
Die Königsdisziplin unter den Gesellschaftsspielen, der feine Klassiker. Im Ruf, das Spiel der Nerds zu sein, der pickeligen Mathegenies mit dem Hang zur quälenden Auflösung jedweden Rätsels. Strategiegenies, die Dinge sehen, die zumindest für mich gar nicht vorhanden sind. Schach. Während des Abis besuchte ich ein Internat im Westerwald. In meinem heimischen Dorf in der Eifel gab es so ein Matheass, gegen das ich am Wochenende manchmal Schach gespielt habe. In einem Jahr haben wir uns verabredet, Sylvester kurz nach Mitternacht eine Partie zu spielen. Ich wollte das Jahr mit einem grandiosen Sieg beginnen. Schmach, Schande und trotzdem ein gutes Jahr. Meine Talente liegen woanders. Das Matheass ist heute Wirtschaftsmathematiker. Ich habe nie auch nur eine Partie gegen ihn gewonnen. Ein Mal ein Remis erreicht. Bittere Pille.
Schach klingt für mich nach Männerdomäne. Kasparow & Co. Momentan gibt es da so ein junges deutsches Genie, das wohl richtig abräumt. Ich las einen Artikel, irgendwo, irgendwann. Dieses Gedächtnis. Egal. Wir sprachen ja kürzlich über Männer- und Frauen-Literatur und hatten einen kleinen Disput hier im Blog. Da hatten sich jung und alt in den Haaren. Wie sieht es nun mich Schach aus? Kann man sagen: Ein Männerspiel?
Wie ich darauf komme? Zoe kam jetzt nach Hause. „Papa, bring mir Schach bei.“ Normalerweise spielen wir, nachdem wir jahrelang Mensch ärgere dich nicht, Backgammon und das Gänsespiel gespielt haben, Rommee. Wir spielen, bis einer 1.000 Punkte erreicht hat. Nach einem halben Jahr steht es zurzeit 7 zu 7. Ausgeglichen. Zoe liegt in der aktuellen Serie in Führung und es müsste mit dem Teufel zugehen, sollte ich diese Partie noch für mich entscheiden. Jim spielt übrigens nicht mit, oder wenn, dann nur im Team mit Zoe. Er hasst es wirklich, zu verlieren.
Schach. Zoes Klassenlehrerin hat das initiiert. Es gibt da so eine Übstunde, wo sie jetzt Schach spielen können. Mehrere Schachbretter sind da. Zoe sagt, es spielen mehr Mädchen als Jungs. Allmählich muss ich da so ein paar Klassikervorstellungen über den Haufen werfen. Kommt da wirklich eine neue Frauen- und Männergeneration? Zoe und ich haben also das Schachbrett aufgebaut. Ein nebliger Morgen, die Truppen formieren sich. Noch ist es ruhig, bevor der Schlachtlärm sich erhebt. Die Bauern sind aufgereiht, einander das Licht auszuknipsen. Bewaffnet mit allem, was weh tut. In feiner Distanz die Herrschenden. Der stolze König thront neben allem, ist aber in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt. Einen vor, einen zur Seite. Höfischer Tanz. Ganz anders die Dame. Lange Wege geht sie, stürmt sich nötigenfalls ins Getümmel und mischt mit. Schräg, geradeaus, kein Halten. Die Zinnen der Türme rahmen das Spiel, statuarisch sind sie an den Ecken eingeklemmt. Läufer und Springer versuchen wie edle Ritter mitzuwirken, während die Bauern schon die ersten Leben gelassen haben. Ein buntes Treiben. Fahnen, Posaunen, Schreie, Schlachtenlärm, Trommeln.
Im zweiten Spiel nimmt mir Zoe die Dame ab. Peinlich, ein Unaufpasser. Unpässlich, kam mir das. Erst wehten meine Fahnen über allem, dann musste ich tatsächlich das Visier runterklappen, um mein Gesicht zu wahren. Mit knapper Not entkam ich dem Fall. Heiner Müller: Titus Fall of Rome. Konnte meiner Tochter ja nicht den Sieg überlassen, was hätte sie über dieses Spiel Schach sonst gedacht? Ein Heimspiel? Eine sichere Kiste? Mitnichten. Dem Leben so ähnlich, mit Haken und Ösen.
Am nächsten Tag kam sie aus der Schule. Zehn Züge haben gereicht. „Bin durchgebrochen. Habe den Turm freibekommen, den Bauern vor dem gegnerischen Turm weggeräumt und dann hat meine Gegnerin gepennt. Ich nahm ihr den Turm und räumte von der Seite bis zum König ab. Sie hatte keine Chance.“ Oje. Martialisch. Was, wenn sie nun die falschen Dinge lernt? Ellenbogen, wegräumen, in den Boden rammen? Ist das nicht die fiese Arbeit, die sich Männer so stolz auf die Fahnen schreiben? Oder lernt sie einfach, sich durchzusetzen? Ich werde den Weg mal vorsichtig beobachtend begleiten und schauen, was passiert. Aber Mensch ärgere dich nicht oder Monopoly sind ja nun auch nicht gerade die politisch korrekten Alternativen. Überall geht es Mann gegen Mann, Frau gegen Frau…
Ich wünsche euch einen entspannten Tag ohne sinnlose Scharmützel. Vielleicht lieber einen Fehdehandschuh begraben oder einfach ganz schön locker durchgehen.
