Send you an ˈeɪndʒ(ə)l

Ihr Lieben. Was ist das? Ein Bilderrätsel? Was bedeutet denn ˈeɪndʒ(ə)l ? Lautschrift. Englisch. Angel, Engel. Unsere diesjährige Weihnachtskarte. Nach einem unruhigen, krisengeschüttelten Jahr war es uns ein Herzensanliegen, für das nächste Jahr Engel bereitzustellen. Zu vesenden. Die Welt mit Engeln zu bereichern. Schutzengel, Helfer, Unterstützer, Freunde. Ihr wisst, wie sehr man die braucht. Dann wird alles einfacher, eleganter, besser. Um diese Engel kreist unsere Weihnachtsbotschaft: Füreinander da sein. Ich wünsche euch ein frohes Fest und ein gutes, gutes Jahr 2011.

Gleichzeitig möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich bei euch zu bedanken. Allen voran bei Annegret, die den fiftyfiftyblog täglich begleitet und mit ihren Kommentaren unterstützt. Selbstverständlich hab ich manchmal Durchhänger, denke, och, heute nich. Dann aber weiß ich, Annegret ist da. Sie wird gleich lesen. Das motiviert ungemein und so bist du, liebe Annegret, eine wichtige Unterstützerin. Bedanken möchte ich mich auch bei Jutta Müller von Brigitte Woman, die mich überhaupt zum Bloggen gebracht hat und mir auf brigitte-woman.de eine Heimat gegeben hat. Dort fühle ich mich weiterhin Zuhause und sehr wohl. Dann ist da filo, die mich immer wieder inspiriert hat, Gedichte zu schreiben. Und dann sind da Eva, Ewa, Claudia, Gitta, Julia, Uta, Pia, Raoul und Thomas, die regelmäßig kommentieren und den fiftyfiftyblog wohlwollend begleiten und unterstützen. Natürlich bedanke ich mich auch bei allen Leserinnen und Lesern, die diesem Blog einen Sinn geben. Nicht zu vergessen: Ela, Jim, Zoe und Cooper, ohne die dieser Blog nicht existieren würde oder blutleer wäre. Euch allen sage ich: Danke.

L’Imprimerie – pralles Leben!

Mais qui! Aber ja, wir haben es geschafft! Diesmal hat uns kein Schneetief Petra aufgehalten. Wir haben den besungenen Jahrestag begangen! In einem eigenwilligen französischen Restaurant in Köln. Eigenwillig? Mais qui! Keine Reservierungen, keine getrennten Rechnungen, keine Kartenzahlung! Der Maitre oder Patron, ein rundlicher Franzose namens Gilles Berthier, von dem gesagt wird, er sei ein Belgier, führt ein hartes Regiment. Weil er in seinem Restaurant, einer alten Druckerei, die mit ihren Betondecken und verzinkten Fensterrahmen den nüchtern-sachlichen Charme einer Pariser Markthalle verströmt, eine außerordentliche Küche betreibt, kann er sich Allüren erlauben. Bodenständige Allüren. Kein Schickimicki. Kein René Lezard leider teuer-Feeling, sondern den Hauch von Verliebtheit in besonderer Liebe zum Detail. Alles was auf den Tisch kommt – Karaffen, Flaschen, Gläser, Körbe, Teller – ist mit wahrlich erlesen Schmackhaftem gefüllt.

Und so saßen wir dort. Bedient von einem Portugiesen, der in Norddeutschland aufgewachsen ist, den es nach Köln verschlagen hat und der nun in einem französischen Restaurant arbeitet. Er hat für uns die Weinkarte interpretiert, auf der es sicherlich keinen Ausrutscher gibt. Profis. Franzosen. In Sachen Essen schafft es nichts, sich da ungerechtfertigter Weise einzuschleichen. Wir nahmen einen kleinen Aperitif, teilten uns eine Vorspeise, entschieden uns für Fisch. Was für ein Fisch. Zoe bekam einen kleinen Teller mit verschiedenen Gemüsen. Während des Essens: Ruhe. Gegenseitiges Probieren. Ein kleiner Schluck Wein und der Mund war voller Aromen. Sinnlichkeit. Und immer wieder die Frage: Wie machen die das?

