Projekt Elaine (Teil 8)

Cats Zimmer war zu ihrer Zuflucht geworden, nachdem sich Cats Vermutung, dass sie und Susanne Freundinnen werden würden, auf den ersten Blick bestätigt hatte. Susanne verbrachte seither einen Großteil ihrer Zeit in der Villa am Stadtrand. Manchmal schlief sie auf dem großen, alten Jugendstilsofa in Cats Zimmer. Als Susanne das erste Mal in die Klasse kam, eine Viertelstunde nach Unterrichtsbeginn, war sie von allen beäugt worden. Die Neue. Sie hasste das Gestarre in dem Augenblick, die oberflächlich bewertenden Blicke, den ersten zählenden Eindruck. Was wussten all diese Augen schon von ihr. Die Lehrerin begrüßte sie, winkte sie nach vorne, um sie der Klasse vorzustellen. „Du bist Susanne Schuhmacher. Darf ich vorstellen, eure neue Mitschülerin. Setz dich vorne zu Catherine und dann komm erst einmal an. Herzlich willkommen.“

Cat hatte nicht gestarrt, hatte nach dem Klopfen an der Tür, dem Öffnen der Tür nur gehört und empfunden. Sie wollte Susanne spüren, sie mit ihrem stärksten Sinn empfangen. Sie brauchte zunächst kein Bild, ihr war es egal, wie Susanne aussah. Sie spürte, dass ihr Susanne nah sein würde. Als sie dann vorne stand, war Cat dennoch von ihrem Äußeren verblüfft. Sie hatte eine andere erwartet, schob den ersten Blick aber beiseite. Ihr war Susannes Äußeres egal. Wirres, abstehendes blondes Haar, intensive blaue, geschminkte Augen, T-Shirt mit einem Bandnamen, eine wilde Kette, Armreifen, schwere Stiefel, kurzer Rock, Umhängetasche. Berlin. Susanne setzte sich neben Cat, sagte „Hi, ich bin Sue.“, gab ihr die Hand und sah sie intensiv an. Cat konnte sich nicht entscheiden, etwas zu sagen oder die Hand zu greifen, ihr Schweigen in der Klasse zu durchbrechen. Sie nahm sich eine halbe Ewigkeit, tauchte in ihr Gegenüber ein, spürte nach, sagte nichts. Susanne schaute zurück, hielt dem Blick stand, wusste den merkwürdigen Blick dieses merkwürdigen Mädchens nicht zu deuten. Der Blick war zu intensiv für ein erstes Aufeinandertreffen, für eine Höflichkeitsphase, in der man sich gegenseitig mit Namen vorstellt. Für sie war es komisch, mit diesem Blick gescannt zu werden und sich nicht unwohl zu fühlen. Sie war auf diesen Blick nicht vorbereitet, sie hatte nicht gewusst, dass dort ein Mädchen sitzen würde, das auf sie gewartet hat. Sie war vollkommen neutral in diese Klasse gekommen. Vielleicht mit einem Hauch Skepsis, mit der Unlust, der von ihr unterstellten unliebsamen Bürgerlichkeit dieser Kleinstadt, dieses netten verschlafenen Nestes, in Berührung zu treten. Sie hatte Berlin nicht verlassen wollen, wäre lieber zu Bob, ihrem Vater, gezogen. Sie hatte Zao suchen wollen, der verschwunden war, den sie nirgends hatte finden können, bevor sie ging. Nicht einmal verabschieden hatte sie sich können. Ihre Mutter hatte darauf bestanden, dass sie mitkommt, dass sie mit ihr Berlin verlässt, um Berlin zu entkommen. In Cats Gesicht zeigte sich keine Regung. Sie starrte nicht, obwohl ihr Blick wie ein Starren aussah. Susanne empfand eine überraschende Intensität, mit der sie an diesem Ort nicht gerechnet hätte. Der Unterricht ging weiter, als sich die beiden immer noch ansahen. Susanne ließ es zu. Zog ihre Hand zurück, hielt dem Blick stand. Deutschunterricht, die Wiedervereinigung, Texte der Bewegung rund um die Leipziger Nicolaikirche.

Sweet Dreams are made of this!

