Gitarre ist wirklich der Hammer. Die letzten Tage war sie pausenlos im Einsatz. Ich freue mich, dass du am 17. kommst. Dann sind wir Männer auch gut versorgt.
Liebe Grüße
Jens