Dahinter steckt eine Lebensphilosophie. Die Kultur einer ganzen Nation. Keine Kompromisse beim Essen. Wie liebevoll jede Kleinigkeit. Das frisch gebackene Brot. Dunkles Landbrot. Safran im Dessert. Süßes und Safran. Die dunkle Schokolade über dem Eis. Profis. Die Menschen um uns herum saßen, lachten, erzählten, tranken und aßen. Ich kam mir vor, als sei ich tatsächlich in Frankreich. Gesichter voller Freude, Lebensfreude. Trinksprüche. Prusten. Einander kurz berühren, anfassen, einen Arm auf die Schulter legen und reden, reden, reden. Chocolat. Juliette Binoche. Die Kraft der Lebensmittel. Und überall zwischendrin der charaktervolle, unbeugsame Patron. Keine Reservierungen, keine getrennten Rechnungen, keine Kartenzahlung! Ein eigenes Reich, in dem es auf das Wesentliche ankommt: Den Genuss. Satter, praller Genuss. Mit jedem Bissen, jedem Schluck, jedem Blick.

Unsere Teller waren leer. Da lagen nur noch Thymian- und Rosmarinzweigchen. Jim hat seinen Teller leergefegt. Heilbutt. Er war schon immer ein Feinschmecker. Die ersten Urlaube seines Lebens verbrachten wir in der Bretagne. Auf den Märkten der Bretagne, wo wir eingekauft haben, um zu kochen. Dieses Land! Diese Menschen! Diese Weine! Diese Speisen! Culinaria Frankreich: Küche, Land, Menschen. Eine kleine Reise durch das Land! Mache ich immer wieder gerne. Manchmal abends.

Wir sind glücklich nach Hause gefahren. Jim hat die ganze Fahrt von seiner Biografiearbeit erzählt. Beseelt von Mme Curie. Einer Polin, die in Frankreich gelebt hat. Wieder Frankreich. Wieder Leidenschaft. Es ist einfach so faszinierend schön, hier mitten in Europa zu leben. Zwischen all dem, was in so langer Zeit gewachsen und allmählich entstanden ist. Ach. Und mittendrin Ela und ich. 19 Jahre, zwei Kinder. Ein Hund. Ha. Ein wunderbarer Jahrestag. Manchmal läuft es einfach richtig gut.

Genießt. Alles. Egal. Ciao.

Allmählich in Stimmung…

Die Weihnachtsstimmung baut sich unaufhaltsam auf. Unsere Adventskranzkerzen sind schon fast durch, die Weihnachtskekse größtenteils schon jetzt weggefuttert. Was auch damit zusammenhängt, dass unsere Kinder seit Tagen schulfrei haben. Heute auch. Eine Woche Weihnachtsferienverlängerung. Vor der Tür stehen die Skier, mit denen sie über eine selbst gebaute Schanze fliegen. Dicht am Weidezaun vorbei. Ah!

Gestern Abend haben wir uns dann das volle Weihnachtsprogramm gegeben. Das Christgeburtspiel in der Schule. Aufgeführt von Schülerinnen und Schülern der 12. und 13. Klasse. Das Bühnenbild eine große Krippe. Der Text mehrere hundert Jahre alt – wahrscheinlich aus dem Mittelalter. Das Oberuferer Christgeburtspiel. Früher aufgeführt von Bauern einer deutschsprachigen Enklave in Ungarn. Dann in Vergessenheit geraten und 1850 wiederentdeckt von einem Wiener Dialektforscher.

Die Bühne voller Hirten, Wirte, Engel und eben: Josef und Maria. Maria in einem roten Kleid und einem blauen Mantel. Renaissancefarben. Wie auf einem Gemälde von Raffael oder Guido Reni. Als sie das Kind bekommt, sitzt sie auf einem Holzstamm. Die Szene war so schön. Josef schläft, sie neigt sich ganz langsam vor. Dieser Gesichtsausdruck. Die Hände erreichen den Boden, nehmen das Kind auf. Christ ist geboren. Der Erzengel Gabriel verkündet es den Hirten. Die Geschichte der Welt nimmt ihren Lauf. Bis ins Jahr 2010. Alles lange her. In den Gesten und in der Sprache der Schauspieler/innen aber so lebendig. Nach dem Stück Weihnachtslieder: Es ist ein Ros entsprungen und Maria durch ein Dornwald ging. Ich werde noch zum Traditionalisten.

Das Foto oben hat Zoe gemalt. Am 20. Dezember 2003. Sie war noch im Kindergarten. Es hat das Format 60 x 80 cm und hängt neben meinem Schreibtisch. Kopffüßler. Kinder in dem Alter malen fast nur Extremitäten. Beine, Hände, Kopf. Ich hatte damals Kinderdienst am Nachmittag und habe mit den Kindern gemalt. Ich habe sie gefragt, ob sie mir eine Maria malen würden. Nach zwei Minuten gab mir Zoe ihre komplette Krippe inklusive der heiligen drei Könige. Vorne ganz, ganz klein das Jesuskind. Zwischen Maria und Josef nur ein kleines Köpfchen. Die Figuren haben etwas Debiles, dennoch strahlen sie die Zuneigung dieses wichtigen Augenblickes aus.