Während ein Sturmtief über Deutschland fegte, um unsere Köpfe frei und unsere Verklemmungen wegzublasen, während in Köln der Bär am Alter Markt tobte (endlich, endlich…), zog in unserem Dorf eine kleine Schar Unerschrockener los, eine alte Tradition zu begehen. „Sankt Martin, Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind…“ Von Haus zu Haus. Die Kinder mit Laternen und Fackeln vorne, die Paps und Mams als grooviger Backround-Chor dahinter. Dieses Mal bei einem Wetter, das einem die Schuhe ausgezogen hat. Wind, Sturm, peitschender Regen. Der Mann am Boden hat nur Lumpen an, Brrrr. Herrje.

Wie ihr oben seht, waren die Menschen in unserem Dorf nur all zu bereit zum Teilen. Es waren diesmal nur 14 Kinder, die Taschen voll Sweets nach Hause getragen haben. Und Geld. Das gibt’s auch immer. Fast 20 Euro pro Kind. Respekt. Die Süßigkeiten sind für die gerechte Aufteilung erst einmal bei uns im Schulzimmer gelandet. Da, wo früher die Kinder des Dorfes von der ersten bis zur achten Klasse von vorne nach hinten geordnet gesessen haben. Eine Nachbarin gab mir ein Foto, das ich nicht veröffentlichen kann, weil ich damit Persönlichkeitsrechte verletzen würde. Wenn unsere Schule 2014 150 Jahre alt wird, werden wir es in einer kleinen Ausstellung zeigen.

Nun liegt da dieser Haufen Sweets. Weil einige Familien das Wetter gescheut haben, war die Zahl der Kinder kleiner als der Berg der Gaben. Das reicht für zwei Jahre bei normalem Konsum. Pst, Geheimscheiß: Wir werden bei unseren Kids Sachen verschwinden lassen… Das freut sonst nur den Zahnarzt mit seinem „Fucking Gitarrenladen“. Der Gute.

Während wir uns durch das Wetter quälten, was zu Mitleidsbekundungen an allen Türen führte, wurden wir Erwachsenen mit Alkohol getröstet. Zum Ende hin gingen die Frauen vor, um die Kinder ins Warme zu bringen. In die warme Blockhütte in der Dorfmitte gleich neben dem Buchenwald mit den 350 Jahre alten Bäumen. Dort gab es Kakao und Waffeln. Große Augen, glänzende Gesichter, großer Hunger. Derweil waren wir Männer beschäftigt, uns mit den Alten zu unterhalten. Die trifft man nicht so oft. Und die wollten gerne die Gelegenheit nutzen, einen gepflegten Schnaps zu trinken. Korn. Pah! Puh! Gestandene alte Kerle. Straßenbauer mit Unterarmen wie… Anstoßen mit einem „Männer“ und einem Lächeln. Rituale des Dorfes. Wie haben die sich gefreut, uns zu sehen. Die jungen Männer. Im Vergleich. Nicht nur wegen des Schnapses. Es war schon ein wenig wie im Western. Whiskeygläser im Saloon. „Männer“. Wir haben die Kurve gekriegt, das Feuerwasser überstanden und sind aufrecht im Blockhaus gelandet. Absprung im rechten Moment. Das nennt man Timing, die Haaresbreite zwischen alles bleibt gut und ihr wisst schon. Alka Seltzer. Raues Dorfleben, alte Zeiten.

Auf jeden Fall ist es immer wieder schön, mal fast alle Dorfbewohner an einem Abend gesehen zu haben. Kurze Gespräche zwischendurch. Die Lieder, die Kinder, der Feuer- und Kerzenschein. Teilen. Zeit teilen. Sankt Martin. Gut. Bis zum nächsten Heiligen. Am St. Nikolaus sehen wir dann viele wieder. Euch wünsche ich einen sturmfreien Tag, an dem ihr vielleicht schöne Zeit mit netten Menschen teilt. Vielleicht nicht gerade bei Schnaps. Ciao.

Übrigens war ich kurz auf Youtube, um die von den Eurythmics geklaute Überschrift, sagen wir mal zitierte Überschrift, live zu erleben. Dort bin ich auf eine Rough-Version des Songs getroffen. Überraschend. seht und hört selbst: Sweet Dreams.

Bär, tanzt in mir

für filo

Im Nebelmantel
der kratztanzende Bär
mit plumpstoßenden Tatzen
im Wirbel der Blicke

Stoße dich weg
mit der Faust
auf die Brust
die Striemen
der Krallen
egal

Du glaubst
du bist stark
Tanzbär

Mit Kraft aller Welten
schnapp ich deine Kehle
und halt dich umschlossen
im friedlichen Kuss

Wir werden uns drehen
kratzpfotiges Wesen
und Streifen am Boden
gemeinsamer Zeit
hinterlassen

Du trottest
gehst weg
ich weine
um dich
deine Augen
dein Blick
dein felliger Körper
die Schwere
der Taten

jens schönlau, november 2010

Tolle Truppe, starkes Ensemble!