Euch einen schönen Weihnachtsendspurt mit besinnlicher Weihnachtlichkeit. Ciao.

P.S. Erinnert ihr euch an die Story “Fucking Gitarrenladen!”? Gestern hat uns unser Zahnarzt seine erstes Album als Weihnachtsgruß geschickt. 12 tolle Songs – unplugged solo. Im Studio aufgenommen. Dieses Leben ist doch so voller Überraschungen. So schön.

Schneetoberei, ei, ei…



Das ist doch mal eine gute Weihnachtseinstimmung, oder? Ich saß gestern am Schreibtisch, hatte noch einiges zu machen und zu tun, als ich meinen Kopf nach rechts führte. Da war etwas, das mich lockte. Anzog. Restinstinkt einer Biene, die vom Duft der Blüten angezogen wird. Wir Männer reagieren da ja auch manchmal ziemlich simpel nach einem einfachen Reiz-Reaktions-Schema. Aktion, Reaktion. Was sah ich da über meiner Schulter rechts durchs Fenster? Licht. Sonne. Weiße Wolkenformationen. Die Wolkendecke war aufgerissen, um die Schneelandschaft zu illuminieren.

Kein Gedanke mehr an Autobahnen, stillstehende Flughäfen, gestrandete Reisende, LKW-Fahrverbote, Versorgungsengpässe, nicht ankommende Weihnachtsgeschenke. Egaaaal. Raus. Alles stehen und liegenlassen. Raus. Ich wollte mir die Kinder schnappen und Ela und Cooper. Ela war zur Post runter gefahren, Jim arbeitete an seiner Madame Curie-Biographiearbeit, Zoe hatte Lust mitzukommen und Cooper sowieso. Ich bin vorgestapft. Erst einmal über die zugeschneite Landstraße. Ungeräumt. Schönes Bild. Dann über den Bauernhof hoch auf die Wiesen in Richtung Mühlenberg. Denn dort stand die Sonne am Horizont. Im Begriff, in der näheren Zukunft unterzugehen. Wie am Meer. Italien. Levanto. Sommer. Wenn wir abends in der Piperbar sitzen, unseren Apero knabbern und schlürfen und darauf warten, dass sie im Meer versinkt. Schneelandschaften haben etwas von Meer. Weite.

Wir stapften durch den tiefen Schnee der Wiesen. Cooper als Vorwitznase voraus, ich als Eisbrecher und Wegbereiter hinterher und dann Zoe. “Boah Papa, kannst du mal nicht so tief einsinken? Das ist total schwer zu laufen.” Äh, wie jetzt? Schweben, oder was? Ich habe mein Gewicht leicht nach vorne verlagert, wodurch ich dann nicht mehr ganz so tief eingesunken bin. “Danke, Papa. Besser.” Tiefes Grinsen im rotwangigen Gesicht, das aus der Kälteschutzausrüstung rauslugte. Ich kam mir vor, als wäre ich auf dem Weg zur Südpolentdeckung. Der Schnee reichte mir bis weit übers Knie. Wahnsinn. Als wir oben ankamen, waren wir ganz allein. Kein Fußstapfen weit und breit. Tatsächlich, wir waren die ersten und einzigen. Die Sonne begann, die Welt zu verfärben. Cooper tobte herum, Zoe mit ihm. Cooper tauchte in den Schnee, schnüffelte, grub. Zoe ließ sich vorwärts, rückwärts, seitwärts reinfallen. Juchzte, lachte, schlug einen Purzelbaum und zeichnete einen Engel ins Weiß. Doppelter Engel. Bei dem Purzelbaum war sie mit dem Gesicht einmal durch den Schnee gerollt. Alles weiß. Lachen.

Dann ging die Sonne unter. Im Süden. 16:15 Uhr zeigte die Uhr. Wintersonnenwende. Kürzeste Tage des Jahres. Wenn sie so schön sind, ist mir das egal. Das Licht eines solchen Sonnenunterganges reicht für mehrere Tage. Da hüpft die Seele. Freude, Wonne, zeitloses Erleben. Große Momente innerhalb unseres kleinen Lebens. Momentediebstahl. Du gehörst mir. In diesem Fall war es Timing. Der Blick über die Schulter, der Impuls, die Umsetzung in die Tat. Schon standen wir vor der Tür, waren unterwegs. Einer der Vorzüge des Landlebens. Vom Schreibtisch direkt in den Winterurlaub.

Euch wünsche ich heute auch ein Stück weit Winterurlaub. Raus aus der Katastrophenstimmung, rein in die schönen Seiten dieses fulminanten Winters. Ciao.

Wish you were here!

Vollmond. Morgen. Wetterwechsel. Wir werden sehen. Ein heikles Ding so kurz vor Weihnachten. Es soll anfangen zu regnen. Das heißt: Weiße Weihnacht wird zum Wettlauf mit der Zeit. Was ich genau weiß, der riesige Schneeberg vor unserem Haus wird bis zum 24. nicht abtauen. Der von der Gemeinde entsandte Traktor zum Räumen des Schulhofes hat ihn gestern Abend noch einmal höher aufgetürmt. Er ist jetzt über zwei Meter hoch, nur ein kleiner Weg zwängt sich durch zum Haus.

Schnee. Schnee. Schnee. Gestern Nachmittag waren wir vier Stunden auf der Autobahn unterwegs. Aus der Eifel zurück ins Oberbergische. Mein kleiner Bruder ist 40 geworden. Ein bewegender Augenblick. Zurück in die Heimat, in eine andere Zeit. Am Samstag auf der Autobahn wurde mir schon anders. Die alten Zeiten. Damals. Anfang der achtziger Jahre. Helmut Kohl war am 6. März 1983 noch nicht zum Bundeskanzler gewählt worden, die Friedens- und Ökobewegung war noch groß. Mitten in unserem kleinen Dorf gab es eine große Diskothek in einem alten Getränkemarkt. Ein Kifferschuppen. Ausgestattet mit alten Kirchbänken und einer Monster-Soundanlage für die Musik der Zeit damals. Samstagnacht stand der Parkplatz voll – Autos aus Köln, Bonn, Koblenz, Trier. Unser Dorf Kaisersesch in der Eifel hatte in der Szene Berühmtheit erlangt.

Wir fuhren am Samstagnachmittag nach Kaisersesch. Auf die Party in der alten Schule. Mein kleiner Bruder hatte die Musicalbox aufgebaut. Soundanlage, Lichtanlage, kleine Bühne für den DJ, den Raum mit schwarzen Tüchern verhangen. Zeitreise. Aufregend. Die Menschen von früher. Der DJ war in meiner Klasse, bevor ich das Dorf verlassen habe. Viele bekannte Gesichter. Auf der Hintour hatte Ela im Auto Pink Floyd aufgelegt. The Dark Side of the Moon von 1973. Die Kinder protestierten, wir haben den Klang nach vorne auf die Boxen gelegt und sind mit Time & Co. über die Autobahn getanzt. Was für eine Musik. Was für eine Ruhe. Intros. Zeit, eine Stimmung aufzubauen. Heute Morgen bin ich gleich zu Youtube rüber, die wohnen hier im www direkt neben dem fiftyfiftyblog, und hab’ die gebeten, mir mal ein paar alte Nummern einzuspielen. Hach! Könnt ihr euch an Wish you were here und Hey you erinnern?

Mein kleiner Bruder hat sich das Logo der Musicalbox auf den linken Arm tätowieren lassen. Obendrauf. Unter dem Arm steht der Name seines Sohns. Sein linker Arm wird einmal seine Lebensgeschichte in Tattoos erzählen. Wir sehr ich ihn mag, diesen kleinen Bruder und seine Tattoos. Auf der Party lief die Musik. Erst wollte keiner tanzen. Ela und ich sind dann auf die Tanzfläche. Eröffnungstanz. Die Kinder kamen mit und dann die Nichten und meine Schwägerin und meine Brüder und meine Mutter. Alle auf der Tanzfläche. Alle voller Lachen. Da war sie wieder da, die alte Zeit. Wunderschöne Frauen mit langen Haaren in dicken selbstgestrickten Wollpullovern und mit Birkenstocks, die sich im Klang der Musik wiegten. Einmal kam ein Hippie auf die Tanzfläche. Seinen Blaumann hatte er mit Hühnerfedern beklebt. Irgendwann war die Musicalbox voller Hühnerfedern. Damals.

Diese ganzen Erinnerungen, so ein Leben voller Bilder, das ist das wirklich Gute am Älterwerden. Schwelgen in satten Farben. Ihr auch? Schaut mal nach, was da ist. Wo eh so viel Schnee liegt und die Welt zum Erliegen kommt. Wie ruhig es ist. Es fahren kaum Autos. Gedämpft. Da kann man sich gut noch mal einen Tee aufsetzen und The Dark Side of the Moon durchhören. Am besten mit einem Plattenspieler. Ich hab das Kratzen der ersten Umdrehungen noch im Ohr. Ciao.