Shakespeare hatte seine Theaterkompanie. Eine Schauspieltruppe, die die Bühnenwelt verändert hat. Unser Dorf nun geht auch in die Kulturoffensive und öffnet den Vorhang. Nikolaus im Dorf. Die Dorfgemeinschaft und die Feuerwehr arbeiten Hand in Hand. Kinder und die Alten beglücken. Am Samstag vor Nikolaus treffen sich die Alten zum Kaffee. Der Pfarrer kommt, es wird geklönt, die Frauen des Dorfes haben Kuchen gebacken. Normalerweise treten die Kinder auf und spielen ein Nikolausstück. Am Sonntag dann wird die Feuerwehrhalle ausgeräumt. Die drei großen Autos werden raus gefahren, die Biergarnituren der Dorfgemeinschaft aufgebaut sowie die kleine Bühne aus den Brettern, die die Welt bedeuten.

Kerzen brennen, Servietten und kleine Blumengebinde schmücken die zum Saal gewordene Halle. Es wird voll, Eltern und Großeltern kommen mit ihren Kindern. In Körben wird Geschirr mitgebracht und Kuchen für alle. Leckere Sachen. Kakao, Torten, Kinderaugen. Irgendwann kommt der Nikolaus. Wer will, kann ein Gedicht aufsagen. Es wird gesungen. Jedes Kind geht nach vorne und bekommt ein kleines Geschenk. Die Rabauken dürfen sich eine Kleinigkeit anhören – ein funktionierendes System. Eine gute Form, gegenseitigen Respekt einzufordern.

Dieses Jahr nun gibt es eine Neuerung. Nicht die Kinder führen ein Nikolausstück auf, einige Erwachsene machen das. Für die Kinder und Alten. Mich rührt das. Respekt. Miteinander. Füreinander. Ich durfte das Stück schreiben, in dem es um den echten Nikolaus und den Wunsch einer alten Frau geht. Es treten ein Pfarrer, ein Bauer, ein Knecht, eine Nachbarin, die Schwiegertochter und besagte Maria auf. Weil ich die Menschen, die für diese Rollen in Frage kommen, mittlerweile seit zwölf Jahren kenne, haben ich ihnen die Rollen auf den Leib geschrieben. Und: Sie haben sie angenommen. Letzte Woche gab es ein leichtes Rumoren des Bauern, der mit seiner Rolle nicht ganz einverstanden war. Gestern Abend kam er lachend zur Probe. Er hat seinen Text auf Platt umgeschrieben. Wunderbar. Die Alten werden begeistert sein. Wir haben viel gelacht. Gute Stimmung, das Stück entsteht. Auf der Bühne ist hohes Tempo angesagt. Der Knecht hat die Lösung des Problems, der Bauer lässt ihn nicht aussprechen, muss ihm auf Stichwort immer wieder ins Wort fallen.

Die Proben laufen gut. Alle bringen sich ein, liefern Ideen, überlegen sich Kostüme, arbeiten an den Charakteren. Ländliches Method-Acting. Wie bin ich eigentlich? Wer bin ich? Weshalb sag ich das so? Ich gebe vorsichtig Subtext rein. Das Zauberwort, wenn es darum geht, die Bühnensprache für das Publikum mit Figuren zu füllen. Aus Schauspielerinnen werden Bühnenfiguren. Metamorphose. Aufbau einer Aura. Die Zuschauerinnen erleben etwas, was sie nicht sehen können. In Mannheim am Nationaltheater haben wir damit viel rumgedoktert. Bei den Proben unten im Saal der Feuerwehr klappt es auch. Die Texte kommen, alle fangen an zu spielen. Kleine Gesten. Wie plötzlich eine Kaffeetasse genommen oder ein Stuhl gerückt wird. Kleine Sachen, große Wirkung. Das wird gut, das Stück klappt, hat Tempo, Witz. Weiß man ja vorher nicht, wenn man es schreibt und noch nicht auf der Bühne gesehen hat. Immer wieder diese Spannung. Funktioniert ein Text. Tag für Tag. Jetzt auch. Nach sex sells gestern mit absolutem Besucherrekord heute wieder zurück aufs Dorf. Harte Landung im sanften Kontext des Lebens. Worauf kommt es an? Was zählt? Ist tatsächlich alles eins?

Ich freue mich auf die Aufführung des Stückes. Habe die große Bühne verlassen und arbeite nun hier mit einem Bauern, einer Bäuerin, einer Taxifahrerin, einem Achsentester, eine Zahnarzthelferin und einem LKW-Fahrer. Perfekt. Leben auf dem Lande. Heimat im besten Sinne des Wortes. Ich wünsche euch einen schönen Tag mit ein klein wenig weiterem Ankommen in dem, was euer Leben ausmacht. Trippelschritte vorwärts. Freude. Ciao.

Let’s talk about Sex oder was jetzt?

Tja, das wäre jetzt schön, wenn ich hier so puppenlustig locker leicht so ein klein wenig erotisch schwadronieren könnte. Laszivität, Summerfeeling, Sex on the Beach an diesem Mittwoch im November. Was geht, Baby? Erst Mal nix. Mist. Abfuhr meiner inneren Systeme. Komme nicht auf Touren. Hey, was ist los? Muss sich ja aufbauen, langsam entwickeln, kribbeln. Rein technisch braucht der Körper eine gewisse Vorlaufzeit. Was da alles zusammenkommen muss. Kennt ihr vielleicht aus Woody Allens Film „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“. Also all diese körperlichen und seelischen Zusammenhänge. Die Atmosphäre, die Ausschüttung von stimulierenden Hormonen.

Und dann wäre da noch, wir sprechen hier ja nicht von Onanie in Sinne von Masturbation, das, der, die Gegenüber. Je nachdem, worauf man/ frau steht. Frau/ Frau, Mann/ Mann, Mann/Frau und dann wären da ja noch die Erweiterungen bis zum Gang Bang. Wir wollen an diesem November-Mittwoch-Morgen nicht prüde sein. Das Lustige ist, ihr sitzt nun genauso wie ich an einem Schreibtisch, habt einen Tag voller Aufgaben und Arbeit vor euch und ich schreibe über Sex. Weshalb eigentlich?

Sex sells. Heißt es. Menschen sehnen sich nach Sex. Ich übrigens auch, ganz offen gestanden. Manchmal. Dann wieder nicht und plötzlich ganz intensiv. Das muss ich nicht erklären, kennt ihr selber. Um auf die Frage zurückzukommen. Morgens suche ich nach einem Blogthema, weil ich täglich schreibe. Oft fliegt mir das zu, ist einfach da. Momentan tanzt mein Inneres nicht so, der November hängt mir Gewichte an die Flügel. Blöd. Nun habe ich heute Morgen nach einem Thema gesucht. Als ich die Kinder zum Bus gebracht hatte, war ich noch mal kurz zu Ela ins Bett gehüpft. Kurz ankuscheln. Ne, ne, ne, nicht, was ihr jetzt vermutet oder was hier an Eindruck entstehen könnte. Nicht, das mir der Gedanke nicht gekommen wäre. So schön, so warm, so… Kuschelig. Punkt.

Das hat die Headline „Let’s talk about Sex“ ausgelöst. Und ich stellte mir die Frage: Und jetzt? Ich wollte fliehen, die Thematik umgehen und den Impuls eines Freundes aufnehmen. Der meinte mal: „Jens, dein Blog ist irgendwie so ein Blümchenblog. Keine echten Infos. Keine Fakten. Wenig Nutzen.“ So können Männer auch sein. Ups. Ich hatte mir also überlegt, mal etwas auszuprobieren. Ich wollte über Gaspreise schreiben und wie sinnvoll es ist, den Gasanbieter zu wechseln, um Geld zu sparen. Ich bin auf die Verivox-Seite, um Zahlen liefern zu können und dann stellte sich in mir alles auf. Ih, geh weg! Nutzen. Zahlen. Fakten. Würg. Dann lieber nicht wirklich über Sex schreiben. Über gegenseitiges Anfassen, einander Ansehen, Spüren. Blicke senden. Ah. Den Kopf neigen, lächeln. Sich im Vorübergehen leicht berühren. Zwei wissen Bescheid. Intensität. Lust. Ausleben. Sich an die Wäsche gehen. Gänsehaut. Nix Gaspreise.

O.K. Dann mal viel Spaß heute. Habt ihr es schön? Wenn noch nicht, dann macht es euch schön. Ist ja alles da. Ciao.